Verregnete Regenzeit

Regen, Regen, nichts als Regen und es scheint kein Ende nehmen zu wollen. In Sierra Leone ist Regenzeit. Wie jedes Jahr beginnt sie im Mai/Juni und endet im September. Dieses Jahr kam der Regen spät. Schon seit ein paar Jahren ist der Regen nicht mehr vorhersehbar wie früher. Das bereitet allen, die von der Landwirtschaft leben, große Probleme. Die Zeit der Aussaat ist ungewiss, der erste Regen, der den Boden nach der langen Trockenzeit vorbereitet, kommt immer später und bleibt teilweise ganz aus. Die Klimakrise ist zu spüren und auch wenn nicht alle wirklich verstehen, was climate change bedeutet und wie die globalen Zusammenhänge sind, so spüren doch viele seine Folgen.

Ich habe mich ja schön aus dem Staub oder aus dem Regen gemacht Mitte Juni, um dem Regen zu entfliehen und den deutschen Sommer zu genießen. Und ja, auch der deutsche Sommer war etwas verregnet und kalt – zumindest teilweise, aber die Nachrichten, die aus Sierra Leone kamen, haben mich den deutschen Regen lieben gelehrt.

Normalerweise ist die Regenzeit im Juli und August am stärksten, das bedeutet, dass im August fast so viel Regen vom Himmel fallen kann wie in Deutschland im ganzen Jahr. Dass es also im Juli und August viel regnet, ist keine Überraschung in Sierra Leone. Aber so viel wie dieses Jahr hat es wohl schon lange nicht mehr geregnet. Es gibt den berühmte „7-Tage-Regen“. Während des 7-Tage-Regens regnete es – surprise – sieben Tage lang ohne Unterbrechung. Das kann wirklich nervig und zermürbend sein, wenn man ein trockenes Zuhause und ein Auto hat, es ist unglaublich schlimm, wenn man kein trockenes zuhause hat und auf Keke und Okada angewiesen ist, um sich fortzubewegen. Das Leben steht ein bisschen still, da man nichts machen kann.

7-Tage-Regen? Das war einmal

Als also der 7-Tage-Regen begann, irgendwann im Juli, war niemand überrascht. Ich saß im trockenen Deutschland und habe nur die Nachrichten in den Chat-Gruppen verfolgt. Ah, alle, die die erste Regenzeit erleben, verstehen nun, was Regenzeit heißt. Alle, die das schon kennen, stellen sich auf ein paar Tage Regen ein. Doch dann hörte der Regen nicht auf. Nicht nach sieben Tagen, nicht nach 10 Tagen, nicht nach zwei Woche. Über 20 Tage regnete es in Freetown. Das hatte noch niemand erlebt. Über 20 Tage Regen. Es mehrten sich die Fotos und Videos von der zerstörerischen Kraft der Wassermassen.

20 Tage Regen – und alles ist durchnässt

Was bedeuten 20 Tage Regen für eine Mehrheit in Freetown? Es bedeutet alles und ist eine riesige Katastrophe für viele Menschen. Wir reden hier nicht von ein bisschen Nieselregen. Wir reden hier von echtem Regen, von Regen, der die Sicht auf ein paar Meter begrenzt und wie aus Eimern aus den Wolken fällt. Regen, der dich innerhalb von Sekunden bis auf die Haut durchnässt und teilweise gemeinsam mit Sturm und Windböen über das Land fegt. Auch nach drei Jahren Sierra Leone und auch in meiner dritten Regenzeit, bin ich jedes Mal wieder überwältigt von diesen Naturgewalten.

Alle, deren Dächer nicht ganz dicht sind, weil sie aus zusammengebasteltem Wellblech bestehen, sitzen auch in ihrem Zuhause nicht im Trocknen. Selbst „richtige“ Dächer und Häuser halten diesem Regen nicht immer Stand. Der Regen sucht sich seinen Weg durch jede Ritze, durch undichte Fenster (so zum Beispiel bei mir im Wohnzimmer), unter jedem Türspalt (ja, auch meine Wohnung wird gerne geflutet bei starkem Regen mit Wind) und auch durch die Wände.

Wenn es so viel regnet, hat der Erdboden keine Chance, die Wassermassen aufzunehmen. Straßen werden geflutet – leider auch, weil oft die Abflusssysteme nicht frei von Müll sind und somit alles auf die Straßen geschwemmt wird. Straßen am Hang verwandeln sich in reißende Flüsse und bringen Schlamm, Müll und Dreck den Hang hinunter zu den Häusern, die weiter unten stehen. Freetown ist auf Hügeln gebaut, es gibt also sehr viele Hänge. Ein Problem ist natürlich, dass viele Flächen versiegelt sind und somit das Wasser weniger Möglichkeiten hat, in den Erdboden zu versickern, gleichzeitig kommt das Wasser mit immer mehr Gewalt die Hügel herunter, da durch die Abholzung der Wald fehlt, der Regen und das Wasser früher abgebremst hatte. Mauern und Häuser werden mit Zement und Ziegeln gebaut, die von geringer Qualität sind. Meist wird Sand aus dem Meer zum Bauen verwendet. Das Salz, das sich durch das Meerwasser im Sand befindet, saugt sich bei Regen und bei hoher Luftfeuchtigkeit voll (Salz zieht ja Wasser an), das erhöht einerseits den Schimmel in den Wänden, macht die Wände aber auch instabiler. So kommt es immer wieder zu tragischen Todesfällen. Im Juli ist eine Mauer eingestürzt, die auf das Wellblechhaus einer Familie fiel. Die Mutter und zwei Kinder sind dabei gestorben.

20 Tage Regen bedeuten auch, dass quasi nichts mehr trocken ist. Ich kenne das aus den letzten Jahren. Die Klamotten haben keine Chance zu trocknen nach dem Waschen und riechen schon wieder mouldy, bevor man sie von der Leine nehmen kann. Die Luftfeuchtigkeit ist so hoch, dass alles, wirklich alles dauerfeucht ist. Matratzen, Kissen, einfach alles. Man hat ja in Deutschland keine Vorstellung davon, was alles schimmeln kann. Alles, was aus Leder ist, wird mit einer schönen feinen Schimmel-Patina überzogen. Auch Essen, mir sind selbst trockenen Nudeln geschimmelt und noch einiges mehr, was mich wirklich in Staunen versetzte. was alles schimmeln kann, man glaubt es kaum. Aber in den letzten Jahren gab es nie zwanzig Tage Regen. Ich mag mir gar nicht vorstellen, wie schlimm es für den Großteil der Bevölkerung war und immer noch ist.

20 Tage Regen – 20 Tage ohne Einkommen

20 Tage Regen bedeuten für viele Menschen auch, 20 Tage keine Arbeit, kein Einkommen, kein Essen. Die Fotos und Videos, die ich sah, zeigten Marktplätze hüfthoch geflutet, Straßen überschwemmt, so dass Keke und Okada kaum noch durchkommen, leere Strände, Menschen, die durch Wassermassen schreiten. Für mich, die in meinem (größtenteils) trockenen Heim sitzt, mit dem eigenen Auto in die Arbeit fahren kann oder im Notfall auch mal von zuhause arbeiten kann, ist es wie gesagt, nicht die schönste Zeit im Jahr, aber gut. Ist eben Regenzeit. Für alle Menschen, die davon leben, dass sie täglich ein paar Dinge auf den Straßen verkaufen, die Frauen, die die kleinen cookeries am Straßenrand betreiben, die Leute, die den ganzen Tag durch die Straßen der Stadt ziehen und von Besen über Rattengift und Hundehalsbänder alles Mögliche anbieten, für die Keke- und Okadafahrer, für die Frauen auf den Märkten, für die bedeuten tagelange Regenfälle, tagelange Arbeitsausfälle und somit auch kein Einkommen für die Familie.

Viele Menschen leben davon, dass sie tagsüber oder abends etwas Geld verdienen und dieses dann direkt in Essen für sich und vielleicht auch die Familie investieren. Für diese Menschen sind die langen Regen eine existentielle Katastrophe. Viele haben nicht die Möglichkeit zu sparen und dann für die Regenzeit vorbereitet zu sein, weil es immer gerade so zum Leben reicht. Da ist nichts übrig für schwere Zeiten. Schon immer wundere ich mich, wie Menschen das schaffen. Nicht nur in Sierra Leone, auch in vielen anderen Ländern. Das Leben von der Hand in den Mund ist in der Regenzeit mehr als eine Herausforderung. Es ist ein Teufelskreis. Kaum jemand geht auf die Straße, da es regnet, dadurch gibt es weniger Angebot zu kaufen und weniger Nachfrage an Keke und Okadas, somit haben Menschen weniger Essen und können weniger Nachfrage generieren und so weiter und so fort. Auch alle, die in Bars, Restaurants, an den Stränden arbeiten, haben kein Einkommen. Wer geht schon an den Strand und sitzt in der Strandbar, wenn es schüttet wie aus Eimern? Wenn es „kalt“ und ungemütlich ist.

Mit dem Regen kommen die Krankheiten

Regenzeit ist auch Malariazeit. Ich bin das beste Beispiel. Schön jedes Jahr zu Beginn der Regenzeit im Juni besucht sich die Malaria. Wenn sich überall Pfützen bilden, finden die Mücken beste Voraussetzung für die Fortpflanzung. Außer Malaria kommen mit der Regenzeit aber auch andere Krankheiten. Viele Häuser haben keine indoor-Toilette. Oftmals teilen sich mehrere Häuschen so eine Art Klo- und Duschhaus. Es gibt ein Loch im Boden und das war´s. Was passiert, wenn die Wassermassen kommen und alles überschwemmen und ausschwemmen, muss ich hoffentlich nicht im Detail beschreiben, aber da schwimmt so einiges im Wasser, vieles für das menschliche Auge nicht sichtbar, aber mit Auswirkungen auf den menschlichen Magen-Darm-Trakt. Während der Regenzeit kann es mal zu kleineren Choleraausbrüchen kommen, zu vermehrten Durchfallerkrankungen und auch allgemein zu mehr erkältungsmäßigen Erkrankungen, wegen der konstanten Feuchtigkeit und Kälte. Und dann ist kein Geld da, für ausgewogene Ernährung, für den Besuch beim Arzt oder die Medikamente.

Dass bei Regen oft kein Strom da ist, brauche ich wahrscheinlich gar nicht mehr zu sagen. Das wissen wahrscheinlich mittlerweile die meisten von euch. Und wie stark eine Solaranlage bei 20 Tagen Dauerregen und ohne Sonne funktioniert, naja, da kommt mehr energy bei Sonnenschein, sage ich mal.

Da möchte man am liebsten einen landesweiten Chor anstimmen und das alte Kinderlied „Lieber Regen geh weg, liebe Sonne komm wieder“ anstimmen. Welch eine Wohltat, wenn die Sonne sich dann nach Tagen durch die Wolken kämpft und mit ihren warmen Strahlen die Haut berührt. Wenn es Flecken blauen Himmels gibt und wieder Hoffnung aufkeimt auf ein Ende des Regens.

Der Regen ist wichtig, schließlich wird es erst einmal einige Monate nicht mehr Regnen, wenn er weg ist. Aber solange er da ist, wird er ausgehalten in stoischer Apathie und die Sonne herbeigesehnt. Nun ist es bald Ende August und „it´s raining like hell again“(so schrieb mir heute jemand). Andere Fragen schon in meiner einen Whatsapp-Gruppe „What’s going on? Are we back in July?”

Während sich manche in Deutschland also über den Regen und die Wolken ärgern und sich fragen, wo der Sommer ist, sage ich: genießt den Nieselregen, zieht eure Gummistiefel an und geht raus. Das, was ihr Regen nennt, ist kein Regen. Und solange ihr ein dichtes Dach über dem Kopf habt, dichte Fenster, trockene Klamotten und Decken, einen Kühlschrank, der nicht nur kühlt, sondern auch noch voller Essen ist, freut euch des Lebens und seid dankbar dafür, dass das Schicksal, der Himmel oder wer auch immer euch ein trockenes zuhause beschert hat.

In diesem Sinne summe ich hoffnungsvoll „Here comes the sun“ und verabschiede mich für heute in den Regen.

Women empowerment durch Umweltschutz

Langsam kennt ihr alle meine Lieblingsplätze um Blog-Beiträge zu schreiben 😉 Heute mal wieder die Terrasse des Paloma in Kenema. Wir sind heute aus der community zurückgekommen und nach zwei Tagen Reis, Reis und nochmals Reis, hatte ich Lust auf einen richtigen Kaffee und etwas anderes als Reis. Und was liegt da näher als parallel direkt mit euch meine letzten Erlebnisse zu teilen. Zuvor noch Fotos von meinem Frühstück heute morgen:

Heute gibt es bei den meisten Fotos Bildunterschriften. Teilweise kommen die erst, wenn ihr mit der Maus über das Foto geht.

Der globale Rahmen wird sichtbar im kleinen Dorf in Sierra Leone

Auch wenn ich es manchmal aus den Augen verliere, arbeiten wir eigentlich konstant an der Erreichung der UN-Sustainable Development Goals (SDGs). Die SDGs wurden auf globalem Level festgelegt und haben die Millenium Development Goals abgelöst. Die 17 SDGs behandeln quasi alle Ebenen einer Gesellschaft, es geht um zero hunger, end poverty, gender equality, Müttersterblichkeit, Zugang zu sauberem Trinkwasser, clean energy, und so weiter. Alle Länder, Projekte und Organisationen, die im (inter)nationalen Entwicklungskontext zugange sind, richten ihre Arbeit an diesen SDGs aus. Die beiden Themen women empowerment und Umweltschutz sind dabei von vielen Regierungen groß auf die Fahne geschrieben (auch von der EU und Deutschland), so dass die meisten Projekte, die im globalen Süden entwickelt werden und sich auf Gelder bewerben, meist einen Genderaspekt und einen Umweltaspekt beinhalten. Zunächst hört es sich so an, als wären das zwei vollkommen unterschiedliche Dinge, aber mein Besuch in den Dörfern im Gola Landscape die letzten Tage hat doch wieder gezeigt, wie eng alles miteinander verbunden ist.

Auf nach Kenema in die grünen Hügel

Ähnlich wie vor ein paar Wochen nach Kabala, haben wir uns am Samstag auf den Weg nach Kenema gemacht, um dort die Projekte zu besuchen und stories zu sammeln für unsere Kommunikationsarbeit. Ich war schon ewig nicht mehr in Kenema und wie jedes Mal wenn ich hier bin, denke ich, Kenema ist doch die schönste Stadt im Land. Umgeben von grünen Hügeln, entspannt und ruhig. Ich mag Kenema. Am Samstag war auch einer meiner italienischen Freunde in Kenema, der eigentlich in Bo wohnt. So habe ich mich ihm und der MSF (Medicine Sans Frontier / Ärzte ohne Grenze) Truppe angeschlossen beim Volleyball und anschließender Holzofenpizza aus dem selbstgebauten Pizzaofen (natürlich von einem Deutschen gebaut). Am Sonntag ging es denn auf zum Kontrastprogramm in die Dörfer, ihr könnt es euch schon denken, mit Reis vor der Abfahrt 😉

Forest Conservation through land use planning – WABiLED

Unser aktuelles Projekt im Gola Landscape, WABiLED, ist ein Pilotprojekt in fünf communities, dessen Ziel es ist, mit den communities sogenannte By-Laws für den Waldschutz zu entwickeln, den bestehenden Wald und die degradierten Flächen zu kartografieren und dann aufzuforsten. Da die meisten Dorfleute farming betreiben oder logging geht es auch darum, climate smart farming Methoden einzuführen, so dass der Wald nicht immer weiter schwindet, sondern community Wald definiert wird, in dem dann nachhaltige Landwirtschaft und agroforestry betrieben werden kann. Wir haben zwei communities besucht, um zu sehen, wie climate smart farming das Leben der Menschen verändert.

 Climate smart farming in Lowuma

Zwei Stunden Fahrt durch wunderschöne Landschaft und grüne Natur oder 50km südlich von Kenema, befindet sich Lowuma, ein kleines Städchen am Rande des Regenwaldes. Wir haben uns, wie das so üblich ist hier, im Dorfzentrum mit den Mitgliedern der Community Forest Management Gruppe getroffen. Im Dorfzentrum gibt es meist eine überdachte Versammlungsplattform. Wir haben unser Anliegen vorgetragen und im Anschluss fünf der Mitglieder interviewt.

Die meisten Dorfbewohnerinnen und Dorfbewohner haben früher upland-rice farming betrieben. Dafür müssen jede Saison neue Felder angelegt werden und immer wieder neu Wald vernichtet werden. Die Arbeit ist sehr mühsam und anstrengend und die Erträge nicht undbedingt hoch.

„Als CSSL kam, haben sie uns gesagt, wir sollen den Wald schützen und ihn nicht weiter zerstören. Sie haben uns alternative Landwirtschaftsmethoden beigebracht und gesagt, es ist besser, wenn wir den Wald bewahren und im Schatten der großen Bäume pflanzen“, erklärt zum Beispiel Masa Komoh. Früher hat sie auch upland-rice angebaut, aber sie sagt, es ist körperlich so schwer gewesen und auch allgemein sehr viel mehr Arbeit. Seitdem sie nun Ananas, Bananen, Kochbananen und Kakao anpflanzt, hat sie reichere Ernte, mehr Einkommen und vor allem hat sie mehrere Ernten pro Jahr mit weniger Körpereinsatz. Nach dem Gespräch sind wir mit ihr durchs Dorf gelaufen, um zu ihrer Farm zu gelangen. Ich habe auch ein paar Fotos von ihr vor ihrem Haus gemacht. Ich dachte, es ist mal wieder an der Zeit, dass ihr Dorfimpressionen bekommt. Ich habe mal wieder gemerkt, dass das genau der Teil meiner Arbeit hier ist, der mir am meisten Spaß macht. Im direkten Gespräch mit den Menschen durchs Dorf und durch den Wald laufen. Denn natürlich führt der Weg zu den Feldern erst durchs Dorf, vorbei an ein paar Häusern, dann vorbei an der Dorfschule, hinaus aus dem Dorf, über einen Trampelpfad durch den Wald, bis man dann endlich auf dem Feld ankommt.

Für Masa ist die größte positive Veränderung in ihrem Leben, dass sie nun immer genug Geld hat, um die Schulgebühren zu zahlen und ihre Kinder unterstützen kann, außerdem gibt es jetzt immer frisches, gesundes Obst zu essen. Ich habe auch direkt ein paar Ananas von ihr mitgenommen 😊

Auch die anderen Interviewten haben Ähnliches berichtet. Die meisten haben zuvor upland-rice farming betrieben und sind heute davon weg. Alle erzählen, dass sich ihr Leben und das Leben ihrer Familien dadurch verbessert hat. Sei es die weniger harte körperliche Arbeit, die gesündere Diät oder der bessere Zusammenhalt in der Gruppe. Francis Lahai ist der frühere head teacher an der Dorfschule. Er kümmert sich um seine Enkelkinder, da seine Kinder in der Stadt sind. (Ihr seht ihn auf einem der Fotos mit seinen Enkelkindern. Wir haben ihn getroffen, auf dem Weg zu Masas Feldern.) Francis erzählt auch, dass sich durch das Projekt die Situation im Dorf allgemein verbessert hat. Sie haben Wasserkanäle ausgehoben gegen den Sturzregen, Bäume im Dorf gepflanzt für künftigen Schatten und als Windfang und weitere kleine Projekte. Alles, um die community climate change resilienter zu machen. (Auf einem der Fotos seht ihr Lahai Koroma s.u. vor einem der neu gepflanzten Bäume stehen. Sie werden geschützt, damit die Ziegen sie nicht auffressen, so lange sie noch jung und zart sind.)

Wie so oft sind es nicht die Verursacher, die am meisten leiden. Die Menschen in den Gola-communities, haben weder Autos noch Strom, noch konsumieren sie ständig neue Kleidung oder Produkte. Aber sie sind es, die dem Klimawandel am wenigsten entgegenzusetzen haben. Die Dorfgemeinschaft ist sich der Bedeutung des Waldes jetzt bewusst, wer Bäume fällt, muss 500 Leones Strafe zahlen. Das ist ungemein viel. Der Mindestlohn im Land liegt bei 700/800 Leones, aber in den Dörfern gibt es nicht so viel Geldwirtschaft. 500Leones ist deshalb eine unglaublich hohe Summe.

Lahai Jawad ist schon Mitte 60, Spitzname „destruction of the forest”, hat früher als logger gearbeitet, mit der Motorsäge, daher der Spitzname. Auch er ist mittlerweile zum climate smart farming übergegangen. Der Ast eines Baumes, den er gefällt hat, ist ihm auf die Schulter gefallen, die ihm seitdem weh tut. Natur fights back… Er sagt, es ist viel besser. Jetzt liegt er in der Hängematte und die Leute kommen zu ihm, wenn sie etwas kaufen wollen. Er baut unter anderem Casava an. Casava leave ist das Nationalgericht Sierra Leones aber in den Dörfern gibt es nicht immer Casava. Was eine Goldgrube also, wenn man eine Casava Farm hat. Ich sehe ihn richtig vor mir in seiner Hängematte liegen, wenn er davon berichtet. Bis zu seinem Feld sind wir nicht gekommen, es war zu weit weg. Aber er hat unter wilden Gesten versucht, uns zu überreden, doch hinzugehen (seht ihr auch auf den Fotos, wie er versucht auf meinen Kollegen einzuwirken, der ihn fotografiert).

Und dann ist da noch Lahai Koroma, ein junger, hoch engagierter Mann, der als freiwilliger Forest guard den Wald beaufsichtigt und aufpasst, dass niemand in geschützte Gebiete eindringt. Gemeinsam mit Zainab Swari gehen wir auf ihre Felder. Lahai bearbeitet die Pflanzen mit der Machete, während Zainab stolz über ihre Erdnussfelder blickt. Am Morgen erst hatte sie einen Schwung Avocados verkauft und konnte direkt die Schulgebühren der Kinder bezahlen.

Die Unterhaltungen und die kurzen Spaziergänge zu den Feldern mit den Leuten aus Lowuma waren so erfrischend und motivierend, dass wir kaum gemerkt hatten, dass der Tag schon so fortgeschritten war. Noch lag ein weiteres Dorf vor uns. Und ich hatte schon Sorge, dass wir jetzt wieder viele stories über „früher upland-rice-farming und jetzt groundnuts und pineapple“ hören würden, aber der Nachmittag nahm eine überraschende Wendung.

Women Empowerment durch Umweltschutzprogramme

Nach Lowuma ging es nochmals 30 Minuten über Holperpiste durch die grüne Landschaft nach Faawa. Haben wir in Lowuma die Frauen sehr motivieren müssen, zu erzählen, war es hier ganz anderes. Die Männer kamen kaum zu Wort. Und das liegt anscheinend an unserer Intervention in dem Ort. Als Einstieg hatten wir gefragt, wenn sie fünf Jahre zurückdenken und dann an heute, was ist die größte Veränderung. Umgehend ergriff Mummy Jane, Chiefdom Women´s Leader das Wort und war nicht zu stoppen. Sie berichtete, dass sich die Stellung der Frau im Ort durch das engagement von CSSL unglaublich verändert hat.

„Früher dachten wir, Frauen können nur farming machen (das ist dann immer upland-rice farming), nur Männer können die Plantations managen (Plantations sind immer Bananen, Kochbananen, Cashew, Pineapple, Kakao – alles was mehr Einkommen bringt). Heute ist das anders. CSSL hat bei allen trainings immer dafür gesorgt, dass wenn ein Mann da ist, muss mindestens eine oder auch zwei Frauen da sein. Zuerst haben sie geschaut, ob die Frauen Plantations haben und wenn nicht, wurde ihnen dafür Land gegeben. Jetzt bauen wir Bananen, Erdnüsse, Kakao, Kochbanbanen an und verkaufen sie. Wir bekommen mehr Geld dafür als zuvor für den Reis und es ist weniger anstrengend für uns.“ Da die meisten Menschen in der Gegend nicht so gut Krio sprechen, fanden die Gespräche wie auch schon in Lowuma auf Mende statt und meine Kollegin hat übersetzt. Sie musste zwischendrin immer lachen, so wie auch alle anderen Anwesenden, weil Mummy Jane so kraftvoll und klar zum Ausdruck brachte, was Sache ist. „Heute wissen wir, dass wir keine Männer brauchen, um Geld zu verdienen. Früher haben sie uns in nichts involviert, heute fragen sie nach unserem Ratschlag.“ Ich kann das gar nicht beschreiben, aber diese Frau hat eine unglaubliche Ausstrahlung. Ich dachte mir die ganze Zeit nur Wow. Was für eine Powerfrau.

Die drei Männer in der Runde waren die ganze Zeit still und haben nur ab und an gelächelt und wissend genickt, genauso wie alle anderen anwesenden. (Nur zur Erklärung, auch wenn wir ein Meeting mit fünf Personen haben, sitzt das halbe Dorf it dabei.) Sie haben sich anscheinend in ihrem neuen Schicksal ergeben, dass ohne die Frauen jetzt nichts mehr geht in der community. Abubakarr Mansarei, der Youth Leader, wirkte im Anschluss beinahe schüchtern. Er bestätigte, was Mummy Janet gesagt hatte. Früher hätten die Männer die Ernte einfach nach Kenema gebracht und die Frauen nicht weiter beachtet, heute besprechen sie gemeinsam, was für welchen Preis verkauft werden soll. „Wir wussten ja nichts“, wirft Mummy Janet wieder ein. „Wir hatten noch nie von Kilo gehört. Jetzt wissen wir, dass die Produkte Kilopreise haben und kennen uns besser aus, wie der Handel funktioniert. Das hat unsere Position enorm verstärkt.“

Am Ende kommt auch Jenneh Hassan zu Wort. Sie ist die Town Chief. Das ist schon etwas ungewöhnlich, in einigen Regionen können Frauen nicht Town Chief werden, hier offensichtlich schon. Auf die Frage, ob sie auch etwas beitragen möchte, sagte sie sehr klar „I have something to say.“ Sie ist sehr dankbar für das Projekt und unsere Arbeit, weil es der community sehr viel positive Veränderung gebracht hat und auch sie erwähnt direkt im zweiten Satz „especially for the women“. Sie ist halb in Rente und hat einen Großteil der Verantwortung an ihren Sohn abgegeben. Der sitzt die ganze Zeit auch neben ihr, kommt aber nicht zu Wort. Ganz klar bestimmen in diesem Meeting die Frauen das Gespräch und das Thema. Auf meine Nachfrage, ob es schwierig war, bis alle die Veränderung in den gesellschaftlichen Strukturen akzeptiert haben, gab es nur ein kurzes Nachdenken. Gemeinsam mit der Stärkung der Frauen, kamen benefits für alle. Durch die neuen landwirtschaftlichen Methoden geht es dem gesamten Dorf besser, nicht nur den Frauen. Und immerhin gab es ja schon zuvor den weiblichen Town Chief.

Ich persönlich bin sehr beeindruckt und beflügelt ins Auto gestiegen. Dass wir – oder besser meine Kollegen – mit ihrer Arbeit nicht nur den Wald schützen und die Natur bewahren, nein, den Menschen geht es gesundheitlich besser und die Frauenrechte sind gestärkt. Eine win-win-win Situation. Hoffentlich bleibt das so und führt sich in folgenden Generationen so fort. Es zeigt auch, mit welch „einfachen Mitteln“ Veränderung passieren kann. Durch mehr Teilhabe, mehr Bildung und Zugang zu Information hat sich das Leben der Frauen immens verändert. Sie sind unabhängiger und können für sich selbst sorgen – und für ihre Kinder. Das ist ein enorm wichtiger Schritt zu mehr Gleichstellung.

Es zeigt aber auch, wie sehr das Vorenthalten von Bildung und Wissen, Frauen und Mädchen kleinhalten kann und dies ja auch in einigen Ländern methodisch angewandt wird. Wo Mädchen und Frauen keine Schule besuchen dürfen, nicht studieren dürfen, haben die Männer offensichtlich zu viel Angst, dass sie ihre Macht erkennen und ihr Potential ausschöpfen. Leider hat das auch negative Folgen für die Männer selbst.

Auch spannend, aber ganz anderes Thema: Am Dorfversammlungsort klebte ein riesiger „Scheck“ an der Wand von der National Mineral Agency. Neugierig wie ich bin, habe ich natürlich nachgefragt. Die Dorfgemeinschaft verpachtet Land und erhält dafür jährlich einen Betrag von der Regierung. Die Regierung wiederum erteilt Lizenzen an ausländische Unternehmen zum Abbau von Rohstoffen. Was genau aber das Mining-Unternehmen aus dem Boden holt, wissen sie nicht. Wahrscheinlich Diamanten, aber wie viele und wie für welchen Wert, keine Ahnung…

Und dann noch eine Fotogalerie mit Eindrücken vom Tag und vom Morgen. Leider war ich am Abend so müde, dass ich die große Show verpasste. In Belebu, dem Dorf, in dem wir übernachtet haben, war eine Tanzshow angesagt. Die Künstler haben sogar im gleichen Guesthouse wie wir übernachtet (weshalb es für uns nicht genug Zimmer gab…). Heute Morgen habe ich mich mit einem von ihnen unterhalten. Er meinte, sie machen eine Tour durch die communities mit Musik und Tanz. Ihre Texte klären die Dorfbevölkerung auf und sie hoffen, über social media und Radio auch die Regierung zu erreichen. Sie setzen sich für den Ausbau und die Asphaltierung der Straße zwischen Kenema und Zimmi (nahe liberianische Grenze) ein. Das verstehe ich natürlich, nachdem mein Nacken schmerzt, obwohl ich dieses Mal vorne saß. Alles muss mit dem Motorrad aus Kenema transportiert werden und ist in den Dörfern teurer als in der Stadt, für diejenigen, die Produkte in der Stadt verkaufen möchten, ist es auch sehr schwer, da es nicht viel Transport und Verkehr gibt. Aber ich denke ja auch immer an den Wald. Mit besseren Straßen kommt auch immer Umweltzerstörung…

Nichts destotrotz, hier jetzt Dorfimpressionen mit Bildunterschriften😊

Das erste Bild spricht so viel. Ihr seht es vielleicht gar nicht. Da sind die Kinder, die immer unterwegs sind, teilweise Stöcke in der Hand oder sonst was. Da ist die Bank unter dem Baum, der Schatten spendet. Auf der Bank liegen Solar-Taschenlampen zum Aufladen. Unter der Überdachung verkauft eine Frau snacks. Zwei weitere Frauen laufen auf sie zu mit Schüsseln auf dem Kopf. Im Hintergrund hängt Wäsche auf der Leine. Es fehlen nur die immer anwesenden Hühner und Ziegen. Wo sind die denn hin?

Nach unserem Trip nach Kabala und nun diese Tage in Kenema weiß ich wieder etwas besser, weshalb ich hier bin. Da ist wieder Hoffnung, und da ist wieder Gewissheit, dass wir mit unserer Arbeit wirklich etwas erreichen können, für Mensch und Umwelt.

Auf der Rückfahrt habe ich nochmals den Weg durch die Kaffee- und Kakaoplantagen genossen, vorbei an der kleinen Aufzuchtstation, an Reisfeldern und Teichen, Wäsche waschenden Menschen und ganz viel grüne Hügel 🙂

Da die EU-Wahl ja nicht so positiv ausfiel – von meiner Warte aus – schicke ich euch ein bisschen Hoffnung nach Europa. Grün ist die Hoffnung.

Festung Europa – African Tourists not welcome

In Deutschland ist mal wieder Urlaubszeit. Wie jedes Jahr standen viele vor der Qual der Wahl, wohin es dieses Jahr gehen soll. Bleiben wir in Deutschland, in Europa oder mal was ganz „Exotisches“, mal ganz weit weg, Asien, Amerika, Afrika? Die Welt steht uns offen – solange wir einen europäischen Reisepass haben. Und während die einen lustig durch die Welt tingeln, können die anderen nur davon träumen, einmal in die Ferne zu reisen. Und das liegt nicht unbedingt am Geldbeutel, sondern schlicht und ergreifend an Visavorgaben und Visaantragsprozeduren.

Hier ein paar Beispiele, wie schwierig es für Menschen mit einem Pass eines afrikanischen Landes ist, ein Visum für den Schengenraum zu erhalten – ein Touristenvisum wohlgemerkt. Es geht hier nicht um einen Arbeitsaufenthalt, sondern einfach um einen 2–3-wöchigen Urlaub. Also etwas vollkommen Normales, sollte man denken.

Die Anfangsbuchstaben der Personen in den Beispielen sind frei gewählt. Die Geschichten sind alle wahre Geschichten.

Von Sierra Leone über Ghana nach Deutschland

J. aus Sierra Leone, zum Beispiel, möchte im Sommer gerne für ein paar Wochen in Deutschland Urlaub machen. Da es in Sierra Leone zwar eine deutsche Botschaft gibt, aber ohne konsularische Vertretung, kann er in Sierra Leone kein Visum beantragen. Er muss online einen Termin bei der deutschen Botschaft in Ghana buchen. Die Termine werden alle paar Wochen online gestellt und sind dann umgehend weg. Aus verschiedenen Quellen hört man, dass es die Termine auf dem Schwarzmarkt zu kaufen gibt, in einem kleinen Café in der Nähe der Botschaft in Accra. Leider etwas schwierig, von Sierra Leone aus. Viele Leute warten bis zu einem Jahr, bis sie einen Online-Termin ergattern. Manchmal funktioniert es auch einfach gar nicht, oder der Reisegrund ist längst verjährt. Nichts also mit einem spontanen Urlaub. Selbst ein halbes Jahr Reiseplanung ist mehr als knapp bemessen. Am besten lange im Voraus und absolut flexibel.

Wenn J. es dann doch schafft, einen Termin bei der Botschaft zu erhalten, ist das erst der erste Schritt. Er muss nach Ghana reisen – entweder mit dem Flugzeug (drei Flugstunden für ein paar hundert Euro) oder über Land (rund 2.000km in drei Tagen). Vor Ort muss er zum Interviewtermin erscheinen, mit sämtlichen Unterlagen, Nachweisen über seinen familiären Status, Kinder, Arbeit, finanzielle Nachweise, Versicherung, Flugticket, Einladungsschreiben, gebuchte Hotels, und, und, und. Dann muss er rund 14 Tage in Ghana warten (und während dieser Zeit irgendwo wohnen und irgendetwas essen), bis er seinen Reisepass wieder erhält, hoffentlich mit dem Visum, sonst war alles umsonst.

Für ein Visum für einen Urlaub in Deutschland muss eine Person mit sierra-leonischen Pass also gut tausend Euro (eigentlich noch etwas mehr) und gut drei Wochen Zeit einrechnen, und dann hat die Reise nach Europa noch nicht einmal begonnen. Beinahe hat man das Gefühl, irgendjemand versucht hier zu steuern, dass kaum Menschen aus Sierra Leone, legal mit einem Visum nach Deutschland einreisen. Noch viel schwerer kann man es kaum machen, um ein ganz normales Touristenvisum zu beantragen.

Von Sierra Leone über die Elfenbeinküste nach Italien

Hat jemand einen simbabwischen Pass, wie T., ist das Spiel ein sehr ähnliches. T. hat einen italienischen Partner (mit eingetragener Partnerschaft /Ehe in Italien). Beide leben zusammen hier in Freetown. Möchten sie gemeinsam die Familie in Italien besuchen, muss T. ein ähnliches Prozedere durchstehen wie J. Dieses Mal geht die Reise jedoch nicht nach Ghana, sondern zur italienischen Botschaft in die Elfenbeinküste. Das sind nur 1.500km und gut in 2,5 Tagen zu schaffen. Bei den Überlandreisen kann es natürlich immer passieren, dass es am Ende dann doch 5 Tage sind, weil man nie weiß, ob nicht ein Bus zwischendrin zusammenbricht oder eine Brücke nicht passierbar ist. Aber gehen wir mal vom best-case aus.

Auch mit simbabwischen Pass also, schallt einem kein herzliches Willkommen aus Europa entgegen. Da kann man verheiratet sein mit wem man will. Vorgaben sind Vorgaben, und wenn es in Sierra Leone nun Mal kein Visum gibt, dann muss man eben einen ganzen Urlaub (Zeit und Geld) darauf verwenden, das Visum zu beantragen, bevor der eigentlich Urlaub starten kann.

Nun die gute Nachricht: T. hat sein Visum bekommen und wird die Reisefreiheit im Schengenraum genießen können mit Besuchen in Italien, Deutschland und Frankreich.

Von Sierra Leone über Guinea nach Frankreich

Dann haben wir noch den Fall des frischverheirateten Paares – er deutsch, sie Sierra-Leonerin. Ihr Vater ist in Frankreich, weshalb sie dachten, es wäre vielleicht einfacher, das Visum über Frankreich zu beantragen. Frankreich bietet immerhin einen tollen Service: Sie können zwar auch in Sierra Leone kein Visum erteilen, aber einmal in der Woche kommen Mitarbeitende aus der Botschaft in Guinea, machen die Interviews hier, nehmen die Unterlagen mit nach Guinea und bringen sie dann zwei Wochen später wieder mit zurück. Somit bleibt der Person, die das Visum beantragt, zumindest die kost- und zeitspielige Reise erspart. Aber auch hier – die beiden versuchen es seit Februar. Und haben immer noch kein Visum. Es ist nicht so einfach, herauszufinden, welche Unterlagen nötig sind, welche dann auch noch im Original aus Frankreich hier vorliegen müssen. Da es hier keine Post gibt, muss alles per DHL geschickt werden. Ein Dokument von einer Seite, kostet dann schon mal 85€ im Versand.

Stellt euch also vor, ihr plant ab Januar zum runden Geburtstag eures Vaters im Juni nach Deutschland zu fliegen und möchtet dort gerne mit eurer Partnerin erscheinen. Na viel Glück sage ich mal. Das ist ja mehr als spontan.

Der Europaaufenthalt wurde mittlerweile verschoben, eigentlich war er für Juni geplant, da einige Familienfeiern anstehen. Leider werden sie bei den Familienfeiern nun nicht dabei sein. Wäre auch zu einfach gewesen. Vielleicht klappt es im Juli. Wir drücken die Daumen!

Und manchmal klappt es auch gar nicht

Eine Bekannte (Pass aus der Elfenbeinküste) hat einmal knapp zweitausend Euro ausgegeben für einen Visumsantrag für ein Touristen-Schengenvisum für Deutschland und dann hat sie das Visum nicht bekommen. Sie hätte genug Geld gehabt, um ein bisschen durch Europa zu reisen. Eine junge weltoffene, interessierte Frau. Wollte sich einfach mal ein bisschen bilden…

Reisefreiheit – aber nicht für alle

Ich verstehe, dass der Schengenraum ein unglaubliches Geschenk ist, nicht nur für alle, die dort leben, sondern auch für alle, die ihn besuchen. Welch wundervolle Idee, dass Grenzen einen nicht aufhalten, und man volle Reisefreiheit erfährt, wenn man einmal legal eingereist ist. Warum aber es so schwierig gestalten für Menschen? Reisen bildet und reisen verbindet. Wie unfair ist diese Welt, dass wir mit unseren europäischen Pässen, reisen können, wohin wir wollen (fast überall hin zumindest), wir uns gefühlt alle Länder dieser Welt anschauen können, einmal um die Welt reisen und eintauchen können in fremde Länder und Kulturen und dem Großteil der Menschen ist genau das verwehrt. Ihre Neugierde auf anderes und neues wird nicht gestillt werden.

Vieles was wir wissen, wissen wir, weil wir reisen. Reisen hat schon immer Fortschritt und Entwicklung gebracht. Leider kommt das Privileg des Reisens nicht allen Menschen gleichermaßen zu teil.

Ich möchte nicht behaupten, dass die Menschen kaum eine andere Wahl haben, als illegal nach Europa zu kommen. Mir ist schon klar, dass diejenigen, die über das Mittelmeer kommen zum Beispiel, nicht in die Boote steigen, weil sie schon immer davon träumen, einmal im Leben die Mona Lisa zu sehen. Aber je schwieriger es ist, ein Visum zu erhalten, umso größer die Versuchung für diejenigen, die eines erhalten, in die Illegalität abzutauchen und zu bleiben. Wer weiß schon, ob es jemals im Leben eine zweite Chance auf ein Schengenvisum geben wird?

Es fühlt sich auf jeden Fall sehr nach Diskriminierung an. Es ist ja klar ein politischer Wille dahinter, wie einfach oder wie schwierig es ist, ein Visum zu beantragen. Ich rede nur vom Antrag. Die Entscheidung, wer dann wirklich ein Visum bekommt, unterliegt selbstverständlich bestimmten Vorgaben. Das ist ganz klar, und muss auch so sein.

Geld, Zeit und Nerven

Es kostet sehr viel Geld und Zeit, so ein Touristenvisum zu beantragen. Außerdem die Fähigkeit, deutsche / europäische Behördentexte zu verstehen und die Vorgaben alle richtig zu interpretieren. Dann natürlich das monatelange Zittern, bekommt man endlich einen Termin? Klappt es dieses Mal. Ist ein Termin verfügbar, wenn sich die Online-Maske endlich aufgebaut hat? Hat man dann einen Termin, geht das Zittern weiter. Bekommt man das Visum. Finden sie einen Grund, weshalb man vielleicht nicht zurückkehrt und weshalb sie einem das Visum verweigern? Sind alle nötigen Dokumente da? Habe ich vielleicht irgendetwas vergessen? Es ist eine konstante Nervenbelastung.

Glücklich also diejenigen, die sich solche Gedanken nicht machen müssen. Die einfach ihren Urlaub planen, zwei Tage vorher entscheiden, wo es hingehen soll und dann ganz ohne Bürokratie, Angst und Zittern ihre Reise antreten. Und während so die einen Weltreisen begehen, bleibt den anderen der Traum von der großen weiten Welt.

Genießt also euren Urlaub, egal wohin es euch treibt. Ihr genießt ein Privileg, das ihr nur auf Grund eures Passes habt. Seid euch dessen bewusst, kostet es aus und begegnet denen, die dieses Privileg nicht haben mit Respekt und Mitmenschlichkeit.


Noch ein kleiner Hinweis:
Wir haben seit ein paar Monaten einen Praktikanten aus Deutschland bei CSSL, Luc Bessel. Er schreibt auch einen Blog über seine Zeit in Sierra Leone. Wer also gerne einmal eine andere Perspektive als immer nur meine haben möchte, kann gerne auf Lucs Blog vorbeischauen: https://lucbessel.webador.de/blog

Luc ist auch nicht zum ersten Mal in Sierra Leone. Sein Vater realisiert mit seiner Partnerin ein Aufforstungsprojekt im Norden, in Kamakwie. Dort war er schon einmal für ein paar Wochen als Praktikant. Mehr Infos zu dem Aufforstungsprojekt mit CO2-Ausgleich findet ihr hier: https://greenlimba.com

Erdnüsse sind das neue Gold

Heute gibt es mal gute Nachrichten vom Lake Sonfon. Ich sitze mal wieder auf meiner Lieblingsterrasse in Kabala mit Blick auf den Wara-Wara Mountain, die Grillen zirpen und ab und an kommt ein Hupen unten aus dem Tal herauf. Als ich das letzte Mal hier war, habe ich über das Gold-mining berichtet, das in der Nähe von Kabala, rund um den Lake Sonfon, die einmalige Natur und Lebensräume seltener Tiere zerstört und vor allem auch negative Folgen für die Dörfer hat.  Nun, gute sechs Monate später waren wir wieder hier.

Our Lake. Our Future

Ich hatte eh vor, im ersten Halbjahr alle Projekte zu besuchen, um stories zu sammeln und nochmal ein paar kleine trainings mit den Kollegen und Kolleginnen durchzuführen. Bei den Trainings geht es hauptsächlich um communication, story telling, photos, work planning. Ich hatte anfangs diese trainings immer für ausgewählte Leute aus den Teams angeboten, bin aber seit letztem Jahr dazu übergegangen, die trainings vor Ort immer für alle Teammitglieder anzubieten. Ich denke, das ist effektiver und so hat jede Person die Möglichkeit, zu lernen und sich zu entwickeln.

Wir sind diese Woche in Kabala, da am Montag eine sogenannte Roadshow veranstaltet wurde. Eigentlich war sie für den 5. März geplant, weshalb wir im Februar die ersten Planungsmeetings online hatten, aber die Veranstaltung wurde dann verschoben, so dass wir auch dabei sein konnten. Das Motto „Our Lake. Our Future. – stop mining at Lake Sonfon“ wurde durch verschiedene Aktivitäten und Inputs thematisiert. Am Montagvormittag ging es für das CSSL Team eine knappe Stunde über Holperstraße nach Kondebaia, das Dorf, in dem der Paramount Chief der Gegend wohnt. Auf dem Dorfplatz unter den zwei großen schattenspendenen Baumriesen fand die Roadshow statt. School Nature Club-Kinder sind zunächst mit Trommeln und Gesang durch das Dorf gelaufen, immer schön das Banner vor sich hertragend (Banner sind hier sehr wichtig! Ohne Banner keine Veranstaltung. Meine trainings werden bestimmt weniger ernst genommen, weil ich nie Banner drucken lasse. 😉)

„Education is better than mining“

Der Paramount Chief hielt das Eröffnungsstatement. Seine wichtigste Aussage war wohl „Bildung ist besser als Mining. Die meisten eurer Eltern besuchten keine Schule und haben die meiste Zeit ihres Lebens gemint. Aber sie sind immer noch arm…“ „Education is better than mining!“ wurde somit zum zweiten Slogan des Tages. Nach weiteren Statements folgte das von den School Nature Club Kindern eingeübte Theaterstück, das zunächst die Ankunft eines Investors im Dorf zeigte, die Korruption, die Machtlosigkeit der Dorfbevölkerung, die negativen Konsequenzen und die Versuche von CSSL an der Seite der Menschen für ihre Rechte und eine bessere Zukunft zu kämpfen.

In der anschließenden Diskussionsrunde kam es zu einer Debatte, wer für die negativen Folgen des mining und die schlechte Situation der Dorfbevölkerung verantwortlich wäre. Eine Schülerin hatte die Frage in den Raum geworfen. Die einen meinten, es wäre der Investor, andere meinten, es wäre die Regierung. Das Mädchen meldete sich dann nochmals zu Wort und hat sehr respektvoll, aber bestimmt widersprochen. Ihrer Meinung nach wären die Dorfältesten verantwortlich. Schließlich wäre es ihr Land und ihre Aufgabe, Einspruch zu erheben, gegen die Lizenzen, die fremde Investoren von der Regierung erhielten. Im sierra-leonischen Kontext ist das mehr als erwähnungswert. Ich war mega beeindruckt. Oftmals melden sich Frauen generell nicht zu Wort, außer sie werden explizit aufgefordert. Dann wird normalerweise niemand, der/die älter ist oder eine höhere gesellschaftliche Position hat, öffentlich oder auch im kleinen Rahmen kritisiert oder gar angeklagt. Dass dieses Mädchen sich da vor das ganze Dorf stellt und ihre Meinung so offen kundtut, ist wirklich eine Wohltat für mich zu sehen. Da wächst meine Hoffnung wieder. Die Frage wurde nicht abschließend geklärt, aber für mich war der Tag ein Erfolg, allein wegen des Statements des Mädchens.

„Our Lake. Our Future.“ stand auf den T-Shirts und genau darum ging es uns. Zu oft wird die Verantwortung „nach oben“ abgegeben und damit der eigene Handlungsspielraum verkleinert. Wer keine Verantwortung bei sich selbst sieht, sieht auch keine Option bei sich selbst, die Situation zu ändern. Ohne „ownership“ wie es so schön in der Fachsprache heißt, ohne das Bewusstsein, dass ich Verantwortung trage, daran, dass die Situation ist wie sie ist, impliziert, dass es auch nicht in meinen Möglichkeiten liegt, Veränderung anzustoßen. Natürlich scheinen die Dorfleute keine Chance gegen die Regierung und fremde Investoren zu haben, aber wie das Mädchen (unten auf dem Foto mit dem Mikro in der Hand) es fordert, können sie ihren Unmut und ihre Sorgen kundtun und versuchen, ihre Rechte zu schützen. Und wenn sie laut genug trommeln und sich laut genug wehren, dann haben sie eben doch eine Chance.

Ein anderes Dorf hat tatsächlich eine große Mining company verjagt. Nachdem die internationale company den Dorfleuten das Gold schürfen verbieten wollte, haben sie die Straßen blockiert und auch ein Auto angezündet. Am Ende hatten sie gewonnen – zumindest bis jetzt.

„Business is better than mining“

Am Dienstag sind wir dann nochmals in die communities gefahren, um ein paar Stories zu sammeln. Eigentlich sitze ich immer schön mit viel Platz am Beifahrerinsitz, aber als der letzte Kollege zum Auto kam und ihm klar wurde, dass nur noch der Kofferraum als Sitzplatz übrig war, meinte er nur „A go vomite“ (ich werde mich übergeben). Da niemand Anstalten machte, den Platz zu räumen, bin ich nach hinten, was eine mittlere Diskussion auslöste, weil ich natürlich nicht hinten sitzen kann. Mit Unterstützung meines Freetown-Teams, wurde meine Entscheidung akzeptiert und wir konnten starten. Und los ging es über zwei Stunden über die Holperstraße. Ich wurde ordentlich durchgeschüttelt und versuchte mehrfach mich mit verschiedenen Positionen zwischen Rückenlehne und Türe zu klemmen, um weniger durch den Kofferraum zu fallen.

Angekommen an unserem ersten Stop: der Schule von Yarah und Benekoro. Die Schule ist für die Kinder beider Orte. Wir waren hier, um mit Finah Conteh zu sprechen. Sie ist die Chair woman der lokalen CMA (Community Management Association), mit der wir arbeiten. Eine sehr beeindruckende Frau. Finah ist 36 Jahre alt, hat vier Kinder und ist community Lehrerin. Das bedeutet, sie hat keine volle Ausbildung als Lehrkraft und bekommt auch kein richtiges Lehrkraftgehalt. In den meisten Dörfern gibt es „nur“ community teacher. Das sind meist hochmotivierte Menschen, die sich voll für die Bildung der Kinder einsetzen, obwohl sie quasi kein Gehalt erhalten. Finah zum Beispiel bekommt rund 150 Leones im Monat (das sind aktuell nicht mal 8€).

Früher ist sie nach dem Unterricht gegen eins mit ihren Kindern zum Goldschürfen gegangen. Goldschürfen heißt, stundenlang knietief im kalten Wasser stehen, mit gekrümmten Rücken, um das nasse, schwere Erdreich durch zu sieben. Oft hat sie erst gegen acht Uhr abends mit dem Kochen begonnen. Und wir reden hier nicht von Nudeln mit Pesto auf dem Elektroherd, sondern von Reis mit Casava auf Feuer oder auf der Kohle. Sie hat mit dem Goldschürfen circa 30Leones zusätzlich verdient. Davon konnte sie dann direkt das kaufen, was sie zum Abendessen benötigten.

„Das Goldschürfen hatte viele negative Effekte auf die Umwelt und auf meinen Körper. Ich habe nie genug geschlafen, hatte immer Rückenschmerzen, war oft erkältet von dem langen Stehen im kalten Wasser und mein Körper war einfach nicht in gutem Zustand. Wenn du mich damals gesehen hättest und heute, wie zwei verschiedene Menschen,“ erzählt Finah. „Wir haben das Ökosystem zerstört, unsere eigene Lebensgrundlage. Das Wasser wurde so dreckig, dass wir es nicht mehr trinken konnten, nicht einmal mehr zum Waschen der Kleidung oder duschen konnten wir es nutzen. Wir mussten weit gehen, um sauberes Wasser zu finden.“

CSSL ist schon seit 2017 hier in Yarah. Das Dorf ist mit eines der ersten, in denen wir unsere Arbeit starteten. Es ist schön, zu sehen, was in all den Jahren passiert ist und wie positiv sich das Leben der einzelnen verändert hat. CSSL kam nach Yarah mit klassischen environmental education Ansatz. Die Bevölkerung wurde aufgeklärt über die negativen Folgen des Mining auf die Umwelt und die Gesundheit der Menschen, die Leute wurden auch aufgefordert keine Wildtiere mehr zu jagen und essen. „Wir jagen die Tiere, um etwas zu essen zu haben und wir schürfen Gold, um zu überleben. Wenn ihr wollt, dass wir beides lassen, brauchen wir Alternativen,“ antwortete die Dorfgemeinschaft. So startete CSSL mit alternative livelihood programs. Nach einem community assessment wurden verschiedene Aktivitäten ausgerollt. Mittlerweile gibt es eine Imkergruppe, die Öko-Honig produziert (die Gegend hier ist im ganzen Land für den Honig bekannt), es gibt eine Gruppe, die Erdnüsse anpflanzt und verkauft und mittlerweile auch eine Ziegengruppe. Finah berichtet weiter, dass sie eine Microfinance-Gruppe im Dorf haben. 2018 hatten sie 500 Leones im Pot, heute sind es 17.000 Leones. Die Gruppenmitglieder können sich Geld leihen für Investitionen oder Notfälle, mit 10% Kredit zahlen sie es zurück.

Finah erinnert sich auch an eine Frau, die selbst nicht Teil der Finanzgruppe ist, aber Komplikationen in der Schwangerhaft hatte, aber kein Geld, um nach Kabala zu fahren. Die Gruppe hat ihr Geld geliehen, so dass sie ins Krankenhaus fahren konnte und ihr Baby sicher zur Welt bringen konnte.

Der Erfolg und die Verbesserung der Lebensqualität strahlt aus. Auch in den beiden Nachbardörfern gibt es mittlerweile Finanzgruppen und Finah´s Gruppe hat auch mit einem Startkapital an Erdnüssen unterstützt, für die erste Ernte.

Und was heißen die ganzen Zahlen im Leben der Menschen? Im Dorf haben alle aufgehört zu minen. Die Eltern sind gesund. Das Wasser ist wieder sauber. Die Mütter können sich um die Kinder kümmern, gesünder kochen und die Bildung der Kinder begleiten. Die Kinder sind früher auch minen gegangen. Die Klassen waren leer. Jetzt sind alle Klassenzimmer voll. Bis in die Klassen 4 und 5. Das ist etwas besonders. Die älteren Kinder gehen oft nicht in die Schule, hier besuchen nun alle Kinder die Schule mindestens bis zur 5.

Finah schickt die Botschaft in alle umliegenden Dörfer: „Hört auf mit dem minen, startet business!“ Und sie spricht aus Erfahrung. Sie schickt sogar regelmäßig Geld nach Freetown zu einem ihrer Kinder und bezahlt dessen jährliche Miete.

Dann war es Zeit sich von Finah zu verabschieden. Mit sorgenvollem Blick in den Himmel ging es weiter. Es sah nach Regen aus und wir hatten noch einen weiten Weg vor uns.

Dieses Mal sind wir in dem letzten Dorf vor dem Lake, an dem wir sonst links abbiegen, rechts abgebogen. Endlich mal wieder neues Terrain. Ich freue mich. Es ging durch schöne Natur, kleine Büschel, die jetzt in der Regenzeit grünen und immer wieder kreuzten Kühe unseren Weg. Und dann leider auch riesige Mining Sites. Die größten, die ich bisher gesehen habe. Die eine ist teilweise noch aktiv, von der chinesischen Firma Chen-Li. Hier haben die Arbeiter angefangen zu rufen, als ich ausstieg, um Fotos zu machen. Das Positive – das muss ja auch berichtet werden – das Unternehmen forstet die Gebiete, die leergeschürft sind, wieder auf. Seht ihr auf den Fotos unten.

Nach zwei abenteuerlichen Brücken erreichten wir die Hauptstadt des minings. Die Ankunft kündigt ein sehr großes mining Gebiet. Das Örtchen ist tatsächlich groß und am Rande der mining site haben sich Neuankömmlinge Wellblechhütten gebaut. Hier kommen Leute aus dem ganzen Land zusammen, um ihr Glück im Gold zu suchen. Falls so Glück aussieht… das Wasser muss hier gekauft werden, zu absolut überteuerten Preisen, Zimmermietpreise sind so hoch wie in Freetown.  

Eigentlich läuft hier die Verbindung zwischen Lake Sonfon und Pampana River. Aber durch die mining activities fließt der Fluss nicht mehr wirklich, er wird in den ganzen Pits aufgehalten, das Wasser ist dreckig und rot, ich weiß gar nicht, wie die Leute hier Wäsche waschen, aber sie waschen.

Nach weiteren 30 Minuten Fahrt kamen wir in Kunya an, unserem zweiten Ziel für den heutigen Tag. Dort machten die beiden Damen, die unter dem Mangobaum saßen und Samen sortierten, direkt Platz für uns. Geschwind wurden ein paar Plastikstühle und Holzbänke herbeigetragen – die Plastikstühle für die Gäste, die Holzbänke für die community Gruppe. Wir wurden vom chairman der Gruppe traditionell begrüßt mit ein paar Kolanüssen in einem Becher und einer Ananas. Fleißige Leserinnen und Leser kennen das Prozedere schon von unserem Wandertrip in Kono. Mein Kollege offensichtlich nicht, er wusste nicht, dass er eine Kolanuss wieder zurück in den Becher geben sollte. Hat der Kollege aus Kabala aber umgehend korrigiert.

Nach den Begrüßungsworten und einem kurzen Gebet, um die Präsenz Allahs zu sichern, trugen wir unser Anliegen vor, dass wir gerne mehr erfahren würden, darüber, welchen Impact die Arbeit von CSSL mit der community auf die einzelnen Personen habe. Nach einer kleinen Diskussion innerhalb der Gruppe wurde erklärt, die Gruppe hätte entschieden, dass der chairman unsere Fragen beantworten sollte. Das Gespräch fand die ganze Zeit auf Krio und Kuranko statt. Die Dorfleute sprachen Kuranko und einer der Dorflehrer übersetzte in Krio für uns.

Ein Foto zeigt ein paar Kinder im Hintergrund, die ins Handy schauen. Wie schön, dachte ich – doch manchmal einfach gleich, egal wo auf der Welt man ist 😉 und auf dem anderen seht ihr, wie gerade Reis am Boden getrocknet wird. Unter ständigem Verscheuchen des Federviehs, das immer wieder herbeieilt und pickt.

Saio Koroma, der chairman, mit 36 ist er Vater von fünf Kindern und Ehemann zweier Frauen, zugleich auch der Chief der community. (Auf den Fotos trägt er ein dunkles Oberteil und überreicht meinem Kollegen das Kola.) Mein Kollege, der das Gespräch von unserer Seite führte, wünschte ihm natürlich noch weitere Frauen, vor allem, da er ja chief ist. Da zucke ich ja immer zusammen und denke mir, kann man das nicht einfach weglassen? Aber dazu ein anderes Mal. Das öffnet sonst ein Fass ohne Boden.

CSSL ist erst seit der aktuellen Projektphase, seit 2022 in der community aktiv. Die Dorfbevölkerung hatten große Probleme mit dem verdreckten Wasser, das sie für alle household purposes nutzen (waschen, kochen, trinken…) Fast alle aus der Gruppe haben früher Gold geschürft, jetzt haben alle aufgehört. Durch die Unterstützung verschiedener livelihood Aktivitäten können sie jetzt genug Geld verdienen, ohne die Umwelt und die eigene Gesundheit zu zerstören. Einen Teil der Erdnussernte zum Beispiel geben sie an die Schule für die Lehrkräfte. Einen Teil nutzen sie für die nächste Pflanzsaison und den Rest wollen sie verkaufen. Neben den Erdnüssen haben sie nun auch mit der Honigproduktion begonnen. Nur mit der Ziegenzucht hat es noch nicht so geklappt, beide Weibchen sind verstorben.

Neben den finanziellen benefits erwähnt der chief, ist für ihn der neue und stärkere Zusammenhalt in der Gruppe (die insgesamt aus 50 Personen besteht) der wichtigste Nebeneffekt. Alle helfen sich gegenseitig, egal ob es sich um Aussaat, Ernte oder eine Notsituation handelt. Dieses neue Gefühl der „Unity“ strahlt auf die ganze community aus und das Zusammenleben hat sich merklich verbessert.

Kumba Conde, einer der älteren Frauen in der Runde, meldete sich zu Wort. Für sie ist der größte Impact, die Bildung ihrer Kinder. Sie hat 10 Kinder und nun kann sie für alle die Schulgebühren bezahlen und ihnen auch jeden Tag Lunch mitgeben. Früher, als sie Gold geschürft hat, war sie immer krank, ihr Körper war schwach. Jetzt geht es ihr viel besser.

Früher hätten sie alle die Kinder viel allein gelassen, ergänzt Sonkari Dabor, die gerade ihr jüngstes Kind an der Brust hat. Sie sind morgens schon früh los zum Gold schürfen und kamen abends nach Hause. Jetzt ist sie da, wenn die Kinder aufstehen, sie bereitet ihnen das Frühstück und bereitet sie mit für die Schule vor. Außerdem gibt es eine neue Lehrerin in der Schule – dank der Unterstützung der Schule von der Gruppe. Alle Kinder gehen jetzt in die Schule und treffen dort dann sogar eine Lehrkraft an, die ihnen etwas beibringt. Sonkari seht ihr oben auf den Gruppenfotos neben dem Chief mit dem Baby am Schoß. Das Foto, dass ich von ihr gemacht habe, ist leider ganz unvorteilhaft geworden…

Nach dem offiziellen Teil gab es natürlich noch eine ausgiebige Fotosession. Sämtliche Leute wollten Fotos mit mir machen, natürlich machten auch wir Fotos von den Interviewten und dann kam der Chief nochmal zu mir und meinte, die Schulkinder wollten ein Foto mit mir. Da kann ich nicht nein sagen – berührt von tausend kleinen Kinderhänden und Kinderherzen wurde ich verabschiedet aus Kunya.

Hoffnungsvoll und nachdenklich auf dem Heimweg

Nachdem ich wieder in den Kofferraum geklettert war, ging die Fahrt wieder zurück Richtung Kabala. Einen Zwischenstopp gab es noch in der Hauptstadt des mining. Hier ein paar Fotoeindrücke. Witzig ist immer, dass die Kinder mir in den mining areas immer „China, China“, „Chinese, Chinese“ oder „Ching Chang Chong“ zurufen. Das sind offensichtlich die einzigen hellhäutigen Menschen, die sie normalerweise sehen. Im Dorfladen wurden noch schnell ein paar Bananen und Avocados gekauft und dann ging es aber wirklich zurück über die Holperstraßen, die Brücken und vorbei an den mining sites und der traumhaften Natur.

Wenn ich nicht gerade eine bequeme Position suchte – langsam tat dann doch der Rücken, der Nacken und das Steißbein weh – dachte ich nochmal über all die Begegnungen des heutigen Tages nach. Alle Erwachsenen, egal ob Mann oder Frau, sagen, der größte positive impact ist, dass ihre Kinder in die Schule gehen. Dass das etwas Außergewöhnliches und nicht Normales ist, ist tragisch. Die Leute sorgen sich jeden Tag um das Essen für die Familie, um Trinkwasser, das sie nicht krank macht, und Lebensumstände, die ihnen nicht täglich neue Schmerzen bereiten. Einerseits habe ich das akzeptiert, dass es nicht allen Menschen gleich gut geht, dass viele Menschen einen sehr harten Alltag haben, aber andererseits kann und will ich das so nicht stehen lassen. Wer bin ich, die beurteilt, wessen Leben gut oder nicht so gut ist? Aber wenn ich mit den Menschen rede, wie in den Dörfern, dann ist doch sehr klar, dass ihr Leben eben nicht so gut und einfach ist. Die Menschen in den Dörfern sind ziemlich auf sich gestellt. Es gibt außer uns nicht wirklich Organisationen, die dort aktiv sind. Die Hilflosigkeit gegen internationale Unternehmen und die Regierung sind enorm. Ich bin froh, dass meine Kollegen mit ihrer Arbeit hier etwas entgegensetzen und auch dass wir das Thema über unsere Kommunikation in die Hauptstadt mitnehmen. Letzte Jahr besuchte der Umweltminister die Gegend nach unserem Bericht. Mal schauen, ob wir wieder Ähnliches erreichen können, wenn wir weiter laut trommeln und die Schicksale der Menschen ins Bewusstsein der Entscheidungsträger in der Hauptstadt bringen.

Zum Abschluss mal wieder ein Foto aus dem Feierabend 😉 Bingo ist meine treue Freundin im Hill View Guesthouse in Kabala und springt immer sofort auf meinen Schoß, wenn ich komme. Letztes Jahr war sie selbst noch ein Baby (ihre Mutter ist gestorben, ich weiß nicht mehr wieso oder woran), ist sie jetzt auf einmal selbst bald Mama. Ich konnte es gar nicht glauben. Aber so schnell geht das hier. Selbst quasi noch ein Kind und schon die Babys im Bauch.

Und wie geht’s mir sonst so? Nun wieder zurück in Freetown merke ich, dass ich gerade echt genug habe vom konstanten Lärm, der mich umgibt, in der Arbeit, Zuhause von der Straße, einfach immer. Es ist gerade super anstrengend. Ich freue mich deshalb unglaublich auf Deutschland 😀

Und auch noch wichtig:
Europawahl am 9. Juni 2024

Geht bitte wählen! Wenn ihr noch nicht wisst, wen ihr wählen wollt, informiert euch in verlässlichen Quellen, lest die Wahlprogramme der Parteien, setzt euer Kreuzchen, die extremen gehen wählen, setzt ihnen etwas entgegen!

Und als kleiner Spoiler: zum Thema „Festung Europa“ habe ich den nächsten Blogartikel schon halb geschrieben in meinem Kopf 😉

Drei Jahre Sierra Leone

Heute vor drei Jahren bin ich das erste Mal in Sierra Leone gelandet. Eben habe ich mir meinen Beitrag von vor drei Jahren angeschaut. Damals bin ich voller Neugierde und etwas Angst im Gepäck gelandet. Nun drei Jahre später ist vieles Alltag geworden, was damals noch unbekannt war und Ängste sind Zuversicht gewichen.

Wenn ich nun in Lungi am Flughafen lande, komme ich nach Hause. Ich freue mich, auf die ersten Krio-Worte mit dem Grenzpersonal, bin entweder genervt oder erfreut über das leichte Chaos – abhängig von meiner Laune – genieße die Überfahrt nach Freetown und blicke voller Vorfreude auf die näherkommenden Lichter der Stadt. Wenn ich in meine Wohnung komme, schaue ich immer zuerst nach meinen Pflanzen. Wenn Strom da ist, bin ich dankbar und wenn kein Strom da ist, denke ich nur „welcome back“. Komme ich am Nachmittag an, führt mich der erste Gang zum Sundowner Bier an den Strand.

Nach drei Jahren Sierra Leone nehme ich vieles gelassener, auch wenn ich vieles immer noch nicht nachvollziehen kann. Akzeptieren, was ich nicht ändern kann, wird immer mehr zum umgesetzten Lebensmotto. Schwierig ist es nach wie vor, die Balance zu finden, zwischen meinen Erwartungen an mich und mein Arbeitsumfeld und einem „mir ist alles egal“-Gefühl. Aber auch darin werde ich besser. Ruhig bleiben ist zwar in manchen Situationen nach wie vor eine mentale Herausforderung, aber ich werde immer besser darin. Meditation und Yoga helfen mir durch den Alltag, genauso wie das Meer. Wer hätte gedacht, dass ich einmal am Meer wohnen werde, wo ich mich doch eigentlich als Berg-Mensch identifiziere. Aber das Meer werde ich sehr vermissen, wenn ich es eines Tages verlassen werde. Und es hat mir besonders in den letzten Wochen, die sehr herausfordernd und schwierig waren, unglaublich geholfen, bei mir zu sein und mich zu beruhigen.

Nach drei Jahren Sierra Leone bin ich glücklich, dass ich das Gefühl habe, meine Herzensmenschen in Deutschland sind immer noch alle da. Und ich bin dankbar, dass hier sogar neue hinzugekommen sind. Wenn ich nach Deutschland komme, habe ich das Gefühl, ich wäre nie weg gewesen. Alle nehmen mich auf, als hätten wir uns erst in der Vorwoche gesehen. Gut, die Kinder wachsen unglaublich schnell und die Erwachsenen bekommen immer mehr graue Haare, aber sonst, alles beim Alten 😉

In den letzten drei Jahren wurde ich mit so viel Ungerechtigkeit, Planungsunsicherheit, Armut, Verzweiflung und Willkür konfrontiert, wie noch in meinem Leben. Und auch nach drei Jahren weiß ich noch immer nicht, wie ich auf diese Lebensrealitäten reagieren soll. Meine Privilegien als weiße Frau, geboren in Mitteleuropa, sind mir bewusster denn je. Die Lebenssituation der Menschen in Sierra Leone hat sich verschärft in den letzten drei Jahren. Wenn man mit dem monatlichen Mindestlohn nicht mal mehr einen großen Sack Reis bezahlen kann, wo soll das hinführen? Und dann die Kush-Krise im Land. Gerade junge Männer sind anfällig für die Droge. Ich kann es sehen. Und ich weiß nicht, wie Menschen ihr Essen bezahlen. „Unser täglich Brot“ hat hier eine vollkommen andere Bedeutung. Ich kann sehen, wie Mangroven verschwinden, wie die bewaldeten Hügel nur noch Hügel sind und karg in den Himmel ragen. Wie die Strände weggewaschen werden durch zu viel sand-mining und die regelmäßigen beach-clean-ups den Kern des immensen Müllproblems und der Plastikverschmutzung nicht einmal tangieren.

Die letzten Wochen hier waren sehr anstrengend. Und es gab den ein oder anderen Morgen, an dem ich in meinem Bett lag und mich fragte, wieso habe ich diesen Vertrag verlängert??? Wieso fliege ich nicht einfach am 7. Mai nach Hause und bin im schönen, ruhigen, gut organisierten, sauberen und kühlem Deutschland? Wie sehr ich es gerade vermisse.

Im April hatten wir drei Wochen lang gar keinen Strom, da die Regierung das türkische Stromschiff mal wieder nicht bezahlt hatte, seit zwei Wochen gibt es ab und an Strom. Aber absolut unvorhersehbar, unplanbar und eher 1-2 Stunden am Tag. Kein Strom heißt ja immer auch Generatorenlärm. Und genau dieser Generatorenlärm ist es, der mich mürbe macht und mich zweifeln lässt, ob ich wirklich länger hier sein möchte/kann. Dann diese Luftfeuchtigkeit und der ewige Schweiß. Die Unorganisiertheit in der Arbeit, die mich immer wieder zweifeln lässt, was habe ich eigentlich die letzten drei Jahre gemacht? Leben mit dem Frust ist Teil meines Alltags. Diesen Frust zu minimieren war eine Hauptaufgabe in den letzten Jahren. Ich schaffe es immer besser, den Frust nicht aufzukommen zu lassen.

In den letzten drei Jahren habe ich endlich begriffen, was ich in der Theorie schon wusste. Ich kann niemandem etwas beibringen, der oder die kein Interesse oder keine Kapazitäten hat. Die für mich einfachsten und logischsten Gedankengänge finden bei den Menschen in meiner Umgebung nicht statt. Mir ist bewusster denn je, dass wir durch spielerisches Lernen, Wissen, die Sendung mit der Maus und ganz viel Input, vielen Menschen auf diesem Globus so viel voraushaben, dass diese nicht aufholen können. Nicht solange der globale Norden vorgibt, welche Skills wichtig sind, welche Ausbildungsformen Jobs nach sich ziehen, welches Wissen Gewicht hat.

Ich merke immer wieder, ich lebe hier in einer traumatisierten Gesellschaft, in der Gewalterfahrungen und erlebte Ungerechtigkeit aus der Vergangenheit nie aufgearbeitet und thematisiert wurden und leider meist auch nicht nur der Vergangenheit angehören, sondern für die meisten Menschen zu ihrem Alltag gehören. Das fängt an, mit der Unsicherheit, ob es Strom gibt oder nicht – für die Haushalte, die ans Stromnetz angeschlossen sind. Und hört nicht auf mit der Unsicherheit, ob mein Haus, für das ich offizielle Dokumente habe, nicht doch eines Tages ohne Kompensation eingerissen wird. Körperliche Gewalt – egal ob in der Schule, zu Hause oder in Form von Selbstjustiz in der community gehören zum Alltag. Laute Auseinandersetzungen sind Teil der Straßengeräusche.

Die Hoffnung stirbt zuletzt heißt es, aber selbst ich habe manchmal das Gefühl, ich habe die Hoffnung aufgegeben. Und wenn ich keine Hoffnung mehr habe, ist es eigentlich Zeit zu gehen. Wenn ich mich umschaue, ist es manchmal schwierig, die Hoffnung am Leben zu halten. Ich sehe junge und motivierte Menschen, die studieren wollen und ein gutes Leben leben wollen, doch zugleich wissen sie, dass die Ausbildung, die sie im Land bekommen, nicht gut ist und sie ohne Vitamin B keine Arbeit finden werden. Ich sehe unglaublich beeindruckende Natur und zugleich überall Abholzung, Plastikflut und Umweltzerstörung. Ich sehe communities, die versuchen ihre Rechte zu verstehen und Regierung und internationale Konzerne, die mit Geld alles zunichtemachen und sich nehmen, was sie wollen. Ich höre meine Kolleginnen und Kollegen, die unter extremer finanzieller Belastung leiden und gesellschaftlichem Druck. Die irgendwie weitermachen, weil man ja irgendwie weitermachen muss, aber die gar keine Kapazitäten haben für planen, vorausschauen und vor allem nicht full-time für die Arbeit. Andere Herausforderungen sind einfach dringlicher.

Wieso also bleibe ich – trotz der Aussichtslosigkeit, trotz der Hitze, des Drecks und der Zweifel an der Sinnhaftigkeit meines Hierseins? Irgendwie hatte ich vor ein paar Wochen das Gefühl, ich bin hier noch nicht fertig. Und es gibt auch immer wieder Hoffnungsschimmer am Horizont. Ich bin nicht hierhergekommen, um den Wald zu retten (steht nicht in meinem Vertrag 😉). Ich bin hier, um meine Organisation in ihrer Kommunikations- und Öffentlichkeitsarbeit und ihrer Advocacyarbeit zu unterstützten. Ja, es ist immer noch sehr viel Luft nach oben und ja, ich bin seit fast drei Jahren in der Dauerschleife, aber ich kann doch auf einige Erfolge zurückblicken, die mich stolz und glücklich machen. Ich sehe Veränderung und Verbesserung, auch wenn sie unendlich viel länger dauert als erwartet. Wenn ich mir klar mache, dass ich in einem der ärmsten Länder der Welt bin, rückt mich das immer wieder etwas zurecht. Wie kann ich Vergleiche anstellen zwischen Deutschland und Sierra Leone mit diesem vollständig unterschiedlichen historischen Erbe? Seitdem ich hier bin, erlebe ich immer wieder, welche extremen negativen Folgen Sklavenhandel, Kolonialzeit, neokoloniales Denken in der Entwicklungspolitik und protektionistische Wirtschaftsabkommen bis heute auf Länder wie Sierra Leone haben.
Und dann bin ich hier, als Teil dieser globalen Strukturen und muss mich konstant selbst hinterfragen, verstärke ich Abhängigkeiten und Ungleichgewichte und belüge ich mich selbst, wenn ich mir sage, ich mache das gut und bewirke nachhaltig Sinnvolles für Mensch und Natur?

Immer sieht man hier beide Seiten der Medaille zugleich, die Hoffnungslosigkeit und die Energie der Jugend, die Traumstrände und die Plastikflut, das Lächeln der Menschen und ihre extreme Verletzlichkeit, meine Tätigkeit in den globalen Ungleichgewichtsstrukturen und all das Positive, das ich bewirke. Sierra Leone strengt mich oft an. Aber es lehrt mich auch unendlich viel und öffnet meinen Blick weit über meinen Tellerrand hinaus.

Und dann gibt es diese unzähligen Begegnungen mit tollen Menschen. Menschen, die Ideen und Visionen haben. Menschen, die sich all den Schwierigkeiten zum Trotz behaupten und ihren Traum leben wollen. Es gibt junge Filmschaffende, die kreativ und authentisch die Lebensrealität der Jugend abbilden und gesellschaftliche Schieflagen anprangeren, es gibt Schulkinder, die in ihren Nachbarschaften über Müll und Umweltschutz aufklären, Lehrkräfte, die obwohl sie nicht bezahlt werden, ihrer Berufung nachgehen, weil sie wissen, dass Bildung das wertvollste ist, was sie den nächsten Generationen mitgeben können. Es gibt Mütter, die selbst nie Lesen und Schreiben gelernt haben, aber alles dafür tun, dass ihre Kinder in die Schule gehen können, egal wie viel Kraft, Energie, Opfer es bedeutet. Es gibt wunderschöne entspannte Sonntagnachmittage im Freundeskreis am weißen Sandstrand oder inmitten der Mangroven. Es gibt Auszeiten mit nichts als dem Rauschen der Wellen oder Geräusche der Vögel im Ohr. Es gibt ausgelassene, durchtanzte Nächte, witzige Runden beim Abendessen und bereichernde Gespräche. Ich genieße die Poetry-Slams und open-mic-Abende, bei denen junge Menschen ihre Gefühle, Zweifel, Hoffnungen kraftvoll und manchmal zart in Worten ausdrücken. Ich freue mich jetzt schon auf meine nächsten zwei Reisen up-country in die Dörfer, die Begegnungen mit den Menschen dort, die Energie meines Teams bei der Arbeit und die wunderbare Natur.

Hier ist so viel Energie und so viel Wille zum Leben und zugleich so viele Hindernisse auf dem Weg der einzelnen und der Gesellschaft.

Einerseits ist es leicht, die Hoffnung hier zu verlieren, denn Hoffnung zu haben, kann sehr kraftaufwendig sein. Zugleich ist Hoffnung, das einzige was vielen bleibt. Die Hoffnung, dass morgen besser ist als heute.

Wenn ich mich hier mit Künstlerinnen unterhalte und mir die Kinder in meinem Umfeld hier anschaue, dann habe ich immensen Respekt, vor dem was sie schaffen. Kinder hier haben keine Buntstifte, kein weißes Papier auf dem sie kritzeln, keine lustigen Malbücher, keinen Kunstunterricht in der Schule. Wer in dieser Umgebung schaffende Künstlerin wird, hat wahre Leidenschaft, einen starken Willen und Durchhaltevermögen. Die Menschen hier, sind wie die Pflanzen in der Wohnung meines einen Freundes: sie wollen leben und sie geben nicht auf. Der kleinste Tropfen Wasser genügt ihnen, um den Lebenswillen zu erhalten und genug Energie aufzubringen, zum Weitermachen. Aber es reicht nie aus, um zur vollen Blüte und zur vollen Größe heranzuwachsen, die möglich wäre, wären die Umstände andere.

Eigentlich dachte ich, ich gebe heute einen kleinen Rückblick über die letzten drei Jahre. Doch nun hat es sich ganz anders entwickelt und auch für mich überraschend ernst im Ton. Die letzten Jahre waren geprägt von vielen Aufs und Abs, von Erfolgen und Rückschlägen, von unglaublich vielen Glücksmomenten und viel Frust. Ganz offensichtlich das ganz normale Leben eben.

In drei Jahren hat sich viel verändert. In Sierra Leone, in Deutschland, in mir. Wie sehr ich mich verändert habe, könnt ihr wahrscheinlich besser sagen. Ich merke, ich bin gereift, ich kenne mich selbst besser, ich bin stärker geworden und kann mehr Schwäche zulassen, ich kenne meine Grenzen besser und kümmere mich besser um mich, ich bin mir meiner selbst und meiner Umwelt bewusster. Ob das alles mit dem Alter kommt oder mit dem Ausland – wer weiß das schon…

Wie sich alles weiterentwickeln wird, in der Zukunft, das bleibt das Spannende. Ich gehe voller Neugierde, aber um einiges Wissen reicher in meine zweite Vertragslaufzeit. Einige Fehler, die ich am Anfang hier begangen habe, wiederhole ich nicht mehr. Viel des Frustes und des Ärgers lasse ich zurück und starte mit positivem Blick und mehr innerer Gelassenheit in die Zukunft.

Ich freue mich sehr, über alle, die mich in den ersten drei Jahren bei meinen Entdeckungen, in meinem Alltag, mit meinen Herausforderungen, Freuden und unglaublichen Erlebnissen begleitet haben und freue mich auf das, was kommen mag. Denn nach wie vor steht mein Motto, mit dem ich ausgereist bin:

Mögen deine Entscheidungen deine Hoffnungen reflektieren, nicht deine Ängste 😊

In diesem Sinne – voller Hoffnung auf in die Zukunft!

Mount Sankanbiriwa – der Unbezwingbare?

Am Wochenende habe ich mich gemeinsam mit ein paar friends der Herausforderung Sankanbiriwa gestellt. Der Sankanbiriwa ist der zweithöchste Berg Sierra Leones. Wie hoch er genau ist, darüber gibt es unterschiedliche Informationen. Ich nehme hier natürlich die höchste Schätzung, weil sie sich am besten anhört. Laut Britanica ist der Sankanbiriwa 1.853m über Meeresspiegel (wikipedia spricht von 1.850m, eine andere website nur von 1.120m). Der höchste Berg, der Bintumani, ist mit 1.948m nicht einmal 100m höher. Nicht nur die Höhe, auch der Name ist überall unterschiedlich geschrieben, aber unabhängig davon, ist der Berg ja immer der gleiche 😉

How to plan a hiking trip in Salone

Hannah und Max haben den Bintumani schon bestiegen. Nun wollten sie noch den Sankanbiriwa machen und natürlich wollte ich mit. Schon seit letztem Jahr steht das auf unserer Liste. Aber die meisten Berge und Hügel kann man nur zwischen Dezember und April besteigen. Sobald es regnet, ist es zu gefährlich, da man oft über glatte Felsen laufen muss und die werden zur Rutschpartie sobald sie nass sind. Es war also klar, der Sankanbiriwa soll noch vor Ostern unser Ziel sein.

Die erste Herausforderung ist meist nicht der Berg selbst, sondern die Planung vorneweg. Und vor der Planung muss man natürlich erst einmal davon erfahren, dass es diesen Berg überhaupt gibt und dass man ihn besteigen kann. Es gibt keine Wanderkarte für Sierra Leone. Meist funktioniert es so, dass man entweder, wenn man einen Berg sieht und hinauf möchte, bei googlemaps schaut, welches Dorf vielleicht am besten liegen könnte, um von dort aus den Berg zu besteigen. Dann fährt man in dieses Dorf. Normalerweise kommen von selbst Leute neugierig angelaufen und fragen, was man möchte. Es werden dann Bänke und andere Sitzgelegenheiten gebracht, man spricht mit dem Chief und den Dorfbewohnern, entrichtet etwas Kola (früher hat man Kolanüsse gebracht, heute ist es etwas Geld) und dann werden 1-3 junge Männer beauftragt, die Gäste auf den Berg zu führen. Manchmal kennen sie den Weg, manchmal nicht. Ihr erinnert euch vielleicht an unseren Trip auf den Camel Mountain. So läuft die Vorbereitung, wenn es sich um einen Tagesausflug handelt. Hat man eine mehrtätige Tour vor, ist es etwas aufwendiger.

Der Bintumani ist der bekannteste Berg, da der höchste. Aber selbst für die Besteigung des Bintumani ist es nicht easy, alles zu organisieren. Sierra Leonische Menschen wandern normalerweise nicht. Deshalb fragt man normalerweise in Expatkreisen, ob schon mal jemand dort war oder jemand jemanden kennt, der oder die weiß, von wo man startet, wie lange es dauert, was man bedenken sollte, in welcher Jahreszeit es machbar ist und so weiter. Für den Sankanbiriwa ist es noch schwieriger. Dass man ihn überhaupt besteigen kann, wussten wir von einem Schweizer Pärchen, das für drei Jahre hier war. Wir wussten also von welchem Dorf aus wir am besten starten sollten (Kenewa) und dass wir zwei Nächte im Zelt auf dem Berg verbringen werden. Die online-Recherche hat uns nicht viel schlauer gemacht. Es gibt nur zwei oder drei Berichte, allerdings hat es keine Gruppe in den online-Berichten auf den Berg geschafft. Eine hat abgebrochen, weil das Dorf zu viel Kola / Geld haben wollte und die zweite Gruppe konnte wegen Regen nicht bis zum Gipfel. Aber da wir wussten auch, es ist die schönere Wanderung mit den schöneren Ausblicken im Vergleich zum Bintumani, hat uns das nicht abgehalten.

Step 1 – die Planung

Ich muss zugeben, ich habe zur Planung ungefähr zero Prozent beigetragen. Ein großes Lob und Dankeschön deshalb an Hannah und auch an Max. Hannah hat versucht aus der Schweiz nochmal genauere Infos zu bekommen und beide haben auch online geschaut, wie andere versucht haben, den Sankanbiriwa zu besteigen. Ich habe drei Leute gefragt, ob sie schon dort waren oder jemanden kennen, aber ohne brauchbares feedback.

Es war klar, dass wir ein langes Wochenende brauchen würden, da der Sankanbiriwa in den Tingi Hills und damit ganz im Osten des Landes liegt. Wir hatten einen Tag Anreise geplant bis nach Koidu (die größte Stadt in der Gegend), Tag 2 Weiterreise zum letzten Dorf und Aufstieg Part 1, Tag 3 Gipfel und teilweise Abstieg, Tag 4 restlicher Abstieg und Rückfahrt. Fast so hat es dann auch geklappt.

Da es in den Tingi Hills keine Infrastruktur und keine Dörfer gibt, war klar, wir müssen Essen und Zelte mitnehmen und eigentlich auch Wasser. Laut Internetrecherche soll es Wasser geben, aber man weiß nie, wie viel Wasser gerade in den Bächen fließt und ob man das wirklich trinken möchte. Mir war klar, dass ich es nicht schaffen würde, Wasser für drei Tage auf den Berg zu schleppen. Hannah hatte deshalb Wassertabletten dabei, mit denen wir das Wasser reinigen würden. Beim letzten Treffen hatten wir den Speiseplan besprochen bzw. Hannahs Vorschlag abgesegnet. Es würde einen Tag Nudeln mit Tomatensoße geben und einen Tag Reis mit Linsen. Sonst galt es noch ein bisschen energy food wie Nüsse, Aufstriche, etwas Gemüse wie Karotten und Gurken zu besorgen, damit wir auch etwas Frisches haben würden. Am Vortag der Reise habe ich noch schickes Plastikgeschirr und bunten Farben besort, natürlich brauchten wir ja auch Teller, Tassen, Löffel, Messer und Topf auf dem Berg…

Tag 1 – Anreise nach Koidu

Unser Plan war ja, die erste Nacht noch in Koidu zu verbringen. Koidu ist die größte Stadt im Kono Distrikt. In dieser Gegend spielt übrigens auch der Film „Blood Diamond“. Hans-Jochen, ebenfalls über Brot für die Welt in Sierra Leone, wohnt in Koidu und war so nett uns unbekannterweise für die erste Nacht zu beherbergen. Das ist auch nicht ganz selbstverständlich. Immerhin kannte er niemanden von uns, mich nur aus der whatsapp-Gruppe und wir kamen zu sechst 😉 Hannah und Max mit zwei Freundinnen aus Österreich, die gerade zu Besuch sind, und Joseph und ich.

Bevor ich in Freetown los bin, habe ich noch Zwiebeln, Karotten und Gurken besorgt und war ernsthaft erschrocken, wie schwer das bisschen Gemüse ist. Mir schwante schon Schreckliches… Es gibt nichts Schlimmeres für meine armen Füßchen, als zu schwere Last. Das hatte ich schmerzhaft bei meiner Alpenüberquerung gelernt.

Nach dem Gemüse habe ich erst Joseph eingesammelt und dann ging es weiter knapp vier Stunden bis nach Makeni, wo es bei Max noch einen schnellen Kaffee gab und dann ging es nochmal 2 Stunden und 16 Minuten weiter bis nach Koidu. Hannah, Anna und Laura kamen direkt von Bo über die abenteuerliche Dirtroad nur kurz nach uns bei Hans-Jochen aka Jacksin an. Koidu hat nicht ganz so viel zu bieten wie Freetown, aber einen tollen Clocktower und wirklich einen hervorragenden Gastgeber, der uns unkompliziert und ganz wunderbar aufgenommen hat. Erste Eindrücke von der Anreise:

Tag 2 – Dorfpalaver und Aufstieg Part 1

Am Samstag wurde es dann ernst. Nach einem ausgiebigen Frühstück hieß es, Rucksäcke packen, so dass alles nötig dabei ist und zugleich das Gewicht noch (er)tragbar ist. Das war die größte Herausforderung. Ich hatte meine Klamotten, einen Teil des Essens und fünf 1.5l Flaschen Wasser im Rucksack. Es waren auf jeden Fall mehr Kilos als bei meiner Alpenüberquerung vor ein paar Jahren. Mit leichter Verspätung sind wir mit Hannahs Landcruiser los Richtung Tingi Hills. Unterwegs haben wir noch Wasservorrat aufgestockt und Brot und Nescafe gekauft. Alles nicht so einfach in Koidu. Die ersten Meter waren noch geteerte Straße, dann ging es knapp zwei Stunden über eine rough road. Ohne Landcruiser ist die Strecke nicht wirklich machbar. Unterwegs begegneten wir nur Motorrädern und Menschen zu Fuß. Schon auf dem Weg war klar, in der Regenzeit ist der Sankanbiriwa nicht wirklich machbar, schon die Straße zum Dorf ist dann kaum befahrbar. Selbst für Landcruiser.

Es galt zwei Brücken zu überqueren, die aus morschen Holzbrettern bestanden. Die eine Brücke hatte auch ein großes Loch, so dass wir alle ausstiegen, bis auf Senior Driver Max und ihm genaue Instruktionen geben mussten, wie und wo die Räder die Brücke überqueren sollten, damit wir nicht feststecken würden. Der Weg ist Teil des Abenteuers 😉

Nach zwei Stunden waren wir alle gut durchgeschüttelt, Knochen neu sortiert und die Nacken gelockert. Die Menschen in den Dörfern, die wir unterwegs durchfuhren, waren alle sehr neugierig und interessiert, was dieses Auto voller fremder Leute hier wohl machen würde. Es war klar, hier kommt nicht so oft ein Auto vorbei. Wir hatten die Info, dass wir mit dem Auto nur bis Kenewa fahren können und dort mit dem Chief sprechen müssen und von dort auch guides mit auf den Weg bekommen. Wir wussten zwar, dass es noch ein Dorf gibt, dass näher am Berg ist, aber es hieß, es ist nicht mit dem Auto erreichbar. Also hielten wir in Kenewa am Dorfplatz neben dem großen Baum an und stiegen aus. Sofort kamen Kinder, Frauen und Männer, begrüßten uns und fragten, was unser Vorhaben wäre. Wir erklärten, dass wir gerne mit dem Chief sprechen würden, um die traditions zu respektieren, weil wir auf den Sankanbiriwa möchten. Da fing schon das erste palaver an. Der Paramount Chief sei krank hieß es, deshalb sind alle chief bei einem meeting. Der Dorfchief, der section chief, alle beim meeting. Der Section chief wurde angerufen, es hieß, er würde so gegen 16h zurück sein, dann könnten wir mit ihm alles Nötige besprechen. Für uns wäre das aber zu spät. Wir mussten unbedingt am Samstag schon den ersten Teil des Aufstiegs hinter uns bringen, sonst würden wir es nicht bis zum Gipfel des Sankanbiriwa schaffen. Also langes Hin und Her. Schließlich haben sich ein paar Männer besprochen und entschieden, sie könnten uns auch ohne den chief begrüßen und direkt mit uns verhandeln. Als das geklärt war, wurden wir offiziell begrüßt. Uns wurden drei Kolanüsse in einem Plastikbecher überreicht. Wie wir im Nachhinein erst lernten, hätten wir zwei nehmen sollen und eine zurückgeben. Aber gut. Es sei uns verziehen. Während dieser ganzen Zeit saßen wir auf Holzbänken, die eilig gebracht worden waren im Kreis unter dem Baum mit mehreren Frauen, Kindern und Männern, die uns alle interessiert anschauten. Die Frauen brachten uns die Grußformeln in der lokalen Sprache bei und erfreuten sich, an unserer schlechten Aussprache, wenn wir wiederholten, was sie sagten.

Im Hintergrund haben ein paar Männer aus dem Dorf mit dem Section chief telefoniert und bekamen von ihm das okay, die Verhandlungen führen zu dürfen. Hannah und Joseph haben für uns die Gespräche übernommen. Joseph hat auch direkt mit dem Section Chief gesprochen. Irgendwann kam das Dorf mit einem Preis, der uns zu hoch erschien. Wir sollten 1.500 NLe für den Paramount Chief zahlen, 1.500 NLe für den Section Chief, 500NLe für das Dorf und da war dann unser guide noch nicht inbegriffen. Am Ende haben wir auf 3.000 NLe all inclusive heruntergehandelt. (Aktuell ist der Wechselkurs meist bei 24.5NLe zu 1 Euro. In den Dörfern gibt es aber kaum Geldwirtschaft. Es ist also eine riesige Summe.) Nach einer Stunde waren wir dann soweit und hatten die Erlaubnis weiterzugehen und den Berg zu besteigen. Uns wurde ein Guide mitgegeben, der angeblich den Weg kennen würde.

Gegen ein Uhr haben wir uns also endlich auf den Weg gemacht, nachdem wir uns alle schön mit Sonnencreme eingeschmiert hatten und unsere Käppis aufgesetzt haben. Nach nur wenigen Minuten waren wir durchgeschwitzt. Und das war erst der Anfang. Es ging erst noch in Begleitung einer Gruppe Kinder durch ein bewaldetes Stück, dann kam der erste Abschnitt, auf dem alles abgebrannt war, so dass wir schön in der Sonne durch verkohlte Natur gingen. Nicht das letzte Mal. Als wir die ersten Brücken erreichten, wurde uns klar, weshalb es keine gute Idee gewesen wäre, das Auto mitzunehmen. Die Brücken waren in noch viel schlechteren Zustand als die, die wir schon überquert hatten. Vorbei an Reisfeldern ging es immer weiter, die ersten Berge zu unserer Linken und Rechten. Auf einmal war noch ein zweiter guide dabei. Mit einem Gewehr, da es angeblich gefährliche Tiere wie Leoparden geben würde. Ich denke eher, sie wollten jagen gehen.

Nach knapp einer Stunde erreichten wir dann das letzte Dorf vor dem Berg. Wir wurden wieder willkommen geheißen, alle versammelten sich unter dem Baum und erklärten uns, der chief wäre bei einem meeting, wir müssten warten bis er zurück wäre, um mit ihm zu besprechen, ob wir weitergehen dürften. Puh. Dann fing das zweite palaver an. Immerhin hatten wir schon eine Stunde Gespräche und Warten hinter uns. Es war mittlerweile zwei Uhr nachmittags und wir hatten noch eine Strecke zurückzulegen. Wir versuchten zu erklären, dass wir schon bezahlt hatten und das okay vom Section Chief hatten. Es war ganz klar, dass die beiden Dörfer im Konflikt liegen. Irgendwas mit einem Wasserprojekt und der Krankenstation. Wir versuchten klar zu machen, dass wir nichts falsch gemacht hätten, alle Traditionen respektieren würden, aber es schwierig wäre. Wenn sie gerne tourists empfangen möchten und Geld verdienen möchten, dann wäre es gut, wenn es den tourists auch ermöglicht werden würde, den Berg zu besteigen. Nach langem Hin und Her, wurde der section chief telefonisch erreicht. Er war erst nicht mehr erreichbar gewesen. Joseph sprach nochmals mit ihm. Erst hieß es dann, wir müssten nun 5.000NLe zahlen. Wir sollten zurück in das andere Dorf, dort das Geld wieder einsammeln, dann zurückkommen und hier bezahlen… Not so easy.

Irgendwann meinten wir dann, es gibt nur zwei Optionen. Entweder wir kehren um und fahren nach Hause oder sie lassen uns nun gehen. Auf einmal war der Section Chief dann doch am Telefon und gab uns nochmals die Erlaubnis zu gehen. Um drei Uhr konnten wir uns dann endlich wieder auf den Weg machen und begannen endlich mit dem Aufstieg.

Der Aufstieg war zwar super anstrengend – unsere Rucksäcke waren einfach sehr schwer – aber landschaftlich wirklich atemberaubend schön. Wir gingen durch Wälder, über schmale Pfade mit Bergpanorama zu unserer Rechten, über eine Baumstammbrücke, durch vertrocknete und abgebrannte Felder, die leider voller menschenhoher Pflanzen waren, die ihre Pollen (ähnlich Pusteblumen) auf unsere verschwitzen Körper klebten, es ging über Stock und über Stein, so dass unsere Beine schon bald zerkratzt waren. Aber immer wieder gab es traumhafte Blicke auf die Berg.

Ich fühlte mich etwas wie in diesem Kinderspiel „Wir gehen auf Löwenjagd“, da es ständig neue Herausforderungen zu meistern gab.

Eine konstante Herausforderung blieb auch die Kommunikation mit den guides. Selbst für Joseph war es nicht easy Informationen aus ihnen herauszubekommen. Auf die Frage, wie weit wir noch gehen müssten, bis wir unsere camp site für die erste Nacht erreichen würden, hieß es nur „We stop when you are tired.“ Wir versuchten herauszufinden, wie weit wir heute gehen müssten, wenn wir am Folgetag den Gipfel erreichen wollten und dann am Montag aber wieder am späten Vormittag beim Auto sein wollen. Keine Chance. Auch die Frage nach Wasser konnten wir nicht wirklich klären. Wir hatten zwar einige Liter dabei, aber es war klar, dass wir unterwegs Wasser auffüllen müssten. Also einfach weiter bergauf, bergauf, bergab, bergauf.

Gegen halb sechs entschieden wir, dass es langsam Zeit wäre, einen Platz zu suchen, wo wir unsere Zelte aufschlagen könnten. Wir brauchten noch genug Zeit im Sonnenlicht, für die Zelte, Feuerholz suchen, Kochen und Wassersuche. Zwischen großen Felsen fanden wir genug Platz für unsere drei kleinen Zelte, mit traumhaftem Blick. Die beiden Guides zogen los mit den leeren Flaschen, um Wasser zu besorgen. Wir begannen, die Zelte für die Nacht vorzubereiten, Holz zu sammeln und zu kochen. Da die Guides ewig nicht kamen, wussten wir nicht, ob wir neues Wasser bekommen würden und kochten Nudeln mit minimalem Wassereinsatz. Hut ab Hannah, die die Nudeln 1a gekocht hat. Es gab Pasta mit Tomatensoße und vorneweg noch etwas Oliven, Gurken und Karotten. Obwohl unsere Beine zerschunden, unsere Körper verschwitzt und unsere Beine vor allem kohlrabenschwarz waren, da wir viel über trockene verkohlte Erde gelaufen waren, gab es keine Dusche, da kein Wasser…

Als wir schon mit Essen fertig waren, sahen wir das Licht der guides den Hang herunterkommen. Sie hatten tatsächlich Wasser gefunden. Gut, nicht kristallklar und mit Waldgeschmack, aber Wasser. Mit Hannahs Tabletten würde das Wasser sich hoffentlich innerhalb von zwei Stunden in Trinkwasser verwandeln. Zum Glück war nicht Neumond, so dass vom Nachthimmel genug Licht kam, um sich ein bisschen zu orientieren. Müde, aber glücklich schlüpften wir in unsere Zelte und lauschten den Geräuschen der Nacht.

Tag 3 – Aufstieg Teil 2: We define our own peak!

Der Morgen wurde von den Vögeln eingeläutet. Das Feuer wurde nochmal angefacht, so dass wir nicht ohne Kaffee losgehen mussten. Wir haben noch diskutiert, ob wir unser camp auch für die zweite Nacht an derselben Stelle behalten sollten. Das hätte bedeutet, dass wir direkt mit leichtem Gepäck hätten loslaufen können. Hannah hatte aber online gelesen, dass es auch eine Zeltmöglichkeit direkt mit Wasserzugang geben würde und mehr ebenen Flächen für die Zelte. Also entschieden wir, nur die Sachen, die wir in den nächsten 24 Stunden nicht benötigen würden, hierzulassen (Müll, die restliche Pasta und unser Überzelt. Wir hofften auf eine weitere regenfreie Nacht.). Mit dezent leichteren Rucksäcken – vor allem, da die meisten Wasserflaschen leer waren – ging es zum ersten Aufstieg des Tages. Und der hatte es in sich. Es ging eine halbe Stunde lang steile Felsen hoch. Gut, der Ausblick war mal wieder traumhaft und die Landschaft, durch die wir uns nach oben arbeiteten, wirklich schön, mit Felsbrocken, die „herumlagen“, aber auf jeden Fall eine Cardioeinheit am Morgen, die die Waden aufwärmte.

Wir hatten entschieden, wir würden eine Stunde mit Gepäck laufen. Wenn wir innerhalb einer Stunde keinen Zeltplatz finden würden, würden wir das Gepäck zurücklassen und mit leichtem Gepäck weiter Richtung Gipfel. Wir hätten dann am Rückweg alles wieder eingesammelt und wären zurück zu unserer alten Camp site. Aber zum Glück haben wir einen super Platz gefunden. Dort, wo die guides am Vorabend das Wasser geholt hatten. Wir machten kurz Pause, besprachen uns nochmals kurz und versuchten herauszufinden, wie weit es noch bis zum Gipfel des Sankanbiriwa ist. Leider wieder einmal ohne Erfolg. Erst hieß es drei Stunden – hin und zurück. Als ich meinte, das hört sich etwas unrealistisch an, meinten sie, es sind fünf Stunden… Wir nahmen also lieber mal ausreichend Wasser mit für eine unbestimmte Zeit. Mit den leichteren Rucksäcken war das Wandern beinahe schon ein Leichtes 😊

Es ging noch einmal eine kurze Strecke bergauf und dann endlich eröffnete sich der Blick auf unser Ziel, den Sankanbiriwa. Er erhob sich majestätisch in der Ferne, so dass ich schon kurz zweifelte, ob wir ihn überhaupt noch erreichen würden. Es ging ein bisschen bergab über sanfte Hügel in ein Tal, es ging wieder unter Lianen, vorbei an Dornen, über Gehölz, mit einem Sprung über einen Bach und einen Kohlestaubhügel hinauf.

Und dann waren wir direkt am Fuße unseres Zieles. Unsere guides konnten auf einmal nicht mehr weiter. Sie könnten nicht auf den Berg, weil ihnen schwindelig werden würde, oder irgendwas mit dem Berg oder was auch immer. Wieder einmal verstanden wir nicht genau, was eigentlich los war. Es war nur klar, die letzte Etappe hatten wir keine guides mehr. Nach einem weiteren sehr steilen Abschnitt machten wir Pause. Über uns lag ein steiler Hang, den es anscheinend zu überwinden galt. Danach sah es nicht mehr so schwer aus. Es sah so aus, als müsste man nach dem letzten steilen Stück nur noch auf dem Kamm entlang zum Gipfel. Da wir teilweise schon sehr müde Beine hatten und nicht einschätzen konnten, was auf uns wartete, entschieden wir, uns aufzuteilen. Ein Teil der Gruppe entschied sich, nicht weiterzugehen. Der Aufstieg war nicht unser Bedenken. Wir machten uns eher Sorgen, wie wir den Abstieg über den steilen Felsen meistern würden.

Jede Person definiert ihren eigenen Gipfel, war unsere Devise.
Ich finde, dieser Satz ist auch ein schöner Lebensbegleiter.

Hannah und Max entschieden weiterzugehen. Wir anderen vier wollten etwas weiter hinunterklettern und dort im Schatten auf sie warten, als auf einmal eine Gruppe Paviane unseren Weg kreuzte. Ich habe ja immer sehr großen Respekt vor Affen und ihren Hauern. Zum Glücken war der Gipfel ihr Ziel. Innerhalb von Sekunden waren sie oben auf dem höchsten Punkt des Berges. Offensichtlich haben wir während der Evolution dann doch ein paar skills verloren.

Anna, Laura, Joseph und ich entspannten im Schatten der Felsen und genossen unser Lunch während wir die Paviane oben am Berg beobachteten, den Vögeln beim Zwitschern lauschten und immer wieder nach Hannah und Max Ausschau hielten. Doch anstatt am Gipfel, entdeckten wir sie beim Abstieg. Sie hatten es auch nicht ganz hoch geschafft. Für den Aufstieg hatten sie die schwierige steile Stelle genutzt, nur um dann beim Abstieg festzustellen, dass es einen einfachen Zugang zum Kamm gab. Hätten unsere guides uns mal genauere Angaben gemacht, darüber, wie lange wir brauchen würden und hätten sie uns den einfachen Weg gezeigt, hätte ich euch ein Gipfelfoto präsentieren können. Aber so, waren wir eben nur fast am Gipfel des Sankanbiriwa. Unseren persönlichen Gipfel haben wir aber erreicht.

Um noch vor Einbruch der Dunkelheit zurück bei unserem Lagerplatz zu sein, machten wir uns direkt auf den Rückweg. Den Sankanbiriwa im Rücken. Die bergige Landschaft lädt wirklich dazu ein, hier eine Wanderwoche zu verbringen. Wäre nur die Wasserversorgung etwas besser und einfacher…

Unser Platz für die zweite Nacht war hervorragend gewählt. Die Felsen, auf denen wir die Zelte aufschlugen, strahlten noch die Hitze vom Tag ab, es gab eine super Feuerstelle und das beste: eine Luxus-Waschstelle, abgeschirmt mit Elefantengras. Stellt euch einfach ein antikes Bild mit dem Titel „Die Badenden“ vor. Genau so sah es aus, als wir vier Frauen uns gemeinsam an der Badestelle den Kohlestaub und den Schweiß vom Körper wuschen. (Auf dem einen Foto seht ihr nur die Fußwaschpfütze, nicht die Waschstelle!!!) Nachdem die Schnapsbar geleert war und die Füße und die Körper gereinigt, gab es leckeren Reis mit Kokosdaal und Sangaria aus dem Tetrapack. Das waldige Wasser wurde mit Ahoi-Brause etwas schmackhafter gemacht und dann legten wir uns alle auf die hotstone Fläche und genossen den Blick in den Nachthimmel.

Tag 4 – Abstieg mit müden Beinen: bye-bye Tingi Hills, hopefully see you soon Kono

Da eine weite Reise auf uns wartete, besonders auf mich und Joseph, die bis zurück nach Freetown mussten, wollten wir mit der Sonne aufstehen, und früh unseren Abstieg starten. Max stand noch in der letzten Dunkelheit der Nacht auf, um den Kaffeetopf sauber zu kratzen und unser Frühstück zu bereiten. Es war genug Zeit für Porridge à la Max, Käffchen und eine schnelle Dusche. Die Rucksäcke wurden ein letztes Mal gepackt. Dieses Mal mit minimalem Wasserload. Ein schönes Gefühl. Als erste Etappe des Tages wartete der steile Abschnitt auf uns, den wir am Vortag als Cardioeinheit hoch sind. Jetzt ging es vorsichtig im Schneckentempo hinunter. Wir wussten schon, was noch auf uns warten würde, da wir den gleichen Weg zurückgingen. Wie bei der Löwenjagd, galt es wieder die gleichen Herausforderungen zu meistern, unter uns mittlerweile bekannte umgestürzte Bäume, über verkohlte Felder und durch pollenreiches Gesträuch. Über Lianen und durch Regenwald, durch den Bananenwald und schließlich über den Fluss mit dem wunderbar klaren und kühlen Wasser. Fast geschafft.

Meine Füße und Beine schmerzten wie lange nicht mehr, als wir – dieses Mal das Bergpanorama zu unserer Linken – endlich das letzte Dorf erreichten. Vorab hatten wir schon besprochen, dass wir uns nicht aufhalten würden, sondern zügig durchgehen würden. Unser guide hatte sich vor dem Dorf in die Büsche geschlagen, um die Konfrontation mit dem Dorf und dem Section Chief zu umgehen und traf erst wieder auf der anderen Seite des Dorfes auf uns. Wir wurden begrüßt und eingeladen, uns auszuruhen, aber wir lehnten dankend ab. Wir wollten zum Auto, wo (durchsichtiges, farbloses) Wasser auf uns wartete und wir endlich sitzen konnten. Die Vorfreude auf das Gefühl, wenn ich endlich die Wanderschuhe ausziehen könnte, beflügelte mich nochmal kurz. Glücklich, müde, dreckig und verschwitzt kamen wir beim Auto an.

Nun nur noch zwei Stunden zurück über rough road – das hatte nichts mehr mit dirt road zu tun 😉 Bei Hans-Jochen in Koidu durften wir noch einmal kurz unter die Dusche springen, bevor wir uns wieder auf die zwei Autos aufteilten und uns nach einem kleinen Essensstop auf den Weg zurück nach Bo, Makeni und Freetown machten. Nach weiteren sechs Stunden Fahrt war dann auch ich um neun Uhr abends als letzte fast zuhause und habe mich noch mit einer Pizza takeaway und einem Mützig belohnt.

Kono ist landschaftlich wirklich wunderschön. Die Reise hat sich trotz aller Strapazen gelohnt. Der Weg zwischen Makeni und Koidu führt kurvenreich durch bewaldete grüne Hügel und kleine Ortschaften. Man merkt, dass man ganz weit weg von der Hauptstadt ist. Aber auch wenn die Blasen an den Füßen noch schmerzen, würde ich einen Trip nach Kono und in die Tingi Hills auf jeden Fall empfehlen 😊

Ein großes Dank an die Reisegruppe. Es waren anspruchsvolle aber tolle Tage! Jeder Zeit wieder mit euch.

Einige der Fotos sind von Anna, Hannah, Laura und Max.

Birds, Birds, Birds and Wetlands

Ich sitze im Büro und genieße die Stille. Kein Generator, keine Musik, kein Gottesdienst. Himmlische Ruhe. Der eine Kollege im Urlaub, die Kollegin auf wichtiger Mission außer Haus, alle anderen in wichtigen Besprechungen, so dass ich tatsächlich Zeit finde, etwas von meiner Arbeit der letzten Wochen zu berichten.

Das Jahr hat gut angefangen mit einer schönen Mischung aus arbeiten im Büro und unterwegs sein. Generell ist es gerade entspannt in der Arbeit. Es ist zwar viel zu tun, aber ich fühle mich gut eingebunden und mache Sachen, die Spaß machen.

School engagements zu threatened species

Im Januar haben wir, meine Kollegin Mariama, mein Kollege Abdul und ich, unsere School Nature Clubs besucht. Insgesamt sind es 15 an der Zahl, die auf der ganzen Peninsula verteilt sind. Da wir nicht einfach zu den Schulen fahren können, um dort einen Vortrag zu halten, sind wir erst alle Schulen abgefahren, um unseren Kalender 2024 zu verteilen, und zugleich zu fragen, ob wir in der Folgewoche kommen können für engagements mit den Schülerinnen und Schülern. Es ist etwas aufwendig, weil diese Terminfindung immer im direkten Kontakt und nicht per Telefon, Email oder messenger stattfindet. Aber immerhin: ein paar Tage nicht im Büro 😊

Für unser Spring Alive Programm habe ich dieses Jahr ein Plakat mit gefährdeten Vogelarten Sierra Leones gestaltet. Wir haben in den Schulen das Poster vorgestellt, die Schülerinnen und Schüler gefragt, welche Vögel sie kennen und sie aufgeklärt, warum es wichtig ist, alle Arten zu schützen.

Wir hatten wie immer spannende und sehr gute Fragen von den Schülerinnen und Schülern. Alle sind auch immer sehr interessiert, wenn ich von Deutschland erzähle und ihnen erkläre, dass viele Vögel und andere Tiere, die es hier gibt, sonst nirgends zu finden sind. Das macht sie sehr wertvoll.

Teilweise gibt es Bildbeschriftungen per mouse-over.

Hier ist das Poster für euch. Einige der Vögel habe ich schon gesehen:

Gola Malimbe, Timneh Parrot, Hooded Vulture, Woolly-necked Storck, Skimmer, White-necked Picathartes.

Ich habe zwar schon ein paar Hornbills gesehen, aber keinen von den beiden auf dem Poster und leider, leider haben wir auch wieder keine Flamingos gesehen beim Waterbird count.

Auf unserer website findet ihr noch ein kleines Quiz. Wenn man auf die Vogelbilder klickt, dann drehen sie sich um und zeigen den IUCN Redlist status.  https://cs-sl.org/threatened-bird-species/

IUCN Redlist – ein kleiner Exkurs

Ich bin mir nicht sicher, ob ich schon einmal über die IUCN Redlist geschrieben habe? IUCN steht für International Union for Conservation of Nature. IUCN vereint Regierungen und zivilgesellschaftliche Organisationen und Institutionen. Ein großes Mitglied ist Birdlife International und CSSL ist wiederum Teil von Birdlife. Die IUCN redlist führt Pflanzen, Pilze und Tiere weltweit und ihren Bedrohungsgrad.

Es gibt neun Kategorien: Not Evaluated, Data Deficient, Least Concern, Near Threatened, Vulnerable, Endangered, Critically Endangered, Extinct in the Wild und Extinct.

Auf der website könnt ihr auch schauen, welche Tiere in Deutschland vom Aussterben bedroht sind: https://www.iucnredlist.org/

Die Daten aus unseren Birdcounts zum Beispiel fließen in die IUCN Datenbank und die Bewertung des Bedrohungsstatus von Vögeln in Sierra Leone.

I am not a pet!

Letztes Jahr im Oktober zur Wildlife Week hatten wir schon Poster und Sticker vorbereitet für die School Nature Clubs zum Thema Wildlife. Wir haben eine Konferenz veranstaltet mit Vertreterinnen und Vertretern der Regierung, CSOs und communities zum Wildlife Act. Der Wildlife Act ist von 1972 und muss dringend überholt werden. Außerdem gibt es viel Unwissen zum Wildlife Act. Offiziell ist es verboten, bestimmte Tiere wie Schimpansen, Affen, Schuppentiere, Schildkröten, Papageien und weitere zu fangen, in Gefangenschaft zu halten, zu jagen, zu töten und zu essen. Aber es gibt überall Monkey soup und bushmeat.

Wir haben deshalb für die School Nature Clubs noch eine Einheit zum Thema I am not a pet organisiert mit Informationen, weshalb wilde Tiere in die Natur gehören und nicht in unsere Häuser. Ein wichtiger Punkt ist hier natürlich auch, dass Krankheiten wie Ebola und Covid von Tieren auf Menschen übertragen wurden. Immer wieder sehe ich Leute, die Affen zum Kauf anbieten, oder höre von Leuten, die Affen als Haustiere an der Leine halten, manchmal auch im Käfig eingesperrt, wie erst hier selbst fotografiert letzte Woche in Shenge. Ich habe es direkt der NPAA (National Protected Area Authority) gemeldet, aber ob die etwas machen, wenn der Affe einer einflussreichen Person gehört? Keine Ahnung.

World Wetlands Day

Am 2. Februar war World Wetlands Day. Einer unserer School Nature Clubs hat zu diesem Anlass den nahegelegenen Swamp besucht. Mariama und ich sind mitgegangen. Von der Schule aus erst einmal 20 Minuten ungefähr durch die Wohngegend, um dann eine kleine Einheit zur Bedeutung von Feuchtgebieten zu halten. Ich habe das alles ganz schön auf unserer website aufbereitet. Deshalb schreibe ich hier jetzt nicht nochmal alles. Ihr könnt einfach hier vorbeischauen und euch einlesen, in die Bedeutung von Wetlands for human well-being: https://cs-sl.org/world-wetlands-day-2024/

Noch eine kleine Anekdote: Meiner Kollegin ist der Schuh unterwegs kaputt gegangen. Aber kein Problem. Einer der Schüler arbeitet nach der Schule als Schuster. Er hat sofort Nadel und Faden ausgepackt und ihren Schuh eben mal schnell repariert.

Waterbird Census 2024

Und dann ging es letzte Woche endlich wieder Vögelzählen. Nachdem meine Kollegen im November ohne mich 10 Tage ein Rapid Biodiversity Assessment gemacht haben, hatten sie wohl ein schlechtes Gewissen. Eigentlich wollte ich da schon für 5 Tage mit, aber dann war natürlich wieder Kommunikation und zu wenig Benzingeld geplant… Also konnte ich nicht mehr dazustoßen. Dafür ging es dann letzte Woche wieder drei Tage auf´s Boot. Ich wäre gerne noch einen Tag länger geblieben, aber naja. Das Leben ist kein Wunschkonzert. Auch so war es super mal wieder drei Tage durch die Mangroven und vorbei an Stränden zu shippern, raus der Großstadt und rauf auf den mudflat.

Es war etwas stressig teilweise, weil ich alleine notiert habe und zwei Leute mir die Vogelnamen und Zahlen zugeworfen haben, aber ich bin ja quasi schon Profi. Tagsüber auf dem Boot, und dann abends noch Listen übertragen, Zahlen zusammenzählen und früh ins Bett. Ich habe die finalen Zahlen noch nicht, weil ich am ersten Tag nicht dabei war, aber in den drei Tagen, an denen ich dabei war, haben wir knapp 25.000 Vögel gezählt. Ärgerlicherweise habe ich natürlich die Kamera an Bord gelassen, als wir zwei Stunden lang am mudflat gezählt haben. Dabei waren wir da so mega nah an den Vögeln dran und haben sogar einen Black Heron gesehen. Das wären super Fotos gewesen. Ich kann nur hoffen, dass ich daraus lerne… Ich dachte erst, wir gehen nur kurz raus, zählen, steigen ein und fahren weiter. Das machen wir manchmal. Aber dann sind wir nicht mehr zurück zum Boot. Es ist auch ziemlich anstrengend. Es ist heiß, wir stehen da in der knallen Sonne auf dunklem Schlamm. Dann sinkt man, wenn man Glück hat, bis zum Knöchel ein, wenn man Pech hat, auch mal bis zum Knie. Könnt euch vorstellen, dass ich am nächsten Tag meine Beine gespürt habe nach über zwei Stunden Matsch-Staken. Ich ziehe immer meine Sneaker an, weil im Schlamm sind Muscheln, Austern, und andere Spitze Tiere, die einem echt die Fußsohlen aufreisen können. Das macht es aber nicht leichter beim Laufen.

Ein Favorit dieses Jahr: mal wieder die Great White Pelicans. Eine Gruppe ist direkt an uns vorbeigeflogen.

Dann gab es große Aufregung, weil wir dachten, wir hätten Flamingos gesehen, waren dann aber „leider“ Spoonbills. Spoonbills sind auch super. Die haben einen Schnabel, der wie ein Löffel geformt ist und gründeln damit im Schlamm. Der Black Heron wäre ein Megafoto gewesen. Damit ihr versteht, weshalb ich den so toll finde, habe ich euch Fotos aus wikipedia kopiert. Er öffnet seine Flügel wie einen Schirm, der Schatten spendet, zum Fischen. Die Fische sehen so nicht, wenn der Schnabel kommt. Sehr smart! Ich habe meinen ersten Purple Heron gesehen und mich sonst über viele Bekannte vom letzten Jahr gefreut.

Anmerkung: Die Namen erscheinen mit mouse-over. Ich kenne leider nur die englischen Namen. Heron und Egret bedeutet Reiher. Den Rest müsstet ihr euch selbst erschließen 😉

Dieses Mal gab es keinen Bootzwischenfall und wir waren beide Nächte in Shenge im Guesthouse. Also alles ganz unspektakulär 😉 Haben aber super billig seafood bekommen. Eine Tüte Krabben für nur 10 Leones (24.5 Leones sind gerade ein Euro) und den ganzen Eimer Hummer für nur 60 Leones. Schnäppchen. Shenge mag ich wirklich gerne. Es ist super entspannt hier, gibt immer gutes Essen und ich kenne mich schon aus, so dass ich den Kiosk und die Bar alleine finde.

Und: Am Morgen in Shenge habe ich endlich meine allerersten Timneh Parrots in freier Wildbahn gesehen!

Aufmerksamen ist aufgefallen: zwei der gefährdeten Vogelarten kommen in diesem Beitrag vor: Ihr kennt nun auch schon den Timneh Parrot und den Woolly-necked Storck!

Und wie immer die Rubrik, was geht sonst so?

Sehr viel. Das kulturelle Angebot ist gerade verrückt. Ich war bei einem Pop-up Space, bei dem verschiedene Künstlerinnen und Künstler aufgetreten sind. Der Pop-Up Space wird von einem Freund von mir organisiert und hat dieses Mal in der Wohnung einer Freundin stattgefunden. Es gab Lieder, Gedichte, Kunstwerke. Eine bunte Mischung. Wirklich sehr cool. In der gleichen Woche fand der italienische Abend statt, bei einer Italienerin, die bei der EU arbeitet, und einen wahnsinns Balkon hat. Die ganze Nacht wurde zu italienischer Musik getanzt und gesungen. Ich singe nun fließend italienisch. Dann gab es mal wieder eine riesen beachparty, weil fünf Leute ihre Geburtstage zusammengelegt haben und somit der ganze Beach zur Partyzone wurde. Letzten Samstag hat besagter Freund noch einen Poetry Slam organisiert und danach ging es zur Rooftop Party mit Pool und in der Woche zuvor hat die irische Botschaft gemeinsam mit House of Salone einen feministischen Abend veranstaltet. In der Kletterhalle hatten wir am Dienstag die dritte Movie-Night und heute Abend geht es mal wieder zum italien Dinner. Geburtstag von Baby Karl war auch noch. Hannah und Max haben und hatten auch schon wieder Besuch aus Deutschland, der bei mir unterkam. Es wird also nicht langweilig.

Es ist also ganz gut, dass die Arbeit gerade nicht zu stressig ist. Trotzdem habe ich es geschafft, an ein paar Workshops und dem Launch des Waterfunds teilzunehmen. Und unser Newsletter für das letzte Quartal 2023 ist auch endlich verschickt. Wer will kann sich gerne in unsere Mailingliste eintragen. Einfach kurz Bescheid geben. Wir sind jetzt übrigens auch auf insta. Da bekommt ihr alle Vogelfotos schon vorab 😉

Für mich geht es morgen nach Kono. Dort war ich noch nie, deshalb freue ich mich mega und bin schon sehr gespannt. Gemeinsam mit Hannah, Max und deren Besuch wollen wir den Sankan Biriwan, den zweithöchsten Berg Sierra Leones, besteigen. Das bedeutet auch zwei Nächte im Zelt auf dem Berg. Ich bin gespannt!

Anmerkung: Mir wurde gesagt, ich soll nicht so viele Fotos posten. Das wäre zuviel. Ich habe versucht, mich nun zu beschränken, aber es ist nicht einfach. Heute deshalb, zuviele Fotos…. Deshalb hier gleich noch eins zum Abschluss. 🙂

Busy end of year: Besuche, Staatsstreich, Arbeitsalltag und Urlaub

Ach herrje, Anfang November war mein letzter Beitrag. Da weiß ich gar nicht, ob ich schmunzeln oder mich doch lieber leise schämen soll. Nun zu behaupten, dass einfach in den letzten zwei Monaten nichts passiert ist, wäre natürlich glatt gelogen. Ich versuche ein paar Ereignisse zu beleuchten, der Rest wird wohl im Dunkeln bleiben…

Wie ging´s weiter mit dem Mining am Lake Sonfon

Zunächst einmal gute Nachrichten als follow-up zum letzten Beitrag „Mining – schlecht für die Umwelt, schlecht für die Menschen, nur gut für den, der Profit macht.“. Tatsächlich hatte der Minister for Environment and Climate Change auf einen unserer Facebook-posts reagiert und nach mehr Infos gefragt. Wir hatten eine TV-Diskussion, an der auch Vertreter der National Protected Area Agency (NPAA) teilgenommen haben. Sie haben uns kontaktiert und gesagt, wenn wir ins Radio oder TV gehen, wollen sie mit. Sie benutzen uns manchmal gerne, weil wir sagen können, was sie nicht sagen können. Als Regierungsmitarbeitende können sie nur schlecht die Regierung kritisieren. Sie können uns aber Infos geben und wir sagen das dann öffentlich. NPAA und EPA (Environmental Protection Agency) haben dann tatsächlich Lake Sonfon einen Besuch abgestattet und alle illegalen Mining activities erst einmal gestoppt. Die Aktionen gehen weiter, auch im neuen Jahr. Es sieht so aus, als wären der neue Minister für Umweltschutz und der neue Direktor der NPAA wirklich daran interessiert, Ergebnisse zu erzielen. Das ist für uns natürlich sehr gut. Wir hoffen, es hält an.

Das Jahresende, dann auf einmal doch stressiger als gedacht

Alle sagen jedes Jahr, dass es gegen Ende des Jahres stressig wird. Eigentlich verstehe ich das immer nicht so, aber letztes Jahr hat es mich tatsächlich auch erwischt. Wir mussten noch einige Aktivitäten umsetzen im alten Jahr, ich habe noch einen Workshop selbst gegeben und dann war noch die jährliche Konferenz mit den Netzwerk-Partnerorganisationen aus Liberia und es war nochmal viel Besuch aus Deutschland da.

Der Austausch mit den Kolleginnen und Kollegen aus Liberia war ziemlich interessant. Liberia hatte auch Wahlen letztes Jahr, allerdings erst im September/Oktober. Sierra Leone und Liberia verstehen sich als Geschwisterstaaten, da sie schon oft ein ähnliches Schicksal geteilt haben. Aber die Wahlen letztes Jahr unterschieden sich dann doch. Während in Sierra Leone noch immer nicht alle Zahlen veröffentlicht sind und die unabhängige Wahlbeobachtung von Betrug ausgeht, hat der Präsident in Liberia seine Niederlage anerkannt und den Weg frei gemacht, für den Regierungswechsel. Wir sind alle sehr beeindruckt davon.

Besucherinnen über Besucher

Seit November waren meine Gästezimmer auch mal wieder voll ausgebucht. Hannahs Eltern kamen, eine Freundin von Hannah kam, dann war René zu Besuch – länger als er wollte, aber dazu unten mehr – Max Eltern kamen und dann nochmal Hendrik, ein neuer Freund aus dem Allgäu. Mit René und einer weiteren Besucherin von Hannah und Max, habe ich auch etwas Urlaub in Sierra Leone gemacht. Wir waren in Bureh am Strand, wo ich mich im Fischen versuchte, wir prominente Gäste beim Fußballderby Bureh gegen John Obey waren und in der Halbzeit ans Mikrophon gebeten wurden (da wird aus Rene ganz schnell Rainear). Danach waren wir noch gemeinsam in Kabala wo wir wirklich eine wunderschöne – wenn nicht die schönste – Wanderung gemacht haben.

Und auf einmal waren da Schüsse in der Nacht

Wer aufmerksam liest, hat schon aufgemerkt: René blieb länger in Salone als geplant. Leider war sein Abflug ein bisschen schlecht getimt. Wir hatten Ende November einen versuchten Staatsstreich. Und der ist genau auf Renés Abreisetag gefallen. Weshalb er dann gezwungen war, ein paar Tage länger zu bleiben, bis wieder Flüge gingen und er überhaupt in der Lage war, den Flughafen zu erreichen.

Ich sage ja immer, Sierra Leone ist super safe. Seit den Aufständen im August 2022 hatte sich das schon ein bisschen geändert. Deshalb waren auch alle vor und während der Wahlen 2023 angespannt und niemand wusste, bleibt es ruhig oder explodiert die Situation wieder wie beim Bürgerkrieg? Oberflächlich ist alles ruhig, aber es brodelt unter der Oberfläche. Der versuchte Staatsstreich im November kam dennoch für die meisten unerwartet. Nachts waren auf einmal Schüsse zu hören. Ich habe es auch gehört, habe es aber natürlich nicht als Schüsse interpretiert, sondern dachte an ein frühes Feuerwerk. Da Freetown auf Hügeln gebaut ist, kamen die Schüsse bei uns mit viel Hall an. Eigentlich wären wir in der Nacht auf einer Party am Strand gewesen. Zum Glück ging es mir nicht so gut und wir sind nicht hingegangen. Viele die dort waren, sind entweder am Heimweg nachts in die Militärs geraten oder mussten bis Montagvormittag am Strand ausharren.

Aber nochmal von vorne. Was war passiert. Nichts Genaues weiß man nicht. Wie immer gibt es Gerüchte, aber keine 100% Gewissheit, was nun wirklich passiert ist. Eine Version ist, dass Teile des Militärs die Regierung stürzen wollten. Sie haben dafür zunächst verschiedene Militärbasen in Freetown angegriffen. Es startet von Samstag auf Sonntagnacht gegen drei Uhr und wir konnte Schüsse und Rauch bis Sonntagnachmittag hören und sehen. Morgens wurde direkt eine vollständige Ausgangssperre verhängt. Da mein Viertel immer etwas sicherer ist und das Militär offensichtlich die Brücke und die andere Zufahrststraße komplett abgesperrt hatte, waren wir ziemlich sicher. Wir konnten sogar auf die Straße, um Frühstück zu kaufen und Hannah – die auch bei mir festsaß – ist abends nochmal los, um den Biervorrat aufzustocken. Trotzdem war die Lage sehr ernst und vor allem absolut unübersichtlich. Informationen kamen über whatsapp aus verschiedenen Richtungen. Die Ausgangssperre wurde dann am Montagmorgen aufgehoben und galt „nur noch“ nachts ab 21Uhr. Das war natürlich dem Festival Month Dezember gar nicht zuträglich. Die Leute wollten eigentlich endlich einmal feiern und all die Sorgen und Anspannungen des Wahljahres vergessen, und dann das.

Die Ausgangssperre blieb fast einen ganzen Monat bestehen, erst kurz vor Weihnachten wurde sie komplett aufgehoben. Es gab mehr Militärpräsenz in den Straßen, überall Kontrollen und die ECOWAS kam mit einer Delegation.

Einige Militärs wurden entlassen, andere sind nun angeklagt. Der ehemalige Präsident der Oppositionspartei ist unter anderem des Hochverrats angeklagt und durfte nun aber unter Befürwortung der ECOWAS das Land aus gesundheitlichen Gründen vorerst verlassen. Er war bisher unter Hausarrest gestellt. Als letzte Woche der Prozess startete waren wieder Demonstrationen angesagt, so dass einige Organisationen für zwei Tage ihre Büros schlossen. DIe Militärpräsenz war nochmals hochgefahren. Es zeigt, dass alles sehr fragil ist. Die Lage ist also noch angespannt. Alle hoffen, dass es friedlich bleibt. Und zugleich steigen die Preise für Lebensmittel und Benzin weiterhin, die Redefreiheit nimmt ab und der Raum, in dem die Zivilgesellschaft arbeiten kann, wird kleiner.

Aber irgendwie geht der Alltag und das Leben trotzdem weiter… Neben Arbeit und Besuch war ich also busy zum bouldern zu gehen, zu italien dinners, partys am beach und was eben noch so anstand im sozialen Leben.

Should I stay or should I go

Es ist kaum zu glauben, aber im Mai sind tatsächlich die drei Jahre schon um. Gefühlt, geht es jetzt dann ganz schnell. Rückblickend ging die Zeit schnell vorbei, auch wenn es lange Strecken gab und ich besonders im letzten Jahr in der ersten Jahreshälfte gefordert war wie wahrscheinlich noch nie in meinem Leben. Aber ich hatte in den letzten Tagen des Jahres ein unglaublich positives Gefühl. Das Jahr 2023 war echt hart für mich, aber ich gehe gestärkt und positiv heraus.

Das habe ich schon gemerkt, als ich mich parallel zu Arbeitsirrsinn, Besucherlawine und politischer Instabilität entscheiden musste, ob ich meinen Vertrag verlängere oder nicht. Ich habe lange mit der Entscheidung gerungen. Anfangs dachte ich ja, meine Sehnsucht nach all den lieben Menschen zuhause wird weniger mit der Zeit. Ich kann euch sagen, das war ein Irrtum. Mein großes Learning nach fast drei Jahren: ich vermisse bestimmte Menschen noch immer so sehr wie am Anfang. Aber zugleich bin ich der festen Überzeugung, dass ich sie auch in einem Jahr noch vermissen werde 😊 Und das nehme ich heute als positives Zeichen. Hört sich vielleicht nicht ganz logisch an, aber mit dem Wissen, dass die mir wichtigsten Menschen auch in einem Jahr noch die mir wichtigsten Menschen sein werden, egal ob ich hierbleibe oder nicht, hat mich dazu bewogen, noch zu bleiben. Ich verlängere also meinen Vertrag und bin noch ein bisschen länger hier. Ich habe das Gefühl, ich bin hier noch nicht ganz fertig.

Wie ihr seht, war in den letzten Wochen des Jahres 2023 ziemlich viel los bei mir. Und wie ihr euch denken könnt, erfahrt ihr gar nicht alles. Deshalb war ich wirklich urlaubsreif.

Und dann – ab nach Sao Tome und Principe

Tina und ich träumten ja schon lange von Sao Tome und Principe. Und nun haben wir uns diesen Traum erfüllt. Was soll ich sagen. Ich hatte diesen Urlaub wirklich sehr nötig und es war wunder- wunderschön.

Diese beiden kleinen Inseln sind wirklich paradiesisch. Zumindest für einen Urlaub. Mit Sicherheit ist auch dort der Alltag nicht einfach mit kaputten Straßen, extremer Abhängigkeit von Portugal, aus Holz gezimmerten Häusern, wenig Perspektiven für junge Menschen und ein extremes Gefälle zwischen der Bevölkerung und den Touristinnen und Touristen.

Aber: für einen Urlaub wirklich wunderschön. Die Inseln sind unglaublich grün, es gibt ganz viele endemische Vögel, unglaublich schöne Pflanzen, guten Kaffee, super freundliche Menschen und Traumstrände. Urlaubsstories gibt es im 1-to-1, aber so könnte Sierra Leone aussehen, wenn der Wald nicht abgeholzt wäre und nicht überall Plastik wäre.

Nur ein klitzekleiner Geschichtsexkurs, weil es so verrückt anmutet:
Die Portugiesen haben Sklaven aus anderen afrikanischen Ländern auf diese Inseln geschafft, die wahrscheinlich bis dahin unbewohnt waren, um Kaffee, Kakao und Zuckerrohr anzubauen. Es wurden tollste Paläste im Stil der portugiesischen Kolonialzeit gebaut für den Padron. Ich bin, obwohl ich es ja eigentlich weiß, trotzdem jedes Mal wieder wie vor den Kopf gestoßen und schüttle ungläubig meinen Kopf bei all dieser unmenschlichen Art mit Menschen umzugehen und über sie zu bestimmen wie Gegenstände.
Und heute? Heute werde auf Principe Menschen umgesiedelt, damit reiche Europäerinnen und Europäer oder Leute aus den USA, in den ehemaligen Kolonialpalästen ab 400€ / teilweise auch ab 800€ pro Nacht logieren können, ohne vom Geschrei von Kindern und der Musik der Bevölkerung gestört zu werden. How far did we go since the colonial times? Not so far.

Nur ein kleiner Hinweis: wir haben auf Principe natürlich nicht so teuer übernachtet, sondern haben im Zelt mit dem schönsten Ausblick der Insel für nur 12€ die Nacht geschlafen.

Wer nicht weiß, wo Sao Tome und Principe liegt, einfach mal im Internet schauen 😉

Ich lasse die Fotos sprechen und beantworte gerne Fragen, wenn ihr welche habt.

2024 – a great start

Das neue Jahr hat für mich super begonnen. Der ganze Januar ist eigentlich ganz gut. Erstens natürlich ein super Start ins neue Jahr im Urlaub. Dann wieder zurück in Sierra Leone – wo sich alle in den whatsapp-Gruppen beschwerten, dass es seit Weihnachten fast nie Strom gab – hatte ich tatsächlich Strom zuhause. Hannah und Max haben mir Brezen und Heuschnaps mitgebracht!! Was will man mehr! Ich habe schon ein paar Projekte abschließen können, die im letzten Jahr noch nicht ganz fertig waren – dazu aber vielleicht mal in einem anderen Post mehr – und dann natürlich letztes Wochenende (nach den zuerst erschreckenden Veröffentlichungen des correctivs) die unglaublich großen Demos in Deutschland gegen rechts. Das hat mein Herz gefreut, dass so viele Leute auf die Straße gingen. Die positive Energie nehmen hoffentlich die Handballer mit in die nächsten Spiele.

Euch allen wünsche ich fürs noch neue Jahr alles Gute, Gesundheit für euch und alle, die euch am Herzen liegen, und die Gewissheit, dass ihr ganz besonders seid und ihr geliebt werdet. Happy new year mit unserem official Foto.

Mining – schlecht für die Umwelt, schlecht für die Menschen, nur gut für den, der Profit macht.

Als ich vor ein paar Wochen in der Nähe von Kabala die illegalen Mining Sites besucht habe, wusste ich, dass ich unbedingt davon berichten möchte. Nun bin ich schon wieder vier Wochen zurück und komme heute hoffentlich endlich dazu, einen Beitrag zu verfassen. Es ist nicht so einfach. Das Thema ist sehr vielschichtig und komplex und alle Zusammenhänge verstehe ich auch nicht. Aber auch ohne 100% Wissen über das Ausmaß der ganzen Geschichte, ist es dennoch erschreckend wie bis zum heutigen Tage Länder wie Sierra Leone ausgebeutet werden und ihre Bevölkerung nicht davon profitiert.

Lake Sonfon – ein ganz besonderes Naturparadies wieder bedroht

Über Lake Sonfon und unsere Arbeit dort habe ich schon vor zwei Jahren berichtet, als ich das erste Mal dort war. Dieses Mal hatte ich das große Glück, eine ganze Woche in Kabala bleiben zu können (Kabala kennt ihr ja auch schon aus verschiedenen Beiträgen) und nochmal zum Lake Sonfon zu fahren. Der Anlass war leider nicht schön. Nachdem wir es geschafft hatten, dass 2021 die mining sites geschlossen worden waren, sind einige seit knapp einem Jahr wieder in Betrieb. Wie kam es dazu? Und: wieso wollen wir Lake Sonfon eigentlich schützen?

Lake Sonfon hat ein ganz besonders Ökosystem. Auch wenn man nicht wirklich Ahnung von Pflanzen und Tieren hat, merkt man, dass es echt ein besonderer Ort ist. Der See liegt in einem sanften Tal in mitten von grünen Hügeln. Außenherum gibt es nicht wirklich dichten Wald, sondern diese wunderschönen Grasbüschel, blühende Gräser, kleine Blümchen, die mich immer an Enzian erinnern von ihrer Blütenform – sind aber weiß, dazwischen einzelne Bäume und dieser ganz spezielle Geruch, den es nur am Lake Sonfon gibt. Ich habe versucht einen Pflanzenmix mitzunehmen für meinen Balkon, aber es sieht nicht so aus, als würden die Pflanzen überleben. Der weiße Enzian blüht, der Strauch ist erst eingegangen, kommt aber wieder, aber die Farne… Keine Chance. Die werden es leider nicht schaffen. Durch das zarte fast weißliche grün des Grases sieht alles irgendwie „leise“ aus und die Landschaft wirkt sehr sanft. Es ist ganz schwer zu beschreiben. Natürlich gibt es auch besondere Tiere dort. Zum Beispiel den Emerald Starling, der als endemische Art in Westafrika gilt. Endemisch bedeutet, etwas kommt nur in einem bestimmten Gebiet vor. Lake Sonfon ist aber auch wichtig als Raststation und Aufenthaltsort für Zugvögel aus Europa. So kommen einige Störche im europäischen Winter zu uns an den See.

Der See hat mehrere kleine Zuflüsse und einen Abfluss, den Pampana River. Sowohl im See als auch im Pampana River gibt es Krokodile. Ich bin keine Reptilienexpertin, aber ich habe Videos von den Krokodilen gesehen und würde mal vermuten, dass es vielleicht sogar Nilkrokodile sind? Auf dem Video war zwar ein kleines Krokodil und Nilkrokodile sind ja eigentlich groß… das muss ich nochmal nachrecherchieren. Meine ganzen Biodiversity-Kollegen sind allerdings gerade nicht verfügbar. Wer hätte gedacht, dass Krokodil identifizieren schwieriger ist als Vogelarten bestimmen…

Der Fluch der Bodenschätze

Sierra Leone ist nicht das einzige Land auf der Welt, das verflucht ist mit wunderbaren Bodenschätzen, wie Gold, Diamanten, Rutile, Eisenerz und Seltenen Erden. Meist bringen Bodenschätze für die Länder keinen Segen, sondern eher Konflikte, Krieg und Destabilisation. Mosambik zum Beispiel hatte sich ganz gut und friedlich entwickelt, bis Gasvorkommen im Norden entdeckt wurden. Die demokratische Republik Kongo kommt seit Jahrzehnten nicht zur Ruhe, weil es für alle, die mit den Bodenschätzen Geld verdienen, natürlich viel dienlicher ist, wenn das Land schlecht zugänglich, unkontrollierbar und intransparent bleibt. So können sich Konzerne, Politiker und Investoren am besten bereichern. Kaum ein Land auf dem afrikanischen Kontinent hat es geschafft, aus seinem Reichtum wirklich Reichtum zu schaffen. Botswana ist da eine Ausnahme. Sierra Leone ist bekannt durch den Film Blood Diamond. Aber wir haben wie oben schon geschrieben noch einiges mehr in unserer Erde verborgen. Niemand weiß so genau, was und wieviel das Land schon verlassen hat. Teilweise haben ausländische Mining companies Lizenzen für einen Rohstoff, aber was genau in den Containern dann verschifft wird, das wird nicht kontrolliert.

Die großen Diamantenminen befinden sich in Kono, im Osten des Landes. Dort war ich noch nie. Ich hoffe, dass sich das noch ändert. Ich kenne bisher hauptsächlich stone mining sites hier direkt im Naturschutzgebiet bei Freetown, von wo chinesische Firmen Steine extrahieren. Natürlich habe ich schon öfter artisanial goldmining in den Flüssen gesehen. Vielleicht habe ich das auch beschrieben in einem Beitrag über Tiwai? Und nun endlich ging es mal zum Lake Sonfon zu den Goldminen.

Capacity building mit den colleagues – soweit möglich

Meinen Trip nach Kabala und zum See habe ich direkt mit ein paar kleinen Trainings für das Team in Kabala verbunden. So haben wir am ersten Tag ein paar kleine Trainingseinheiten gemacht, zur Nutzung von googledrive und zur Arbeit mit PDFs. Follow-up trainings werden wohl noch folgen müssen, aber ein Grundstein ist gelegt. Es ist auch ein bisschen herausfordernd. Trainings für Computer Skills, wenn nicht alle einen Laptop haben bzw. die Laptops mal wieder nicht gehen, das Internet zu schwach ist, um die offline-Software herunterzuladen und dann auch noch der Strom so lange weg ist, dass alle Laptop-Akkus leer sind, noch bevor alles fertig besprochen ist. Erleichtert die Arbeit nicht gerade. Macht es auch schwer, Informationen, Fotos und Updates aus den communities zu bekommen. Mittlerweile bin ich an die Umstände gewöhnt, aber es ist trotzdem schwierig. Eigentlich würden wir unsere Arbeit gerne gut machen, aber wie ist die Frage, wenn die einfachsten Arbeitsmittel nicht zur Verfügung stehen?

Das hört nicht im Büro auf, sondern zieht sich so durch. Wenn das Motorrad kaputt ist und kein Geld für Reparatur oder Benzin, dann kann auch niemand in die communities fahren. Dabei sind regelmäßige Besuche für die Beziehungsarbeit sehr wichtig. Auch damit die Menschen merken, wir meinen es ernst, kommen vorbei und sehen, wenn sie sich nicht an Vereinbarungen halten. Umso wichtiger also, dass wir nun zwei Tage hintereinander an den Lake fahren, die communities besuchen, mit dem Paramount Chief sprechen und dokumentieren können, wie die aktuelle Situation vor Ort ist.

Auf zum Lake Sonfon

Wie immer hieß es, wir müssen „früh“ los, weil wir 2-3 Stunden Matschstraße fahren müssen bis zum Lake Sonfon – und auch wieder zurückmüssen, weil vor Ort übernachten keine Option ist. Weshalb, dazu vielleicht wann anders mehr. Das würde jetzt nochmal ein ganz neues Fass aufmachen. Also „früh“ los. Mittlerweile weiß ich schon, dass früh alles heißen kann zwischen 6:30 und 10. Also lieber nachgefragt. Ja, also „very early“ war dann am Ende Treffpunkt um 9h im Büro und dann aber direkt Abfahrt. Die Realität war dann, gegen neun im Büro, die Kollegin, die das Mittagsessen für uns vorbereitet hat, wurde dann abgeholt und dann wurde erstmal die Hälfte des Essens gegessen und gegen 10h war denn langsam Abfahrt. Zuerst bin ich gefahren, aber ich bin natürlich zu langsam gefahren. Deshalb habe ich das Steuer meinem Kollegen überlassen. Zum Glück muss ich sagen. Er ist dreimal fast steckengeblieben. Ich hätte das auf keinen Fall geschafft. Leider kommt das auf Foto und Video immer nicht so cras raus.

Hier trotzdem mal ein paar Eindrücke vom Weg zum Lake Sonfon, mit kurzem Zwischenstopp beim Paramount Chief. Über diese Strukturen muss ich auch mal noch schreiben. Der Paramount Chief auf jeden Fall war auch länger in den USA und wusste, dass Deutschland ganz weit vorne mitspielt, was Technik und Erfindungen angeht, aber auch „ein bisschen rassistisch“ ist. Davon hatte ich ja schon mal geschrieben. Der Paramount Chief hat mitten in einem Dorf, direkt neben dem Cotton Tree im Ort, ein riesiges zweistöckiges Gebäude mit riesiger Empfangshalle und Sofalandschaft. Immer etwas skurril. Der Paramount Chief ist gegen das Mining im Lake und in der Bufferzone. Aber jetzt wo die ausländischen Firmen innerhalb des Gebietes minen, meint er, er kann offiziell nichts dazu sagen und wir dürfen ihn auch nicht zitieren, das ist jetzt politisch. Da kann er nichts machen.

Mining – ein schmutziges Geschäft.

Mining ist ein dreckiges und gefährliches Gewerbe. Kennen wir ja aus Deutschland aus dem Bergbau. Und Rohstoffabbau geht meines Wissens auch nicht ohne großen Impact auf die Umwelt. Wir versuchen deshalb das Mining direkt am Lake Sonfon und auch in einer Bufferzone um den See zu stoppen, damit das Wasser nicht verschmutzt wird und somit der Lebensraum der Tiere und auch die einzige Wasserquelle für Menschen sauber erhalten bleiben.

Mining ist aber auch so ein schmutziges Geschäft. Es geht nicht nur um die dreckigen Hände und Füße der Miner, nicht nur um die Umweltverschmutzung und Zerstörung von Dorfstrukturen, zunehmender Kriminalität und Prostitution, überall dort, wo größere Mining Sites eröffnen – es geht auch um das dreckige Geschäft im Hintergrund. Aber dazu kommen wir dann später nochmal. Klar ist auf jeden Fall, dass auf nationaler Ebene Gelder in bestimmte Taschen fließen, die offizielle Lizenzen in Gebieten ermöglichen, die eigentlich geschützt sind, Gelder wiederum nicht zu denjenigen fließen, die für die Kontrolle der Einhaltung von Vorgaben zuständig sind, so dass es oft halblegale Tätigkeiten sind und zugleich ein Rechtsfreier Raum entsteht. Wo kein Richter, da kein Henker. Oder auch wo kein Kläger, da kein Recht.

Zwei Wochen später….

Irgendwie schaffe ich einfach nicht, diesen Artikel fertig zu schreiben. Ich habe den Artikel vor zwei Wochen angefangen und einfach noch nicht fertigbekommen. Mittlerweile bin ich schon wieder sechs Wochen zurück in Freetown. Es wird also Zeit! Deshalb tippe ich hier jetzt einfach alles runter, sonst wird das nie etwas. Es ist zwar trotzdem fast der längste Artikel ever, aber zugleich wäre ich gerne viel mehr ins Detail gegangen. Mehr Infos also auf Nachfragen von eurer Seite 🙂

Ich wollte euch eigentlich beschreiben, wie die mining communities leben. Ich habe hier noch nie so ärmliche Unterkünfte gesehen. Außer in den Slums in Freetown und auf Plantain Island. Es sieht alles sehr notdürftig aus, die Kinder gehen entweder nicht zur Schule und werden zu Verwandten geschickt, wo sie auf die Schule gehen können. Ich bekomme leider immer so unklare Antworten auf meine Fragen. Wenn ich Frage: Haben die Menschen hier schon immer gelebt oder kamen die wegen des mining? Dann heißt es: die leben hier schon immer. Okay. Wenn ich dann frage, ob es Schulen gibt, heißt es: Nein. Die Leute ziehen ja immer weiter, wenn hier nichts mehr aus der Erde zu holen ist. Also leben sie doch noch nicht immer hier. Aber vielleicht schon irgendwie. Einerseits sind es Leute von hier, aber sie kommen meist von woanders???? Alles sehr verwirrend.

Auf jeden Fall ist klar, dass die Dörfer, bevor man die mining area erreicht, wie ganz normale Dörfer aussehen. Die Dörfer bei den mining sites sind alle sehr zusammengeschusterte Unterkünfte. Keine Perspektiven, keine Infrastruktur, sieht nicht schön aus. Muss ich einfach so sagen. Ich würde jederzeit mein Zelt am See aufstellen. Aber ich möchte nicht in einem dieser Dörfer leben müssen. Die Leute aber mal wieder alle sehr, sehr freundlich. Ich muss euch nicht extra sagen, welches die mining Dörfer sind. Ihr werdet es selbst sehen…

Mit der einen Gruppe Miner haben wir uns unterhalten. Ich habe mit dem einen jungen Mann am Foto gesprochen. Er konnte sehr gut Englisch. Also offensichtlich hat er irgendeine Art von Bildung genossen und war auch schon mal aus seinem Dorf weg. Als ich meinte, „Ihr wisst, dass wir das nicht so gut finden, was ihr macht? Es verschmutzt das Wasser und zerstört die Umwelt“, meinte er mit einem verzweifelten Schulterzucken „Wir haben keine Wahl. Wie sollen wir sonst Geld verdienen?“ Der Besuch bei den mining sites ist mir echt nachgegangen. Krasse Lebensumstände, krasse Perspektivlosigkeit, echt keine dummen Leute… Ganz große ungerechte Scheiße.

Teilweise versuchen die communities in den riesen Kratern, die die Mining companies mit ihren großen Maschinen hinterlassen haben, noch Reste zu finden. Ich verstehe es ja immer noch nicht ganz. Anscheinend wird oben die Erde in die Maschine geschaufelt, dann wird sie mit Wasser gereinigt und geschüttelt. Der Schlamm fließt wieder raus und der Goldstaub/ Goldsand wird separiert und aufgefangen. Dann braucht es aber meines Wissens noch Chemikalien, um das Gold wirklich herauszutrennen. So genau konnte das dann doch niemand erklären. Wie immer.

Das Wasser auf den Bildern ist die einzige Wasserquelle für die Menschen, zum Kochen, Trinken, Waschen. Just think about it…

Neben den kleinen Community mining sites, gibt es natürlich auch noch die großen internationalen mining companies. In Kono suchen sie eher nach Diamanten und selten Erden (da spielte auch Blood Diamond), in Lunsar gibt es Eisenerze, im Süden gibt es Rutile und hier in Kabala gibt es Gold.

Unser Lake Sonfon ist ein designiertes Naturschutzgebiet. Es gibt eine Bufferzone und sowohl im Schutzgebiet selbst als auch in der Bufferzone ist kein mining erlaubt. Es gibt nun zwei internationale Unternehmen, die haben schön Lizenzen für außerhalb der Bufferzone, aber sie minen direkt am See. Das ist zwar nicht erlaubt, aber sie haben Militär bei ihrer Site. Wir waren dort und es kam auch direkt eine Soldatin und wollte wissen, was wir machen. Wir waren ja nur da um Daten zu erheben und um zu schauen, was so los ist. Normalerweise kann man immer nett mit den Leuten reden, lächeln, ein paar Fragen stellen, Scherzchen und alles ist gut. Direkt an der Stelle, an der die eine Company mint gibt es sehr viele Krokodile im See. Die wurden umquartiert. Es gibt ziemlich viele Vögel, leider kaum mehr Fische. Das Wasser ist einfach zu dreckig…

Hier wird zum Beispiel der ganze Fluss umgeleitet und das Flussbecken trocken gelegt, um Gold abzubauen. Das chinesiche Unternehmen geht da schon mit gewissem Einsatz rein, deshalb wird wohl auch etwas zu holen sein. Sonst macht das ja keinen Sinn…

Wir hatten vor zwei Jahren alle mining activities gestoppt. Das war ein ziemlich großer Erfolg damals. Leider wurden fast alle sites wieder eröffnet. Nachdem die zwei ausländischen Firmen kamen, haben die communities gesagt, wenn die das dürfen, dürfen wir aber auch. So gibt es jetzt mehr mining als noch 2021 als ich das erste Mal am See war. Jetzt müssen wir wieder von vorne anfangen. Nicht ganz, aber es wird wieder ganz schon viel Einsatz, Gespräche und Diskussionen kosten, um das mining wieder zu stoppen.

Und weil wir ja auch immer mal was essen müssen, hier mal ein paar Eindrücke vom Mittagessen… Schön Blick auf die Mining Site am anderen Ufer des Sees. Da war es 2021 komplett grün. Die Mining Site war damals inaktiv. Das zweite Mittagessen war in dem einen mining Dorf.

Und der Internationale Handel?

Und jetzt wird es spannend: Ich hatte mir natürlich noch nie wirklich Gedanken über den internationalen Gold- oder Diamantenhandel aus Ländern wie Sierra Leone, Burkina Faso oder Niger gemacht. Aber nun habe ich einiges dazugelernt. Hoch interessant, einerseits schockierend, aber auch nicht überraschend.

Wenn ich in Kabala bin, logiere ich ja immer im Hill View Guesthouse. Noemi ist eine wundervolle Gastgeberin, das Essen ist mega, die Hunde und Katzen sind ganz zuckersüß und alle Mitarbeitenden einfach supernett. Und der Blick – natürlich ist da noch dieser Blick in die Wara-Wara Mountains.

Ich hatte mich gefreut auf eine Woche Ruhe. Schön abends alleine auf der Terrasse sitzen, mein Buch lesen, mein Bierchen genießen. Und dann kam alles wieder ganz anders. Als ich ankam, kommen direkt zwei weiße Personen die Treppen herunter. Natürlich haben sich die Marion und Lars ausgerechnet dieses Wochenende ausgesucht, um endlich einmal nach Kabala zu fahren. Die beiden sind Deutsche und ziehen seit ein paar Jahren im Norden ein Restorationprojekt hoch, mit dem sie carbon credits erzeugen und verkaufen wollen (greenlimba.com). So viel zum Thema Ruhe und alleine. Aber war sehr nett, die beiden wieder einmal zu sehen.

Dann war da noch eine Italienerin, die für ein paar Wochen in Kabala ist für ihre Doktorarbeit. Und dann noch ein Herr aus The Gambia. Er war erst in Kono und jetzt ist er hier, was er macht, hat er nicht so wirklich gesagt. Aber gut, wer erst in Kono ist und dann in Kabala, hat irgendwas mit Mining zu tun. Klare Sache.

Als die anderen dann doch mal irgendwann alle abgereist waren, haben ich den mining Freund gefragt, ob ich mal Fragen zu seiner Arbeit stellen kann. Mich interessiert es wirklich, wie das läuft. Es ist hochinteressant.

Er selbst ist aus the Gambia, arbeitet aber für eine Firma, die – Überraschung – ihren Hauptsitz in Dubai hat, wo es quasi keine Steuern gibt. Er war schon in einigen Ländern unterwegs, Burkina Faso, Niger, DRC, Gambia, Guinea… In manchen Ländern ist er mit bewaffneter Eskorte unterwegs, das ist hier alles nicht nötig. Er hatte natürlich auch schon mal den Lauf einer Waffe an der Stirn, ist aber bisher immer wieder rausgekommen. Der Typ war eigentlich ganz nett. Ganz ruhig und angenehm. Also kein Angeber oder so. War ein sehr angenehmes interessantes Gespräch.

So wie ich das verstanden habe, macht er das Geschäft vor Ort. Er selbst sagt, er hat nichts mit mining zu tun. Er geht in die communities, wenn sie Unterstützung möchten, dann bekommen sie sie von ihm. Er besorgt die Maschinen, das Benzin, all das. Sie bekommen Vorschuss für ihre Arbeit. Wenn sie etwas finden, dann gehört es ihm. Sie bekommen einen kleinen Prozentteil. Wieviel wollte er mir nicht verraten. Finden sie nichts, war es angeblich sein Risiko. Dann holt er sich die Maschinen wieder.

Nachdem ich die communities am Lake Sonfon gesehen habe, denke ich, genauso läuft das mit denen. Da kommt jemand, sagt, hier habt ihr ein bisschen Geld, fuel, Maschinen, jetzt könnt ihr anfangen. Wenn sie was finden, wissen sie, in welches Büro in der nächsten Stadt, in Makeni, sie gehen müssen. Dort liefern sie das Gold ab und werden dafür bezahlt. Das Geld hat der Goldhändler zuvor schon von meinem Freund aus Gambia bekommen. Das Gold gehört quasi ihm. Aber, er nimmt es hier noch nicht an sich. Ein Mitarbeiter des Goldhändlers fliegt mit dem Gold und meinem Freund nach Gambia. Erst dort wird das Gold übergeben inklusive Herkunftszertifikate. Somit hat mein Freund aus Gambia nichts mit Goldhandel, Zoll, Transfer oder sonstigem zu tun. Er ist die ganze Zeit über in nichts offiziell involviert. Das mining machen die communities – die brauchen keine Lizenz vom Ministerium, sondern nur eine Erlaubnis vom Paramount Chief –, dann übernimmt der Goldhändler, der kümmert sich um Zertifikat, Ausfuhr usw.

Bis das Gold in Dubai verkauft wird, ist es um ein Vielfaches teurer geworden. Die Leute, die sich hier die Hände schmutzig machen und ihre Gesundheit riskieren, verdienen so gut wie nichts daran. Ähnlich läuft es mit den Diamanten.

Mein gambischer Freund arbeitet für einen internationalen Konzern. Sie haben Minen in Südafrika, DRC, Angola und anderen Ländern. Sierra Leone ist da nur ein kleiner Fisch. Mining ist hier nicht wirklich kosteneffektiv. Infrastruktur und Geräte sind nicht gut genug. Er sagt, Gold aus Mali oder Burkina Faso ist leichter verdientes Geld. Aber auch gefährlicher. Mega spannendes Thema. Ich muss mich da auch nochmal mehr mit befassen.

Und sahen dann meine Abende und Morgende im Hill View aus:

Buchempfehlung: Ismael Beah – Radiance of Tomorrow

Das letzte Mal habe ich ja geschrieben, dass ich das letzte Buch von Ismael Beah direkt lesen werde. Das habe ich dann auch gemacht und für mich ist es das Beste. Allen, die sich dafür interessieren, wie Gesellschaften nach einem Bürgerkrieg und schrecklichen Erlebnissen wieder versuchen können, ganz zart und vorsichtig, Gemeinschaft zu leben, denen empfehle ich wirklich das Buch zu lesen. Leider geht der größere Teil des Buches eher darum, wie diese zarte Pflanze der Gemeinschaft auch sehr schnell wieder zerstört werden kann. Und da kommt dann auch direkt die Verbindung zum heutigen Thema. Ja, soviel sei verraten: auch im Buch geht es um mining und den negativen Einfluss auf die Gesellschat. Mir hat das Buch die Augen geöffnet für vieles, was für mich bisher unverständlich hier war. Wieso begehren die Leute nicht auf, wieso wird so vieles hingenommen wie es ist, wieso so wenig Reflexion über das, was war? Ich verstehe die Menschen um mich herum jetzt besser und sehe noch klarer, welch unglaublich große Schäden Ausbeutung, Kapitalismus, Geldgier und Machtmissbrauch gerade in fragilen Gesellschaften anrichten können. Ein großes Dankeschön an den Autor für dieses Buch.

Aus der Not eine Tugend machen…

In Lunsar und am Highway vor Lunsar gibt es riesige offizielle Mining sites. Die eine haben wir mit dem Fahrrad besucht, während unseres letzten Peer-Coachings in Lunsar. Wir konnten zwar nicht aufs Gelände, aber immerhin waren wir am Tor gestanden. Die Mine wird aktuell von einem britischen Unternehmen geführt. Es gibt auf dem Gelände ein Krankenhaus für Mitarbeitende, Busshuttle in die Stadt, Pizzeria für Angestellte und und und. Das gesellschaftliche Problem mit dem Mining ist allerdings, dass es hauptsächlich Jobs für Männer gibt. Dass heißt, viele Männer kommen alleine in ein neues Gebiet und das bedeutet leider immer auch steigende Prostitution und damit eingehende Krankheiten und Teenage-Schwangerschaften.

Sehr beeindruckend fand ich deshalb das Social Enterprise einer Sierra Leonerin in Lunsar. Afrilosophy. Bei ihr haben wir auch während unseres Peer-Coachings übernachtet. Auf dem Gelände gibt es drei Rundhütten, wirklich wunderschönes Innendesign, ein Palaverplace draußen, wir konnten einen Töpferkurs machen, haben leckeres vegetarisches Essen bekommen. Es wird eigener Honig, Tee, Kaffee und vor allem natürliche Kosmetikprodukte und Reinigungsmittel hergestellt. Die Gründerin hatte die Idee, Frauen in der Gegend auch Jobmöglichkeiten zu geben. Sie sagt, die Mine ist da, dagegen können wir nichts machen. Aber wir können versuchen, das Beste daraus zu machen. So haben sie jetzt einen Deal mit der Mine abgeschlossen, dass sie Seifen, Desinfektionsmittel und co von ihnen beziehen. So verdienen auch die Frauen in der Gegend Geld mit der Mine und werden unabhängiger.

Noch was ganz anderes:

Das Internet bildet ja auch und ich habe tatsächlich etwas Schönes gelernt. Vielleicht kann das noch jemand mit mehr Fachwissen verifizieren oder falsifizieren: Angeblich stimmt es gar nicht, dass das schnellste und stärkste Spermium die Eizelle befruchtet. Anscheinend entscheidet die Eizelle, welches Spermium am besten zu ihr passt und sendet entsprechend chemische Botenstoffe aus, um diejenigen abzubremsen, die ihr nicht gefallen und die anzulocken und zu motivieren, die ihr gefallen. Das heißt ja einerseits, dass wir doch nicht so zufällig entstehen, sondern wirklich alle ein best-match sind und sich die Eizelle ihr Spermium aussucht und nicht einfach von dem Spermium befruchtet wird, das eben am schnellsten ist. Wenn ich so an ein paar Gespräche aus den letzten Tagen zu toxischer Männlichkeit in Sierra Leone nachdenke, wünschte ich mir, dass würde auch nach der Befruchtung noch besser so funktionieren. Wie wunderbar wäre es doch, könnten sich Frauen unerwünschte Männer durch ein paar Botenstoffe vom Leibe halten. On top kommt ja noch, dass Eizellen in Laborversuchen, sich nicht immer für die Spermien des Partners der Frau entscheiden, wenn sie denn die Wahl haben. Die Eizelle weiß es also besser, also ihre Trägerin…

Ach Gott, jetzt hätte ich ja fast die Vögel vergessen. Aber den vulture count hebe ich mir noch auf. Für euch nur diese schönen weaver Vögel und wenn ihr das nächste Mal euren Goldschmuck anlegt, könnt ihr ja entweder an die Leute denken, die das Gold für euch aus der Erde geholt haben oder dieses Foto, auf dem ich meinen Kollegen dabei fotografiere wie er gerade den anderen Kollegen dabei fotografiert, die mining site zu fotografieren 😉 Your decision.

Und wen es interessiert, hier noch der Artikel zum Thema auf der CSSL website:

The state of illegal mining at Lake Sonfon

Positive Selbstwahrnehmung – auch wichtig als Gesellschaft

In den letzten Tagen ist mir wieder einmal bewusst geworden wie wichtig eine selbstbewusste nationale Identität ist oder vielleicht besser eine positive Selbstwahrnehmung und wie wichtig die Künste dafür sind. Vielleicht hört es sich für euch jetzt komisch an, dass ich positiv über „nationales Selbstbewusstsein“ schreibe, aber das ist, was hier in Sierra Leone so oft fehlt.

Es hat mich schon immer irritiert, dass ich als weiße Person so positiv aufgenommen werde, in dem Glauben, dass ich mehr weiß und Sachen besser weiß als Menschen in Sierra Leone. Ich finde es auch immer noch gewöhnungsbedürftig, dass von Briten als „our colonial masters“ oder „our teachers“ gesprochen wird. Wie tief koloniale Narrative noch im allgemeinen Bewusstsein stecken, wird mir dann jedes Mal bewusst. Wo ich Ablehnung und Hass erwarten würde, ist Anerkennung und Ansehen. Kein Wort von Ausbeutung, Versklavung und Absprache von Menschenrechten.

Das führt dazu, dass alles was „aus dem Westen“ kommt, positiv bewertet wird und traditionelles Wissen und traditionelle Lösungen nicht gleichwertig betrachtet werden. Einerseits sind Traditionen sehr wichtig und werden gepflegt, aber nur in ihrer eigenen Sphäre. Im Schulsystem, im Gesundheitssystem, bei Lösungsansätzen für lokale Herausforderungen wird trotzdem nach Westen geblickt. Nach Europa und in die USA.

Im Gesundheitssystem führt das zu extremen Problemen. Teilweise wird traditioneller Medizin vertraut. Teilweise ist hier aber auch schon Wissen verloren. Es gibt in den Dörfern noch viel Wissen über Heilkräfte von Pflanzen, welche Baumrinde gegen welche Beschwerde genutzt werden kann und welche Hausmittel für welche Krankheit gut sind. Gleichzeitig wird manchmal der Schulmedizin blind vertraut, ohne dass ausreichend Wissen in der Gesellschaft vorhanden ist. So gilt ganz klar, eine Infusion ist immer besser als eine Tablette und Antibiotika hilft immer. Bei jedem Husten wird auf Antibiotika zurückgegriffen und zugleich werden Pilzsalben bei Wurmerkrankungen verschrieben und angewendet. Ob ein starkes Antibiotikum für einen Säugling sinnvoll ist und ob eine Mutter und ihr Sohn, die sich die ganze Nacht übergeben haben, tatsächlich fünf verschiedene Medikamente benötigen (darunter natürlich wieder Antibiotika) wird nicht wirklich hinterfragt. Auch die Devise viel hilft viel findet oft Anwendung. Bei Erkältung hilft Ingwer und Limette mit Honig ja erst mal ganz gut, da muss es nicht gleich eine Infusion mit Malaria- und Typhusmedikamenten sein. In meiner Wahrnehmung ist es der Unwissenheit geschuldet. Aber zu einem Teil auch dem unbegrenzten Glauben, dass eine Tablette oder Infusion immer besser sind als natürliche, traditionelle Mittel.

Ich versuche mich hier dem nationalen Trend zu wiedersetzen und sitze gerade mit Limetten-Kräutertee am Balkon. Ich kränkel etwas. Late-rainy-Season-Erkältung… Deshalb ist auch der Text heute vielleicht etwas wirr und grammatikalisch noch herausfordernder als sonst 😉

Das Schulsystem wurde gefühlt seit der Unabhängigkeit nicht mehr revolutioniert. So herrschen noch Frontalunterricht und Prügelstrafe, wie in Europa in den 50er und 60er Jahren. Kinder lernen teilweise im Kindergarten das ABC, können hervorragend englisch Wörter buchstabieren, aber sich keine neuen Wörter erschließen, da es um Auswendiglernen und Vortragen geht und nicht darum, Wissen zu erlangen und es anzuwenden. Dabei sind hier zugleich alle Menschen groß darin, Probleme mit wenigen Mitteln zu lösen. Es ist ein einziges Paradox.

Schullektüre ist oft auch noch an den britischen Unterricht angepasst, sodass es kaum Geschichten aus der eigenen Kultur und der eigenen erlebten Umwelt gibt, zur Identifikation. Ich lese Geschichten aus Sierra Leone jetzt, da ich das Land kenne ganz anders. Es war schon für uns manchmal schwer, deutsche Klassiker zu lesen. Es wäre interessant zu wissen, welche Bilder in den Köpfen von Sierra Leonischen Schulklassen entstehen, wenn sie englische Klassiker lesen.

Es ist Zeit für echte Dekolonialisierung – auch im Umweltschutz!

Letzte Woche war ich auf der Climate Change Conference als Vertreterin meiner Organisation. Dort hat ein Professor der Uni einen sehr guten Vortrag gehalten zum Climate Change aber auch zum Thema lokale Lösungen. Ja, es war etwas unangenehm, als er gesagt hat, wir – also die Menschen in Sierra Leone – sollten aufhören, immer nur nach Westen zu schauen und von dort Lösungen zu erhoffen und zu machen was die ganzen internationalen Organisationen ihnen sagen (ich war die einzige weiße Person im Raum), aber ich habe ihm aus ganzem Herzen Recht gegeben. Er meinte, wir müssen endlich die Dekolonialisierung auf die ganze Gesellschaft übertragen, auf die Schulbildung, traditionelles Wissen und auch Klimaschutz. Es gibt schon immer traditionelle Wege, Natur und Pflanzen zu schützen. Es gibt in jeder Gesellschaft Regeln für die Jagd, für Landwirtschaft, für die Nutzung des Waldes – wir müssen uns ihrer nur wieder besinnen und sie in die aktuelle Zeit und unsere heutige Situation übersetzen. So ein kritisches Denken gibt es nicht oft. Und natürlich, er ist Prof hier in Sierra Leone aber auch in den USA. Und das ist das Traurige an der Geschichte. Die Menschen aus der Diaspora bringen diese kritischen Ideen mit. Auch sie kommen also aus dem Westen… Wieso ist das so?

Der Prof auf jeden Fall kommt aus Kabala und baut dort ein Bildungszentrum auf mit einer dekolonialisierten Bibliothek und möchte traditionelles Wissen sammeln, bewahren und wieder stärken. Ich finde das sehr spannend und hoffe, ich kann bei meinem nächsten Kabala-Trip da vorbeischauen.

Wenn man sich zum Beispiel die traditionellen Fischfallen anschaut, sie fangen nur die größeren Fische, die kleinen kommen wieder raus. Die Fischernetze haben auch ziemlich große Maschen. So ist eigentlich sichergestellt, dass nicht überfischt wird und der Nachwuchs nicht direkt mitgefangen wird. Das Problem der Überfischung und des vielen Beifangs kommt erst mit den großen industriellen Trawlern und den engmaschigen Netzen, die teilweise als Geisternetze im Meer herumschwimmen.

Ein Literaturabend in Freetown – endlich treffe ich Ishmael Beah

Das gleiche Thema kam unerwarteterweise direkt zwei Tage später bei einem Literaturabend nochmal auf. Veranstaltet wurde der Abend letzte Woche Mittwoch von der Aurora Foundation, eine isländische NGO, die hier tätig ist und der Grund dafür ist, dass ich seit meiner Ankunft in Sierra Leone mehr Isländerinnen kennengelernt habe als in meinem ganzen Leben zuvor.

Aurora hat auf jeden Fall einen Abend mit meet and greet veranstaltet mit Ishmael Beah, einer der bekanntesten Autoren aus Sierra Leone weltweit, und Maria Bradford einer passionierten Köchin und Herausgeberin des Kochbuches „Sweet Salone“. Ich bin natürlich wegen Ishmael Beah hingegangen. Schon bevor ich nach Sierra Leone bin, habe ich mich selbstverständlich, wie es in meiner Familie üblich ist, literarisch auf das neue Land vorbereitet. Da es nicht so viel Literatur von Sierra-Leonischen Schriftstellerinnen und Autoren gibt, habe ich gelesen, was wahrscheinlich fast jede liest, die Literatur aus und über Sierra Leone liest. Was „Blood Diamond“ für die Filmleute ist, ist „A long way gone“ für uns Lesebegeisterte. „A long way gone“ ist ein autobiographisches Buch in dem Ishmael Beah seine Erlebnisse als Kindersoldat während des Bürgerkrieges beschreibt. Ein sehr empfehlenswertes Buch. Insgesamt hat Beah noch zwei weitere Bücher veröffentlicht, die natürlich auch bei mir im Regal stehen. Eines habe ich noch nicht gelesen, aber es liegt schon neben mir. Ich werde heute noch anfangen. Nach dem Bürgerkrieg gab es von den USA ein Repatriation Programm für ehemalige Kindersoldaten, über dieses Programm ist Beah in die USA gekommen, und lebt seitdem dort. Er ist verheiratet und seine drei Kinder waren bei der Lesung dabei. Ich hätte sehr gerne ein paar Fragen gestellt, aber dachte, es wäre interessanter, in kleinerer Runde wirklich etwas darüber zu erfahren, wie es für ihn war, nach dem Krieg in die USA zu kommen, nach allem, was er erlebt hat. Er ist ein sehr sympathischer Typ, der gerne lacht und scherzt. Es ist sehr schön zu sehen, dass auch so schlimme Wunden, etwas heilen können und Menschen auch nach so schlimmen Erlebnissen glücklich sein können. Aber das ist hier nicht das Thema heute.

Der zweite Star des Abends war Maria Bradford, die ebenfalls in Sierra Leone geboren, mittlerweile in den UK lebt und von dort ihr Kochbuch mit sierra-leonischen Gerichten geschrieben und veröffentlich hat. Das Buch ist wunderschön, ich habe es natürlich erstanden. Ich hatte gehofft, gute Rezepte für lokale Produkte zu finden, leider ist auch viel Afro-fusion dabei mit Zutaten, die ich hier gar nicht bekomme. Aber ich werde trotzdem ein paar Sachen nachkochen. Und: es gibt auch Ziegengerichte! Weshalb das wichtig ist, erfahrt ihr in naher Zukunft…

Wie hängen nun diese beiden mit dem positiven Selbstbewusstsein zusammen? Ganz einfach. Ich habe direkt Marta, einer meiner Freundinnen hier, ins Ohr geflüstert, dass es ein bisschen schade ist, dass wir zu einem sierra-leonischen Literaturabend gehen, aber die Autorin aus London anreist und der Autor aus den USA. Sie sind beide hier geboren, aber sie sind beide im Ausland ausgebildet und stark geprägt worden. Sie kommen jedes Jahr für ein Wochen ins Land und dann wieder zurück in ihr schönes, bequemes Leben. Und interessanterweise haben sie beide genau das auch thematisiert. Dass sie nicht wären, wo sie heute sind, wenn sie hiergeblieben wären. Dass es hier keine Wertschätzung für Kunst gibt und keine Unterstützung für junge und begabte Menschen. Bestimmt haben sie recht. Was passiert denn mit Kindern hier, die eine musikalische Begabung haben? Wo werden sie entdeckt, wo gefördert? Ich weiß gar nicht, ob es überhaupt Musikunterricht in den Schulen gibt. Oder Kunst. Als wir letztes Jahr den Malwettbewerb mit den Schulklassen gemacht haben, haben wir Stifte und Blätter zur Verfügung gestellt, weil sonst hätten die Kinder gar keine bunten Bilder malen können. Einfach weil sie keine Stifte und Blätter haben. Selbst wer gerne Gedichte oder Geschichten schreiben würde, braucht ja erstmal Blatt und Stift.

Welche Eltern in Deutschland machen schon einen Luftsprung, wenn das Kind sagt, es will später mit seinem Talent, egal ob mit Malerei, Musik, Schreiben oder auch Sport Geld verdienen? Aber wahrscheinlich können die meisten Kinder ihrer Leidenschaft zumindest im Kleinen nachgehen, sich ausprobieren und dann wenn sie älter sind, wirklich entscheiden, was sie machen möchten, ohne dass ihre Begeisterung schon im Keim erstickt wird.

Dass die bekanntesten Künstlerinnen und Künstler oftmals aus der Diaspora kommen, ist schade, aber vielleicht besser als gar keine Vorbilder aus Sierra Leone. Es gibt ein paar wirklich gute Künstlerinnen und Künstler, die malen. Schreiben ist natürlich nicht die No1 Ausdrucksweise hier, aber Geschichten, in denen sich Kinder und Jugendliche Wiederfinden, wären sehr wichtig für ihre selbstbewusste Entwicklung. Eine super Buchreihe dafür – besonders für Mädchen im Teenagealter – ist von Namina Forna „The Gilded Ones“. Sie ist auch als Neunjährige, während des Krieges in die USA, aber ich finde die Bücher sehr gut, es ist feministische Fantasy einer jungen Schriftstellerin aus Sierra Leone. Kann man sehr gut mal lesen.

Das schöne beim Lesen sind ja die Bilder, die im Kopf entstehen. Die Gefühle und Emotionen, die wir mit Wörtern verbinden. Es macht einen großen Unterschied, ob die Menschen im Buch Schnitzel essen oder casava leave. Ob ich dazu ein Bild im Kopf habe oder nur Fragezeichen. Zu wissen, wie ein Haus, eine Straße, ein Taxi aussehen in der Geschichte aussehen. Oder ein Dorf, Wald und die Gerüche, die damit verbunden sind.

Mich freut es deshalb gerade sehr, dass heute schon den ganzen Abend nicht wie sonst, nigerianischer Afro Pop von der Straße nach oben schallt, sondern alte sierra-leonische Lieder. Das mit dem nationalen positiven Selbstbewusstsein wird wohl noch etwas dauern. Im Ausland ist Sierra Leone ja immer noch für Bürgerkrieg und Blood Diamond bekannt. Irgendwie schafft es das Land nicht, mit seiner wundervollen Natur und den superfreundlichen Menschen bekannt zu werden.

Da ich echt etwas angeschlagen bin, heute kein langes Palaver. Aber ihr seht schon, Climate Change Conference, Literaturabend, vom Theater habe ich ja gar nichts erzählt, und was treibe ich sonst noch so? Ich gehe schön fleißig bouldern und habe tatsächlich letzte Woche fast die eine dunkelblaue geschafft 😉 am Sonntag war ich endlich mal wieder im Meer schwimmen und sonst bin ich eigentlich jeden Tag ganz gut beschäftigt nach der Arbeit.

Und hier noch mein Highlight: Ich habe das Communique stellvertretend für meine Organisation unterschrieben. Als ich das Foto gesehen habe, habe ich gleich an meinen Onkel in der roten Hose gedacht 😉 Ja, ich gehöre jetzt auch zu den Menschen, die rötliche Hosen zu offiziellen Anlässen tragen!

Und auch das Foto, das ich zu Beginn der Veranstaltung gemacht habe, finde ich sehr passend. Zum Thema Klima haben sie sich für Plastikblumen in Traueroptik entschieden 😬

« Ältere Beiträge

© 2024 thekaddl.com

Theme von Anders NorénHoch ↑