Viel zu lange war es still hier auf meinem Blog. Viel zu viel ist passiert und ich musste erst einmal wieder alles in meinem Kopf sortieren, bevor ich in der Lage war, es auch schriftlich in Worte zu fassen. Da einige Leute nachgefragt haben, wie denn nun die Wahlen verlaufen seien, heute erst einmal ein kleiner Rückblick auf die Wahlen und die Tage danach.
Ich selbst war während der Wahlen nicht in Sierra Leone. Deshalb ist es auch etwas schwierig für mich, wirklich zu sagen, wie sie verlaufen sind. Ich muss auf Informationen zurückgreifen, die entweder subjektive Wahrnehmungen von anderen sind, Nachrichten aus social media oder Presseartikel und die reports von der EU-Wahlbeobachtungskomission und einer nationalen neutralen Wahlbeobachtungsgruppe, die sich aus Mitgliedern der Zivilgesellschaft zusammensetzte. Diese letztgenannte wurde von einem Partner des CPS-Netzwerkes geleitet, Churches Council of Sierra Leone, CCSL, so dass auch Kollegen von mir Wahlbeobachter waren. Oft gibt es jede story in verschiedenen Versionen, aber das kennt ihr ja mittlerweile schon aus meinen Berichten.
Die Wahlen verliefen relativ ruhig
Die Wahlen verliefen ruhiger als von einigen erwartet. Das ist die positive Meldung. Trotzdem gab es gewalttätige Auseinandersetzungen und auch Tote. Ich habe ein bisschen meine Schwierigkeiten damit, wenn Leute, die nicht von hier sind, sagen „Die Wahlen verliefen ja echt ganz ruhig.“ Es gab keine Volksaufstände und es ist auch kein Bürgerkrieg ausgebrochen. Es gab keine Ausgangssperre, aber die Tage nach den Wahlen waren dennoch angespannt, Leute sind eher zuhause geblieben und haben abgewartet, was passiert. Es gab einen großen Polizeieinsatz beim Büro der Opposition in Freetown mit Einsatz von Feuerwaffen und Tränengas. All dies wäre im deutschen Kontext alles andere als ruhig. Und auch hier möchte ich nicht sagen, dass es ruhig war. Alleine die konstante Anspannung der Menschen, die Ungewissheit, ob etwas passiert oder nicht, die Verunsicherung, was vor sich geht und welcher Quelle zu trauen ist, all das macht etwas mit den Menschen. Es gibt einfach kein Grundvertrauen, dass alles gut wird.
Was sagt die Wahlbeobachtung
Sowohl die EU als auch die nationalen Wahlbeobachtung der Zivilgesellschaft (National Election Watch – NEW) sahen das Ergebnis nicht so eindeutig, wie es die Electoral Comission of Sierra Leone (ECSL) veröffentlich hat. Die ersten veröffentlichten Zahlen zeigten noch ein knappes Rennen, die zweiten dann einen eindeutigen Sieg des amtierenden Präsidenten. Die EU hat direkt vier Tage nach der Wahl die ECSL aufgefordert, alle Zahlen zu veröffentlichen. Eigentlich sollen alle Ergebnisse je Wahlbüro veröffentlicht werden, dies ist bis jetzt nicht geschehen. Es gibt offiziell nur eine sehr geringe Anzahl an ungültig abgegeben Stimmen (0,4%), was sehr ungewöhnlich ist. Laut anderen Wahlbeobachtungen liegt diese Zahl bei rund 5%. Einige Leute sagen, dies sind genau die Prozent, die dem Präsidenten zugeschlagen wurden und somit erreichte er die nötigen Stimmen für seine Wiederwahl. Ohne die Veröffentlichung aller Zahlen ist es dies aber schwer zu belegen oder zu widerlegen.
Eine weitere Beobachtung von NEW bezieht auf die Teilnahme an den zugleich stattgefunden Parlamentswahlen. Es wurde gleichzeitig über den Präsidenten abgestimmt und ein neues Parlament gewählt. Es ist seltsam aus Sicht von NEW, dass es unterschiedliche Teilnahme an beiden Wahlen in höheren Prozentbereichen gibt, obwohl die Wahlen ja zeitgleich stattfanden. In einigen Distrikten gab es viel weniger Stimmen bei den Parlamentswahlen, denn bei der Präsidentschaftswahl. Das scheint ungewöhnlich zu sein. Das war hauptsächlich der Fall in Distrikten, in denen die Opposition viele Stimmen bei der Parlamentswahl gewonnen hat. In Distrikten, in denen die Regierungspartei stark ist, gab es teilweise mehr Stimmabgabe für die Präsidentschaftswahl als für die Parlamentswahl.
Neutrale Wahlbeobachter gehen davon aus, dass es eine Stichwahl hätte geben müssen. Die Unklarheiten der Zahlen legen nahe, dass es im ersten Wahlgang eigentlich keinen klaren Sieger gab.
EU und USA haben den offiziell wiedergewählten Präsidenten und seine Regierung sowie ECSL aufgefordert, alle Zahlen zu veröffentlichen, um die Unklarheiten zu beseitigen. Daraufhin haben die nationalen Sicherheitskräfte eine Erklärung veröffentlicht, in der sie die internationale Gemeinschaft aufgerufen haben, sich nicht in landesinterna einzumischen und nicht Konflikte zu schüren. Die gefordereten (und gesetzlich festgelegten) Informationen sind bis heute noch nicht veröffentlicht worden, so dass es nun Diskussionen hinter verschlossen Türen gibt, wie damit umgegangen werden soll. Es ist relativ eindeutig, dass die Ergebnisse nicht ganz die Realität widerspiegeln. Wenn dies ohne Konsequenz akzeptiert wird, kann es ein Zeichen für andere Regierungen weltweit sein, dass Wahlbetrug nicht bestraft wird. Zugleich wollen internationale Partner nicht jahrelang aufgebaute Partnerschaften und gemeinsame Projekte riskieren. Eine schwierige Situation.
Die Stimmung nach den Wahlen
Wie oben schon angedeutet, waren die meisten Menschen nach den Wahlen erst einmal im Abwartemodus. Läden blieben teilweise geschlossen, das soziale Leben war auf ein Minimum heruntergefahren, die meisten gingen nur außer Haus, wenn es unbedingt nötig war, auch Büros blieben größtenteils geschlossen. Alle warteten ab, wie die Opposition reagieren würde. In den Oppositionsgebieten gab es gewalttätige Auseinandersetzungen mit den Sicherheitskräften, einige Menschen verloren ihr Leben. So viel zum „relativ ruhig“. Offiziell riefen alle Parteien dazu auf, friedlich zu bleiben und keine Gewalt anzuwenden. Dennoch weigert sich die Opposition ihren Regierungsauftrag anzunehmen und nahm nicht an der Sitzungseröffnung des Parlamentes teil. Bis jetzt weigert sich die Opposition die parlamentarische Arbeit aufzunehmen. Damit machen sie das Parlament handlungsunfähig, da laut Verfassung nicht eine Partei alleine die Parlamentsarbeit ausführen kann. Somit ist das Parlament vorerst lahmgelegt.
Am ersten Tag des neuen Parlamentes war ich schon wieder im Land. Und bin direkt wieder mal in eine Demonstration geraten. SLPP-Leute haben den Einzug ihrer Partei ins Parlament gefeiert bin lauter Musik, LKWs voller Boxen, tanzenden Leuten auf der Straße, so dass mein 15minütiger Weg mal wieder eine Stunde dauerte. Noch immer wird es kommentiert, wenn jemand etwas rotes oder grünes anhat. Viele junge Männer laufen mit grünen T-Shirts mit Wahlbotschaften herum, die verteilt wurden vor der Wahl, um Stimmung zu machen.
Viele Fragen bleiben offen
Abgesehen davon, ist allerdings anscheinend alles wie immer, als wäre nie etwas gewesen. Einerseits ist zwar unter der Oberfläche bei vielen Unmut zu spüren, wegen der geklauten Wahl. Zugleich sind alle froh, dass es keine größeren gewalttätigen Auseinandersetzungen gab. Eine Forderung der Opposition ist es, die Wahlen in sechs Monaten nachzuholen. Das ist aber schon aus finanziellen Gründen höchst unrealistisch. Für die meisten Menschen zählt aber hauptsächlich, den Alltag zu bewältigen. Das ist mein Eindruck. Wir haben eine Inflation von über 40%, Lebensmittel, die schon vor dem Krieg in der Ukraine hoch waren, haben sich in den letzten 1,5 Jahren teilweise verdreifacht, da geht es vielen Menschen um den täglichen Teller Reis und nicht unbedingt darum, wer sie in dieser Misere regiert. Gerade lese ich eine Meldung, dass drei kleine Zwiebeln nun 25 NLe kosten, also knapp einen Euro. Das führt dazu, dass Leute ihre Kochgewohnheiten anpassen müssen, weil Zwiebeln nun „nur noch für die Eliten bezahlbar“ sind. Zwiebeln ein Luxusgut. Eier sind es schon länger. Aber nun auch Zwiebeln. Verrückt.
Es bleibt also spannend, wie sich die Situation entwickeln wird. Ob es eine Einigung gibt und die Opposition ihre parlamentarische Arbeit aufnimmt, ob alle Zahlen veröffentlicht werden und welche Konsequenzen die internationale Gemeinschaft auf die Wahlen folgen lassen wird. Ich werde berichten…
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