Regen, Regen, nichts als Regen und es scheint kein Ende nehmen zu wollen. In Sierra Leone ist Regenzeit. Wie jedes Jahr beginnt sie im Mai/Juni und endet im September. Dieses Jahr kam der Regen spät. Schon seit ein paar Jahren ist der Regen nicht mehr vorhersehbar wie früher. Das bereitet allen, die von der Landwirtschaft leben, große Probleme. Die Zeit der Aussaat ist ungewiss, der erste Regen, der den Boden nach der langen Trockenzeit vorbereitet, kommt immer später und bleibt teilweise ganz aus. Die Klimakrise ist zu spüren und auch wenn nicht alle wirklich verstehen, was climate change bedeutet und wie die globalen Zusammenhänge sind, so spüren doch viele seine Folgen.

Ich habe mich ja schön aus dem Staub oder aus dem Regen gemacht Mitte Juni, um dem Regen zu entfliehen und den deutschen Sommer zu genießen. Und ja, auch der deutsche Sommer war etwas verregnet und kalt – zumindest teilweise, aber die Nachrichten, die aus Sierra Leone kamen, haben mich den deutschen Regen lieben gelehrt.

Normalerweise ist die Regenzeit im Juli und August am stärksten, das bedeutet, dass im August fast so viel Regen vom Himmel fallen kann wie in Deutschland im ganzen Jahr. Dass es also im Juli und August viel regnet, ist keine Überraschung in Sierra Leone. Aber so viel wie dieses Jahr hat es wohl schon lange nicht mehr geregnet. Es gibt den berühmte „7-Tage-Regen“. Während des 7-Tage-Regens regnete es – surprise – sieben Tage lang ohne Unterbrechung. Das kann wirklich nervig und zermürbend sein, wenn man ein trockenes Zuhause und ein Auto hat, es ist unglaublich schlimm, wenn man kein trockenes zuhause hat und auf Keke und Okada angewiesen ist, um sich fortzubewegen. Das Leben steht ein bisschen still, da man nichts machen kann.

7-Tage-Regen? Das war einmal

Als also der 7-Tage-Regen begann, irgendwann im Juli, war niemand überrascht. Ich saß im trockenen Deutschland und habe nur die Nachrichten in den Chat-Gruppen verfolgt. Ah, alle, die die erste Regenzeit erleben, verstehen nun, was Regenzeit heißt. Alle, die das schon kennen, stellen sich auf ein paar Tage Regen ein. Doch dann hörte der Regen nicht auf. Nicht nach sieben Tagen, nicht nach 10 Tagen, nicht nach zwei Woche. Über 20 Tage regnete es in Freetown. Das hatte noch niemand erlebt. Über 20 Tage Regen. Es mehrten sich die Fotos und Videos von der zerstörerischen Kraft der Wassermassen.

20 Tage Regen – und alles ist durchnässt

Was bedeuten 20 Tage Regen für eine Mehrheit in Freetown? Es bedeutet alles und ist eine riesige Katastrophe für viele Menschen. Wir reden hier nicht von ein bisschen Nieselregen. Wir reden hier von echtem Regen, von Regen, der die Sicht auf ein paar Meter begrenzt und wie aus Eimern aus den Wolken fällt. Regen, der dich innerhalb von Sekunden bis auf die Haut durchnässt und teilweise gemeinsam mit Sturm und Windböen über das Land fegt. Auch nach drei Jahren Sierra Leone und auch in meiner dritten Regenzeit, bin ich jedes Mal wieder überwältigt von diesen Naturgewalten.

Alle, deren Dächer nicht ganz dicht sind, weil sie aus zusammengebasteltem Wellblech bestehen, sitzen auch in ihrem Zuhause nicht im Trocknen. Selbst „richtige“ Dächer und Häuser halten diesem Regen nicht immer Stand. Der Regen sucht sich seinen Weg durch jede Ritze, durch undichte Fenster (so zum Beispiel bei mir im Wohnzimmer), unter jedem Türspalt (ja, auch meine Wohnung wird gerne geflutet bei starkem Regen mit Wind) und auch durch die Wände.

Wenn es so viel regnet, hat der Erdboden keine Chance, die Wassermassen aufzunehmen. Straßen werden geflutet – leider auch, weil oft die Abflusssysteme nicht frei von Müll sind und somit alles auf die Straßen geschwemmt wird. Straßen am Hang verwandeln sich in reißende Flüsse und bringen Schlamm, Müll und Dreck den Hang hinunter zu den Häusern, die weiter unten stehen. Freetown ist auf Hügeln gebaut, es gibt also sehr viele Hänge. Ein Problem ist natürlich, dass viele Flächen versiegelt sind und somit das Wasser weniger Möglichkeiten hat, in den Erdboden zu versickern, gleichzeitig kommt das Wasser mit immer mehr Gewalt die Hügel herunter, da durch die Abholzung der Wald fehlt, der Regen und das Wasser früher abgebremst hatte. Mauern und Häuser werden mit Zement und Ziegeln gebaut, die von geringer Qualität sind. Meist wird Sand aus dem Meer zum Bauen verwendet. Das Salz, das sich durch das Meerwasser im Sand befindet, saugt sich bei Regen und bei hoher Luftfeuchtigkeit voll (Salz zieht ja Wasser an), das erhöht einerseits den Schimmel in den Wänden, macht die Wände aber auch instabiler. So kommt es immer wieder zu tragischen Todesfällen. Im Juli ist eine Mauer eingestürzt, die auf das Wellblechhaus einer Familie fiel. Die Mutter und zwei Kinder sind dabei gestorben.

20 Tage Regen bedeuten auch, dass quasi nichts mehr trocken ist. Ich kenne das aus den letzten Jahren. Die Klamotten haben keine Chance zu trocknen nach dem Waschen und riechen schon wieder mouldy, bevor man sie von der Leine nehmen kann. Die Luftfeuchtigkeit ist so hoch, dass alles, wirklich alles dauerfeucht ist. Matratzen, Kissen, einfach alles. Man hat ja in Deutschland keine Vorstellung davon, was alles schimmeln kann. Alles, was aus Leder ist, wird mit einer schönen feinen Schimmel-Patina überzogen. Auch Essen, mir sind selbst trockenen Nudeln geschimmelt und noch einiges mehr, was mich wirklich in Staunen versetzte. was alles schimmeln kann, man glaubt es kaum. Aber in den letzten Jahren gab es nie zwanzig Tage Regen. Ich mag mir gar nicht vorstellen, wie schlimm es für den Großteil der Bevölkerung war und immer noch ist.

20 Tage Regen – 20 Tage ohne Einkommen

20 Tage Regen bedeuten für viele Menschen auch, 20 Tage keine Arbeit, kein Einkommen, kein Essen. Die Fotos und Videos, die ich sah, zeigten Marktplätze hüfthoch geflutet, Straßen überschwemmt, so dass Keke und Okada kaum noch durchkommen, leere Strände, Menschen, die durch Wassermassen schreiten. Für mich, die in meinem (größtenteils) trockenen Heim sitzt, mit dem eigenen Auto in die Arbeit fahren kann oder im Notfall auch mal von zuhause arbeiten kann, ist es wie gesagt, nicht die schönste Zeit im Jahr, aber gut. Ist eben Regenzeit. Für alle Menschen, die davon leben, dass sie täglich ein paar Dinge auf den Straßen verkaufen, die Frauen, die die kleinen cookeries am Straßenrand betreiben, die Leute, die den ganzen Tag durch die Straßen der Stadt ziehen und von Besen über Rattengift und Hundehalsbänder alles Mögliche anbieten, für die Keke- und Okadafahrer, für die Frauen auf den Märkten, für die bedeuten tagelange Regenfälle, tagelange Arbeitsausfälle und somit auch kein Einkommen für die Familie.

Viele Menschen leben davon, dass sie tagsüber oder abends etwas Geld verdienen und dieses dann direkt in Essen für sich und vielleicht auch die Familie investieren. Für diese Menschen sind die langen Regen eine existentielle Katastrophe. Viele haben nicht die Möglichkeit zu sparen und dann für die Regenzeit vorbereitet zu sein, weil es immer gerade so zum Leben reicht. Da ist nichts übrig für schwere Zeiten. Schon immer wundere ich mich, wie Menschen das schaffen. Nicht nur in Sierra Leone, auch in vielen anderen Ländern. Das Leben von der Hand in den Mund ist in der Regenzeit mehr als eine Herausforderung. Es ist ein Teufelskreis. Kaum jemand geht auf die Straße, da es regnet, dadurch gibt es weniger Angebot zu kaufen und weniger Nachfrage an Keke und Okadas, somit haben Menschen weniger Essen und können weniger Nachfrage generieren und so weiter und so fort. Auch alle, die in Bars, Restaurants, an den Stränden arbeiten, haben kein Einkommen. Wer geht schon an den Strand und sitzt in der Strandbar, wenn es schüttet wie aus Eimern? Wenn es „kalt“ und ungemütlich ist.

Mit dem Regen kommen die Krankheiten

Regenzeit ist auch Malariazeit. Ich bin das beste Beispiel. Schön jedes Jahr zu Beginn der Regenzeit im Juni besucht sich die Malaria. Wenn sich überall Pfützen bilden, finden die Mücken beste Voraussetzung für die Fortpflanzung. Außer Malaria kommen mit der Regenzeit aber auch andere Krankheiten. Viele Häuser haben keine indoor-Toilette. Oftmals teilen sich mehrere Häuschen so eine Art Klo- und Duschhaus. Es gibt ein Loch im Boden und das war´s. Was passiert, wenn die Wassermassen kommen und alles überschwemmen und ausschwemmen, muss ich hoffentlich nicht im Detail beschreiben, aber da schwimmt so einiges im Wasser, vieles für das menschliche Auge nicht sichtbar, aber mit Auswirkungen auf den menschlichen Magen-Darm-Trakt. Während der Regenzeit kann es mal zu kleineren Choleraausbrüchen kommen, zu vermehrten Durchfallerkrankungen und auch allgemein zu mehr erkältungsmäßigen Erkrankungen, wegen der konstanten Feuchtigkeit und Kälte. Und dann ist kein Geld da, für ausgewogene Ernährung, für den Besuch beim Arzt oder die Medikamente.

Dass bei Regen oft kein Strom da ist, brauche ich wahrscheinlich gar nicht mehr zu sagen. Das wissen wahrscheinlich mittlerweile die meisten von euch. Und wie stark eine Solaranlage bei 20 Tagen Dauerregen und ohne Sonne funktioniert, naja, da kommt mehr energy bei Sonnenschein, sage ich mal.

Da möchte man am liebsten einen landesweiten Chor anstimmen und das alte Kinderlied „Lieber Regen geh weg, liebe Sonne komm wieder“ anstimmen. Welch eine Wohltat, wenn die Sonne sich dann nach Tagen durch die Wolken kämpft und mit ihren warmen Strahlen die Haut berührt. Wenn es Flecken blauen Himmels gibt und wieder Hoffnung aufkeimt auf ein Ende des Regens.

Der Regen ist wichtig, schließlich wird es erst einmal einige Monate nicht mehr Regnen, wenn er weg ist. Aber solange er da ist, wird er ausgehalten in stoischer Apathie und die Sonne herbeigesehnt. Nun ist es bald Ende August und „it´s raining like hell again“(so schrieb mir heute jemand). Andere Fragen schon in meiner einen Whatsapp-Gruppe „What’s going on? Are we back in July?”

Während sich manche in Deutschland also über den Regen und die Wolken ärgern und sich fragen, wo der Sommer ist, sage ich: genießt den Nieselregen, zieht eure Gummistiefel an und geht raus. Das, was ihr Regen nennt, ist kein Regen. Und solange ihr ein dichtes Dach über dem Kopf habt, dichte Fenster, trockene Klamotten und Decken, einen Kühlschrank, der nicht nur kühlt, sondern auch noch voller Essen ist, freut euch des Lebens und seid dankbar dafür, dass das Schicksal, der Himmel oder wer auch immer euch ein trockenes zuhause beschert hat.

In diesem Sinne summe ich hoffnungsvoll „Here comes the sun“ und verabschiede mich für heute in den Regen.