Ach herrje, Anfang November war mein letzter Beitrag. Da weiß ich gar nicht, ob ich schmunzeln oder mich doch lieber leise schämen soll. Nun zu behaupten, dass einfach in den letzten zwei Monaten nichts passiert ist, wäre natürlich glatt gelogen. Ich versuche ein paar Ereignisse zu beleuchten, der Rest wird wohl im Dunkeln bleiben…
Wie ging´s weiter mit dem Mining am Lake Sonfon
Zunächst einmal gute Nachrichten als follow-up zum letzten Beitrag „Mining – schlecht für die Umwelt, schlecht für die Menschen, nur gut für den, der Profit macht.“. Tatsächlich hatte der Minister for Environment and Climate Change auf einen unserer Facebook-posts reagiert und nach mehr Infos gefragt. Wir hatten eine TV-Diskussion, an der auch Vertreter der National Protected Area Agency (NPAA) teilgenommen haben. Sie haben uns kontaktiert und gesagt, wenn wir ins Radio oder TV gehen, wollen sie mit. Sie benutzen uns manchmal gerne, weil wir sagen können, was sie nicht sagen können. Als Regierungsmitarbeitende können sie nur schlecht die Regierung kritisieren. Sie können uns aber Infos geben und wir sagen das dann öffentlich. NPAA und EPA (Environmental Protection Agency) haben dann tatsächlich Lake Sonfon einen Besuch abgestattet und alle illegalen Mining activities erst einmal gestoppt. Die Aktionen gehen weiter, auch im neuen Jahr. Es sieht so aus, als wären der neue Minister für Umweltschutz und der neue Direktor der NPAA wirklich daran interessiert, Ergebnisse zu erzielen. Das ist für uns natürlich sehr gut. Wir hoffen, es hält an.
Das Jahresende, dann auf einmal doch stressiger als gedacht
Alle sagen jedes Jahr, dass es gegen Ende des Jahres stressig wird. Eigentlich verstehe ich das immer nicht so, aber letztes Jahr hat es mich tatsächlich auch erwischt. Wir mussten noch einige Aktivitäten umsetzen im alten Jahr, ich habe noch einen Workshop selbst gegeben und dann war noch die jährliche Konferenz mit den Netzwerk-Partnerorganisationen aus Liberia und es war nochmal viel Besuch aus Deutschland da.
Der Austausch mit den Kolleginnen und Kollegen aus Liberia war ziemlich interessant. Liberia hatte auch Wahlen letztes Jahr, allerdings erst im September/Oktober. Sierra Leone und Liberia verstehen sich als Geschwisterstaaten, da sie schon oft ein ähnliches Schicksal geteilt haben. Aber die Wahlen letztes Jahr unterschieden sich dann doch. Während in Sierra Leone noch immer nicht alle Zahlen veröffentlicht sind und die unabhängige Wahlbeobachtung von Betrug ausgeht, hat der Präsident in Liberia seine Niederlage anerkannt und den Weg frei gemacht, für den Regierungswechsel. Wir sind alle sehr beeindruckt davon.
Besucherinnen über Besucher
Seit November waren meine Gästezimmer auch mal wieder voll ausgebucht. Hannahs Eltern kamen, eine Freundin von Hannah kam, dann war René zu Besuch – länger als er wollte, aber dazu unten mehr – Max Eltern kamen und dann nochmal Hendrik, ein neuer Freund aus dem Allgäu. Mit René und einer weiteren Besucherin von Hannah und Max, habe ich auch etwas Urlaub in Sierra Leone gemacht. Wir waren in Bureh am Strand, wo ich mich im Fischen versuchte, wir prominente Gäste beim Fußballderby Bureh gegen John Obey waren und in der Halbzeit ans Mikrophon gebeten wurden (da wird aus Rene ganz schnell Rainear). Danach waren wir noch gemeinsam in Kabala wo wir wirklich eine wunderschöne – wenn nicht die schönste – Wanderung gemacht haben.
Und auf einmal waren da Schüsse in der Nacht
Wer aufmerksam liest, hat schon aufgemerkt: René blieb länger in Salone als geplant. Leider war sein Abflug ein bisschen schlecht getimt. Wir hatten Ende November einen versuchten Staatsstreich. Und der ist genau auf Renés Abreisetag gefallen. Weshalb er dann gezwungen war, ein paar Tage länger zu bleiben, bis wieder Flüge gingen und er überhaupt in der Lage war, den Flughafen zu erreichen.
Ich sage ja immer, Sierra Leone ist super safe. Seit den Aufständen im August 2022 hatte sich das schon ein bisschen geändert. Deshalb waren auch alle vor und während der Wahlen 2023 angespannt und niemand wusste, bleibt es ruhig oder explodiert die Situation wieder wie beim Bürgerkrieg? Oberflächlich ist alles ruhig, aber es brodelt unter der Oberfläche. Der versuchte Staatsstreich im November kam dennoch für die meisten unerwartet. Nachts waren auf einmal Schüsse zu hören. Ich habe es auch gehört, habe es aber natürlich nicht als Schüsse interpretiert, sondern dachte an ein frühes Feuerwerk. Da Freetown auf Hügeln gebaut ist, kamen die Schüsse bei uns mit viel Hall an. Eigentlich wären wir in der Nacht auf einer Party am Strand gewesen. Zum Glück ging es mir nicht so gut und wir sind nicht hingegangen. Viele die dort waren, sind entweder am Heimweg nachts in die Militärs geraten oder mussten bis Montagvormittag am Strand ausharren.
Aber nochmal von vorne. Was war passiert. Nichts Genaues weiß man nicht. Wie immer gibt es Gerüchte, aber keine 100% Gewissheit, was nun wirklich passiert ist. Eine Version ist, dass Teile des Militärs die Regierung stürzen wollten. Sie haben dafür zunächst verschiedene Militärbasen in Freetown angegriffen. Es startet von Samstag auf Sonntagnacht gegen drei Uhr und wir konnte Schüsse und Rauch bis Sonntagnachmittag hören und sehen. Morgens wurde direkt eine vollständige Ausgangssperre verhängt. Da mein Viertel immer etwas sicherer ist und das Militär offensichtlich die Brücke und die andere Zufahrststraße komplett abgesperrt hatte, waren wir ziemlich sicher. Wir konnten sogar auf die Straße, um Frühstück zu kaufen und Hannah – die auch bei mir festsaß – ist abends nochmal los, um den Biervorrat aufzustocken. Trotzdem war die Lage sehr ernst und vor allem absolut unübersichtlich. Informationen kamen über whatsapp aus verschiedenen Richtungen. Die Ausgangssperre wurde dann am Montagmorgen aufgehoben und galt „nur noch“ nachts ab 21Uhr. Das war natürlich dem Festival Month Dezember gar nicht zuträglich. Die Leute wollten eigentlich endlich einmal feiern und all die Sorgen und Anspannungen des Wahljahres vergessen, und dann das.
Die Ausgangssperre blieb fast einen ganzen Monat bestehen, erst kurz vor Weihnachten wurde sie komplett aufgehoben. Es gab mehr Militärpräsenz in den Straßen, überall Kontrollen und die ECOWAS kam mit einer Delegation.
Einige Militärs wurden entlassen, andere sind nun angeklagt. Der ehemalige Präsident der Oppositionspartei ist unter anderem des Hochverrats angeklagt und durfte nun aber unter Befürwortung der ECOWAS das Land aus gesundheitlichen Gründen vorerst verlassen. Er war bisher unter Hausarrest gestellt. Als letzte Woche der Prozess startete waren wieder Demonstrationen angesagt, so dass einige Organisationen für zwei Tage ihre Büros schlossen. DIe Militärpräsenz war nochmals hochgefahren. Es zeigt, dass alles sehr fragil ist. Die Lage ist also noch angespannt. Alle hoffen, dass es friedlich bleibt. Und zugleich steigen die Preise für Lebensmittel und Benzin weiterhin, die Redefreiheit nimmt ab und der Raum, in dem die Zivilgesellschaft arbeiten kann, wird kleiner.
Aber irgendwie geht der Alltag und das Leben trotzdem weiter… Neben Arbeit und Besuch war ich also busy zum bouldern zu gehen, zu italien dinners, partys am beach und was eben noch so anstand im sozialen Leben.
Should I stay or should I go
Es ist kaum zu glauben, aber im Mai sind tatsächlich die drei Jahre schon um. Gefühlt, geht es jetzt dann ganz schnell. Rückblickend ging die Zeit schnell vorbei, auch wenn es lange Strecken gab und ich besonders im letzten Jahr in der ersten Jahreshälfte gefordert war wie wahrscheinlich noch nie in meinem Leben. Aber ich hatte in den letzten Tagen des Jahres ein unglaublich positives Gefühl. Das Jahr 2023 war echt hart für mich, aber ich gehe gestärkt und positiv heraus.
Das habe ich schon gemerkt, als ich mich parallel zu Arbeitsirrsinn, Besucherlawine und politischer Instabilität entscheiden musste, ob ich meinen Vertrag verlängere oder nicht. Ich habe lange mit der Entscheidung gerungen. Anfangs dachte ich ja, meine Sehnsucht nach all den lieben Menschen zuhause wird weniger mit der Zeit. Ich kann euch sagen, das war ein Irrtum. Mein großes Learning nach fast drei Jahren: ich vermisse bestimmte Menschen noch immer so sehr wie am Anfang. Aber zugleich bin ich der festen Überzeugung, dass ich sie auch in einem Jahr noch vermissen werde 😊 Und das nehme ich heute als positives Zeichen. Hört sich vielleicht nicht ganz logisch an, aber mit dem Wissen, dass die mir wichtigsten Menschen auch in einem Jahr noch die mir wichtigsten Menschen sein werden, egal ob ich hierbleibe oder nicht, hat mich dazu bewogen, noch zu bleiben. Ich verlängere also meinen Vertrag und bin noch ein bisschen länger hier. Ich habe das Gefühl, ich bin hier noch nicht ganz fertig.
Wie ihr seht, war in den letzten Wochen des Jahres 2023 ziemlich viel los bei mir. Und wie ihr euch denken könnt, erfahrt ihr gar nicht alles. Deshalb war ich wirklich urlaubsreif.
Und dann – ab nach Sao Tome und Principe
Tina und ich träumten ja schon lange von Sao Tome und Principe. Und nun haben wir uns diesen Traum erfüllt. Was soll ich sagen. Ich hatte diesen Urlaub wirklich sehr nötig und es war wunder- wunderschön.
Diese beiden kleinen Inseln sind wirklich paradiesisch. Zumindest für einen Urlaub. Mit Sicherheit ist auch dort der Alltag nicht einfach mit kaputten Straßen, extremer Abhängigkeit von Portugal, aus Holz gezimmerten Häusern, wenig Perspektiven für junge Menschen und ein extremes Gefälle zwischen der Bevölkerung und den Touristinnen und Touristen.
Aber: für einen Urlaub wirklich wunderschön. Die Inseln sind unglaublich grün, es gibt ganz viele endemische Vögel, unglaublich schöne Pflanzen, guten Kaffee, super freundliche Menschen und Traumstrände. Urlaubsstories gibt es im 1-to-1, aber so könnte Sierra Leone aussehen, wenn der Wald nicht abgeholzt wäre und nicht überall Plastik wäre.
Nur ein klitzekleiner Geschichtsexkurs, weil es so verrückt anmutet:
Die Portugiesen haben Sklaven aus anderen afrikanischen Ländern auf diese Inseln geschafft, die wahrscheinlich bis dahin unbewohnt waren, um Kaffee, Kakao und Zuckerrohr anzubauen. Es wurden tollste Paläste im Stil der portugiesischen Kolonialzeit gebaut für den Padron. Ich bin, obwohl ich es ja eigentlich weiß, trotzdem jedes Mal wieder wie vor den Kopf gestoßen und schüttle ungläubig meinen Kopf bei all dieser unmenschlichen Art mit Menschen umzugehen und über sie zu bestimmen wie Gegenstände.
Und heute? Heute werde auf Principe Menschen umgesiedelt, damit reiche Europäerinnen und Europäer oder Leute aus den USA, in den ehemaligen Kolonialpalästen ab 400€ / teilweise auch ab 800€ pro Nacht logieren können, ohne vom Geschrei von Kindern und der Musik der Bevölkerung gestört zu werden. How far did we go since the colonial times? Not so far.
Nur ein kleiner Hinweis: wir haben auf Principe natürlich nicht so teuer übernachtet, sondern haben im Zelt mit dem schönsten Ausblick der Insel für nur 12€ die Nacht geschlafen.
Wer nicht weiß, wo Sao Tome und Principe liegt, einfach mal im Internet schauen 😉
Ich lasse die Fotos sprechen und beantworte gerne Fragen, wenn ihr welche habt.
2024 – a great start
Das neue Jahr hat für mich super begonnen. Der ganze Januar ist eigentlich ganz gut. Erstens natürlich ein super Start ins neue Jahr im Urlaub. Dann wieder zurück in Sierra Leone – wo sich alle in den whatsapp-Gruppen beschwerten, dass es seit Weihnachten fast nie Strom gab – hatte ich tatsächlich Strom zuhause. Hannah und Max haben mir Brezen und Heuschnaps mitgebracht!! Was will man mehr! Ich habe schon ein paar Projekte abschließen können, die im letzten Jahr noch nicht ganz fertig waren – dazu aber vielleicht mal in einem anderen Post mehr – und dann natürlich letztes Wochenende (nach den zuerst erschreckenden Veröffentlichungen des correctivs) die unglaublich großen Demos in Deutschland gegen rechts. Das hat mein Herz gefreut, dass so viele Leute auf die Straße gingen. Die positive Energie nehmen hoffentlich die Handballer mit in die nächsten Spiele.
Euch allen wünsche ich fürs noch neue Jahr alles Gute, Gesundheit für euch und alle, die euch am Herzen liegen, und die Gewissheit, dass ihr ganz besonders seid und ihr geliebt werdet. Happy new year mit unserem official Foto.






























































































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