Vor zwei/drei Wochen war ich spontan für eine Woche in den Dörfern im Greater Gola Landscape unterwegs auf einer sogenannten Roadshow. Die Roadshows haben ihren Namen zurecht. Es ist eine Kombination aus Zeit auf der Straße und Showeinlagen. Wir nutzen diese Roadshows in verschiedenen Projekten zur Aufklärungsarbeit und Beziehungsarbeit mit den Menschen in den Dörfern rund um den Nationalpark.
Unterwegs mit Flatscreen, Verstärker und zwei goldenen Mikros
Gemeinsam mit meiner Kollegin Mariama und unserem Fahrer Sinneh sind wir zunächst am Sonntag nach Kenema gefahren. Ihr erinnert euch vielleicht – Kenema ist im Süden und ist die größte Stadt in der Nähe des Gola Rainforest Nationalparks. CSSL ist nicht direkt im Gola Nationalpark tätig, sondern in den umliegenden Kambui Hills. Die Kambui Hills waren ehemals dicht bewaldet, doch der Wald ist bedroht, da er immer weiter abgeholzt wird.
Um die Menschen in den forest edged communities über die Bedeutung des Waldes und die Folgen von Deforestation aufzuklären, sind wir eine Woche über die Dörfer getourt. Mit zwei Landcruisern, einem Team von insgesamt acht Personen und einem Flatscreen, Verstärker und zwei goldenen Mikrophonen ging es los.
Straßen, Bäche und entlegene Dörfer
In sechs Tagen haben wir sechs Dörfer besucht. Teilweise haben wir in den Dörfern übernachtet, wenn der Weg zurück in die Stadt zu weit gewesen wäre. Mal wieder hat sich bestätigt, dass es mehr als sinnig ist, mit Landcruisern unterwegs zu sein. Nicht nur, dass der Regen die „Straßen“ teilweise in Bäche verwandelt hatte, hinzu kam noch, dass die Straßen an manchen Stellen aus so tiefen Furchen bestanden, dass selbst wir manchmal stecken blieben. Da viel zu schwere LKWs die vom Regen verschlammten Straßen benutzen, ist das Vorankommen echt eine Herausforderung und ich war sehr froh, dass ich dieses Mal nicht selbst gefahren bin. Einige Dörfer erreichten wir erst nach mehreren Stunden Fahrt, am Ende führte manchmal nur noch ein schmaler Weg dorthin, der eher für Motorräder als für Autos gedacht ist. Wir fuhren also mit zwei Rädern auf dem Weg und mit den anderen beiden Rädern im Gebüsch. Auf dem letzten Bild ist natürlich keine Straße zu sehen, sondern ein Fluß, den wir überquer haben 😉
Von der teuflischen Begrüßung bis zur Naturdoku
Unser Programm war spätestens nach dem zweiten Dorf sehr eingespielt. In jedem Dorf gibt es einen „Palava-Ort“. Das ist eine überdachte Fläche für Dorfversammlungen. Nach unserer Ankunft im Dorf haben die Kollegen immer direkt angefangen aufzubauen: Verstärker raus und Musik an, damit alle mitbekommen, dass etwas geboten ist. Dann den Generator aufbauen, unser Plakat aufhängen und eine kleine Runde durchs Dorf drehen.
Meist ertönten dann schon die ersten Trommeln und Rasseln, die den Teufel ankündigen. In den meisten Dörfern haben uns Frauen aus der örtlichen Geheimgesellschaft mit Musik und Tanz begrüßt, unter ihnen immer eine als Teufel verkleidete Frau. In manchen Dörfern wurden wir zum Mittanzen aufgefordert. Der Teufel wurde von uns mit ein paar kleinen Geldscheinen bezahlt, um ihn zu besänftigen und damit wir dann irgendwann mit unserem Programm starten konnten.
In einem Dorf kamen zwei Teufel der Geheimgesellschaft der Männer. Der eine war wirklich furchteinflößend. Das war der „echte“ Teufel. Er wurde von vier Männern begleitet, die anscheinend dafür da waren, ihn etwas in Zaum zu halten. Kinder und Frauen sind geflüchtet und haben sich versteckt und meine eine Kollegin hat sich in den Wagen gerettet. Normalerweise kommt er nur für besondere Anlässe und dann verstecken sich alle, die nicht Teil der Geheimgesellschaft sind. Es war wirklich komisch, aber die Stimmung hatte sich auf einmal verändert und ich hatte auch ein mulmiges Gefühl. Mir wurde gesagt, ich soll auf nichts reagieren was sie sagen und machen und einfach stillsitzen bleiben. Der eine Kollege hat immer versucht sich wie eine schützende Mauer zwischen mich und diesen Teufel zu stellen. Ich habe mich auch nicht getraut ein Foto oder ein Video zu machen.
Während der Tanzsessions haben sich normalerweise immer mehr Bänke eingefunden, teilweise auf fleißigen Köpfen aus der lokalen Schule herbeigetragen oder aus verschiedenen Haushalten herbeigebracht. Klein und Groß, Jung und Alt haben sich nach und nach eingefunden, so dass mit der Begrüßung und der Vorstellung der wichtigsten Personen aus dem Dorf begonnen werden konnte. Nach diesem wichtigen Punkt, begannen unsere Reden. Ich habe nicht alles verstanden, da die Menschen in der Gegend Mende sprechen und ich außer ein paar Begrüßungsfloskeln nichts verstehe. Aber ich weiß natürlich, dass meine Kolleginnen und Kollegen in ihren Reden über die Bedeutung des Waldes gesprochen haben, über die benefits, die der Wald bietet, über die fünf Dinge, die man nicht im Naturschutzgebiet machen darf. Es wurde erklärt, welche Art von Fischerei möglich ist, wie die Pflanzen genutzt werden dürfen und was die Folgen vom Waldrückgang sein werden.
Auf dem einen Bild seht ihr die Anwesenheitsliste. Da viele Erwachsende nicht schreiben können, gilt der Daumenabdruck als Unterschrift.
Die Menschen dürfen auch im Schutzgebiet weiter mit ihren traditionellen Fischfallen arbeiten (auf den Fotos seht ihr eine frisch fertiggestellte Fischfalle). Die kleinen Fische können wieder herausschwimmen und nur die großen bleiben gefangen. Viele fischen aber auch mit Moskitonetzen und fangen damit auch ganz kleine Fische. Das ist verboten. Genauso wie das „Fischen“ mit Chemikalien.
Auch ich hatte eine feste Rolle in unserem Programm. Ich habe immer ein bisschen vom globalen Klimawandel berichtet. Hier in Sierra Leone kam der Regen viel zu spät dieses Jahr und vor allem bis jetzt auch zu wenig. In Deutschland hingegen gab es zu viel Regen mit Flut und Todesopfern. Die Menschen fanden es sehr spannend etwas aus Deutschland zu erfahren. Vor allem hätten sie nicht gedacht, dass auch wir Probleme mit dem Klimawandel haben. Nach meiner kleinen Ansprache, gab es meist noch Zeit für Fragen. Die Leute waren sehr interessiert daran, wie bei uns der Wald aussieht, welche Tiere wir haben und ob man im Wald jagen darf. Es ist gar nicht so leicht, diese Fragen so zu beantworten, dass die Antworten verstanden werden, wenn die Menschen nur ihre eigene Umgebung kennen und keine Idee davon haben, wie in Deutschland Bäume, Tiere und Nutzpflanzen aussehen. Die Leute waren auch immer sehr überrascht, wenn ich gesagt habe, bei uns wachsen weder Bananen noch Mangos noch Papaya noch Ananas. Wahrscheinlich bemitleiden sie uns jetzt sehr.
Spell Cup for me: C-U-P, Cup
Im Anschluss an die Informationsvermittlung gab es in jedem Dorf ein Quiz. Erst für die Schulkinder, die mit richtigen Antworten Hefte und Stifte gewinnen konnten. Und hier wurde dann doch sehr deutlich, wie groß die Bildungsunterschiede sind zwischen den Kindern, die in den Dörfern leben, die eine Schule in der Nähe haben und Kinder aus Dörfern, deren Schule weiter weg ist. Allgemein erkennt man an den Kindern am ehesten, wie reich oder arm ein Dorf ist. In den Dörfern, die eine bessere Straßenanbindung haben, haben eigentlich alle Kinder Klamotten in der richtigen Größe, Schuhe, die ihnen passen und haben auch saubere Sachen an. In den Dörfern, die sehr entlegen sind, hatten zwar auch die meisten Kindern Schuhe, aber viele hatten Klamotten an, die schmutzig waren oder viel zu groß. Und in diesen Dörfern war oft auch das Bildungsniveau sehr niedrig.
In einem Dorf war schon seit über einem Jahr kein Lehrer mehr. Ein Mann aus dem Dorf unterrichtet die Kinder ehrenamtlich. Selbst die Kinder in der fünften Klasse hatten Schwierigkeiten ihre Namen und die einfachsten Wörter zu buchstabieren. Es stimmt mich dann doch traurig, zu sehen, dass diese Kinder nur wenige Chancen haben, ihre Lebensbedingungen zu verbessern. Vor allem, wenn ich überlege, wie Kinder in Deutschland aufwachsen. Wie viel Wissen Vierjährige in Deutschland über die Welt haben. Das ist unglaublich im internationalen Vergleich. Und hier zeigt sich wirklich, dass Wissen Macht ist. Und vor allem sehr vieles ermöglicht.
Trotz allem waren die Quizze immer ein großer Erfolg und ein großer Spaß für alle. Besonders in dem einen Dorf, in dem die Kinder sich gegenseitig Wörter zum Buchstabieren vorgegeben haben. Und dann kamen Sachen wie „Spell for me: hippopotamus“ oder „Spell for me: Environment“. Nicht ganz easy, wie ich finde. Anderen Ortes hingegen, haben wir jedes Kind CUP buchstabieren lassen, damit jede und jeder ein Heft und einen Stift abbekommen konnte. Ich war etwas neidisch auf die coolen MARVEL Hefte. Ich muss mal schauen, ob ich die hier in Freetown irgendwo finde…
Nach den Kindern gab es noch ein Quiz für die Erwachsenen. Für die gab es als Preise natürlich keine Hefte und Stifte, sondern Zahncreme, Seifen und Sandalen. Teilweise ging es sehr emotional und engagiert zur Sache. Die Erwachsenen sollten das Wissen wiederholen, dass wir zuvor vermittelt hatten. Eine große Unterhaltungsshow für das ganze Dorf. Nach dem Quiz wurde der Fernseher angemacht und Naturdokumentationen und Dokumentationen zu den Themen Biodiversität und Conservation gezeigt. Das kam natürlich immer super an. Vor allem, da es in den meisten Dörfern keinen Fernseher gibt. Besonders die Reportage aus Freetown über den Landslide vor ein paar Jahren stieß immer auf großes Interesse und große emotionale Teilhabe. In der Nähe von Freetown gab es vor ein paar Jahren einen Erdrutsch an einem Hügel, an dem der Wald abgeholzt worden war und Menschen ihre Häuser gebaut haben. Viele kamen ums Leben. Einerseits haben einige wahrscheinlich das erste Mal Bilder ihrer eigenen Hauptstadt gesehen und dann ist es natürlich immer berührender, wenn ein Unglück in der direkten Umgebung passiert. Kennen wir ja alle.
Und weil wir nicht von Luft und Regenwasser leben, gab es in jedem Dorf auch etwas zu Essen. Es wurde für alle gekocht. Und zu unserer großen Freude in jedem Dorf das gleiche. Das heißt, für uns gab es eine Woche lang Reis mit Casava leave. Muss man auch mögen… Meine Kollegin hatte nach drei Tagen schon genug und hat immer versucht, Essensalternativen mitzunehmen, wenn wir zwischendrin mal in der Stadt waren 😊
Der Tanz mit dem Teufel geht weiter
Wir wurden immer mit dem Tanz des Teufels begrüßt, doch auf einer der langen Autofahrten ist mir eingefallen, wofür wir den Ausdruck „du tanzt mit dem Teufel“ noch benutzen. Für die Dorfbewohnerinnen und -bewohner ist der Schutz des Waldes genauso ein Tanz mit dem Teufel wie die Abholzung. Die Menschen leben vom Holz. In fast jedem Dorf haben sie uns gefragt, wovon sollen wir leben, wenn wir den Wald nicht weiter als Holzquelle nutzen dürfen? Wie sollen wir Geld verdienen, das wir brauchen, um Essen zu kaufen, das wir nicht selbst anbauen können; um Baumaterialien für unsere Häuser zu kaufen; um Kleidung und Schulmaterialien zu kaufen?
Die Menschen machen aus dem Holz Holzkohle, die sie verkaufen. Das ist meist die einzige Einnahmequelle. Wenn sie also kein Holz mehr schlagen, verlieren sie ihre Einnahmequelle. Zugleich wissen sie, dass – wenn der Wald schwindet – auch ihre Lebensgrundlage schwindet. Je mehr Wald, umso mehr Wasservorräte, umso mehr Pflanzen, umso bessere Böden. Sie wissen das. Aber was tun, wenn man auch irgendwie überleben muss? So oder so – eine Situation mit wenigen Perspektiven.
Abhängigkeit von internationalen Geldern
Für uns ist das etwas schwierig. Unsere Arbeit ist sehr stark von Geldern internationaler Organisationen abhängig. Im Endeffekt können wir nur das machen, was die Geldgeber uns erlauben. Wenn wir in Projektanträge sogenannten Livlihood Komponenten aufnehmen – also Elemente mit denen in den Dörfern alternative Einkommensmöglichkeiten eingeführt werden – und die Geberorganisationen diese Komponenten streichen und nicht fördern, können wir kaum etwas in dieser Richtung unternehmen. Was bringt all die Awarnessbildung und Aufklärung, wenn die Menschen zwar verstehen, dass sie den Wald schützen sollen und auch verstehen, weshalb das auch für sie gut ist, wenn sie zugleich ihr tägliches Überleben sichern müssen…
Nach einer Woche Roadshow habe ich wieder viele neue Eindrücke, war um einiges entspannter als zuvor und habe mich trotzdem sehr gefreut, als ich wieder zurück in Freetown in meiner Wohnung war.
Hier nun noch ein paar Eindrücke aus den Dörfern, mit meinem Lieblingsbild als Start, dem schönsten Moskitonetz ever und Fotos unserer einen Unterkunft sowie der Schulküche. Die Lehrkräfte waren nicht da, weil gerade Ferien sind, so dass wir in den Häusern der Lehrer übernachteten. Achso, und einen Hahn hab ich natürlich auch geschenkt bekommen, genauso wie einen superschönen Hut…
Und wer sich schon die ganze Zeit fragt, weshalb das so verdammt lange dauert, bis ich endlich mal wieder einen Post veröffentliche, denen sei gesagt: Life no easy na Salone. Ist gerade alles etwas anstrengend hier, deshalb bleibt einfach zu wenig Energie für Artikel und zu wenig Geduld mit dem langsamen Internet zum Bilderhochladen.
Aber nachdem gestern meine Wohnung vom tropischen Sturm geflutet wurde und ich die Schwierigkeiten beim Waschmaschinen- und Herdkauf sowie Anschluss der selbigen nun hinter mir habe, hoffe ich, dass sich auch die Zusammenarbeit mit meinen Counterparts bald einspielt und die anstrengende Phase bald einer entspannteren weicht. In diesem Sinne hoffe ich auf einen weiteren Post in Kürze 🙂
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