Monat: Mai 2022

Alltagsanstrengung und Erholungsinseln

Eine Freundin von mir ist seit Oktober 2020 in Liberia, ebenfalls als Fachkraft von Brot für die Welt. Ich kann mich noch gut erinnern, dass ich es anfangs nicht immer nachvollziehen konnte, wenn sie von der konstanten Anstrengung und dem ständigen Erschöpfsein gesprochen hat. Selbst als ich selbst schon in Sierra Leone war. Aber jetzt muss ich einsehen, sie war mir einfach sechs Monate voraus. 😉

Ich erinnere mich auch, dass ein Freund von mir hier immer sagt, das Wichtigste ist, dass du immer Strom und Wasser zuhause hast. Das entlastet enorm. Ich muss mittlerweile auch ihm Recht geben. Es ist zermürbend, sich um die immer gleichen Dinge zu kümmern und keine Lösung zu finden. So hatte ich in den letzten drei Wochen eine einzige normale Dusche bei mir zuhause, sonst immer Eimerdusche. Eimerdusche bedeutet, dass kein Wasser aus der Leitung kommt, sondern das Wasser im Eimer oder Kanister wartet. Das mag beim Duschen etwas nervig sein, wenn es aber darum geht, den täglichen Abwasch zu machen oder noch wichtiger: die Klospülung zu betätigen, merke ich schnell, dass Wasser aus der Leitung ein unglaubliches hohes Gut ist, auf das ich eigentlich nicht ständig verzichten möchte. Vor allem, da ich nie weiß, wann kommt denn nun wieder Wasser aus der Leitung?

Water no dae

Theoretisch kommt bei uns dienstags, donnerstags und Samstagnacht Wasser von der Guma Valley Company, die Freetown mit Wasser versorgt. Seit ein paar Wochen schon klappt die Versorgung nicht wirklich, da nicht genug Wasser im Staudamm ist und somit der Wasserdruck nicht ausreicht, um das Wasser in die Stadt zu befördern. Falls doch Wasser zu uns kommt, muss es erst noch von einer Pumpe in den Tank auf dem Dach gepumpt werden, damit es von dort in Richtung meiner Wasserhähne fließen kann. Ist nun gerade kein Strom da, wenn das Wasser kommt, dann geht die Pumpe nicht und der Tank bleibt leer. Für diesen Fall gibt es noch den Generator. Ist aber kein Benzin da, dann hilft auch der Generator nicht. Und wenn dann noch jemand das Kabel verräumt, mit dem die Pumpe an den Generator angeschlossen wird, dann hilft es auch nichts, wenn ausreichend Benzin da ist. Ihr seht also, es ist nicht so einfach, das Wasser in den Wassertank zu bekommen. Deshalb lebe ich seit ein paar Wochen aus Eimern.

Wenn der Tank leer ist, warte ich also erst, ob am Dienstag, Donnerstag oder Samstag Wasser kommt. Wenn nicht, informiere ich den Landlord und den Hausverwalter. Theoretisch müssen sie sich dann darum kümmern, dass ein Wassertanker kommt und unseren Tank auffüllt. Zweimal kam auch schon der Löschwagen der Feuerwehr, um unseren Tank aufzufüllen. Da aber nicht nur wir Wasserprobleme haben, ist es nicht so leicht, jemanden zu finden, der Wasser liefert. Manchmal dauert es 2-3 Tage, bis der Tank gefüllt wird. Manchmal auch noch länger.

Da es in letzter Zeit öfter zu Wasserknappheit gekommen ist, bin ich mittlerweile ganz gut vorbereitet. Als ich mit Hummel in der Shoppingstraße in der Innenstadt war, haben wir einen 100l Behälter gekauft, der die perfekte Größe hat, um ihn im Keke nach Hause zu transportieren, außerdem habe ich zwei von diesen gelben Kanistern, die auch jeweils so 20 Liter fassen und noch ein paar Eimer, die auch alle 5-20 Liter Fassungsvermögen haben. Jedes Mal, wenn Wasser kommt (oftmals mit geringem Druck, so dass es eher ein Tröpfeln als ein Fließen ist), fülle ich also meine Eimer und Wasserbehältnisse, damit ich dann Wasser habe, wenn der Druck nachlässt oder der Tank leerer wird. Oder eben auch einfach, weil der Druck nicht ausreicht, um zu Duschen oder Abzuspülen. Natürlich teile ich mein Wasser gerne, mit allen bedürftigen Lebewesen. Aber ich muss zugeben, dass meine Pflanzen gerade weniger Wasser bekommen als sonst. Ich hoffe, sie überstehen diese Dürreperiode mit mir zusammen. Einige von ihnen stecken es gut weg.

Ich könnte ganz gut mit dieser Situation leben, wenn ich wüsste, dass es einfach gerade kein Wasser gibt. Aber mein Nachbar, der unter mir wohnt und der den gleichen Tank benutzt wie ich, bekommt die ganze Zeit Wasser aus seiner Leitung. Ergo: da stimmt etwas mit den Leitungen nicht, die in meine Wohnung führen. Es hat eine Weile gedauert, dieses Problem entsprechend zu kommunizieren. Zuerst dachten wir, ich hätte ein Air-Lock in meiner Leitung. Das kann man aber nur beheben, wenn ausreichend Wasser im Tank ist, was ja die ganze Zeit nicht der Fall war. Nun habe ich festgestellt, es kann kein Air-Lock sein. Es muss etwas anderes sein. Das nervige ist, dass ich das selbst überlegen und feststellen muss. Das Problem ist, dass ich mich nicht sportlich genug fühle, um selbst zum Tank hochzuklettern und mir das Ganze mal anzuschauen. Es ist anstrengend, für alles selbst Lösungen finden zu müssen, um dann den Handwerkern zu erklären, was ich denke, was das Problem ist und wie es wohl behoben werden könnte. Ich lobe es mir, einfach einen Handwerker zu rufen, der macht die Fehleranalyse und kommt mit einem Lösungsvorschlag, der sinnvoll ist und das Problem wirklich behebt. Das wäre ein Traum, wenn das klappen würde.

Heute Nachmittag kommt der Klempner nochmal. Ich hoffe, dann bekommen wir das endgültig hin und ich habe bald wieder Wasser aus der Leitung!

Das ewige Lied vom Strom

Dass es in der Trockenzeit schwierig wird mit Wasser und Strom, wurde mir schon angekündigt. Und es stimmt leider. Von Neujahr bis Anfang Februar hatten wir fast 24 hours Strom. Das hat uns etwas verwöhnt. Nun sind wir seit Februar wieder eingeschränkter in der Stromversorgung. Ich wollte mir deshalb endlich Solarzellen aufs Dach setzen. Ich habe schon den Kostenvoranschlag. Der Solar-Typ war da. Leider, leider, habe ich mir auch das einfacher vorgestellt, als es ist. Mein Landlord erklärte mir, das Dach ist von so schlechter Qualität, dass wir keine Solarzellen darauf befestigen können. Er meinte, er müsse erst das Dach erneuern. Na gut, denke ich mir. Dann kaufe ich eben nur die Batterien und lade sie mit Nicht-Öko-Strom auf und nutze sie wie große Powerbanks, so dass mein Kühlschrank auch läuft, wenn kein Strom da ist und mir die Milch nicht schlecht wird. Das war Mitte/Ende April. Ich wollte mir Geld von Deutschland hierherschicken, damit ich mir die Batterien kaufen kann. Aber wieder einmal hieß es: not so easy! Die online-Überweisung funktionierte nicht. Nach einigem Hin- und Her habe ich mir nun Geld auf das Konto von einem Bekannten überwiesen. Das Geld ist auch tatsächlich auf seinem Konto angekommen. Es ist also schon im Land. Ein riesiger Fortschritt! Leider war der Bekannte letzte Woche up-country, so dass ich nochmal eine Woche warten musste, bevor ich mein Geld haben würde und mir die Batterien kaufen könnte. Gestern wollten wir das Geld dann von der Bank holen, aber leider hatte die Bank schon um 15h zu gemacht. Also wieder nichts. Das nächste Bank-Date haben wir am Freitag. Ich bin mir jetzt schon sicher, dass wieder irgendetwas sein wird, weshalb ich mein Geld nicht bekomme. Vielleicht nicht ausreichend Scheine da oder so etwas. Mal schauen. Es bleibt also spannend, ob ich es noch dieses Jahr schaffen werde, meine Stromversorgungssituation zu verbessern.

I am not the pushing type of person

Wer mich gut kennt, weiß, dass ich eigentlich vom Typ her nicht die Person bin, die andere mit voller Energie ansteckt und immer die treibende Kraft ist. Nun finde ich mich hier in einer Situation wieder, in der ich genau diese Rolle übernehmen muss. Das ist eigentlich gegen meine Natur. Mein natürliches Ich wartet gerne ab, bis sich Probleme von selbst lösen oder mir jemand einen Tritt verpasst, um mich in Bewegung zu bringen. Es gibt hier aber niemanden, der mir diese „motivierenden Tritte“ verpasst. Ich muss sie mir selbst geben. Und dazu noch allen anderen.

In der Arbeit habe ich gerade mehrere Projekte am Laufen, die alle in einem ähnlichen Stadium sind: im Planungs- und Organisationsstadium. Leider ist das nicht die Stärke der Kolleginnen und Kollegen. Ich merke, dass es sehr frustrierend für mich ist. Ich brauche endlich mal wieder einen Umsetzungserfolg. Endlich mal wieder ein Ergebnis. Die Planung hier ist nicht, wie ich Planung machen würde. Es wäre so viel vorzubereiten und zu organisieren, damit unsere nächsten Events und Aktivitäten gut werden, aber ich kann immer nur einen Teil der Arbeit alleine machen und muss dann wieder auf Rückmeldung und Feedback warten. Deshalb habe ich gerade auch so viel Zeit, euch mein ganzes Leid zu klagen. Weil ich hier im Büro sitze und darauf warte, dass meine Kolleginnen und Kollegen, Rückmeldung geben, zu Sachen, die ich vor drei Wochen das erste Mal an alle geschickt habe. Das Problem ist – es klang ja schon in meinem letzten Beitrag an – ich finde, unser Ruf ist nicht der beste. Es ist mir hoch unangenehm, wenn wir nun groß verlauten, dass wir eine Kampagne starten wollen und dann sind wir diejenigen, die am schlechtesten dafür vorbereitet sind. Hinzu kommt, dass ich wahrscheinlich auch frustriert bin, weil ich so vieles immer noch nicht checke. Und wenn es nur darum geht, welche Logos auf ein Workshop-Zertifikat müssen. Eigentlich müsste ich es aus dem BAMF ja gewohnt sein, dass immer, wenn ich denke, jetzt ist alles fertig und dieses Mal habe ich wirklich an alles gedacht, dass dann doch jedes Mal wieder etwas aufkommt, was ich eben nicht bedacht habe und ich alles nochmal anpassen muss. So bin ich zwar gut darin, meine Listen zu erstellen, aber irgendwie klappt es nicht so gut, mit dem Streichen von Dingen auf der To-Do-Liste. Es kommen immer neue Sachen dazu, ohne das die alten abgearbeitet sind. Und dann verzögert sich immer wieder vieles, weil Kolleginnen oder Kollegen nicht da sind, die entscheidend sind für das Vorankommen. Jemand ist krank, andere Sachen sind zu tun, dann wird wieder etwas vergessen. Vieles könnte gelöst werden mit besserer Arbeitsplanung auf individueller Ebene und auf Organisationsebene. Ich weiß aber noch nicht, ob ich diese riesen Baustelle angehen möchte und dafür genug Energie habe.

Plastik – überall Plastik

Ich merke außerdem, dass mich aktuell die Plastikverschmutzung stark belastet. Sie ist überall sichtbar. Mehr als sichtbar. Ich sehe schon fast das Meer vor lauter Plastik nicht. Das sei hier aber nur als Randnotiz erwähnt. Ich denke, dieses Thema ist zu wichtig, um es zwischen Stromknappheit, Wassermangel und Arbeitsstress zu platzieren. Ich möchte es aber auch nicht unerwähnt lassen, wenn ich nun schon am Aufzählen bin, was mich gerade so anstrengt. Der Plastikmüll überall gehört auf jeden Fall dazu. Sobald das mit dem Wald angestoßen ist, möchte ich mich umgehend um das ganze Plastik kümmern. Ich habe schon ein paar Ideen und habe schon mit ein paar innovativen Start-Ups Kontakt aufgenommen. Jetzt muss nur noch ein Schuh daraus werden. Und dann ziehe ich mir das nächste unlösbare Projekt an Land 🙂

Resilienz und Erholungsinseln

In der Vorbereitung ging es auch um Resilienz und darum zu überlegen, wo meine Inseln im Alltag sind, auf denen ich Kraft schöpfen kann. Meine wichtigsten Inseln sind natürlich meine Familie und meine Freundschaften zuhause. Die sind leider etwas weit weg. Meine anderen Inseln sind Sport. Aber ich bin oft so erschöpft abends, dass ich mich nicht immer aufraffen kann. Aber ich schaffe es dann doch immer ganz gut, am Morgen wieder mit neuem Elan aufzustehen und auf ein Neues zu versuchen, mit Energie an die Arbeit zugehen.

Ziemlich am Anfang meiner Zeit hier ist mir ein Spruch begegnet. Er begleitet mich immer noch und ist gerade mein Mantra:

Mögen deine Entscheidungen deine Hoffnungen widerspiegeln,
nicht deine Ängste.

Nelson Mandela

Ängste ersetze ich ab und an gerne mit „pessimistischen Erwartungen“ oder auch mit „Erfahrungen aus der Vergangenheit“. 😉

[Noch eine kleine Anmerkung: Der Spruch begleitet mich wirklich schon, seitdem ich hier bin. Ich glaube, Karina hat ihn mir geschickt? Danke nochmals dafür. Gerade habe ich nachgeschaut, von wem der Spruch eigentlich stammt und habe mich fast totgelacht, dass ich hier so Klassiker bediene wie Nelson Mandela. Vielleicht kommt demnächst noch der Dalai Lama und Sophie Scholl dazu 😉 ]

Ich weiß auch, dass es ein bisschen unklug war, mehrere Projekte gleichzeitig anzustoßen, so dass ich in allen im gleichen Stadium stecke und in keinem Erfolge oder Ergebnisse habe. Das Gute ist: eines meiner kleinen Projekte wird diese Woche noch abgeschlossen und umgesetzt (unser Photo-Workshop, den wir seit November machen wollen). Darauf freue ich mich schon jetzt sehr. Das kann ich dann abhaken 😊 Ein weiteres Teilprojekt wird kommende Woche realisiert (unser erstes Round-Table-Meeting für die Kampagne) und ein drittes wird in der ersten Juniwoche umgesetzt (unsere Tree Planting Aktion zum World Environment Day). Es ist also sehr absehbar, dass diese anstrengende Phase bald überstanden ist. Bestimmt warten dann neue Anstrengungen und Herausforderungen, aber denen werde ich dann auch hoffnungsvoll begegnen. Mal entspannter, mal gestresster, wie es eben so ist im Leben. Einige dieser neuen Projekte stehen schon in der Pipeline: die Weiterentwicklung der Ökolodge in Big Water, die Videos, die ich machen will, und weitere Aktionen für die Kampagne für den Wald.

Bis dahin vertreibe ich mir die Zeit aber nicht einsam zuhause, wie ihr euch denken könnt. Auch wenn meine wichtigsten Erholungsinseln in Deutschland sind, habe ich hier auch schon ein paar kleine Inselchen, die mir helfen wieder Kraft zu tanken. Da war zum Beispiel die Reggae Night anlässlich des Todestages von Bob Marley letzte Woche, auf der das Salone Reggae Movement bestehend aus 16 Künstlerinnen und Künstlern den ersten Salone Reggae Riddim vorgestellt hat. Dann war ich noch auf einer Bootstour Richtung Norden an der Küste entlang (leider auch begleitet von sehr viel Plastikmüll in den Wellen um uns herum) und am Sonntagabend war die sierra-leonische Premiere des Films „Sing, Freetown“, bei der sogar der Präsident höchstpersönlich anwesend war.

Ich schwanke immer wieder zwischen Ball flacher halten und nicht so viele Projekte anstoßen und wildem Aktionismus, weil ich denke, es gibt so viel zu tun und ich habe so viele Ideen, die ich umsetzen möchte. Vielleicht lerne ich es irgendwann noch, eine gesunde Balance zu finden. Bis dahin müsst ihr damit leben, dass ich immer mal wieder von Anstrengung und Erschöpfung schreibe, während ich zugleich abends den Sonnenuntergang über dem Meer genießen kann.

Ich wünsche euch auf jeden Fall, dass eure Entscheidungen eure Hoffnungen und nicht eure Ängste widerspiegeln und ihr alle eure Erholungsinseln kennt und sie immer in erreichbarer Nähe für euch sind.

Das Unmögliche wagen: den Wald retten

Das Unmögliche wagen. Das kann hier bedeuten, zu versuchen, den Western Area Peninsula Forest National Park zu schützen. Beziehungsweise, die Regierung daran zu erinnern und den Druck auf sie zu erhöhen, die Gesetze, die den Wald schützen, auch durchzusetzen. Ihr merkt es schon. Heute geht es mal wieder um meine Arbeit.

Freetown liegt am Nordzipfel der Peninsula. Die Peninsula ist wunderbar hügelig und war bis vor wenigen Jahren mit dichten Wäldern überzogen. Schönen Regenwäldern. In den Wäldern leben Schimpansen, verschiedene Affen, Schuppentiere und natürlich viele Vögel, Kreuch- und Fleuchtiere und Insekten. Es leben aber auch schon seit vielen Jahrhunderten Menschen an der Küste und in der Region von Freetown. Das war bisher keine zu große Gefahr für den Wald. Denn es waren nicht so viele Menschen wie heute.

Ungebremstes Bevölkerungswachstum auf der Peninsula und forteilende Entwaldung

Während des Bürgerkrieges in den 1990er Jahren sind viele Menschen aus den Provinzen in die Hauptstadt geflüchtet. Sie sind nach dem Krieg nicht wieder in ihre Heimatorte zurückgekehrt, sondern in Freetown geblieben. Zugleich nahm das Bevölkerungswachstum zu, so dass immer mehr Menschen auf der Peninsula leben. Da die Menschen irgendwo wohnen wollen bzw. müssen, wird immer mehr Wald abgeholzt, um Platz für Häuser zu schaffen und um Holzkohle herzustellen, die die meisten Menschen zum Kochen verwenden.

Freetown erstreckt sich bis über die Hügel, auf denen früher dichter Wald stand:

Mein Herz blutet!

Immer wenn ich aus Freetown Richtung Strand fahre oder in die andere Richtung aus Freetown hinaus Richtung up-country, blutet mein Herz. Es geht erst 30 – 60 Minuten (je nach Richtung, die ich einschlage) vorbei an traurig aussehenden, abgeholzten Hängen. Kahl und anklagend stehen sie da. Verwüstung, Zerstörung, Kahlschlag. Wenn ich etwas weiter nach Süden fahre, sehe ich die grünen Hügel. So sollte eigentlich alles hier aussehen. Aber in der Nähe Freetowns stehen kaum noch Bäume auf den Hügeln. Dafür halbfertige Häuser, Wellblechhütten und halbfertige Mauern, die Grundstücke eingrenzen. Die Häuser sehen nicht so aus, als wären es die armen Bevölkerungsschichten, die sich hier ein Zuhause bauen. Es sind wahre Prachtvillen, die da am Entstehen sind. Immobilienspekulationen machen auch vor Sierra Leone nicht halt. Und ein Grundstück in der Nähe der Strände und zugleich mit direkter Anbindung zur Hauptstadt, ist natürlich nicht ohne.

Save the Forest now – sonst ist es zu spät!

Meine Organisation, die Conservation Society of Sierra Leone (CSSL), ist genau die richtige, um hier etwas zu unternehmen. Bisher haben wir allerdings hauptsächlich Projekte in anderen Regionen des Landes. Da unsere Arbeit stark von Projektmitteln abhängig ist, können wir kaum eigenständig entscheiden, wo wir was machen. Für alles müssen immer Gelder beantragt sein, diese dürfen dann nicht für andere Sachen oder an anderen Orten verwendet werden. Deshalb habe ich mir überlegt, wir starten eine Kampagne über die Projektgelder, die an meinen Aufenthalt hier gebunden sind. Wenn wir jetzt nicht damit starten, den Wald zu retten, wird es bald keinen Wald mehr geben, der geschützt werden muss.

Forest loss – eine globale Gefahr

Erst wollte ich schreiben: „Forest loss – ein globales Problem / eine globale Herausforderung“. Aber dann ist mir klar geworden, es geht hier nicht um ein Problemchen oder eine Herausforderung, die es zu bewältigen gibt. Es geht um eine sehr akute Gefahr, die es abzuwenden gilt!

Alleine im Jahr 2021 haben wir auf der ganzen Welt 3,75 Millionen Hektar primären Regenwald verloren. Das sind 10 Fußballfelder pro Minute! Das ganze Jahr über. Viele Analysen konzentrieren sich auf tropische Regenwälder, wenn es um die Betrachtung der Deforestation geht, da die Regenwälder am wichtigsten sind um den Klimawandel aufzuhalten und zugleich sind es auch meist die tropischen Regenwälder, die von Menschen abgeholzt werden und nicht wegen natürlichen Bränden oder ähnlichem Schwankungen erfahren.*

Sierra Leone gehört nicht zu den Ländern, mit den größten Abholzungsflächen im weltweiten Vergleich. Das liegt daran, dass das Land gerade einmal so groß ist wie Bayern und deshalb flächenmäßig mit Brasilien oder der Demokratischen Republik Kongo gar nicht mithalten kann. Als ich mir aber auf der interaktiven Karte des Global Forest Watch die Entwicklung der Entwaldung in Salone in den letzten Jahren angeschaut habe, bin ich dann dennoch erschrocken.

Die Bilder zeigen die Ausdehnung des Waldgebietes. Die grünen Flächen sind bewaldet, die lilalen entwaldete Gebiete. Das erste Bild zeigt den Stand im Jahr 2001, also vor zwanzig Jahren. Das zweite Bild zeigt 2015 und das dritte die Realität im Jahr 2021. Die Bilder zeigen eindrücklich, dass innerhalb der letzten Jahre weit mehr abgeholzt wurde, als in den fünfzehn Jahren zuvor.

Die große grüne Fläche rechts unten ist der Gola Rain Forest National Park. Er befindet sich größtenteils in Liberia und nicht in Sierra Leone. Am Gola sieht man, dass es möglich ist, Waldflächen zu schützen, wenn ausreichend finanzielle Mittel und nationales und internationales Commitment vorhanden sind.

Wasserknapptheit, Landslides und Erosion

Alles ganz tragisch, aber was soll man machen? Irgendwo müssen die Menschen ja wohnen und sie brauchen eben auch Holz zum Kochen und Bauen. Viele Menschen in den forest edge communities, mit denen wir reden, sind eher gegen uns. Sie denken, wir wollen sie nur davon abhalten, den Wald zu nutzen und schaden ihnen damit. Aber es geht schon lange nicht mehr darum, den Wald und die Tiere zu schützen. Es geht hier in Sierra Leone schon längst darum, das Überleben und das tägliche Brot der Menschen langfristig zu sichern. Dadurch, dass die bestehenden Grenzen des Schutzgebietes nicht respektiert werden und die Waldfläche immer weiter dezimiert wird, verschlechtert sich nicht nur die Bodenqualität für die Landwirtschaft, das viel größere Problem ist, dass unsere Wassersammelbecken nicht mehr genug Wasser haben, um uns durch die Trockenzeit zu bringen. Seit März schon gibt es ständig kein Wasser in Freetown. Einer der Gründe dafür liegt in den abgeholzten Hängen.

Eine weitere Gefahr kommt nun in der Regenzeit wieder auf uns zu: der Starkregen wäscht die trockenen, oberen Erdschichten weg, so dass es zu Schlammlawinen und Erdrutschen kommt. Wo vorher der Wald die Hänge befestigt hat und das Wasser aufgenommen hat, stürzt es jetzt hinab und begräbt alles was nicht schnell genug weg ist unter sich. Vor fünf Jahren gab es einen ziemlich schlimmen Erdrutsch. Über tausend Menschen sind gestorben. Leider wurden keine Lehren daraus gezogen. Eigentlich kann man nur warten, wann es zur nächsten Katastrophe kommen wird.

Die Strategie derjenigen, die die Entwaldung vorantreiben, ist folgende: erst Feuer legen, dann brennt ein Teil des Waldes nieder. Dann ist es eh kein richtiger Wald mehr und dann kann man ganz unschiniert abholzen. Ein Problem bei der Sache ist, dass die Regierungsstellen, die eigentlich für den Schutz des Waldes zuständig sind, gerne ein Auge zudrücken, wenn die entsprechende Person kommt oder der Geldbeutel weit genug aufgemacht wird. Außerdem gibt es nicht genug Forestguards, die auf Kontrolle gehen. Und selbst wenn die Guards dann jemanden stellen, sind sie oft diejenigen, die nicht bewaffnet sind, weshalb es kaum zur Verfolgung und zu Festnahmen kommt. So kommt es, dass nicht nur in Sierra Leone, sondern weltweit, ein Großteil der tropischen Wälder innerhalb von offiziell anerkannten Schutzgebieten abgeholzt wird. Es fehlt einerseits an den finanziellen Mitteln, um die nötigen Schutzmaßnahmen zu ergreifen, aber hauptsächlich fehlt es am politischen Willen, die Gesetze wirklich durchzusetzen.

Glück im Unglück

Vor wenigen Wochen aber, da haben „sie“ es zu weit getrieben. Sehr nahe am Guma Water Reserve wurde ein Brand gelegt. Das hat sogar den Präsidenten auf den Plan gerufen, der tatsächlich hingefahren ist, um sich das ganze anzuschauen. Alleine durch seine Präsenz wurde ein sehr klares Zeichen gesetzt. Es sieht so aus, als würde die Regierung es nun ernst nehmen, mit der neuen Demarkierung der geschützten Fläche und der Durchsetzung der Gesetze. Ich denke, die Regierung weiß, dass wir vor sehr großen Problemen stehen werden, wenn wir kein Wasser mehr haben in Freetown.

Unten seht ihr die Fotos vom Brand, die über whatsapp geteilt wurden. Und Fotos wie es dann aussieht, wenn angefangen wird zu bauen.

Uns kommt das sehr zu pass. Wo wir doch für dieses Jahr vorhatten, uns für den Schutz des Waldes einzusetzen. Wir müssen also die Gunst der Stunde nutzen. Und da wird es schon wieder schwierig. CSSL ist nicht gerade bekannt für schnelle und gezielte Aktionen 😉 Mal schauen, ob ich das ändern kann.

Wir haben den Stein auf jeden Fall schon ins Rollen gebracht. Im ersten Schritt wollen wir uns mit like-minded Organisationen zusammentun. Viele arbeiten in einem ähnlichen Bereich, wir haben alle viel Wissen, viele Kontakte und Erfahrungen in dem Bereich. Ich bin der festen Überzeugung, wenn wir es schaffen, zusammenzuarbeiten und unsere Kräfte zu bündeln, können wir dieses Mal wirklich etwas erreichen. Wir haben Einzelgespräche mit unseren Partnern geführt, als nächstes wird es einen runden Tisch geben, an dem wir unsere gemeinsame Strategie entwickeln und verfeinern können und dann legen wir hoffentlich gemeinsam und voller Motivation los, damit auch in fünf Jahren noch Bäume auf den Hügeln der Peninsula stehen, die Menschen in Freetown ohne Sorge vor Wasserknappheit und Erdrutschen leben können und die Schimpansen und Pangolins nicht weiter um ihren Lebensraum fürchten müssen.

In diesem Sinne: drückt mir die Daumen und leistet euren Beitrag zum Klimaschutz!

*Mehr Infos und Zahlen gibt es zum Beispiel beim World Resource Institute.

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