Monat: August 2022

Vom Regen in den Sturzbach

Wie unpassend, dass ausgerechnet jetzt die Sonne hinter den Wolken hervorkommt. Aber zugleich ist es auch ein Segen, dass es endlich einmal nicht regnet und die Sonne uns allen wenigstens kurz zeigt, dass sie noch da ist. Seitdem ich zurück bin, regnet es fast die ganze Zeit. Dieses Jahr macht die Regenzeit ihrem Namen alle Ehre und lässt uns die Naturgewalten spüren.

Bevor ich letztes Jahr nach Salone gekommen bin, hieß es immer, wenn du bis Ende Juli keine Freundschaften geschlossen hast, dann wirst du sehr einsame Wochen verbringen, weil in der Regenzeit alle zuhause bleiben und niemand ausgeht. Dann hat es letztes Jahr aber gar nicht so viel geregnet und ich dachte, das sind alles Übertreibungen. Jetzt weiß ich, es war nicht übertrieben!!!! Manche Dinge lerne ich wirklich erst in Jahr 2 😉

Am Sonntag zum Beispiel hat es von morgens um 3 oder 4 bis abends um sieben durchgeschüttet. Dass es überhaupt so viel Wasser da oben in den Wolken gibt, hat mich sehr erstaunt. Irgendwann müssen die doch mal leer geregnet sein. Aber nein. Als es abends aufgehört hat zu schütten wie aus Eimern, regnete es nur normal weiter. Bei mir in der Wohnung regnet es auch immer an vier Stellen, wenn es draußen stark regnet, weil mein Dach nicht ganz dicht ist. Aber das nehme ich gerne in Kauf, wenn ich sehe, wie es in anderen Stadtteilen aussieht und wenn ich in den sozialen Medien mitbekomme, wie es anderen Menschen bei dem Dauer-Stark-Regen ergeht.

Überflutete Straßen – oder war das schon immer ein Fluss hier?

Der Regen hatte mich schon direkt nach meiner Ankunft in Empfang genommen. Als wir während des Curfews zuhause saßen, haben wir noch gescherzt, dass eh niemand rausgehen würde, weil es so stark regnete. Am Montag nach meiner Ankunft sind wir aber trotzdem in unser asiatisches Karaoke-Restaurant, weil ein Freund von mir Geburtstag hatte. Wir waren die einzigen Gäste, kein Wunder bei dem Regen. Freddy, der noch unterwegs war, hat aus dem Keke Videos geschickt. Er steckte fest, weil eine der großen Straßen in Freetown vollständig überschwemmt war. Ich zeige euch hier ein paar Videos aus den sozialen Medien. Quelle und Ursprung unbekannt (bis auf Freddys Video), da mehrfach geteilt und weitergeleitet. Aber so bekommt ihr einen kleinen Eindruck davon, was es heißt, wenn es in den Whatsapp-Gruppen auf einmal heißt „Weiß jemand, ob man gerade die Wilkinson entlang kommt?“

An diesem Abend regnete es zwar sehr stark und Straßen wurden zu Sturzbächen, aber es wurde nicht von Opfern berichtet. Das ist in jeder Regenzeit die größte Sorge hier. Viele Menschen leben sehr nahe an den Wasserwegen oder unten am Meer in Wellblechhütten. Wenn Starkregen kommt, schießen die Wassermassen von den Hügeln ins Tal und reißen alles und jeden mit. Letztes Jahr gab es kaum Überflutungen und kein einziges Todesopfer. Es gab aber auch nicht viel Regen. Dieses Jahr sieht es leider anders aus.

Gedenken an die Opfer des Mudslides 2017

Bei lange andauerndem Starkregen kommen die Gespräche früher oder später immer auf den 14. August 2017. Vor fünf Jahren ereignete sich eine sehr schlimme Katastrophe. In den frühen Morgenstunden wachten die Menschen in Mortomeh, das ist ein Stadtteil von Freetown, von lautem Grollen auf. Einige dachten, es wäre ein Donner – obwohl es im August eigentlich nie donnert. Es war kein Donner. Ein riesiger Hangabschnitt hatte sich gelöst und rutschte in die Tiefe. Nach drei Tagen Dauerregen war der Untergrund nicht mehr fest, der abgeholzte Hügel hatte nichts mehr, was ihn hielt, so rutschte eine unglaubliche Schlammlawine ins Tal und begrub Häuser und Menschen unter sich. Über 1.000 Menschen verloren an diesem Tag ihr Leben oder gelten immer noch als vermisst. Jede Person in Freetown weiß bis heute ganz genau, was sie getan hat, als sie von dem Unglück erfuhr. Es gehört zum kollektiven Gedächtnis der Stadt. Umso verwunderlicher ist es für mich, dass weiterhin Hügel abgeholzt werden und Häuser darauf gebaut werden. Direkt in der Nähe der Unglückstelle werden auch weiterhin neue Häuser gebaut.

Wir wollten anlässlich des fünften Jahrestages des Unglücks mit community members, der head woman und Vertretern der NDMA (National Disaster Management Agency) einen kleinen Fernsehclip drehen, um einerseits an die Opfer von damals zu erinnern und zugleich die gefährlichen Konsequenzen der Entwaldung zu thematisieren. Ich bin schon öfter an der Stelle mit dem mudslide vorbeigefahren. Man sieht es wie ein Mahnmal der Natur vom Highway aus. Dieses Mal sind wir direkt an den Fuß des Hügels, der abgerutscht ist, direkt an den Rand der red zone. Am Tag bevor wir mit unserem Fernsehteam nach Mortomeh kamen, hat sich ein Riss am Boden aufgetan. Er läuft mehrere hundert Meter in der yellow zone durch Häuser, über Wege den Hügel entlang. Es ist sehr wahrscheinlich, dass es, wenn es so weiterregnet, zu neuen Erdrutschen kommen wird.

Als wir dort waren, haben auch schon die ersten Familien begonnen, ihr Hab und Gut in anderen Häuser zu tragen. Das Problem ist: dort wo sie leben, sollte niemand wohnen. Dort wo neue Häuser gebaut werden, ist eigentlich yellow zone und somit Gefahrenzone. Wieder einmal ist das Problem nicht, dass es keine Gesetze und Regeln gibt, sondern dass diese nicht eingehalten und umgesetzt werden. Gemeinsam mit der head woman, den local chiefs und ein paar community members haben wir uns den Riss angeschaut. Einige Leute sagen, sie würden sofort umziehen, wenn sie die finanziellen Möglichkeiten hätten. Der Executive Director der NPAA (National Protected Area Agency) sagt, alle haben nach 2017 Geld bekommen, um wo anders Grund zu kaufen und ein Haus zu bauen. Aussage gegen Aussage. Keine Ahnung, ob es irgendwo offizielle Dokumente gibt, wer wieviel Kompensation bekommen hat damals. Im kurzen Videoclip kommen alle nochmal zu Wort:

Im Anschluss an die Begutachtung der Lage vor Ort gab es ein Treffen mit Vertretern von UNOPS, Wissenschaftlern, Vertretern des Umweltministeriums und der beiden oben genannten Agency und eben CSSL, vertreten durch mich. Da fällt mir gerade ein, ich wollte ja noch fragen, ob ich die Präsi von den Treffen haben kann. Dort sind einige Drohnenaufnahmen, die zeigen, wie verrückt die Leute teilweise bauen, ohne irgendwelche Reglementierung. Einer hat zum Beispiel die Mauer um sein Grundstück so gezogen, dass er damit einen Wasserweg blockiert. Das Wasser wird nun umgeleitet und flutet eine Straße, die komplett unpassierbar ist, sobald es regnet. Das ist nur ein Beispiel. Bei dem Treffen wurde mir auf jeden Fall sehr klar, dass wir uns sehr glücklich schätzen können, dass nicht jedes Jahr viel mehr Unglücke geschehen während der Regenzeit.

Weil euch ja immer interessiert, was ich eigentlich so mache: Zu diesem Treffen waren eigentlich auch meine Kollegin und der Präsident von CSSL eingeladen. Meine Kollegin war krank und Charles und ich waren parallel noch auf einem anderen Workshop zu KBAs (Key Biodiversity Areas). Davon vielleicht ein anderes Mal mehr. Ich war der Meinung, es ist gut, dass wir ernst genommen werden und eingeladen werden zu diesem Meeting. Also bin ich eben alleine hin, um CSSL zu vertreten. NDMA hatte eingeladen, um Empfehlungen von verschiedenen Organisationen zu bekommen, wie weiter vorgegangen werden sollte. Es ging nicht nur um Mortomeh, sondern allgemein um Orte, die ebenfalls disaster prone sind. Ich denke zwar nicht, dass ich diejenige bin, die da mit dem meisten Sachverstand auftritt, aber meine Beiträge waren trotzdem sehr gut, finde ich zumindest. Eines meiner Anliegen ist, dass CSSL als wichtiger Player wahrgenommen wird. Ich habe auf jeden Fall meinen Senf dazugegeben. Mein wichtiger Beitrag war, dass es mit Sicherheit gut ist, wissenschaftlich fundiert zu argumentieren, weshalb bestimmte Gegenden als red zones markiert werden, wo nicht gebaut werden sollte und wo keine Abholzung und keine Landwirtschaft erlaubt sein sollte und wo am Ende bestehnde Häuser abgerissen werden. Aber die wichtige Frage ist, wie schafft es die Regierung, dass die Menschen nicht einfach wieder kommen und ihre Häuser in diesen gefährdeten Zonen wieder neu bauen. Die meisten Menschen, die zum Beispiel in der Kroo Bay oder Susan Bay leben (das sind zwei Slums unten am Meer), die Menschen wissen, es ist hochgefährlich dort und sie wissen, dass die Wahrscheinlichkeit, dass alles weggespült wird, mit jeder Regenzeit kommt. Aber sie wollen in der Stadt wohnen. Was also ist nötig, damit die Menschen wirklich nicht an Orten bauen, die ganz klar überflutungsgefährdet sind? Und zwar nicht nur, wenn einmal ein Jahrhunderthochwasser kommt, sondern jedes Jahr aufs Neue.

Es regnet, es regnet, kein Ende in Sicht

Als wir in Mortomeh waren, hatten wir großes Glück. Genau die vier Stunden, in denen wir vor Ort waren, war es trocken. Als wir ins Auto stiegen, kamen die ersten Tropfen vom Himmel. Die ganze Woche über regnete es immer mal mehr mal weniger. Am Wochenende dann hörte der Regen allerdings gar nicht mehr auf. Ich wachte Sonntagmorgen so gegen vier auf, weil es so stark geregnet hat. Ich wohne ja direkt unter dem Dach und da ist der Regen sehr laut. Es ist so laut, dass ich nicht telefonieren kann und eigentlich sind auch Stummfilme an solchen Tagen geeigneter als Filme mit Ton. Es schüttete wirklich den ganzenTag. Und dann kamen auch langsam die Videos über die sozialen Medien. Straßen waren zu Sturzbächen geworden, Menschen, die hüfttief durch Wasser waten. Und dann kam das, was viele befürchtet hatten: ein Mudslide, der seine ersten Todesopfer forderte. Eine ganze Familie wurde vom Schlamm begraben. Ein Mädchen konnte noch gerettet werden. Ich zeige euch nicht alle Videos, weil wie schon in einem früheren Artikel geschrieben, nicht immer auf die Privatsphäre von Opfern rücksichtgenommen wird.

Ich glaube, die ganze Stadt hat aufgeatmet, als am Abend der Regen nachließ. Heute, zwei Tage später, scheint auf einmal sogar die Sonne. Ich hoffe wirklich, dass wir nun ein paar Tage mit weniger Regen haben. Zu viele Menschen haben alles verloren, weil ihre Häuser überschwemmt wurden. Eine Organisation alleine hat im Laufe des Sonntags schon über 250 Familien aufgenommen. Meine Security Familie hat früher in den Viertel gewohnt, in dem es den Mudslide gab am Sonntag und wo es die stärksten Überflutungen gab. Jetzt wohnen sie wo anders. Aber Aminata hat mir erzählt, dass eine befreundete Familie am Samstag vorübergehend zu ihnen gezogen ist. Seit Freitagnachmittag wurden über die sozialen Medien schon Warnungen der NDMA verschickt, dass die Wettervorhersage Starkregen verspricht und alle Menschen aus überflutungsgefährdeten Gegenden ihre Häuser verlassen sollen. Es ist gut, mitzubekommen, dass die Regierung versucht, die Leute zu warnen. Leider sind nicht alle diesem Aufruf gefolgt. Wenn es nochmal zu diesen Starkregen kommt, wird es mit Sicherheit auch weitere Todesopfer geben. Einerseits brauchen wir den Regen in der Regenzeit, weil es ja dann ab November wieder fünf Monate trocken ist, aber zu viel Regen auf einmal, bringt neue Gefahren.

800ml Niederschlag ???!

Ich, die sich ja bei bestimmten Zahlen nichts vorstellen kann, weiß nun, was es heißt, wenn im Reiseführer steht: Im August 800mm Niederschlag. Laut Wikipedia ist das die mittlere Niederschlagsmenge der letzten Jahre in Deutschland aufs ganze Jahr gerechnet! Bei uns gibt es also in einem Monat soviel Niederschlag, wie in Deutschland in einem ganzen Jahr. Dafür ist bei uns der Niederschlag in den Monaten der Trockenzeit bei Werten von 2-8 mm, also sehr ungleich verteilt. Das muss ich natürlich dazusagen. Im Jahresmittel sind wir in Sierra Leone bei knapp über 3.000mm pro Jahr. Der gesamte Niederschlag kommt in drei bis vier Monaten runter.

Und nun noch ein Lichtblick

Ich arbeite heute von zuhause, weil ich seit gestern Gäste habe. Hannah und Max sind gestern wieder in Salone gelandet und bleiben zwei Nächte bei mir, bevor sie sich auf den Weg nach Makeni und Bo machen. Deshalb sitze ich gerade zuhause und freue mich über größer werdende Lücken in der Wolkendecke und sogar blauen Himmel. Endlich wieder Sonne auf der Haut 😊 Das schreit nach einem Strandspaziergang später. Vielleicht gibt es heute sogar einen Sonnenuntergang im Meer. Das wäre traumhaft!

Und übrigens, inmitten all der tragischen Nachrichten, gibt es auch immer wieder Lichtblicke. So wurden in den letzten Tagen Elefanten in Sierra Leone gesichtet. Ich freue mich riesig! Ich hoffe, sie werden nicht verjagt, so dass wir bald auch hier Elefanten in unseren Wäldern haben und ich sie vielleicht sogar einmal sehe, auf einer meiner nächsten Reisen in den Regenwald!

Oh Salone 😔 gerade eben erreicht mich die Nachricht, dass der Elefant getötet wurde. Wegen des Elfenbeins. Es ist so traurig hier. Solange es nicht genug Geld gibt für diejenigen, die den Wald und die Tiere schützen sollen, ist es wohl aussichtslos hier…

Fragiler Frieden

Vor nicht ganz zwei Wochen bin ich wieder in Salone gelandet. Es sind noch keine 14 Tage. Aber zugleich ist in diesen Tagen – eigentlich in den ersten sieben Tagen seitdem ich wieder da bin – schon so viel passiert und ich habe emotional viel Neues erlebt. Zum Beispiel das Gefühl von Unsicherheit in diesem Land. Deshalb bin ich immer wieder verwundert, wenn Freundinnen aus Deutschland „immer noch“ Fotos aus dem Urlaub schicken. Wie lange sind die im Urlaub? Drei Monate? Gefühlt, ist es schon unglaublich lange her, dass ich in Deutschland war, auch wenn ich vor zwei Wochen noch den Sonntagnachmittag mit meiner Familie im Garten verbracht habe. Wie gesagt, es ist einiges passiert seit meiner Landung in Freetown.

Unerwarteter Empfang in Freetown

Direkt am Tag meiner Rückkehr gab es ziemlich schlimme Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und Demonstrantinnen und Demonstranten. Mich traf das sehr unvorbereitet. Ja, wir sprechen in den CPS-Meetings schon seit Monaten darüber, dass es vor den Wahlen zu Gewalt kommen kann bzw. wird. Seit Monaten wird diskutiert, wie insbesondere junge Menschen (junge Männer) positiv in die Gesellschaft eingebunden werden können, so dass sie sich nicht von politischen Parteien instrumentalisieren lassen. Aber trotzdem war es nicht wirklich greifbar für mich. Wahrscheinlich auch, weil ich mich noch gut an den Wahlkampf und die Wahlen damals in Mosambik 2004 erinnern kann. Damals waren auch alle sehr nervös und in Sorge, dass es Gewalt geben wird vor den Wahlen und während der Wahlen und dann blieb alles ruhig. Hier blieb es auf jeden Fall nicht ruhig vor zwei Wochen.

Ich bin in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch um kurz nach 1 Uhr in Lungi gelandet und war dann mit der Fähre so um drei/ halb vier auf der anderen Seite in Freetown. Ich hatte echt einen tollen Empfang. Freddy hat mich sogar mit dem Keke an der Fähre abgeholt, obwohl es mitten in der Nacht war und John kam auch noch vorbei, sodass wir dann noch zu viert bei Maria saßen bis vier, halb fünf und meine Wiederkehr feierten.

Internetsperre, Ausgangssperre und krasse Bilder

Als ich am Mittwochvormittag aufgewacht bin, war meine größte Sorge, dass ich keinen Strom hatte (weil ich mein Meter vor meiner Reise nicht ausreichend aufgeladen hatte) und meine Gasflasche leer war. Somit konnte ich mir nicht einmal Kaffee kochen! Und dann war auf einmal das Internet weg. Zuerst dachte ich, das liegt an meinem Handy, das sich erst wieder final ans Sierra Leonische Netz gewöhnen muss – was natürlich Quatsch war, weil ich davor schon Internetempfang hatte am Handy, aber egal. Weil ich dringend Kaffee brauchte, bin ich runter zu Maria. Und dort habe ich dann erst gecheckt, was eigentlich los ist in der Stadt.

Ich hatte schon über whatsapp ein kurzes Video gesehen, mit Leuten, die demonstrieren und dem Hinweis, heute mal lieber nicht in die Innenstadt zu fahren, aber Demos gibt es ja manchmal wegen höherer Benzinpreise. Das ist normalerweise nicht so tragisch. Dieses Mal aber war es sehr tragisch. Es wurde geschossen, Menschen wurden auf der Straße erschossen. Sicherheitskräfte und Zivilisten und Zivilistinnen sind gestorben. Es gab richtige Unruhen und gewalttätige Auseinandersetzungen in der Innenstadt in Freetown, in Waterloo und in zwei anderen Städten im Land. Brennende Reifen auf den Straßen, Menschen, die Sicherheitskräfte verprügeln und dann Militärs, die auf den Straßen patrouillieren. Das Internet und Telefonnetz waren für ein paar Stunden ausgeschalten und wurden dann wieder angemacht. Die Regierung hat eine Ausgangssperre ab 15h nachmittags verhängt, ohne Information, wie lange die Ausgangssperre gelten würde. Bei uns im Viertel war alles ruhig. Wir sind nochmal kurz raus und haben Essen besorgt, aber sonst war bei uns alles entspannt. Wir hatten eher so ein WG-Feeling hier mit gemeinsam Abendessen und Film schauen. Es war nur sehr komisch, zu wissen, dass hinter den Hügeln Ausnahmezustand herrscht. Die einzigen Infos, die wir hatten, kamen über soziale Medien und Telefonate mit Leuten, die jemanden kennen, der jemanden kennt…

Im Laufe des Tages habe ich mir dann leider noch ein paar der Videos angeschaut, die über die sozialen Medien geteilt worden waren. Keine schönen Bilder. Und vor allem keine Bilder, die ich sehen möchte, wenn es sich um die Stadt handelt, in der ich lebe. Die Medien filtern hier nicht nach irgendwelchen medien-ethischen Gesichtspunkten in Hinblick darauf, welche Arten von Gewalt und Folgen von Gewalt, Verletzte und Tote sie zeigen. Selbst Online-Zeitungen haben die whatsapp-Videos, die teilweise wirklich grausame Bilder beinhaltet haben, auf ihren Seiten veröffentlicht. Bilder, die so in Deutschland von den Medien niemals gezeigt werden würden.

Wir sind es vielleicht gewohnt, im Fernsehen Bilder von gewalttätigen Ausschreitungen zu sehen, von Menschen die Steine oder Molotow-Cocktails auf Polizei und Militär werfen, von brennenden Straßensperren und Mobs, aber wenn diese Bilder dann auf einmal aus der eigenen Stadt kommen und Menschen zeigen, die doch eigentlich immer freundlich und friedlich sind, dann geht das nicht spurlos an mir vorbei. Ich habe mich auch während der Ausschreitungen nie unsicher gefühlt in meinem Viertel und vor allem nicht, hier in meiner Wohnung. Aber es war ein sehr komisches Gefühl. Man hat gemerkt, dass in der ganzen Stadt auf einmal alle die Luft anhalten.

Die Ausgangssperre wurde am Donnerstagmorgen aufgehoben. Sie wurde durch eine nächtliche Ausgangssperre von sieben Uhr abends bis sieben Uhr morgens ersetzt. Die meisten Läden blieben zu, Büros blieben geschlossen, auch wir waren im Homeoffice bzw. zuhause. Ich war trotzdem mal kurz einkaufen. Ich bin ja erst am Mittwoch zurückgekommen und hatte nichts zu essen zuhause. Es war ruhig auf den Straßen und irgendwie eine komische Stimmung. Ab Freitag normalisierte sich die Lage schon etwas und einige Läden haben wieder aufgemacht und die Leute sind auch langsam wieder zurück ins Büro. Das Verrückte an der Situation war, dass es, wenn ich mir nicht aktiv bewusst gemacht habe, was hier gerade passiert, eigentlich gar nicht so extrem war. Ausgangssperre kennen wir jetzt ja alle schon von Covid. Wir sind dann eben am Samstag schon nachmittags zum Bierchen an den Strand und nicht erst am Abend. Sobald ich mir aber bewusst gemacht habe, weshalb hier gerade Ausgangssperre ist – nämlich dass einfach mal Menschen auf der Straße erschossen worden waren und es Leute gab, die in den sozialen Medien zum Sturz der Regierung aufgerufen hatten – dann kam doch wieder eine komische Stimmung in mir auf.

Die nächtliche Ausgangssperre wurde zuerst im Süden des Landes aufgehoben und dann am Samstagabend auch bei uns in Freetown. Es gab im Osten Freetowns am Wochenende zwar nochmal ein paar Auseinandersetzungen, aber es war nicht ganz klar, ob das eher eskalierte, weil die Leute schon angespannt waren, oder wirklich nochmal Leute mit Absicht eskalierten. In Makeni gab es auch danach nochmal Gewalt. Aber mittlerweile ist es auch dort wieder ruhig – zumindest an der Oberfläche.

Geht das jetzt so weiter?

Nun gut, kann man sich nun denken. Dann gab es eben drei Tage Demonstrationen und am letzten Tag ist es eskaliert. Durch das schnelle Durchgreifen von Seiten der Regierung war die Situation ja ziemlich schnell unter Kontrolle und die Lage im Land wieder ruhig. Das, was den meisten Menschen inklusive mir, Sorgen bereitet, ist das Wissen, das dies nun die ersten Vorboten für den Wahlkampf waren. Wir haben nächstes Jahr im Juni Wahlen. Die meisten Leute hier gehen davon aus, dass die Wahlen nicht ohne Gewalt und Konflikten vonstattengehen werden und es nun immer wieder zu solchen Situationen kommen kann.

Es gibt verschiedene Theorien, wer für die Eskalation verantwortlich war. Die einen sagen, es war die Opposition, die junge Männer aus den Provinzen in die Hauptstadt geschickt hat, sie unter Drogen gesetzt hat und mit Waffen versorgt, so dass sie Unruhe stiften und Chaos kreieren. Damit soll angeblich gezeigt werden, dass die aktuelle Regierung, die Lage nicht im Griff hat und es nicht schafft, die Wahlversprechen einzuhalten. Die Preise sind in den letzten Monaten extrem gestiegen und die Kosten für Essen, Wohnen und Kochen sind für viele nicht mehr bezahlbar. Andere sagen, es war die Regierung selbst, damit sie Stärke zeigen kann und gegebenenfalls einen Grund hat, den Ausnahmezustand auszurufen und härter gegen Gegner des Präsidenten vorzugehen. Wieder andere sagen, es sind Exil-Sierra Leoner. Insbesondere eine Person hetzt die Menschen über soziale Medien gegen die aktuelle Regierung auf. Oder es waren doch einfach nur Menschen, die sich das Leben nicht mehr leisten können und deshalb auf die Straße sind? Die letzte Version ist am wenigsten wahrscheinlich, da es insbesondere in den strongholds der Opposition zu Ausschreitungen kam.

Anscheinend haben nicht bekannte Influencer online zu Streiks aufgerufen für den 8. bis zum 10. August und dazu, am 10. August „die Straßen einzunehmen“. Da offiziell niemand eine Demonstration angemeldet hat und die Gruppierung, die sich dazu bekannt hat, keine Partei oder keine greifbare Gruppe ist, kann nur vermutet werden, wer wirklich dahintersteckt. Da die Situation schon am Dienstag, dem 9.8., unruhig war, wurde das Militär zur Hilfe der Polizei hinzugezogen mit Hilfe der Military Aid to Civil Power Policy. Normalerweise hat das Militär keinen Auftrag im Landesinneren (ähnlich wie in Deutschland). Das Militär half, die Ausgangssperre zu kontrollieren und gegen die Gewalttätigen vorzugehen.

Es gibt unterschiedliche Zahlen zu den Opfern. Es gibt Quellen, die sprechen von vier, andere von sechs getöteten Polizisten und Polizistinnen und von 21 oder mehr zivilen Opfern. Alle politischen Parteien haben die Gewalt verurteilt und zu Ruhe und Besonnenheit aufgerufen. Der Präsident und andere Regierungsvertreter haben die Opposition direkt oder indirekt mit den gewalttätigen Ausschreitungen in Verbindung gebracht. Die Opposition dementiert das und hat auch offiziell klar Abstand zu den hetzenden Influencern genommen. Es bleibt das große Problem, dass es kaum verlässliche Nachrichtenquellen gibt. Die meisten Leute informieren sich über die sozialen Medien. Aber die Videos und Fotos sind nicht immer verifiziert und natürlich ist bei einigen auch nicht klar, ob sie wirklich aktuell sind, oder schon ältere Aufnahmen sind. Während der Ausgangssperre gab es z.B. Videos von schwarzen SUVs, die bei Leuten vor den Häusern anhalten und Leute aus den Häusern holen. Es gab Videos von Militärs, die die Straße entlanglaufen und dann sind nochmals Schüsse zu hören. Bei vielen Meldungen gab es mehrere Versionen und Erklärungen, je nachdem, mit wem man so gesprochen hat.

Eigentlich weiß ich nur eines: Nichts Genaues weiß ich nicht. Es bleibt alles absolut undurchsichtig für mich.

Darüber schreiben oder nicht und wenn ja, wie überhaupt?

Zunächst wusste ich nicht, ob ich hier überhaupt über die Ausschreitungen berichten soll oder nicht. Ich wusste nur, ich schreibe erst, wenn die Lage sich wieder beruhigt hat, damit ihr euch keine akuten Sorgen machen müsst. Mittlerweile weiß ich aber gar nicht, ob ich nicht viel eher mich schützen wollte und nicht euch. Ich glaube, mir geht es viel eher darum, dass ich nicht glauben möchte, wie schnell die Menschen gewalttätig werden und der fragile Frieden in größter Gefahr ist. Ich wollte das schöne Bild von Sierra Leone nicht zerstören. Aber da ich euch ja ein möglichst breites Bild meiner Realität hier abbilden möchte, kann ich so etwas einschneidendes nicht einfach weglassen.

Wie gesagt: ich war zu keinem Zeitpunkt in Gefahr und ich habe mich auch zu keinem Zeitpunkt unsicher gefühlt. Aber ich fühlte mich in meiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt, auch als die Ausgangssperre aufgehoben war.

Und dann gibt es noch einen weiteren Grund, weshalb ich nicht sicher war, ob ich hier darüberschreiben soll: die Lage ist sehr undurchsichtig. Ich verstehe die Zusammenhänge nicht wirklich und kenne auch gar nicht alle Akteure und Akteurinnen. Ich habe versucht, euch zu beschreiben, wie ich die Situation erlebt habe, aber einen echten Hintergrundbericht gibt es hier nicht. Ich fühle mich nicht informiert genug, um euch echte Informationen zu den politischen und gesellschaftlichen Hintergründen zu geben.

Und jetzt – business as usual?

Hier geht das Leben jetzt wieder „normal“ weiter. Während ich hier sitze und schreibe, ist draußen auf der Straße großes Geschrei, weil die Jungs Fußball spielen; gestern habe ich meinen Strandspaziergang gemacht, vorgestern war ich beim Kneipenquiz und morgen wartet ein Treffen mit zwei Regierungsbehörden auf mich, bei dem es um die Gefahren der Deforestation gehen wird. Einerseits ist es gefühlt etwas ruhiger als sonst auf den Straßen und in den Nächten, andererseits kann das auch an der Regenzeit liegen. Immerhin hatten wir fast fünf Tage Regen am Stück, Straßen waren überschwemmt und kaum jemand verlässt das Haus.

Die Ausgangssperre wurde vor einer Woche aufgehoben, aber auch das alles scheint schon wieder so weit weg, weil auch seitdem schon wieder so viel passiert ist. Ich weiß gar nicht, was gerade los ist. Aber die Tage sind gerade voller Ereignisse. Es wird also sehr bald ein weiterer Beitrag folgen und hoffentlich von meiner überaus erfolgreichen und motivierenden ersten Arbeitswoche nach meinem Urlaub berichten. Ich hoffe, dass in der Zwischenzeit nicht wieder irgendetwas außergewöhnliches passiert, so dass ich in aller Ruhe erst einmal erzählen kann, was in den letzten Tagen so los war. Nur so viel Spoiler: it´s getting wet over here…

Deutsche Dürre und der Regenwald

Zunächst muss ich mich ganz kurz an Frank wenden. Ich habe deinen Artikelwunsch nicht vergessen! Er kommt. Aber zuerst muss ich noch darüber schreiben, wie berührt und schockiert ich war, von verbrannten Rasenflächen in Deutschland, Anfang Juli.

Bevor ich im Juli nach Deutschland geflogen bin, war ich echt mal wieder frustriert von der Arbeit. Ich schwankte zwischen, es geht alles viel zu langsam vorwärts und ich lass es einfach gleich alles sein und OMG, es ist so viel zu tun, wo soll ich nur anfangen? Gleichzeitig hatte ich das Gefühl, dass es eh gar nichts bringt, was ich hier mache. Im Moment größten Ärgers dachte ich schon trotzig, dass ich einfach nicht mehr aus Deutschland zurückfliegen werde.

Aber dann begegnete mir der deutsche Sommer

Und der hatte es in sich. Als ich Anfang Juli in Deutschland ankam, hatte ich das Gefühl, es wäre schon Ende August. Alle Felder waren gelb und verbrannt, keine grünen Rasen, auch die Gemüsebeete kämpften so vor sich hin. Wo sonst im Juli der Garten zuwuchert und sich in seiner Pracht zeigt, ließen auf einmal die Bäume ihre Blätter hängen und läuteten einen viel zu frühen Herbst ein.

Wassernotstand hier, Wassernotstand dort. Und vier Wochen fast ohne Regen. Nur sind die Pflanzen in Deutschland ja gar nicht für eine Trockenzeit wie wir sie in Sierra Leone haben gewappnet. Und die Tiere auch nicht. Von den Menschen ganz zu schweigen. Meine Idee von einem Kurztrip nach Italien habe ich ziemlich schnell wieder verworfen. Lieber den Leuten nicht noch mehr von der raren Ressource Wasser nehmen. Nur die Wespen schienen die trockene Hitze zu mögen. Wenigstens eine Spezies also, die den Sommer so richtig genoss.

Schmelzende Gletscher und ausgetrocknete Gebirgsbäche

Mein erstes erschrockenes Aufmerken gab es ja schon ein paar Wochen zuvor, als der Gletscher in den Dolomiten abrutschte und Wanderer unter sich begrub. Das hätte auch ich sein können, oder jemand den ich kenne, dachte ich mir. Ich erinnerte mich an die Alpenüberquerung, die ich vor zwei Jahren gemacht habe und an die Schneefelder, über die wir im August noch stiefelten. Gibt es das bald nicht mehr? Bis wann verwandeln sich die Alpen wohl in eine Seenlandschaft, wie ich es vorgestern in der Zeitung gelesen habe?

Die Sorge um Dürre und Trockenheit war auf jeden Fall in mehreren Gesprächen während meines Aufenthaltes Thema. Auch auf 1600m, wo ich ein paar Tage auf unserer Bärenbadalm verbrachte und der Bauer kam, um zu prüfen, ob die Kühe noch genug Wasser hätten. Sonst müsste er welches hinaufbringen. Verrückt, dachte ich mir da noch. Wahnsinn, dachte ich erschrocken, als wir bei unserer Wanderung am nächsten Tag an ausgetrockneten Bachläufen vorbeikamen, die ich aus den letzten Jahren als kleine aber glucksende Gebirgsbäche kennengelernt hatte, die die Füße angenehm kühlen und für Erfrischung sorgen nach einem anstrengenden Abstieg. Es gab im Winter nicht genug Schnee, deshalb gibt es jetzt im Sommer nicht genug Schmelzwasser.

Das hört sich ja sehr nach Freetown an: wenn es in der Regenzeit nicht genug regnet, dann haben wir in der Trockenzeit nicht genug Wasser und keinen Strom. Zumindest Regen scheint es in Freetown dieses Jahr viel zu geben. Soweit ich es zumindest aus der Ferne beurteilen kann. Letztes Jahr gab es nicht genug. Deshalb hatten wir im Frühjahr ja so große Wasser- und stromprobleme.

Den Regenwald retten für den Sommer in Europa

Für mich schließt sich der Kreis. Der verdorrte Rasen in Deutschland gibt mir neue Motivation und einen klaren Auftrag für meine Arbeit in Sierra Leone. Die Regenwälder müssen auf jeden Fall beschützt werden. Es gibt unterschiedliche Arten von Wald. Regenwald, europäischen Mischwald und Nadelwald wie in der Tundra/Taiga. Alle Wälder geben Wärme an die Atmosphäre ab und  kühlen aber auch. Beim Regenwald ist der Kühlungseffekt am größten, der europäische Mischwald kühlt das Klima etwas mehr als dass er es erwärmt, der nordische Wald erwärmt das Klima mehr als das er es kühlt. Deshalb ist es so wichtig, dass besonders die Regenwälder beschützt und erhalten werden. Sie sind am wichtigsten, um das Klima zu kühlen und den Klimawandel abzufedern. Wenn ich mich so umschaue, frage ich mich zwar, ob das überhaupt noch Sinn macht, irgendetwas gegen den Klimawandel zu tun. Ist der Point of no return nicht schon längst überschritten und wir rollen mit Vollspeed in die Erderwärmung? Ich meine, die Erde wird es überstehen, um die mache ich mir keine Sorgen. Es ist nur ziemlich gemein, dass wir so viele Arten mit uns ins Verderben reißen, die nichts dafür können und sich nicht wirklich wehren können. Für sie strenge ich mich also an. Damit sie ihre Heimat und ihren Lebensraum nicht so rasend schnell verlieren.

Wenn ich an Sierra Leone gedacht habe, in den letzten Wochen, überkam mich oft auch eine Überforderung. Es gibt so viel zu tun. Ich sehe so viele Baustellen vor mir. Alleine das Plastik das den ganzen Strand bedeckt. Oder das Plastik, dass deinen Körper umschmeichelt, wenn du an bestimmten Stränden ins Wasser gehst. Das Plastik, dass die Leute einfach in den Wald werfen oder fallen lassen, wo sie gerade stehen und gehen. Wir brauchen eine Müllentsorgung, Aufklärungskampagnen und und und. Aber ich will zuerst den Wald retten. Um das Plastik müssen sich erst einmal andere kümmern.

In Deutschland reden wir spätestens seit den 1980er Jahren über Mülltrennung, Plastikvermeidung und Umweltschutz. Wir sind in den letzten 40 Jahren auch ganz gut vorangekommen. Allerdings nur oberflächlich. Bei der Müllentsorgung und der Müllverwertung sind wir keine Weltspitze. Da ist noch sehr viel Luft noch oben. Und wenn wir es in Deutschland in über 40 Jahren nicht geschafft haben, unseres Mülles Herrin und Herr zu werden, wie soll es dann in Sierra Leone in viel kürzer Zeit klappen?

Dazukommt natürlich, dass in Deutschland gerade das Thema Müll und Umwelt nicht die bestimmenden Themen sind.* Es geht um die Folgen des Krieges Russlands in der Ukraine, um explodierende Heizkosten und Inflation. In Sierra Leone haben wir ähnliche Sorgen. Verteuerung der Lebensmittel, Transportkosten schießen in die Höhe und die Wahlen stehen nächstes Jahr an. Wir können nur hoffen, dass die Politikerinnen und Politiker und einflussreichen Leute in der Wirtschaft, endlich sehen, was sie seit Jahrzehnten nicht sehen wollten oder nicht ernstgenommen haben und nicht länger so tun, als hätten wir noch Zeit, bis die Klimakatastrophe in ferner Zukunft künftige Generationen vor Herausforderungen stellt. Ich denke, wir sind schon mittendrin.

Und endlich weiß ich, was ich hier eigentlich mache 🙂

Sämtliche Dystopien scheinen viel schneller Realität zu werden, als erwartet. Ich bin gespannt, wie es weitergeht mit uns. Jetzt heißt es aber erst einmal, wieder richtig ankommen in Freetown und Pläne schmieden für die Rettung des Waldes hier. Denn nun habe ich endlich eine Antwort auf die ewige Frage „Was machst du da eigentlich?“ Ich versuche mitzuhelfen, den Klimawandel abzubremsen. Danach schauen wir weiter 😊

*Kleiner Nachtrag: den Artikel habe ich auch schon am Flughafen in Istanbul geschrieben, also schon vor einer Woche. Mittlerweile sieht es in Deutschland ja um einiges schlimmer aus. Der Rhein hat kein Wasser mehr und in der Oder sterben die Fische. Deshalb stimmt natürlich nicht mehr ganz, dass Umwelt und Klima gerade keine bestimmenden Themen sind. Bei uns ist gerade das Gegenteil von Dürre der Fall. Aber davon das nächste Mal mehr.

Privilegien über Privilegien

Lange war es still hier auf meinem Blog, dabei wollte ich schon vor Wochen wieder einmal schreiben. Ich sitze gerade am Flughafen Istanbul, am allerletzten Gate, wie mir scheint, denn ich bin fast alleine in der kleinen Halle. Perfekt also, um meine Gedanken zwischen hier und dort zu sortieren. Nach viereinhalb Wochen in Deutschland geht es für mich heute wieder zurück nach Sierra Leone. Ich fliege von Zuhause nach Zuhause. Das war schon beim Hinflug nach Deutschland komisch und ist es jetzt auch wieder.

Die ganze Zeit über in Deutschland war Sierra Leone immer mit dabei. Einerseits, weil viele natürlich wissen wollten, wie es dort so ist und was ich da mache. Wobei ich die erste Frage gar nicht wirklich beantworten kann. Deshalb meine Strategie: Selbst viele Fragen stellen und zuhören. Vieles kann ich mit Worten nicht erklären und beschreiben. Es war auf jeden Fall wunderbar, all diejenigen zu sehen, die ich gesehen habe und sehr schade, diejenigen nicht zusehen, die ich verpasst habe. Mein Learning bei diesem Besuch: Auch vier Wochen sind nicht ausreichend, um alle Menschen zu treffen, die ich gerne treffen würde.

Bevor ich nach Deutschland geflogen bin, wollte ich eigentlich schon einen Beitrag zu meinen Privilegien schreiben, aber nach den letzten Wochen merke ich, dass ich noch viel privilegierter bin als gedacht. Es ist ein unglaubliches Privileg für mich, dass ich mich von so vielen Menschen begleitet und vermisst fühle beziehungsweise, dass so viele Menschen mich gerne sehen möchten. Vielen Dank euch allen! Aber warum waren mir die Privilegien vor meiner Abreise schon wieder so präsent im Vordergrund?

Diejenigen, die den letzten Artikel gelesen haben, wissen ja, dass ich krank war. Am Ende war es jedoch nicht Typhus, sondern Malaria. Leider war die erste Diagnose falsch. Ich war also die drei Wochen vor meinem Urlaub mehr oder weniger krank. Mir ging es nicht direkt schlecht, also keine Übelkeit, kein Durchfall, keine Schmerzen – ich war einfach nur sehr erschöpft, müde und hatte nicht wirklich Appetit. Alles auch Symptome von Typhus. Deshalb habe ich mir nichts dabei gedacht.

Und hier fangen meine Privilegien schon an: ich konnte einfach von der Arbeit zuhause bleiben, als ich mich nicht gesund gefühlt habe, ohne Angst haben zu müssen, um meinen Job, mein Gehalt, mein nächstes Essen. Das geht nicht allen Menschen in Salone und auch in vielen anderen Ländern der Welt so. Wir wissen, dass wir in Deutschland eines der besten Gesundheitssysteme der Welt haben. Aber was das bedeutet, machen wir uns nicht wirklich oft klar. Es bedeutet zum Beispiel, dass ich bei Krankheit zuhause bleiben kann bei voller Lohnfortzahlung (zumindest in den ersten Wochen). Und noch wichtiger: wir werden behandelt, ohne erst einmal den Geldbeutel zücken zu müssen. Das war nämlich mit ein Grund, weshalb ich es so hinausgezögert habe, ins Krankenhaus zu gehen. Ich wusste, ich hab nicht genug Bargeld Zuhause.

Aber, ich habe eine Wohnung, in der ich mich erholen kann. Das ist auch eine Selbstverständlichkeit für uns, aber nicht für alle. Ich habe ein Zimmer und ein Bett, in das ich mich zurückziehen kann, ich habe sogar noch den Luxus, eine große Wohnung zu haben und vom Bett aufs Sofa oder auf den Balkon ausweichen zu können.

Und dann habe ich auch noch Menschen, die sich um mich kümmern, wenn es mir nicht gut geht. Die für mich einkaufen gehen, mir Essen kochen und vorbeibringen und sich immer wieder nach mir und meinem Wohlbefinden erkundigen. Der nächsten Krankheit kann ich also sehr entspannt entgegenblicken, da ich weiß, ich bin nicht alleine und ich habe Menschen um mich, die auf mich achtgeben. Das ist wahrscheinlich auch für ein paar Leute in Deutschland beruhigend zu wissen. Trotzdem plane ich nicht, bald oder überhaupt wieder krank zu werden. Auch wenn ich nicht wirklich Schmerzen hatte, habe ich das Gefühl, dass mir drei Wochen meines Lebens fehlen, in denen ich eigentlich ein paar coole Sachen vorhatte und auch in der Arbeit ein paar Dinge umsetzen wollte, bevor ich nach Deutschland kam. Von Krankheiten berichte ich also künftig hoffentlich nicht mehr aus erster Hand.

Wie gesagt, dachte ich die ganze Zeit, ich hätte Typhus. Und da auch zwei andere Freunde von mir lange Typhus hatten (zumindest war das die Diagnose) und sich auch nach ein paar Wochen noch nicht wieder fit fühlten, dachte ich, es dauert eben. Einmal hatte ich einen Fieberschub, aber der war auch gleich wieder vorbei. Deshalb habe ich mir da nicht wirklich Gedanken gemacht. Passte alles zu Typhus. Nur als ich dann sechs Tage vor Abflug nach Deutschland immer schwächer wurde und auf einmal täglich einen Fieberschub hatte, war klar, es wäre doch einmal angebracht, nochmal in die Klinik zu fahren. Privilegiert wie ich bin, muss ich nicht krank und erschöpft mit einem Keke fahren oder gar laufen. Ich habe einen Freund angerufen, ob er mich ins Krankenhaus fahren kann. Das hat er dann auch gemacht. Wahrer Luxus, denn ich war eigentlich zu schwach, um zu sitzen.

Der Bluttest in der Klinik zeigte dieses Mal: Malaria. Also doch. In dem Moment als ich die Diagnose bekommen habe, war ich nur froh, dass es etwas ist, was gut und schnell behandelt werden kann, so dass ich ein paar Tage später nach Deutschland reisen können würde. Alles andere war mir egal. Und es konnte mir auch egal sein. Weil wieder einmal meine Privilegien voll zugeschlagen haben: ich hatte weder 500 US-Dollar in bar dabei, noch ging das Kreditkartenlesegerät. Eigentlich hätte ich also gar nicht stationär aufgenommen werden können. Zu meinem Glück kannten sie mich im Krankenhaus schon und ich hatte schon eine Rechnung bezahlt. Außerdem gab es zwei Tage vorher eine Währungsreform, weshalb die Geldautomaten in der Stadt nicht funktionierten und ich somit gar nicht an Bargeld hätte kommen können. Sonst hätte ich echt ein Problem gehabt. Wenn ich nicht hätte zahlen können, hätten sie mich wahrscheinlich auch mit 40 Fieber wieder heimgeschickt. Das ist schon Leuten passiert. Aber so meinten sie, das klären wir am nächsten Tag. Da war also auch etwas Glück mit im Spiel. Aber ich denke, sie hätten trotzdem nicht jede Person aufgenommen, ohne vorher Geld zu sehen.

Am nächsten Tag, nach einer Nacht mit Infusion und viel Flüssigkeit, funktionierte auch mein Gehirn wieder besser und mir ist eingefallen, dass ich ja eine Versicherung habe. Was ein Privileg, dass ich einfach eine Whatsapp an jemanden schreiben kann, der sich dann sofort bei mir meldet und alles für mich löst, so dass ich mich um nichts mehr kümmern brauchte, außer um meine Essensbestellung und meinen Schlaf sowie meine Besucherin, die mir auch noch Fried Rice vorbeibrachte. 😊

Kurz zum Krankenhaus: Ich war in einer oder der teuersten Klinik im Land, beste Versorgung, tolles Pflegepersonal und als ich dann am Sonntag ins große Zimmer umgezogen bin, sogar TV! Fast besser als im Hotel. Und das Essen war auch hervorragend. Das ist auch etwas special. Normalerweise bekommt man in Sierra Leone kein Essen im Krankenhaus. Das müssen Familie und Freunde vorbeibringen. Ich hingegen bekam so viel Wasser wie ich trinken konnte und lecker Essen aus einem Restaurant geliefert.

Als es dann darum ging, wieder entlassen zu werden, sind mir meine Privilegien nochmal so klar geworden, dass es mir schon unangenehm war. Ich hatte natürlich die drei Tage im Krankenhaus nicht wirklich etwas mitbekommen, was draußen so vor sich ging. Also habe ich meinen Fahrer (auch so ein Privileg) gebeten, mich vormittags aus dem Krankenhaus abzuholen. Erst am Morgen habe ich dann erfahren, dass es keine Öffis gibt, weil es Streiks gibt und alle Okodas und Kekes, die trotzdem fahren würden, von der Straße geholt werden würden. Mein Fahrer ist also extra megafrüh am Montag mit einem Okadafahrer, den er kennt, zu mir in die Nähe gefahren, um dann dort zu warten, bis ich mich melde und mich abholen lasse. Das habe ich leider erst später erfahren. Als ich von den Streiks gehört habe, habe ich noch versucht, ihm zu sagen, ich kann mich von wem anderes abholen lassen, aber da war er schon in Aberdeen.

Als ich dann wieder zuhause war, in meiner riesigen Wohnung mit Meerblick, habe ich wieder gemerkt, wie gut es mir doch geht und wie privilegiert ich in diesem Land bin. Ich habe keine Sorgen wegen Geld, kann mir die bestmögliche Gesundheitsversorgung leisten bzw. bekomme sie bezahlt, und kann einfach krank sein, wenn ich krank bin. Und wenn die bestmögliche Gesundheitsversorgung nicht gut genug ist, dann kann ich in ein Land gebracht werden, wo ich die Hilfe bekomme, die ich brauche. Es kann sein, dass es nicht schnell und easy geht, aber theoretisch ist es möglich für mich.

Und zu guter Letzt, ihr ahnt es schon: waren meine Sorgen und Ängste bald aus dem Weg geräumt. Ich war fit genug, um nach Deutschland zu fliegen und hatte auch ausreichend Energie, um sehr viele Menschen zu treffen und viele wunderschöne Momente zu erleben.

Als ich in Nürnberg am Flughafen von meinen Eltern abgeholt wurde und dann auch noch meine Brüder kamen und die ganzen Wochen über mein Handy nie ganz still stand, merkte ich wie verdammt privilegiert ich auch in Deutschland bin. Nicht nur, dass ich ein sicheres Dach über dem Kopf habe und willkommen bin, ich bin sehr willkommen und immer gern gesehen 😊 Das größte Privileg überhaupt, das immer bei mir ist und mich zwar beim Abschied immer schwach erscheinen lässt hinter meinen Tränen, in echt aber meine größte Stärkung ist – seid einfach mal ihr. Vielen Dank euch allen dafür!

Mittlerweile habe ich den Flughafen in Istanbul verlassen und bin wieder in Freetown. Ich wurde tatsächlich von einem Freund an der Fähre abgeholt, obwohl ich erst um 3 Uhr nachts ankam und ein weiterer Freund kam auch noch zu so später bzw. früher Stunde vorbei, um mich willkommen zu heißen. So saßen wir dann noch zu viert bis morgens und haben die wichtigsten News ausgetauscht und auf meine Wiederkehr angestoßen. Ganz dankbar und erschöpft bin ich so heute Morgen dann ins Bett gefallen, als der Muezzin schon zum Morgengebet rief.

Aber nicht nur meine Leutchen haben mich willkommen geheißen in Salone, auch die täglichen Herausforderungen sind direkt wieder da: Ich hatte nicht genug Strom prepaid gekauft, weshalb ich keinen Strom hatte und mein Gas für den Herd war auch leer. So ein Mist! So konnte ich morgens nicht mal Kaffee trinken. Aber was wäre ich ohne meine Privilegien? Natürlich habe ich meinen Fahrer angerufen, der kam und hat mir eine neue Gasflasche besorgt. Stromguthaben konnte er leider heute nicht besorgen, aber bestimmt morgen. Und solange lebe ich mit meinen Solar-Batterien und nutze den Strom unten in der Wohnung bei meiner Nachbarin, wo wir den verregneten Nachmittag verbringen. Ja, ihr hört richtig. Hier regnet es, seitdem ich angekommen bin. Echte Regenzeit!

Soviel für heute als Einblick in meine Privilegien im Krankheitsfall und im Alltag. Euch wünsche ich noch schöne Sommertage mit erfrischenden Sommerregen und dass ihr die Privilegien, die ihr habt, in vollen Zügen genießen könnt und sie weise nutzt.

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