Lange war es still hier auf meinem Blog, dabei wollte ich schon vor Wochen wieder einmal schreiben. Ich sitze gerade am Flughafen Istanbul, am allerletzten Gate, wie mir scheint, denn ich bin fast alleine in der kleinen Halle. Perfekt also, um meine Gedanken zwischen hier und dort zu sortieren. Nach viereinhalb Wochen in Deutschland geht es für mich heute wieder zurück nach Sierra Leone. Ich fliege von Zuhause nach Zuhause. Das war schon beim Hinflug nach Deutschland komisch und ist es jetzt auch wieder.
Die ganze Zeit über in Deutschland war Sierra Leone immer mit dabei. Einerseits, weil viele natürlich wissen wollten, wie es dort so ist und was ich da mache. Wobei ich die erste Frage gar nicht wirklich beantworten kann. Deshalb meine Strategie: Selbst viele Fragen stellen und zuhören. Vieles kann ich mit Worten nicht erklären und beschreiben. Es war auf jeden Fall wunderbar, all diejenigen zu sehen, die ich gesehen habe und sehr schade, diejenigen nicht zusehen, die ich verpasst habe. Mein Learning bei diesem Besuch: Auch vier Wochen sind nicht ausreichend, um alle Menschen zu treffen, die ich gerne treffen würde.
Bevor ich nach Deutschland geflogen bin, wollte ich eigentlich schon einen Beitrag zu meinen Privilegien schreiben, aber nach den letzten Wochen merke ich, dass ich noch viel privilegierter bin als gedacht. Es ist ein unglaubliches Privileg für mich, dass ich mich von so vielen Menschen begleitet und vermisst fühle beziehungsweise, dass so viele Menschen mich gerne sehen möchten. Vielen Dank euch allen! Aber warum waren mir die Privilegien vor meiner Abreise schon wieder so präsent im Vordergrund?
Diejenigen, die den letzten Artikel gelesen haben, wissen ja, dass ich krank war. Am Ende war es jedoch nicht Typhus, sondern Malaria. Leider war die erste Diagnose falsch. Ich war also die drei Wochen vor meinem Urlaub mehr oder weniger krank. Mir ging es nicht direkt schlecht, also keine Übelkeit, kein Durchfall, keine Schmerzen – ich war einfach nur sehr erschöpft, müde und hatte nicht wirklich Appetit. Alles auch Symptome von Typhus. Deshalb habe ich mir nichts dabei gedacht.
Und hier fangen meine Privilegien schon an: ich konnte einfach von der Arbeit zuhause bleiben, als ich mich nicht gesund gefühlt habe, ohne Angst haben zu müssen, um meinen Job, mein Gehalt, mein nächstes Essen. Das geht nicht allen Menschen in Salone und auch in vielen anderen Ländern der Welt so. Wir wissen, dass wir in Deutschland eines der besten Gesundheitssysteme der Welt haben. Aber was das bedeutet, machen wir uns nicht wirklich oft klar. Es bedeutet zum Beispiel, dass ich bei Krankheit zuhause bleiben kann bei voller Lohnfortzahlung (zumindest in den ersten Wochen). Und noch wichtiger: wir werden behandelt, ohne erst einmal den Geldbeutel zücken zu müssen. Das war nämlich mit ein Grund, weshalb ich es so hinausgezögert habe, ins Krankenhaus zu gehen. Ich wusste, ich hab nicht genug Bargeld Zuhause.
Aber, ich habe eine Wohnung, in der ich mich erholen kann. Das ist auch eine Selbstverständlichkeit für uns, aber nicht für alle. Ich habe ein Zimmer und ein Bett, in das ich mich zurückziehen kann, ich habe sogar noch den Luxus, eine große Wohnung zu haben und vom Bett aufs Sofa oder auf den Balkon ausweichen zu können.
Und dann habe ich auch noch Menschen, die sich um mich kümmern, wenn es mir nicht gut geht. Die für mich einkaufen gehen, mir Essen kochen und vorbeibringen und sich immer wieder nach mir und meinem Wohlbefinden erkundigen. Der nächsten Krankheit kann ich also sehr entspannt entgegenblicken, da ich weiß, ich bin nicht alleine und ich habe Menschen um mich, die auf mich achtgeben. Das ist wahrscheinlich auch für ein paar Leute in Deutschland beruhigend zu wissen. Trotzdem plane ich nicht, bald oder überhaupt wieder krank zu werden. Auch wenn ich nicht wirklich Schmerzen hatte, habe ich das Gefühl, dass mir drei Wochen meines Lebens fehlen, in denen ich eigentlich ein paar coole Sachen vorhatte und auch in der Arbeit ein paar Dinge umsetzen wollte, bevor ich nach Deutschland kam. Von Krankheiten berichte ich also künftig hoffentlich nicht mehr aus erster Hand.
Wie gesagt, dachte ich die ganze Zeit, ich hätte Typhus. Und da auch zwei andere Freunde von mir lange Typhus hatten (zumindest war das die Diagnose) und sich auch nach ein paar Wochen noch nicht wieder fit fühlten, dachte ich, es dauert eben. Einmal hatte ich einen Fieberschub, aber der war auch gleich wieder vorbei. Deshalb habe ich mir da nicht wirklich Gedanken gemacht. Passte alles zu Typhus. Nur als ich dann sechs Tage vor Abflug nach Deutschland immer schwächer wurde und auf einmal täglich einen Fieberschub hatte, war klar, es wäre doch einmal angebracht, nochmal in die Klinik zu fahren. Privilegiert wie ich bin, muss ich nicht krank und erschöpft mit einem Keke fahren oder gar laufen. Ich habe einen Freund angerufen, ob er mich ins Krankenhaus fahren kann. Das hat er dann auch gemacht. Wahrer Luxus, denn ich war eigentlich zu schwach, um zu sitzen.
Der Bluttest in der Klinik zeigte dieses Mal: Malaria. Also doch. In dem Moment als ich die Diagnose bekommen habe, war ich nur froh, dass es etwas ist, was gut und schnell behandelt werden kann, so dass ich ein paar Tage später nach Deutschland reisen können würde. Alles andere war mir egal. Und es konnte mir auch egal sein. Weil wieder einmal meine Privilegien voll zugeschlagen haben: ich hatte weder 500 US-Dollar in bar dabei, noch ging das Kreditkartenlesegerät. Eigentlich hätte ich also gar nicht stationär aufgenommen werden können. Zu meinem Glück kannten sie mich im Krankenhaus schon und ich hatte schon eine Rechnung bezahlt. Außerdem gab es zwei Tage vorher eine Währungsreform, weshalb die Geldautomaten in der Stadt nicht funktionierten und ich somit gar nicht an Bargeld hätte kommen können. Sonst hätte ich echt ein Problem gehabt. Wenn ich nicht hätte zahlen können, hätten sie mich wahrscheinlich auch mit 40 Fieber wieder heimgeschickt. Das ist schon Leuten passiert. Aber so meinten sie, das klären wir am nächsten Tag. Da war also auch etwas Glück mit im Spiel. Aber ich denke, sie hätten trotzdem nicht jede Person aufgenommen, ohne vorher Geld zu sehen.
Am nächsten Tag, nach einer Nacht mit Infusion und viel Flüssigkeit, funktionierte auch mein Gehirn wieder besser und mir ist eingefallen, dass ich ja eine Versicherung habe. Was ein Privileg, dass ich einfach eine Whatsapp an jemanden schreiben kann, der sich dann sofort bei mir meldet und alles für mich löst, so dass ich mich um nichts mehr kümmern brauchte, außer um meine Essensbestellung und meinen Schlaf sowie meine Besucherin, die mir auch noch Fried Rice vorbeibrachte. 😊
Kurz zum Krankenhaus: Ich war in einer oder der teuersten Klinik im Land, beste Versorgung, tolles Pflegepersonal und als ich dann am Sonntag ins große Zimmer umgezogen bin, sogar TV! Fast besser als im Hotel. Und das Essen war auch hervorragend. Das ist auch etwas special. Normalerweise bekommt man in Sierra Leone kein Essen im Krankenhaus. Das müssen Familie und Freunde vorbeibringen. Ich hingegen bekam so viel Wasser wie ich trinken konnte und lecker Essen aus einem Restaurant geliefert.
Als es dann darum ging, wieder entlassen zu werden, sind mir meine Privilegien nochmal so klar geworden, dass es mir schon unangenehm war. Ich hatte natürlich die drei Tage im Krankenhaus nicht wirklich etwas mitbekommen, was draußen so vor sich ging. Also habe ich meinen Fahrer (auch so ein Privileg) gebeten, mich vormittags aus dem Krankenhaus abzuholen. Erst am Morgen habe ich dann erfahren, dass es keine Öffis gibt, weil es Streiks gibt und alle Okodas und Kekes, die trotzdem fahren würden, von der Straße geholt werden würden. Mein Fahrer ist also extra megafrüh am Montag mit einem Okadafahrer, den er kennt, zu mir in die Nähe gefahren, um dann dort zu warten, bis ich mich melde und mich abholen lasse. Das habe ich leider erst später erfahren. Als ich von den Streiks gehört habe, habe ich noch versucht, ihm zu sagen, ich kann mich von wem anderes abholen lassen, aber da war er schon in Aberdeen.
Als ich dann wieder zuhause war, in meiner riesigen Wohnung mit Meerblick, habe ich wieder gemerkt, wie gut es mir doch geht und wie privilegiert ich in diesem Land bin. Ich habe keine Sorgen wegen Geld, kann mir die bestmögliche Gesundheitsversorgung leisten bzw. bekomme sie bezahlt, und kann einfach krank sein, wenn ich krank bin. Und wenn die bestmögliche Gesundheitsversorgung nicht gut genug ist, dann kann ich in ein Land gebracht werden, wo ich die Hilfe bekomme, die ich brauche. Es kann sein, dass es nicht schnell und easy geht, aber theoretisch ist es möglich für mich.
Und zu guter Letzt, ihr ahnt es schon: waren meine Sorgen und Ängste bald aus dem Weg geräumt. Ich war fit genug, um nach Deutschland zu fliegen und hatte auch ausreichend Energie, um sehr viele Menschen zu treffen und viele wunderschöne Momente zu erleben.
Als ich in Nürnberg am Flughafen von meinen Eltern abgeholt wurde und dann auch noch meine Brüder kamen und die ganzen Wochen über mein Handy nie ganz still stand, merkte ich wie verdammt privilegiert ich auch in Deutschland bin. Nicht nur, dass ich ein sicheres Dach über dem Kopf habe und willkommen bin, ich bin sehr willkommen und immer gern gesehen 😊 Das größte Privileg überhaupt, das immer bei mir ist und mich zwar beim Abschied immer schwach erscheinen lässt hinter meinen Tränen, in echt aber meine größte Stärkung ist – seid einfach mal ihr. Vielen Dank euch allen dafür!
Mittlerweile habe ich den Flughafen in Istanbul verlassen und bin wieder in Freetown. Ich wurde tatsächlich von einem Freund an der Fähre abgeholt, obwohl ich erst um 3 Uhr nachts ankam und ein weiterer Freund kam auch noch zu so später bzw. früher Stunde vorbei, um mich willkommen zu heißen. So saßen wir dann noch zu viert bis morgens und haben die wichtigsten News ausgetauscht und auf meine Wiederkehr angestoßen. Ganz dankbar und erschöpft bin ich so heute Morgen dann ins Bett gefallen, als der Muezzin schon zum Morgengebet rief.
Aber nicht nur meine Leutchen haben mich willkommen geheißen in Salone, auch die täglichen Herausforderungen sind direkt wieder da: Ich hatte nicht genug Strom prepaid gekauft, weshalb ich keinen Strom hatte und mein Gas für den Herd war auch leer. So ein Mist! So konnte ich morgens nicht mal Kaffee trinken. Aber was wäre ich ohne meine Privilegien? Natürlich habe ich meinen Fahrer angerufen, der kam und hat mir eine neue Gasflasche besorgt. Stromguthaben konnte er leider heute nicht besorgen, aber bestimmt morgen. Und solange lebe ich mit meinen Solar-Batterien und nutze den Strom unten in der Wohnung bei meiner Nachbarin, wo wir den verregneten Nachmittag verbringen. Ja, ihr hört richtig. Hier regnet es, seitdem ich angekommen bin. Echte Regenzeit!
Soviel für heute als Einblick in meine Privilegien im Krankheitsfall und im Alltag. Euch wünsche ich noch schöne Sommertage mit erfrischenden Sommerregen und dass ihr die Privilegien, die ihr habt, in vollen Zügen genießen könnt und sie weise nutzt.
Liebe Kaddl Princess, der Dank gebührt DIR, dass DU uns wieder alle connectest und mit deinen zwei Welten verbindest, mit deiner unerschöpflichen Energie! Schön, dass du gut gelandet bist. Komm wieder gut rein – wir sind ein bisschen immer an deiner Seite, wenn’s mal grad nicht so funzt. Und schee xunt beim! Bis bald!