Monat: Juni 2024

Women empowerment durch Umweltschutz

Langsam kennt ihr alle meine Lieblingsplätze um Blog-Beiträge zu schreiben 😉 Heute mal wieder die Terrasse des Paloma in Kenema. Wir sind heute aus der community zurückgekommen und nach zwei Tagen Reis, Reis und nochmals Reis, hatte ich Lust auf einen richtigen Kaffee und etwas anderes als Reis. Und was liegt da näher als parallel direkt mit euch meine letzten Erlebnisse zu teilen. Zuvor noch Fotos von meinem Frühstück heute morgen:

Heute gibt es bei den meisten Fotos Bildunterschriften. Teilweise kommen die erst, wenn ihr mit der Maus über das Foto geht.

Der globale Rahmen wird sichtbar im kleinen Dorf in Sierra Leone

Auch wenn ich es manchmal aus den Augen verliere, arbeiten wir eigentlich konstant an der Erreichung der UN-Sustainable Development Goals (SDGs). Die SDGs wurden auf globalem Level festgelegt und haben die Millenium Development Goals abgelöst. Die 17 SDGs behandeln quasi alle Ebenen einer Gesellschaft, es geht um zero hunger, end poverty, gender equality, Müttersterblichkeit, Zugang zu sauberem Trinkwasser, clean energy, und so weiter. Alle Länder, Projekte und Organisationen, die im (inter)nationalen Entwicklungskontext zugange sind, richten ihre Arbeit an diesen SDGs aus. Die beiden Themen women empowerment und Umweltschutz sind dabei von vielen Regierungen groß auf die Fahne geschrieben (auch von der EU und Deutschland), so dass die meisten Projekte, die im globalen Süden entwickelt werden und sich auf Gelder bewerben, meist einen Genderaspekt und einen Umweltaspekt beinhalten. Zunächst hört es sich so an, als wären das zwei vollkommen unterschiedliche Dinge, aber mein Besuch in den Dörfern im Gola Landscape die letzten Tage hat doch wieder gezeigt, wie eng alles miteinander verbunden ist.

Auf nach Kenema in die grünen Hügel

Ähnlich wie vor ein paar Wochen nach Kabala, haben wir uns am Samstag auf den Weg nach Kenema gemacht, um dort die Projekte zu besuchen und stories zu sammeln für unsere Kommunikationsarbeit. Ich war schon ewig nicht mehr in Kenema und wie jedes Mal wenn ich hier bin, denke ich, Kenema ist doch die schönste Stadt im Land. Umgeben von grünen Hügeln, entspannt und ruhig. Ich mag Kenema. Am Samstag war auch einer meiner italienischen Freunde in Kenema, der eigentlich in Bo wohnt. So habe ich mich ihm und der MSF (Medicine Sans Frontier / Ärzte ohne Grenze) Truppe angeschlossen beim Volleyball und anschließender Holzofenpizza aus dem selbstgebauten Pizzaofen (natürlich von einem Deutschen gebaut). Am Sonntag ging es denn auf zum Kontrastprogramm in die Dörfer, ihr könnt es euch schon denken, mit Reis vor der Abfahrt 😉

Forest Conservation through land use planning – WABiLED

Unser aktuelles Projekt im Gola Landscape, WABiLED, ist ein Pilotprojekt in fünf communities, dessen Ziel es ist, mit den communities sogenannte By-Laws für den Waldschutz zu entwickeln, den bestehenden Wald und die degradierten Flächen zu kartografieren und dann aufzuforsten. Da die meisten Dorfleute farming betreiben oder logging geht es auch darum, climate smart farming Methoden einzuführen, so dass der Wald nicht immer weiter schwindet, sondern community Wald definiert wird, in dem dann nachhaltige Landwirtschaft und agroforestry betrieben werden kann. Wir haben zwei communities besucht, um zu sehen, wie climate smart farming das Leben der Menschen verändert.

 Climate smart farming in Lowuma

Zwei Stunden Fahrt durch wunderschöne Landschaft und grüne Natur oder 50km südlich von Kenema, befindet sich Lowuma, ein kleines Städchen am Rande des Regenwaldes. Wir haben uns, wie das so üblich ist hier, im Dorfzentrum mit den Mitgliedern der Community Forest Management Gruppe getroffen. Im Dorfzentrum gibt es meist eine überdachte Versammlungsplattform. Wir haben unser Anliegen vorgetragen und im Anschluss fünf der Mitglieder interviewt.

Die meisten Dorfbewohnerinnen und Dorfbewohner haben früher upland-rice farming betrieben. Dafür müssen jede Saison neue Felder angelegt werden und immer wieder neu Wald vernichtet werden. Die Arbeit ist sehr mühsam und anstrengend und die Erträge nicht undbedingt hoch.

„Als CSSL kam, haben sie uns gesagt, wir sollen den Wald schützen und ihn nicht weiter zerstören. Sie haben uns alternative Landwirtschaftsmethoden beigebracht und gesagt, es ist besser, wenn wir den Wald bewahren und im Schatten der großen Bäume pflanzen“, erklärt zum Beispiel Masa Komoh. Früher hat sie auch upland-rice angebaut, aber sie sagt, es ist körperlich so schwer gewesen und auch allgemein sehr viel mehr Arbeit. Seitdem sie nun Ananas, Bananen, Kochbananen und Kakao anpflanzt, hat sie reichere Ernte, mehr Einkommen und vor allem hat sie mehrere Ernten pro Jahr mit weniger Körpereinsatz. Nach dem Gespräch sind wir mit ihr durchs Dorf gelaufen, um zu ihrer Farm zu gelangen. Ich habe auch ein paar Fotos von ihr vor ihrem Haus gemacht. Ich dachte, es ist mal wieder an der Zeit, dass ihr Dorfimpressionen bekommt. Ich habe mal wieder gemerkt, dass das genau der Teil meiner Arbeit hier ist, der mir am meisten Spaß macht. Im direkten Gespräch mit den Menschen durchs Dorf und durch den Wald laufen. Denn natürlich führt der Weg zu den Feldern erst durchs Dorf, vorbei an ein paar Häusern, dann vorbei an der Dorfschule, hinaus aus dem Dorf, über einen Trampelpfad durch den Wald, bis man dann endlich auf dem Feld ankommt.

Für Masa ist die größte positive Veränderung in ihrem Leben, dass sie nun immer genug Geld hat, um die Schulgebühren zu zahlen und ihre Kinder unterstützen kann, außerdem gibt es jetzt immer frisches, gesundes Obst zu essen. Ich habe auch direkt ein paar Ananas von ihr mitgenommen 😊

Auch die anderen Interviewten haben Ähnliches berichtet. Die meisten haben zuvor upland-rice farming betrieben und sind heute davon weg. Alle erzählen, dass sich ihr Leben und das Leben ihrer Familien dadurch verbessert hat. Sei es die weniger harte körperliche Arbeit, die gesündere Diät oder der bessere Zusammenhalt in der Gruppe. Francis Lahai ist der frühere head teacher an der Dorfschule. Er kümmert sich um seine Enkelkinder, da seine Kinder in der Stadt sind. (Ihr seht ihn auf einem der Fotos mit seinen Enkelkindern. Wir haben ihn getroffen, auf dem Weg zu Masas Feldern.) Francis erzählt auch, dass sich durch das Projekt die Situation im Dorf allgemein verbessert hat. Sie haben Wasserkanäle ausgehoben gegen den Sturzregen, Bäume im Dorf gepflanzt für künftigen Schatten und als Windfang und weitere kleine Projekte. Alles, um die community climate change resilienter zu machen. (Auf einem der Fotos seht ihr Lahai Koroma s.u. vor einem der neu gepflanzten Bäume stehen. Sie werden geschützt, damit die Ziegen sie nicht auffressen, so lange sie noch jung und zart sind.)

Wie so oft sind es nicht die Verursacher, die am meisten leiden. Die Menschen in den Gola-communities, haben weder Autos noch Strom, noch konsumieren sie ständig neue Kleidung oder Produkte. Aber sie sind es, die dem Klimawandel am wenigsten entgegenzusetzen haben. Die Dorfgemeinschaft ist sich der Bedeutung des Waldes jetzt bewusst, wer Bäume fällt, muss 500 Leones Strafe zahlen. Das ist ungemein viel. Der Mindestlohn im Land liegt bei 700/800 Leones, aber in den Dörfern gibt es nicht so viel Geldwirtschaft. 500Leones ist deshalb eine unglaublich hohe Summe.

Lahai Jawad ist schon Mitte 60, Spitzname „destruction of the forest”, hat früher als logger gearbeitet, mit der Motorsäge, daher der Spitzname. Auch er ist mittlerweile zum climate smart farming übergegangen. Der Ast eines Baumes, den er gefällt hat, ist ihm auf die Schulter gefallen, die ihm seitdem weh tut. Natur fights back… Er sagt, es ist viel besser. Jetzt liegt er in der Hängematte und die Leute kommen zu ihm, wenn sie etwas kaufen wollen. Er baut unter anderem Casava an. Casava leave ist das Nationalgericht Sierra Leones aber in den Dörfern gibt es nicht immer Casava. Was eine Goldgrube also, wenn man eine Casava Farm hat. Ich sehe ihn richtig vor mir in seiner Hängematte liegen, wenn er davon berichtet. Bis zu seinem Feld sind wir nicht gekommen, es war zu weit weg. Aber er hat unter wilden Gesten versucht, uns zu überreden, doch hinzugehen (seht ihr auch auf den Fotos, wie er versucht auf meinen Kollegen einzuwirken, der ihn fotografiert).

Und dann ist da noch Lahai Koroma, ein junger, hoch engagierter Mann, der als freiwilliger Forest guard den Wald beaufsichtigt und aufpasst, dass niemand in geschützte Gebiete eindringt. Gemeinsam mit Zainab Swari gehen wir auf ihre Felder. Lahai bearbeitet die Pflanzen mit der Machete, während Zainab stolz über ihre Erdnussfelder blickt. Am Morgen erst hatte sie einen Schwung Avocados verkauft und konnte direkt die Schulgebühren der Kinder bezahlen.

Die Unterhaltungen und die kurzen Spaziergänge zu den Feldern mit den Leuten aus Lowuma waren so erfrischend und motivierend, dass wir kaum gemerkt hatten, dass der Tag schon so fortgeschritten war. Noch lag ein weiteres Dorf vor uns. Und ich hatte schon Sorge, dass wir jetzt wieder viele stories über „früher upland-rice-farming und jetzt groundnuts und pineapple“ hören würden, aber der Nachmittag nahm eine überraschende Wendung.

Women Empowerment durch Umweltschutzprogramme

Nach Lowuma ging es nochmals 30 Minuten über Holperpiste durch die grüne Landschaft nach Faawa. Haben wir in Lowuma die Frauen sehr motivieren müssen, zu erzählen, war es hier ganz anderes. Die Männer kamen kaum zu Wort. Und das liegt anscheinend an unserer Intervention in dem Ort. Als Einstieg hatten wir gefragt, wenn sie fünf Jahre zurückdenken und dann an heute, was ist die größte Veränderung. Umgehend ergriff Mummy Jane, Chiefdom Women´s Leader das Wort und war nicht zu stoppen. Sie berichtete, dass sich die Stellung der Frau im Ort durch das engagement von CSSL unglaublich verändert hat.

„Früher dachten wir, Frauen können nur farming machen (das ist dann immer upland-rice farming), nur Männer können die Plantations managen (Plantations sind immer Bananen, Kochbananen, Cashew, Pineapple, Kakao – alles was mehr Einkommen bringt). Heute ist das anders. CSSL hat bei allen trainings immer dafür gesorgt, dass wenn ein Mann da ist, muss mindestens eine oder auch zwei Frauen da sein. Zuerst haben sie geschaut, ob die Frauen Plantations haben und wenn nicht, wurde ihnen dafür Land gegeben. Jetzt bauen wir Bananen, Erdnüsse, Kakao, Kochbanbanen an und verkaufen sie. Wir bekommen mehr Geld dafür als zuvor für den Reis und es ist weniger anstrengend für uns.“ Da die meisten Menschen in der Gegend nicht so gut Krio sprechen, fanden die Gespräche wie auch schon in Lowuma auf Mende statt und meine Kollegin hat übersetzt. Sie musste zwischendrin immer lachen, so wie auch alle anderen Anwesenden, weil Mummy Jane so kraftvoll und klar zum Ausdruck brachte, was Sache ist. „Heute wissen wir, dass wir keine Männer brauchen, um Geld zu verdienen. Früher haben sie uns in nichts involviert, heute fragen sie nach unserem Ratschlag.“ Ich kann das gar nicht beschreiben, aber diese Frau hat eine unglaubliche Ausstrahlung. Ich dachte mir die ganze Zeit nur Wow. Was für eine Powerfrau.

Die drei Männer in der Runde waren die ganze Zeit still und haben nur ab und an gelächelt und wissend genickt, genauso wie alle anderen anwesenden. (Nur zur Erklärung, auch wenn wir ein Meeting mit fünf Personen haben, sitzt das halbe Dorf it dabei.) Sie haben sich anscheinend in ihrem neuen Schicksal ergeben, dass ohne die Frauen jetzt nichts mehr geht in der community. Abubakarr Mansarei, der Youth Leader, wirkte im Anschluss beinahe schüchtern. Er bestätigte, was Mummy Janet gesagt hatte. Früher hätten die Männer die Ernte einfach nach Kenema gebracht und die Frauen nicht weiter beachtet, heute besprechen sie gemeinsam, was für welchen Preis verkauft werden soll. „Wir wussten ja nichts“, wirft Mummy Janet wieder ein. „Wir hatten noch nie von Kilo gehört. Jetzt wissen wir, dass die Produkte Kilopreise haben und kennen uns besser aus, wie der Handel funktioniert. Das hat unsere Position enorm verstärkt.“

Am Ende kommt auch Jenneh Hassan zu Wort. Sie ist die Town Chief. Das ist schon etwas ungewöhnlich, in einigen Regionen können Frauen nicht Town Chief werden, hier offensichtlich schon. Auf die Frage, ob sie auch etwas beitragen möchte, sagte sie sehr klar „I have something to say.“ Sie ist sehr dankbar für das Projekt und unsere Arbeit, weil es der community sehr viel positive Veränderung gebracht hat und auch sie erwähnt direkt im zweiten Satz „especially for the women“. Sie ist halb in Rente und hat einen Großteil der Verantwortung an ihren Sohn abgegeben. Der sitzt die ganze Zeit auch neben ihr, kommt aber nicht zu Wort. Ganz klar bestimmen in diesem Meeting die Frauen das Gespräch und das Thema. Auf meine Nachfrage, ob es schwierig war, bis alle die Veränderung in den gesellschaftlichen Strukturen akzeptiert haben, gab es nur ein kurzes Nachdenken. Gemeinsam mit der Stärkung der Frauen, kamen benefits für alle. Durch die neuen landwirtschaftlichen Methoden geht es dem gesamten Dorf besser, nicht nur den Frauen. Und immerhin gab es ja schon zuvor den weiblichen Town Chief.

Ich persönlich bin sehr beeindruckt und beflügelt ins Auto gestiegen. Dass wir – oder besser meine Kollegen – mit ihrer Arbeit nicht nur den Wald schützen und die Natur bewahren, nein, den Menschen geht es gesundheitlich besser und die Frauenrechte sind gestärkt. Eine win-win-win Situation. Hoffentlich bleibt das so und führt sich in folgenden Generationen so fort. Es zeigt auch, mit welch „einfachen Mitteln“ Veränderung passieren kann. Durch mehr Teilhabe, mehr Bildung und Zugang zu Information hat sich das Leben der Frauen immens verändert. Sie sind unabhängiger und können für sich selbst sorgen – und für ihre Kinder. Das ist ein enorm wichtiger Schritt zu mehr Gleichstellung.

Es zeigt aber auch, wie sehr das Vorenthalten von Bildung und Wissen, Frauen und Mädchen kleinhalten kann und dies ja auch in einigen Ländern methodisch angewandt wird. Wo Mädchen und Frauen keine Schule besuchen dürfen, nicht studieren dürfen, haben die Männer offensichtlich zu viel Angst, dass sie ihre Macht erkennen und ihr Potential ausschöpfen. Leider hat das auch negative Folgen für die Männer selbst.

Auch spannend, aber ganz anderes Thema: Am Dorfversammlungsort klebte ein riesiger „Scheck“ an der Wand von der National Mineral Agency. Neugierig wie ich bin, habe ich natürlich nachgefragt. Die Dorfgemeinschaft verpachtet Land und erhält dafür jährlich einen Betrag von der Regierung. Die Regierung wiederum erteilt Lizenzen an ausländische Unternehmen zum Abbau von Rohstoffen. Was genau aber das Mining-Unternehmen aus dem Boden holt, wissen sie nicht. Wahrscheinlich Diamanten, aber wie viele und wie für welchen Wert, keine Ahnung…

Und dann noch eine Fotogalerie mit Eindrücken vom Tag und vom Morgen. Leider war ich am Abend so müde, dass ich die große Show verpasste. In Belebu, dem Dorf, in dem wir übernachtet haben, war eine Tanzshow angesagt. Die Künstler haben sogar im gleichen Guesthouse wie wir übernachtet (weshalb es für uns nicht genug Zimmer gab…). Heute Morgen habe ich mich mit einem von ihnen unterhalten. Er meinte, sie machen eine Tour durch die communities mit Musik und Tanz. Ihre Texte klären die Dorfbevölkerung auf und sie hoffen, über social media und Radio auch die Regierung zu erreichen. Sie setzen sich für den Ausbau und die Asphaltierung der Straße zwischen Kenema und Zimmi (nahe liberianische Grenze) ein. Das verstehe ich natürlich, nachdem mein Nacken schmerzt, obwohl ich dieses Mal vorne saß. Alles muss mit dem Motorrad aus Kenema transportiert werden und ist in den Dörfern teurer als in der Stadt, für diejenigen, die Produkte in der Stadt verkaufen möchten, ist es auch sehr schwer, da es nicht viel Transport und Verkehr gibt. Aber ich denke ja auch immer an den Wald. Mit besseren Straßen kommt auch immer Umweltzerstörung…

Nichts destotrotz, hier jetzt Dorfimpressionen mit Bildunterschriften😊

Das erste Bild spricht so viel. Ihr seht es vielleicht gar nicht. Da sind die Kinder, die immer unterwegs sind, teilweise Stöcke in der Hand oder sonst was. Da ist die Bank unter dem Baum, der Schatten spendet. Auf der Bank liegen Solar-Taschenlampen zum Aufladen. Unter der Überdachung verkauft eine Frau snacks. Zwei weitere Frauen laufen auf sie zu mit Schüsseln auf dem Kopf. Im Hintergrund hängt Wäsche auf der Leine. Es fehlen nur die immer anwesenden Hühner und Ziegen. Wo sind die denn hin?

Nach unserem Trip nach Kabala und nun diese Tage in Kenema weiß ich wieder etwas besser, weshalb ich hier bin. Da ist wieder Hoffnung, und da ist wieder Gewissheit, dass wir mit unserer Arbeit wirklich etwas erreichen können, für Mensch und Umwelt.

Auf der Rückfahrt habe ich nochmals den Weg durch die Kaffee- und Kakaoplantagen genossen, vorbei an der kleinen Aufzuchtstation, an Reisfeldern und Teichen, Wäsche waschenden Menschen und ganz viel grüne Hügel 🙂

Da die EU-Wahl ja nicht so positiv ausfiel – von meiner Warte aus – schicke ich euch ein bisschen Hoffnung nach Europa. Grün ist die Hoffnung.

Festung Europa – African Tourists not welcome

In Deutschland ist mal wieder Urlaubszeit. Wie jedes Jahr standen viele vor der Qual der Wahl, wohin es dieses Jahr gehen soll. Bleiben wir in Deutschland, in Europa oder mal was ganz „Exotisches“, mal ganz weit weg, Asien, Amerika, Afrika? Die Welt steht uns offen – solange wir einen europäischen Reisepass haben. Und während die einen lustig durch die Welt tingeln, können die anderen nur davon träumen, einmal in die Ferne zu reisen. Und das liegt nicht unbedingt am Geldbeutel, sondern schlicht und ergreifend an Visavorgaben und Visaantragsprozeduren.

Hier ein paar Beispiele, wie schwierig es für Menschen mit einem Pass eines afrikanischen Landes ist, ein Visum für den Schengenraum zu erhalten – ein Touristenvisum wohlgemerkt. Es geht hier nicht um einen Arbeitsaufenthalt, sondern einfach um einen 2–3-wöchigen Urlaub. Also etwas vollkommen Normales, sollte man denken.

Die Anfangsbuchstaben der Personen in den Beispielen sind frei gewählt. Die Geschichten sind alle wahre Geschichten.

Von Sierra Leone über Ghana nach Deutschland

J. aus Sierra Leone, zum Beispiel, möchte im Sommer gerne für ein paar Wochen in Deutschland Urlaub machen. Da es in Sierra Leone zwar eine deutsche Botschaft gibt, aber ohne konsularische Vertretung, kann er in Sierra Leone kein Visum beantragen. Er muss online einen Termin bei der deutschen Botschaft in Ghana buchen. Die Termine werden alle paar Wochen online gestellt und sind dann umgehend weg. Aus verschiedenen Quellen hört man, dass es die Termine auf dem Schwarzmarkt zu kaufen gibt, in einem kleinen Café in der Nähe der Botschaft in Accra. Leider etwas schwierig, von Sierra Leone aus. Viele Leute warten bis zu einem Jahr, bis sie einen Online-Termin ergattern. Manchmal funktioniert es auch einfach gar nicht, oder der Reisegrund ist längst verjährt. Nichts also mit einem spontanen Urlaub. Selbst ein halbes Jahr Reiseplanung ist mehr als knapp bemessen. Am besten lange im Voraus und absolut flexibel.

Wenn J. es dann doch schafft, einen Termin bei der Botschaft zu erhalten, ist das erst der erste Schritt. Er muss nach Ghana reisen – entweder mit dem Flugzeug (drei Flugstunden für ein paar hundert Euro) oder über Land (rund 2.000km in drei Tagen). Vor Ort muss er zum Interviewtermin erscheinen, mit sämtlichen Unterlagen, Nachweisen über seinen familiären Status, Kinder, Arbeit, finanzielle Nachweise, Versicherung, Flugticket, Einladungsschreiben, gebuchte Hotels, und, und, und. Dann muss er rund 14 Tage in Ghana warten (und während dieser Zeit irgendwo wohnen und irgendetwas essen), bis er seinen Reisepass wieder erhält, hoffentlich mit dem Visum, sonst war alles umsonst.

Für ein Visum für einen Urlaub in Deutschland muss eine Person mit sierra-leonischen Pass also gut tausend Euro (eigentlich noch etwas mehr) und gut drei Wochen Zeit einrechnen, und dann hat die Reise nach Europa noch nicht einmal begonnen. Beinahe hat man das Gefühl, irgendjemand versucht hier zu steuern, dass kaum Menschen aus Sierra Leone, legal mit einem Visum nach Deutschland einreisen. Noch viel schwerer kann man es kaum machen, um ein ganz normales Touristenvisum zu beantragen.

Von Sierra Leone über die Elfenbeinküste nach Italien

Hat jemand einen simbabwischen Pass, wie T., ist das Spiel ein sehr ähnliches. T. hat einen italienischen Partner (mit eingetragener Partnerschaft /Ehe in Italien). Beide leben zusammen hier in Freetown. Möchten sie gemeinsam die Familie in Italien besuchen, muss T. ein ähnliches Prozedere durchstehen wie J. Dieses Mal geht die Reise jedoch nicht nach Ghana, sondern zur italienischen Botschaft in die Elfenbeinküste. Das sind nur 1.500km und gut in 2,5 Tagen zu schaffen. Bei den Überlandreisen kann es natürlich immer passieren, dass es am Ende dann doch 5 Tage sind, weil man nie weiß, ob nicht ein Bus zwischendrin zusammenbricht oder eine Brücke nicht passierbar ist. Aber gehen wir mal vom best-case aus.

Auch mit simbabwischen Pass also, schallt einem kein herzliches Willkommen aus Europa entgegen. Da kann man verheiratet sein mit wem man will. Vorgaben sind Vorgaben, und wenn es in Sierra Leone nun Mal kein Visum gibt, dann muss man eben einen ganzen Urlaub (Zeit und Geld) darauf verwenden, das Visum zu beantragen, bevor der eigentlich Urlaub starten kann.

Nun die gute Nachricht: T. hat sein Visum bekommen und wird die Reisefreiheit im Schengenraum genießen können mit Besuchen in Italien, Deutschland und Frankreich.

Von Sierra Leone über Guinea nach Frankreich

Dann haben wir noch den Fall des frischverheirateten Paares – er deutsch, sie Sierra-Leonerin. Ihr Vater ist in Frankreich, weshalb sie dachten, es wäre vielleicht einfacher, das Visum über Frankreich zu beantragen. Frankreich bietet immerhin einen tollen Service: Sie können zwar auch in Sierra Leone kein Visum erteilen, aber einmal in der Woche kommen Mitarbeitende aus der Botschaft in Guinea, machen die Interviews hier, nehmen die Unterlagen mit nach Guinea und bringen sie dann zwei Wochen später wieder mit zurück. Somit bleibt der Person, die das Visum beantragt, zumindest die kost- und zeitspielige Reise erspart. Aber auch hier – die beiden versuchen es seit Februar. Und haben immer noch kein Visum. Es ist nicht so einfach, herauszufinden, welche Unterlagen nötig sind, welche dann auch noch im Original aus Frankreich hier vorliegen müssen. Da es hier keine Post gibt, muss alles per DHL geschickt werden. Ein Dokument von einer Seite, kostet dann schon mal 85€ im Versand.

Stellt euch also vor, ihr plant ab Januar zum runden Geburtstag eures Vaters im Juni nach Deutschland zu fliegen und möchtet dort gerne mit eurer Partnerin erscheinen. Na viel Glück sage ich mal. Das ist ja mehr als spontan.

Der Europaaufenthalt wurde mittlerweile verschoben, eigentlich war er für Juni geplant, da einige Familienfeiern anstehen. Leider werden sie bei den Familienfeiern nun nicht dabei sein. Wäre auch zu einfach gewesen. Vielleicht klappt es im Juli. Wir drücken die Daumen!

Und manchmal klappt es auch gar nicht

Eine Bekannte (Pass aus der Elfenbeinküste) hat einmal knapp zweitausend Euro ausgegeben für einen Visumsantrag für ein Touristen-Schengenvisum für Deutschland und dann hat sie das Visum nicht bekommen. Sie hätte genug Geld gehabt, um ein bisschen durch Europa zu reisen. Eine junge weltoffene, interessierte Frau. Wollte sich einfach mal ein bisschen bilden…

Reisefreiheit – aber nicht für alle

Ich verstehe, dass der Schengenraum ein unglaubliches Geschenk ist, nicht nur für alle, die dort leben, sondern auch für alle, die ihn besuchen. Welch wundervolle Idee, dass Grenzen einen nicht aufhalten, und man volle Reisefreiheit erfährt, wenn man einmal legal eingereist ist. Warum aber es so schwierig gestalten für Menschen? Reisen bildet und reisen verbindet. Wie unfair ist diese Welt, dass wir mit unseren europäischen Pässen, reisen können, wohin wir wollen (fast überall hin zumindest), wir uns gefühlt alle Länder dieser Welt anschauen können, einmal um die Welt reisen und eintauchen können in fremde Länder und Kulturen und dem Großteil der Menschen ist genau das verwehrt. Ihre Neugierde auf anderes und neues wird nicht gestillt werden.

Vieles was wir wissen, wissen wir, weil wir reisen. Reisen hat schon immer Fortschritt und Entwicklung gebracht. Leider kommt das Privileg des Reisens nicht allen Menschen gleichermaßen zu teil.

Ich möchte nicht behaupten, dass die Menschen kaum eine andere Wahl haben, als illegal nach Europa zu kommen. Mir ist schon klar, dass diejenigen, die über das Mittelmeer kommen zum Beispiel, nicht in die Boote steigen, weil sie schon immer davon träumen, einmal im Leben die Mona Lisa zu sehen. Aber je schwieriger es ist, ein Visum zu erhalten, umso größer die Versuchung für diejenigen, die eines erhalten, in die Illegalität abzutauchen und zu bleiben. Wer weiß schon, ob es jemals im Leben eine zweite Chance auf ein Schengenvisum geben wird?

Es fühlt sich auf jeden Fall sehr nach Diskriminierung an. Es ist ja klar ein politischer Wille dahinter, wie einfach oder wie schwierig es ist, ein Visum zu beantragen. Ich rede nur vom Antrag. Die Entscheidung, wer dann wirklich ein Visum bekommt, unterliegt selbstverständlich bestimmten Vorgaben. Das ist ganz klar, und muss auch so sein.

Geld, Zeit und Nerven

Es kostet sehr viel Geld und Zeit, so ein Touristenvisum zu beantragen. Außerdem die Fähigkeit, deutsche / europäische Behördentexte zu verstehen und die Vorgaben alle richtig zu interpretieren. Dann natürlich das monatelange Zittern, bekommt man endlich einen Termin? Klappt es dieses Mal. Ist ein Termin verfügbar, wenn sich die Online-Maske endlich aufgebaut hat? Hat man dann einen Termin, geht das Zittern weiter. Bekommt man das Visum. Finden sie einen Grund, weshalb man vielleicht nicht zurückkehrt und weshalb sie einem das Visum verweigern? Sind alle nötigen Dokumente da? Habe ich vielleicht irgendetwas vergessen? Es ist eine konstante Nervenbelastung.

Glücklich also diejenigen, die sich solche Gedanken nicht machen müssen. Die einfach ihren Urlaub planen, zwei Tage vorher entscheiden, wo es hingehen soll und dann ganz ohne Bürokratie, Angst und Zittern ihre Reise antreten. Und während so die einen Weltreisen begehen, bleibt den anderen der Traum von der großen weiten Welt.

Genießt also euren Urlaub, egal wohin es euch treibt. Ihr genießt ein Privileg, das ihr nur auf Grund eures Passes habt. Seid euch dessen bewusst, kostet es aus und begegnet denen, die dieses Privileg nicht haben mit Respekt und Mitmenschlichkeit.


Noch ein kleiner Hinweis:
Wir haben seit ein paar Monaten einen Praktikanten aus Deutschland bei CSSL, Luc Bessel. Er schreibt auch einen Blog über seine Zeit in Sierra Leone. Wer also gerne einmal eine andere Perspektive als immer nur meine haben möchte, kann gerne auf Lucs Blog vorbeischauen: https://lucbessel.webador.de/blog

Luc ist auch nicht zum ersten Mal in Sierra Leone. Sein Vater realisiert mit seiner Partnerin ein Aufforstungsprojekt im Norden, in Kamakwie. Dort war er schon einmal für ein paar Wochen als Praktikant. Mehr Infos zu dem Aufforstungsprojekt mit CO2-Ausgleich findet ihr hier: https://greenlimba.com

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