In Deutschland ist mal wieder Urlaubszeit. Wie jedes Jahr standen viele vor der Qual der Wahl, wohin es dieses Jahr gehen soll. Bleiben wir in Deutschland, in Europa oder mal was ganz „Exotisches“, mal ganz weit weg, Asien, Amerika, Afrika? Die Welt steht uns offen – solange wir einen europäischen Reisepass haben. Und während die einen lustig durch die Welt tingeln, können die anderen nur davon träumen, einmal in die Ferne zu reisen. Und das liegt nicht unbedingt am Geldbeutel, sondern schlicht und ergreifend an Visavorgaben und Visaantragsprozeduren.

Hier ein paar Beispiele, wie schwierig es für Menschen mit einem Pass eines afrikanischen Landes ist, ein Visum für den Schengenraum zu erhalten – ein Touristenvisum wohlgemerkt. Es geht hier nicht um einen Arbeitsaufenthalt, sondern einfach um einen 2–3-wöchigen Urlaub. Also etwas vollkommen Normales, sollte man denken.

Die Anfangsbuchstaben der Personen in den Beispielen sind frei gewählt. Die Geschichten sind alle wahre Geschichten.

Von Sierra Leone über Ghana nach Deutschland

J. aus Sierra Leone, zum Beispiel, möchte im Sommer gerne für ein paar Wochen in Deutschland Urlaub machen. Da es in Sierra Leone zwar eine deutsche Botschaft gibt, aber ohne konsularische Vertretung, kann er in Sierra Leone kein Visum beantragen. Er muss online einen Termin bei der deutschen Botschaft in Ghana buchen. Die Termine werden alle paar Wochen online gestellt und sind dann umgehend weg. Aus verschiedenen Quellen hört man, dass es die Termine auf dem Schwarzmarkt zu kaufen gibt, in einem kleinen Café in der Nähe der Botschaft in Accra. Leider etwas schwierig, von Sierra Leone aus. Viele Leute warten bis zu einem Jahr, bis sie einen Online-Termin ergattern. Manchmal funktioniert es auch einfach gar nicht, oder der Reisegrund ist längst verjährt. Nichts also mit einem spontanen Urlaub. Selbst ein halbes Jahr Reiseplanung ist mehr als knapp bemessen. Am besten lange im Voraus und absolut flexibel.

Wenn J. es dann doch schafft, einen Termin bei der Botschaft zu erhalten, ist das erst der erste Schritt. Er muss nach Ghana reisen – entweder mit dem Flugzeug (drei Flugstunden für ein paar hundert Euro) oder über Land (rund 2.000km in drei Tagen). Vor Ort muss er zum Interviewtermin erscheinen, mit sämtlichen Unterlagen, Nachweisen über seinen familiären Status, Kinder, Arbeit, finanzielle Nachweise, Versicherung, Flugticket, Einladungsschreiben, gebuchte Hotels, und, und, und. Dann muss er rund 14 Tage in Ghana warten (und während dieser Zeit irgendwo wohnen und irgendetwas essen), bis er seinen Reisepass wieder erhält, hoffentlich mit dem Visum, sonst war alles umsonst.

Für ein Visum für einen Urlaub in Deutschland muss eine Person mit sierra-leonischen Pass also gut tausend Euro (eigentlich noch etwas mehr) und gut drei Wochen Zeit einrechnen, und dann hat die Reise nach Europa noch nicht einmal begonnen. Beinahe hat man das Gefühl, irgendjemand versucht hier zu steuern, dass kaum Menschen aus Sierra Leone, legal mit einem Visum nach Deutschland einreisen. Noch viel schwerer kann man es kaum machen, um ein ganz normales Touristenvisum zu beantragen.

Von Sierra Leone über die Elfenbeinküste nach Italien

Hat jemand einen simbabwischen Pass, wie T., ist das Spiel ein sehr ähnliches. T. hat einen italienischen Partner (mit eingetragener Partnerschaft /Ehe in Italien). Beide leben zusammen hier in Freetown. Möchten sie gemeinsam die Familie in Italien besuchen, muss T. ein ähnliches Prozedere durchstehen wie J. Dieses Mal geht die Reise jedoch nicht nach Ghana, sondern zur italienischen Botschaft in die Elfenbeinküste. Das sind nur 1.500km und gut in 2,5 Tagen zu schaffen. Bei den Überlandreisen kann es natürlich immer passieren, dass es am Ende dann doch 5 Tage sind, weil man nie weiß, ob nicht ein Bus zwischendrin zusammenbricht oder eine Brücke nicht passierbar ist. Aber gehen wir mal vom best-case aus.

Auch mit simbabwischen Pass also, schallt einem kein herzliches Willkommen aus Europa entgegen. Da kann man verheiratet sein mit wem man will. Vorgaben sind Vorgaben, und wenn es in Sierra Leone nun Mal kein Visum gibt, dann muss man eben einen ganzen Urlaub (Zeit und Geld) darauf verwenden, das Visum zu beantragen, bevor der eigentlich Urlaub starten kann.

Nun die gute Nachricht: T. hat sein Visum bekommen und wird die Reisefreiheit im Schengenraum genießen können mit Besuchen in Italien, Deutschland und Frankreich.

Von Sierra Leone über Guinea nach Frankreich

Dann haben wir noch den Fall des frischverheirateten Paares – er deutsch, sie Sierra-Leonerin. Ihr Vater ist in Frankreich, weshalb sie dachten, es wäre vielleicht einfacher, das Visum über Frankreich zu beantragen. Frankreich bietet immerhin einen tollen Service: Sie können zwar auch in Sierra Leone kein Visum erteilen, aber einmal in der Woche kommen Mitarbeitende aus der Botschaft in Guinea, machen die Interviews hier, nehmen die Unterlagen mit nach Guinea und bringen sie dann zwei Wochen später wieder mit zurück. Somit bleibt der Person, die das Visum beantragt, zumindest die kost- und zeitspielige Reise erspart. Aber auch hier – die beiden versuchen es seit Februar. Und haben immer noch kein Visum. Es ist nicht so einfach, herauszufinden, welche Unterlagen nötig sind, welche dann auch noch im Original aus Frankreich hier vorliegen müssen. Da es hier keine Post gibt, muss alles per DHL geschickt werden. Ein Dokument von einer Seite, kostet dann schon mal 85€ im Versand.

Stellt euch also vor, ihr plant ab Januar zum runden Geburtstag eures Vaters im Juni nach Deutschland zu fliegen und möchtet dort gerne mit eurer Partnerin erscheinen. Na viel Glück sage ich mal. Das ist ja mehr als spontan.

Der Europaaufenthalt wurde mittlerweile verschoben, eigentlich war er für Juni geplant, da einige Familienfeiern anstehen. Leider werden sie bei den Familienfeiern nun nicht dabei sein. Wäre auch zu einfach gewesen. Vielleicht klappt es im Juli. Wir drücken die Daumen!

Und manchmal klappt es auch gar nicht

Eine Bekannte (Pass aus der Elfenbeinküste) hat einmal knapp zweitausend Euro ausgegeben für einen Visumsantrag für ein Touristen-Schengenvisum für Deutschland und dann hat sie das Visum nicht bekommen. Sie hätte genug Geld gehabt, um ein bisschen durch Europa zu reisen. Eine junge weltoffene, interessierte Frau. Wollte sich einfach mal ein bisschen bilden…

Reisefreiheit – aber nicht für alle

Ich verstehe, dass der Schengenraum ein unglaubliches Geschenk ist, nicht nur für alle, die dort leben, sondern auch für alle, die ihn besuchen. Welch wundervolle Idee, dass Grenzen einen nicht aufhalten, und man volle Reisefreiheit erfährt, wenn man einmal legal eingereist ist. Warum aber es so schwierig gestalten für Menschen? Reisen bildet und reisen verbindet. Wie unfair ist diese Welt, dass wir mit unseren europäischen Pässen, reisen können, wohin wir wollen (fast überall hin zumindest), wir uns gefühlt alle Länder dieser Welt anschauen können, einmal um die Welt reisen und eintauchen können in fremde Länder und Kulturen und dem Großteil der Menschen ist genau das verwehrt. Ihre Neugierde auf anderes und neues wird nicht gestillt werden.

Vieles was wir wissen, wissen wir, weil wir reisen. Reisen hat schon immer Fortschritt und Entwicklung gebracht. Leider kommt das Privileg des Reisens nicht allen Menschen gleichermaßen zu teil.

Ich möchte nicht behaupten, dass die Menschen kaum eine andere Wahl haben, als illegal nach Europa zu kommen. Mir ist schon klar, dass diejenigen, die über das Mittelmeer kommen zum Beispiel, nicht in die Boote steigen, weil sie schon immer davon träumen, einmal im Leben die Mona Lisa zu sehen. Aber je schwieriger es ist, ein Visum zu erhalten, umso größer die Versuchung für diejenigen, die eines erhalten, in die Illegalität abzutauchen und zu bleiben. Wer weiß schon, ob es jemals im Leben eine zweite Chance auf ein Schengenvisum geben wird?

Es fühlt sich auf jeden Fall sehr nach Diskriminierung an. Es ist ja klar ein politischer Wille dahinter, wie einfach oder wie schwierig es ist, ein Visum zu beantragen. Ich rede nur vom Antrag. Die Entscheidung, wer dann wirklich ein Visum bekommt, unterliegt selbstverständlich bestimmten Vorgaben. Das ist ganz klar, und muss auch so sein.

Geld, Zeit und Nerven

Es kostet sehr viel Geld und Zeit, so ein Touristenvisum zu beantragen. Außerdem die Fähigkeit, deutsche / europäische Behördentexte zu verstehen und die Vorgaben alle richtig zu interpretieren. Dann natürlich das monatelange Zittern, bekommt man endlich einen Termin? Klappt es dieses Mal. Ist ein Termin verfügbar, wenn sich die Online-Maske endlich aufgebaut hat? Hat man dann einen Termin, geht das Zittern weiter. Bekommt man das Visum. Finden sie einen Grund, weshalb man vielleicht nicht zurückkehrt und weshalb sie einem das Visum verweigern? Sind alle nötigen Dokumente da? Habe ich vielleicht irgendetwas vergessen? Es ist eine konstante Nervenbelastung.

Glücklich also diejenigen, die sich solche Gedanken nicht machen müssen. Die einfach ihren Urlaub planen, zwei Tage vorher entscheiden, wo es hingehen soll und dann ganz ohne Bürokratie, Angst und Zittern ihre Reise antreten. Und während so die einen Weltreisen begehen, bleibt den anderen der Traum von der großen weiten Welt.

Genießt also euren Urlaub, egal wohin es euch treibt. Ihr genießt ein Privileg, das ihr nur auf Grund eures Passes habt. Seid euch dessen bewusst, kostet es aus und begegnet denen, die dieses Privileg nicht haben mit Respekt und Mitmenschlichkeit.


Noch ein kleiner Hinweis:
Wir haben seit ein paar Monaten einen Praktikanten aus Deutschland bei CSSL, Luc Bessel. Er schreibt auch einen Blog über seine Zeit in Sierra Leone. Wer also gerne einmal eine andere Perspektive als immer nur meine haben möchte, kann gerne auf Lucs Blog vorbeischauen: https://lucbessel.webador.de/blog

Luc ist auch nicht zum ersten Mal in Sierra Leone. Sein Vater realisiert mit seiner Partnerin ein Aufforstungsprojekt im Norden, in Kamakwie. Dort war er schon einmal für ein paar Wochen als Praktikant. Mehr Infos zu dem Aufforstungsprojekt mit CO2-Ausgleich findet ihr hier: https://greenlimba.com