Monat: Dezember 2021

Rezension – Steff: „Spontanurlaub in Salone“

Anmerkung von thekaddl: Hier folgt nun die lange und sehnsüchtig erwartete Rezension unseres ersten Gastes Steff. Die Inhalte und Fotos stammen alle von ihm.

Hello, ich bin der Steff und hatte die Möglichkeit die Bloggerin Kaddl (bekannt von thekaddl.com) in Sierra Leone als erster Gast zu besuchen. Nun möchte ich natürlich ein paar Eindrücke, Erlebnisse und Erfahrungen mit euch teilen. Wer also damit liebäugelt Kaddl selbst zu besuchen und dabei das Land zu entdecken, kann sich hier ein paar Anreize holen und über die dortigen Gegebenheiten informieren.

Zuerst sei gesagt, der Urlaub wurde relativ spontan gebucht und somit auch im Vorfeld kaum geplant. Aufgrund der Einreisebestimmungen (Gelbfieber-Impfung, notwendige PCR-Tests, Visum-Antrag, …) und der nicht allzu vorhandene Vorlaufzeit bis zum Abflug startete der Urlaubsantritt erst etwas chaotisch. Jedoch verlief im Nachhinein betrachtet alles reibungslos, auch aufgrund von Kaddls Koordinationsfähigkeiten zu den nötigen Anlaufstellen.

Würde ich den Urlaub in Form einer Postkarte an meine Oma beschreiben dürfte ich folgende Sätze zitieren: „Ich bin gerade in Sierra Leone, an der Westküste von Afrika. Es ist hier sehr heiß, die Leute sind sehr nett und die Natur ist super schön.“

Für euch werde ich natürlich noch etwas weiter ausholen…

Angekommen am Flughafen in Freetown wirkte alles chaotisch. Man muss etliche Stationen durchlaufen (Temperaturmessung, Passkontrolle, Bezahlung PCR-Test, Bezahlung Fähren-Ticket, Antrag Covid-Test, Durchführung Covid-Test, warten auf Ergebnis) bis man in den Bus zur Fähre darf. Ab da war es ein Selbstläufer. Kurzer Kontakt zu Kaddl wann ich mit der Fähre aufschlage, dann wurde ich direkt von ihr und Tina empfangen und mit dem Auto zur Wohnung gebracht.

Hier erwartete mich eine großräumige Wohnung. Ich bekam sogar ein eigenes Gästezimmer mit Matratze, eigenem Balkon und Bad. Schnell stellte sich ein gemütliches WG-Leben ein und man verbachte viel Zeit zusammen in den eigenen vier Wänden mit Würfel- und Kartenspielen, gemeinsames Kochen und Essen und das ein oder andere Durstlöschgetränk in Form von Bier oder Gin mit Ananassaft.

In meiner Anwesenheit gab es ab und an Probleme mit Stromausfall, was mich als Urlauber weniger betroffen hat. Kaddl hatte mich hier hingehend schon vorgewarnt und auf Powerbanks und ggf. Stirnlampe hingewiesen. An einem Tag war die Wasserversorgung kurz nicht gegeben, jedoch kein akutes Problem, da man sich vorab mit genügend Trinkwasser und Wasserbehältern für die Hygiene absichern kann.

Abseits der Wohnung konnten wir einen Wochenendtrip auf eine Insel mit Übernachtungen machen, begleitet von einer Tour über eine alte Insel zur damaligen Sklavenhaltung und eine Wanderung durch einheimische Dörfer. Auch unter der Woche konnte man den ein oder anderen Strand besuchen, die Schimpansen Aufzucht besichtigen und eine Dschungel Wanderung unternehmen. Man merkt dabei deutlich, hier in Sierra Leone gibt es kaum Tourismus. An den Stränden und Ausflügen waren wir nahezu immer alleine, hier ist nichts überlaufen. Dagegen wirkt die Innenstadt von Freetown laut, chaotisch und dreckig. Hier habe ich nur bei der Durchfahrt Eindrücke gesammelt, entspannter ist es aber definitiv abseits hiervon.

Zusammenfassend war es eine sehr coole Zeit, da ich nie wirklich alleine unterwegs war. Egal ob Kaddl, Tina oder beide – es war immer jemand da mit dem man gemeinsam etwas unternehmen oder einfach den Tag zusammen ausklingen lassen konnte. Es war rundum immer entspannt und man fühlte sich sofort wohl und aufgenommen in der WG. Dass es durchgehend warm bis heiß ist, Moskitos einen am liebsten auffressen würden, nicht der beste Standard gegeben ist und bei jeder Nettigkeit der Einwohner ein Trinkgeld gern gesehen ist – darauf sollte man sich einlassen können. Doch genau wegen solcher Erfahrungen war ich gerne dort zum Urlaub machen.

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@Steff: Vielen lieben Dank für diesen wertvollen Beitrag und auch nochmals Danke für deinen Besuch. Es hat uns sehr gefreut, dass du da warst und das Gästezimmer heißt jetzt Steff´s Zimmer 🙂 Allerdings wundere ich mich, weshalb du meinen Leserinnen und Lesern deinen Ausflug zum Friseur und in die Mukki-Bude vorenthalten hast 😉

Weihnachten na Salone

Wie schon mehrfach erwähnt, ist der Dezember und damit die Weihnachtszeit die Party- und Festivalsaison. Macht natürlich Sinn, da Trockenzeit und somit kein Regen. Strandpartys statt Aprésski, Christmas-Party an Stelle von Stille Nacht, Heilige Nacht. Und das Ganze bei konstant warmen Temperaturen. Wir sind Anfang Dezember mit gutem Beispiel vorangegangen und haben endlich meine erste Party in meiner Wohnung gefeiert! Anlass war der Abschied von Sarah, die ein paar Tage später zurück in die UK ist. Obwohl mal wieder kein Strom da war und es deshalb statt kühlem Bier Gin-Ananas-Bowle gab, war es eine gute Party. Und am Ende kam sogar der Strom zurück und das Partylicht kam noch zum Einsatz. Auch in der Kletterhalle gab es eine Weihnachts-Fundraising-Party. An den Wochenenden Partys am Strand und Festivals in der Stadt. Immer etwas geboten. Wenn man in der Stadt unterwegs ist, sieht man überall in den Kreisverkehren Weihnachtsdeko mit viel Lichter-Blingbling, auch einige Restaurants sind bunt geschmückt und es gibt viele Plastikweihnachtsbäume mit bunten Lichterketten.

Letzte Anstrengungen und Closing of the office

Aber auch hier heißt es: erst die Arbeit, dann das Vergnügen. Fast hatte ich schon wieder vergessen, wie abgekämpft, entnervt und fertig ich in den Wochen vor Weihnachten war. Aber beim Videocall mit meinem Bruder gestern kam es mir wieder. Nachdem er meinte, „Ach, du siehst dieses Mal ja richtig entspannt und nach Urlaub aus, nicht so fertig wie das letzte Mal“, wurde mir bewusst, wie angespannt ich offensichtlich gewesen bin.

Von den zwei Workshop-Wochen hatte ich ja schon berichtet (Mano River Conference und Do No Harm), im Anschluss folgte noch eine Woche Büro, aber wieder einmal waren meine Kollegin und mein Kollege nicht wirklich da, so dass Planung und Absprachen nicht stattfinden konnten und dann stand ja noch mein Workshop an.

Teambuilding und Ventil

Nach sehr viel Hin-und Her in der Vorbereitung für meinen Workshop in Kenema – wer übernachtet im Guesthouse, wer will einfach die Tagessätze, wer bekommt die Tagessätze und was genau können wir eigentlich abrechnen – es war nicht so einfach, das alles herauszufinden und dann zu organizen, aber am Ende hat es klappt. Ich war sehr froh, dass ich meine Einheiten schon vorbereitet hatte und das nicht auf die letzten Tage vor dem Workshop geschoben hatte.

Zuerst hatte ich einen Strategie- und Planungsworkshop nur für mich, Abdul und Mariama im Kopf gehabt. Aber dann wurde immer klarer, dass wir eigentlich mit den Kommunikationsleuten aus den Projekten enger zusammenarbeiten müssen. Deshalb habe ich dann alle Kommunikations-, Advocacy- und Environmental Education Kolleginnen und Kollegen eingeladen. Insgesamt waren wir zu acht. Also eine ganz nette Größe. Mein Hauptziel war es, das Teamgefühl zu stärken und hineinzuhören, wie die Situation eigentlich ist und was die Wünsche und Erwartungen der anderen sind. Was soll sich denn verändern, durch mich und meinen Einsatz hier. Schnell habe ich gemerkt, dass sehr viele Erwartungen an mich gerichtet werden, die mein Mandat hier übersteigen und die auch nicht direkt etwas mit meiner Stellenbeschreibung zu tun haben. Aber der Workshop war sehr erfolgreich aus meiner Sicht. Wir haben es geschafft, genauer zu definieren, wer wir sind, was wir wollen und was wir brauchen. Mit der Planung für 2022 haben wir begonnen, aber da brauchen wir noch einen Folgeworkshop. Den Termin haben wir schon für Ende Februar festgelegt. Wenn wir es schaffen, weiter an einer gemeinsamen Kommunikation zu arbeiten und einfach mehr miteinander kommunizieren, dann ist schon viel gewonnen. Das wird sich dann nächstes Jahr zeigen.

Am Mittwochabend kamen auch alle anderen Kolleginnen und Kollegen in Kenema an für unseren Jahresendretreat am Donnerstag. Zuerst gab es Statements, kurze Projektvorstellungen und dann das Highlight: Freundschaftsspiel gegen das Team vom Gola Rainforest. Wir haben sehr klar verloren. Kein Wunder: Büromannschaft gegen Forest Guards. Da ist ja wohl klar, wer fitter ist und länger fresh dem Ball hinterherlaufen kann. Immerhin: in den fünf Minuten, in denen ich in der Abwehr war, gab es kein Gegentor 😉

Hier noch ein paar Eindrücke vom Workshop selbstverständlich mit Gruppenfoto und vom Fußballspiel.

Am Freitag war dann „closing of the office“ bis zum 4. Januar und somit: Urlaub. Ich war schon ab Mittwochnachmittag entspannt. Seitdem mein eigener Workshop vorbei war, war ich gechillt. Ich war am Mittwochnachmittag noch Sportschuhe shoppen fürs Fußballspiel und ein paar Weihnachtsgeschenke auf dem Markt in Kenema und abends waren wir mit ein paar Kollegen unterwegs. Ich war also schon längst in Christmas Mood, was hier gleichzusetzen ist mit Party Mood.

Yoga-Retreat in Selbstisolation

Zurück in Freetown ging es deshalb auch direkt rein ins Nachtleben. Wie in meinem letzten Beitrag geschrieben, haben wir uns abends erst einmal mit John getroffen auf ein Bierchen und dann sind wir irgendwie noch im Club gelandet. Samstag war ich dann nochmal unterwegs und war eigentlich schon in großer Vorfreude, weil ein ziemlich cooles Festival stattfand und ich für Sonntag von einem Kumpel Tickets bekommen hatte. Beste Aussichten also: Sonntag schön Festival und dann stand ja direkt im Anschluss, Montag bis Mittwoch, Peercoaching mit Sebastian am Bureh Beach an. So kann man den Weihnachtsurlaub natürlich bestens starten. Aber wie sooft kommt es dann doch anders als gedacht. Mein anderer Freund John wurde am Sonntag positiv auf Corona getestet, da hieß es für Tina und mich erst einmal Selbstisolation. Etwas besseres hätte uns kaum passieren können. Gut, dass ich das Festival verpasst habe, finde ich sehr schade, aber unsere Selbstisolation hat mir so gut getan: Jeden Tag lange im Bett liegen, dann lange Yogaeinheit mit Meditation, anschließend gesundes Frühstück, ganz viel Lesen und lecker Kochen und Essen. Abends nochmal Abendyoga und das ganze wieder von vorne. Perfekt zum Runterkommen.

Christmas Dinner und Dinner Party

Am Donnerstag haben wir uns rechtzeitig zur ersten Christmas Dinner Einladung aus unserer Selbstisolation entlassen – nach einem negativen Selbsttest selbstverständlich. Rachel, eine Freundin, die ich vom Klettern kenne, hat uns eingeladen. Wir waren etwas unsicher, was zieht man da an, was bringt man mit, was erwartet uns da? Es war viel legerer als erwartet und auch etwas ungewohnt. Auf dem länglichen Balkon waren Stühle aufgereiht, so dass man nur sehr schwer mit anderen Gästen – die in Kleingruppen herumsaßen – ins Gespräch kam. Aber es gab viel zu Trinken und noch mehr zu Essen. Klassiker: Reis, Hühnchen, Fisch, Casava Leaf, Salat. Die meisten Gäste sind nicht lange geblieben, so dass Tina und ich zusammen mit einem weiteren Gast die letzten Gäste waren. Am Ende saßen wir zu viert mit der Gastgeberin in der Runde und haben unsere Qualität als Gäste bewiesen. Wenn wir eins können, dann eben gute Gäste sein, die viel Essen und Trinken und lange bleiben 😉 Ich glaube, Rachel war dann trotzdem froh, als wir gegangen sind. Sie sah mir am Ende etwas müde aus.

Für den 24. hatten wir eine Einladung bei Maria. Maria wohnt im Erdgeschoß und da wir sie und einige ihrer Freunde schon kennen, war klar, dass das eine ganz andere Geschichte werden wird, als am Donnerstag. Wir waren vorbereitet auf Drinks, Tanzen und eine wilde Nacht. Und so kam es dann auch. Wir haben Weihnachtsbowle vorbereitet und mitgebracht – sie kam sehr gut an! Die Bowle wird gerade unser Alleinstellungsmerkmal in der Partyszene. Die Gäste bei Maria sind immer eine bunte Mischung an Leuten die Lust auf Feiern haben. Da die Nacht etwas kurz war, war entsprechend unser erster Weihnachtsfeiertag sehr entspannt. Wir haben natürlich auch einen Weihnachtsbaum – den hat Tina Donnerstagnacht noch für mich aufgestellt und geschmückt! Zwischen zwei Weihnachtsfilmen gab es am 25. dann Bescherung. Ich war abends nochmal auf einen Wein bei Maria, während Tina schon früher ins Bettchen ist.

Gestern ging es für mich zu einer Einladung zum Christmas Lunch. Ein anderer Freund, den ich auch vom Klettern kenne, hatte eingeladen. Aus dem Lunch wurde ein langer Nachmittag bis in den Abend. David wohnt in einem sehr großen Haus, mit großem Garten inklusive Gemüsegarten, Hühnern, Ziegenbock und Blick in die Hügel und auf das Gästehaus der Chinese Embassy. Anfangs hatte ich mich immer gefragt, wo wohnen denn hier alle reichen Leute mit den großen Häusern und den ausufernden Gärten – seit ein paar Wochen weiß ich es. Davids Firma hat das Haus angemietet. Er wohnt dort mit Kolleginnen und Kollegen, die für die gleiche Firma arbeiten. Es war ein super entspannter Nachmittag mit ein paar Bierchen auf der großen Terrasse und sehr netten Leuten.

Jetzt sind die Weihnachtstage offiziell vorbei. Ich habe noch frei bis zum 3. Januar. Dann holen wir unser Peercoaching am Strand nach und dann geht es ab 6. Januar wieder ins Büro. Für Sylvester haben wir schon eine Einladung für eine Party. Ob wir davor nochmal ein paar Tage wegfahren oder nicht, entscheiden wir heute.

Weihnachten war auf jeden Fall dieses Jahr ganz anders als sonst. Am 24. bin ich mit sehr großem Heimweh aufgewacht und mir war klar, dass ich nächstes Jahr auf jeden Fall zuhause bin an Weihnachten. Welch glücklicher Zufall, dass genau in diesem Moment eine sehr liebe Freundin angerufen hat und mich gestärkt hat. Danke! Jetzt sieht die Welt schon wieder anders aus – also mal schauen, was die letzten Tage des alten Jahres noch bringen und was dann 2022 auf mich wartet…

Euch allen weihnachtliche Grüße und ein Gutes Ausklingen von 2021!!!

Please Ma, ah beg yu*

„Sierra Leone ist eines der ärmsten Länder der Welt.“ Es ist einer dieser Sätze, die man als erstes liest oder hört, wenn man sich über Sierra Leone informiert. Aber was dieser Satz bedeutet, das steht nirgends. Was heißt es denn, in einem der ärmsten Länder der Welt zu leben? Ich frage mich das öfter und eine Antwort finde ich nicht so richtig.

Letzte Woche war ich in Kenema, das ist eine Stadt im Südosten des Landes, fünfeinhalb Autostunden von Freetown entfernt. Auf der Heimfahrt beim Blick aus dem Fenster gingen mir viele Gedanken dazu durch den Kopf.

„Die ärmsten Länder der Welt“

Die ärmsten Länder der Welt… Ich sehe da eher Bilder aus dem Jemen vor mir oder aus Krisengebieten in der Sahal. Bilder von Kindern, die so klein und unterentwickelt sind, dass ich ganz tief in mir erschüttert bin vom bloßen Anblick dieser kleinen Körper, bestehend aus Haut und Knochen. Aber bestimmt sehe ich vor meinem inneren Auge nicht Sierra Leone.

Ich bin mir natürlich bewusst, dass ich mich hier nicht mit dem ärmsten Bevölkerungsteil umgebe. Meine Wohngegend ist nicht die schlechteste, eher eine der besten. Trotzdem gibt es viel Wellblech um mich herum, in den Nachbarhäusern wird draußen auf Kohle gekocht, draußen abgespült und Wäsche gewaschen und es gibt öffentliche Toiletten- und Duschhäuschen, die sich mehrere Familien teilen. Viele haben Toilette und Waschstelle nicht im Haus. Durch meine Arbeit in den Dörfern und meinem Alltag in der Stadt habe ich wahrscheinlich schon relativ viele Einblicke in unterschiedliche Lebensrealitäten gewonnen. Natürlich gibt es auch in den ärmsten Ländern der Welt reiche Menschen und arme Menschen. Wie überall. Wie es ja auch in Deutschland mehrere Millionen Menschen gibt, die unterhalb der Armutsgrenze leben. Das dürfen wir ja auch nicht vergessen. Oder besser: diese Menschen sollten wir auch nicht vergessen.

Was aber gehört dazu, wenn man in einem der ärmsten Länder der Welt lebt? Es gibt nicht immer Wasser und Strom. Manchmal gibt es auch kein Benzin. Die Straßen sind teilweise schlecht. Es gibt keine staatliche Fürsorge. Polizei, Lehrkräfte, Politikerinnen und Politiker, Angestellte im öffentlichen Dienst – viele versuchen ihren geringen Lohn mit zusätzlichen Geldern aufzustocken, sprich: es gibt viel Korruption. Von Machtmissbrauch und Genderthematik möchte ich hier jetzt gar nicht anfangen. Die tägliche Diät ist sehr eingeschränkt und viele Menschen ernähren sich sehr einseitig, was natürlich Einfluß auf den Körperbau, die Gesundheit und die Lebenserwartung hat. Das Schulsystem ist mehr als marode und in den ländlichen Gebieten gibt es meist nur eine Primary School in Laufnähe (Laufnähe bedeutet in einem Umkreis von 3-5km), von einer Secondary School wollen wir mal gar nicht träumen. Die Wirtschaft ist vollständig abhängig vom Ausland. Der Strom in der Hauptstadt kommt teilweise von einem türkischen Schiff, das vor der Küste ankert und dort Strom produziert. Die Regierung hatte vor ein paar Wochen nicht bezahlt, da gab es eben für ein paar Tage keinen Strom. All diese Sachen passieren in reicheren Ländern wahrscheinlich nicht.

Kein Wasser, kein Strom, keine Zuverlässigkeit

Allgemein fehlt es an Zuverlässigkeit im Alltag. Wir können uns nicht darauf verlassen, dass Sachen funktionieren, weder Infrastruktur noch Dinge, die wir hier kaufen. Die Waren, die es hier zu kaufen gibt, sind entweder gebraucht oder billige Ware aus Asien. Das fängt bei Kugelschreibern, Post-Its und Markern an und geht über Kleidung und Elektroartikel weiter. Wir sind leider darauf angewiesen, mit Produkten von sehr geringer Qualität zu arbeiten, was es natürlich etwas schwer macht, wirklich gut voranzukommen und Sachen zu verbessern. Es sind oft diese kleinen Dinge im Alltag, die das Leben kompliziert und anstrengend machen.

All diese strukturellen Herausforderungen kann ich mal mehr mal weniger gut akzeptieren. Daran gewöhne ich mich teilweise und nehme sie gar nicht immer wirklich wahr. Auf der Rückfahrt von Kenema kam mir deshalb der Gedanke, wenn das hier eines der ärmsten Länder der Welt ist, vielleicht ist es dann doch nicht soooo schlecht um die Welt bestellt. Ja, viele Menschen kämpfen täglich und haben ein sehr anstrengendes Leben – und sei es „nur“ die tägliche Handwäsche der Klamotten und das Transportieren des Wassers – aber es fühlt sich nicht nach Ausweglosigkeit und Hoffnungslosigkeit an. Das Leben ist wie es ist, und es wird das Beste daraus gemacht. Das Leben hier ist sehr weit entfernt von den Bildern, die in meinem Kopf erscheinen, bei der Phrase „ärmste Länder der Welt“. Diese Bilder sind zu sehr von Katastrophenberichten aus den Medien beeinflusst. Wie überall gibt es auch hier einfach normalen Alltag.

Neben den strukturellen Schwächen im System und der fehlenden Infrastruktur, gibt es für mich aber noch die eine große Herausforderung hier, in einem der ärmsten Länder der Welt. Ich bin auf einmal nicht mehr Teil der Durchschnittsgesellschaft und weit entfernt von Mittelschicht. Durch meine Herkunft, meine Hautfarbe, mein Einkommen und meinen Pass bin ich unglaublich privilegiert.

Meine Privilegien – oft eine große persönliche Herausforderung

All die Sorgen und Nöte der Menschen – ich teile sie nicht wirklich. Ja, auch ich habe oft keinen Strom, aber nur weil ich mich bis jetzt geweigert habe, meine Wohnung an den Generator der Nachbarin anzuschließen. Und sollte ich doch einmal zu lange keinen Strom oder kein Wasser haben, dann habe ich jederzeit die Option ein paar Tage bei einem meiner britischen Johns unterzukommen, die große Wohnungen haben mit 24/7 Strom, Internet und Wasser. Ja, ich habe manchmal kein Wasser, aber dann tragen mir meine Security Leute die Eimer eben in den dritten Stock. Ich habe ein Auto, ich habe keine Geldsorgen und falls ich krank werden sollte, kann ich mir sicher sein, dass ich die bestmögliche Behandlung bekommen werde. Ich habe meine Medizinbox in meinem Schrank, bin gegen vieles geimpft und kann es mir leisten, sauberes Wasser zu haben und Essen in guter Qualität zu kaufen.

Konfrontation mit der Realität – was tun?

Ausschlaggebend für diesen Beitrag war eine Situation von Freitagabend. Sie arbeitet immer noch in mir. Wie gesagt, am Heimweg von Kenema dachte ich noch, ach, wenn das hier eines der ärmsten Länder der Welt ist, dann geht es dem Rest ja wirklich ganz gut. Abends waren wir dann mit meinem einem Freund John in einer der Strandbars auf ein letztes gemeinsames Bierchen dieses Jahr, weil John über Weihnachten und Sylvester in den UK ist.

Wir sitzen also gemütlich an unserem Tisch – Tina, John und ich – und trinken unser Bier. Die Strandbar ist eine Holzkonstruktion, quasi wie eine Holzterrasse direkt am Meer, die auf Stelzen steht. Um uns herum schon Dunkelheit, es wird hier zurzeit immer ab halb sieben/sieben dunkel. Auf einmal kommt von meiner linken Seite eine Stimme an mein Ohr „Yes Ma, please Ma, ah de beg yu“. Als ich in die Richtung schaue, blicke ich einem Jungen in die Augen. Insgesamt waren es drei Jungs, die da am Strand neben uns standen und uns um Geld gebeten haben, damit sie sich Essen kaufen können. John hat offensichtlich die gleiche Policy wie ich – wir geben kein Geld. Aber es ist alles andere als einfach – ah de tell yu. Wir haben den Jungs mehrfach gesagt, dass wir ihnen nichts geben, aber sie waren sehr hartnäckig. Verständlich. Ich denke, wer schnell aufgibt, der überlebt nicht lange auf der Straße. So sind sie immer wieder hochgeklettert neben uns und haben uns um Hilfe gebeten. Wie hart und herzlos ist das – da bittet dich jemand um Hilfe und du sagst einfach nein.

Da war sie also mal wieder. Diese Situation mit den Privilegien. Was tun? Ich weiß, man soll Kindern eigentlich nichts geben, vor allem kein Geld. Wenn sie mit Betteln Geld verdienen, kann es sein, dass sie nichts anderes lernen. Andererseits: was sollen sie anderes machen? Als ob tausend gut bezahlte Jobs auf diejenigen warten würden, die einen guten Schulabschluss haben. So ist es ja nicht. Und die Jungs, die am Strand betteln, sind bestimmt nicht die Jungs, die die Möglichkeit auf eine gute Schulbildung haben. Gleichzeitig ist klar, wenn ich den drei Jungs Geld gebe – abgesehen davon, dass wir nicht wissen, ob sie das Geld wirklich selbst behalten können oder abgeben müssen – was ist das für ein Zeichen? Kommen sie morgen wieder, kommen morgen mehr?

Natürlich wurden nur wir von den Jungs angesprochen. Die Gäste an den anderen Tischen wurden ignoriert. Bestimmt wissen die Jungs, dass Sierra Leoner ihnen nichts geben, im Gegensatz zu den Weißen aus Europa und den USA. Und fast hatten sie mich, mit ihrem Spruch

Wi go make yu laugh

Ein Lachen, eigentlich unbezahlbar. Sie haben auch angeboten, für uns zu tanzen. Es hätte also schon eine Leistung gegeben für unser Geld. Wir haben dann auch mit John darüber gesprochen, was wohl das richtige ist in solchen Situationen. Ich denke, es gibt kein richtig und kein falsch. Es fühlt sich nur so unglaublich falsch an, diesen Jungs kein Geld zu geben oder nicht einfach Essen für sie zu bestellen und es ihnen zu geben, so dass sie nicht hungrig schlafen gehen müssen. Aber ich weiß auch, dass das Problem größer ist als jede und jeder einzelne von uns. Den Jungs sind die großen Zusammenhänge mit Sicherheit vollkommen egal, sie haben Hunger und wollen etwas essen. Die Policy, niemandem Geld zu geben, schützt mich, weil ich dann nicht jedes Mal nachdenken muss, gebe ich jetzt etwas oder nicht. Aber es macht das Ganze nicht einfacher. Soll ich es wirklich zulassen, dass Menschen hungrig sind, wenn es mich ein paar Euro kosten würde und ich die Situation Hier und Jetzt ändern könnte? Ist das wirklich richtig und vor allem ist es menschlich? Es fühlt sich nicht gut an. Aber noch habe ich keine Lösung dafür, mit der ich mich wirklich gut fühle. Wenn ich darüber schreibe, denke ich, es ist mehr als gemein, nichts zu geben. Aber wo anfangen und wo aufhören? Anfangen beim ersten Menschen, der mich anspricht, und aufhören, wenn das Geld aufgebraucht ist? Oder doch im kleinen Kreise unter Freundinnen und Freunden helfen und versuchen über meine Arbeit positive Veränderung zu unterstützen?

Situationen wie die am Strand mit den Jungs gehören eben auch zum Leben in einem der ärmsten Länder der Welt. Meine Hautfarbe strahlt die Informationen über meine Privilegien in alle Himmelsrichtungen. Ich kann mich nicht rausreden mit Sätzen wie „Ich habe auch nicht viel Geld“, „Ich bin auch nicht reich“ oder ähnliches. Ich bin sehr reich im Vergleich zur großen Mehrheit der Bevölkerung hier. Und auch damit muss ich irgendwie klarkommen. Ich möchte jetzt hier nicht rumjammern und so tun als wären meine Privilegien eine ach so große Last. Ich bin sehr sehr dankbar, dass ich sie habe. Und ich bin mir ihrer mehr als bewusst. Bloß, wie damit umgehen? Da muss ich noch ein bisschen in mich gehen und brauche noch mehr Austausch mit anderen. Vielleicht gibt es aber auch einfach keine Lösung dafür.

Omikron und Co – bei dir so?

Zum Schluss noch ein kleines Covid-Update. Da in Deutschland die Zahlen ja gestiegen waren in den letzten Wochen und ich heute gelesen habe, die Niederlande sind wieder im Lockdown + Coronaleugnerinnen und – leugner verseuchen heute mit ihren Ideen und Gedanken mal wieder die Innenstädte, wollte ich kurz zur Situation hier berichten. Offiziell haben wir sehr niedrige Zahlen, wobei Omikron auch hier unterwegs ist. Es gibt jetzt auch hier langsam ein paar Leute, die ich kenne, die positiv getestet wurden bzw. Leute die „erkältet“ sind. Einer meiner Partygäste wurde ein paar Tage nach meiner Party positiv getestet, da war er allerdings schon wieder zurück in Deutschland. Vielleicht hat er es sich auf meiner Party geholt und wir hatten es alle in den letzten zwei Wochen, wer weiß. Da die Party nun schon zwei Wochen her ist, denke ich, dass ein Test jetzt nicht mehr positiv wäre. Gerade kam die Nachricht, dass der Impfstoff hier jetzt auch für Booster-Impfungen zur Verfügung steht. Deshalb werde ich mal schauen, ob ich mir in den nächsten Wochen meinen Booster hole.

In Sierra Leone ist gerade Festival Season. Das bedeutet, es gibt ständig Partys, mehrtägige Festivals, Leute aus aller Welt kommen über die Feiertage hierher, um ihre Familien zu besuchen. Perfekt also für das Virus, sich schön auszubreiten. Wir sind gespannt, ob im Januar vielleicht doch nochmal ein Lockdown kommt, falls die offiziellen Zahlen steigen. Bisher is business as usual. Das bedeutet: alles ist offen, niemand trägt Maske und die Leute feiern mit großer Leidenschaft.

Eigentlich hatte ich schon einen Blog-Beitrag zur Festival Season im Kopf und wollte euch mal wieder Einblicke in mein Leben jenseits der Arbeit geben, aber die Begegnung mit den Jungs am Freitag hat mich einfach zu sehr beschäftigt. Aber vielleicht ist das auch ganz passend, um die verschiedenen Facetten des Alltags hier einzubringen – deshalb voraussichtlich als nächstes ein Beitrag zu Party, Palmen, Fußballmatch.

Postkarten no dae

Und noch eine wichtige Info an alle die schon sehnsüchtig auf Weihnachtspost aus SL warten: Eigentlich wollten Tina und ich fleissig Weihnachtskarten verschicken, aber seit ein paar Wochen gibt es leider keine Postkarten mehr zu kaufen 🙂 Wenn es bis Ostern wieder Karten gibt, gibt es dann statt Weihnachtsgrüße eben Ostergrüße.

Bis dahin wenigstens ein Fotogruß. Heute habe ich den Artikel auf meinem Küchenbalkon verfasst. Hier mein Ausblick:

*Please Ma, ah de beg yu – ist Krio. Ma ist die Anrede für eine Frau. Entweder kommt es von Mama oder von Madame. „Ah de beg yu“ bedeutet „Ich bitte dich“

Mano River Conference und Do No Harm

Die letzten zwei Wochen waren ziemlich voll und anstrengend. Wir hatten zwei Wochen lang workshops. In der ersten Woche fand die CPS Mano River Conference statt. Die Mano River Region erstreckt sich über Sierra Leone, Liberia und Guinea. Im CPS Netzwerk der Mano River Region versammeln sich jedoch nur Organisationen aus Sierra Leone und Liberia. Normalerweise findet die gemeinsame Konferenz einmal im Jahr statt. Wegen Covid gab es letztes Jahr nur eine hybride Veranstaltung, dieses Jahr haben sich alle wieder live getroffen. Dafür kamen die Projektpartnerinnen und – partner aus Liberia nach Freetown und wir haben uns eine Woche lang ausgetauscht, voneinander und miteinander gelernt und haben auch einiges an Input bekommen vom Brot für die Welt – CPS Support-Team aus Deutschland.

Zwei Nürnbergerinnen treffen sich in Freetown

Mein Highlight war natürlich, dass auch Antje nach Freetown kam. Antje kenne ich aus der Vorbereitungszeit. Sie ist seit letztem Jahr Oktober in Liberia. Seitdem klar war, dass ich nach Sierra Leone gehen werde, haben wir uns schon auf unser Wiedersehen hier gefreut. Und so haben wir es beide genossen, einen gemeinsamen Abend am Strand mit Bierchen zu verbringen und uns austauschen zu können. Auch wenn man immer wieder Leute kennenlernt, gibt es eben immer einige, mit denen passt es einfach und andere, mit denen es nicht so gut passt. Bei Antje und mir passt es einfach.

Gruppenarbeit, Austausch und social evening

Auf der Konferenz wurde viel in Kleingruppen gearbeitet. Da wir im Netzwerk des Zivilen Friedensdienstes (CPS) verbunden sind, ging es thematisch natürlich immer um Arbeiten in einer Konfliktsituation oder auch um Arbeiten an einer Konfliktsituation. Wir haben über die Rolle von Medien, Zivilgesellschaft und anderen gesellschaftlichen Gruppen in Bezug auf Konflikte gesprochen und uns überlegt, wie wir auf offene und verborgene Konflikte reagieren können.

Ich fande es sehr spannend, zu erfahren, wie die Situation in Liberia ist. Teilweise ähneln sich die beiden Länder, aber es gibt natürlich auch einige Unterschiede. Der Unterschied, den man als erstes hört, ist, dass die Menschen in Liberia Englisch mit amerikanischem Akzent sprechen.

Von der Tagung selbst habe ich nicht wirklich Fotos, dafür aber vom Blick vom Hotel auf Freetown und auf unseren Fuhrpark 😉

Der krönende Abschluss der Konferenz war ein social evening. Über die Woche hatte jede und jeder eine „heimliche Freundschaft“ gepflegt. Mit dem Los haben wir diese Freundschaften geknüpft und unserem Freund oder unserer Freundin ein kleines Geschenk zukommen lassen. Am social evening wurden die Freundschaften dann visible und jede Person hat in der großen Runde mit dem jeweiligen invisible friend getanzt. Es war ein ganz netter Abschluss und ich persönlich freue mich auf jeden Fall auf ein Wiedersehen mit den Kolleginnen und Kollegen in Liberia nächstes Jahr – dann findet die Konferenz in Monrovia statt.

Do No Harm im Praxistest

In der zweiten Workshop Woche ging es um den Do-No-Harm-Ansatz. Unsere Moderatoren für diese Woche waren Rolf und John. Gemeinsam mit Kollegen und Kolleginnen von anderen Organisationen haben wir die Theorie von Do No Harm anhand eines Projektes von CSSL in der Praxis geprüft.

Worum geht es bei Do No Harm?

Wie der Name schon sagt, versucht man möglichst keinen Schaden zu verursachen. In der Entwicklungszusammenarbeit sind meist die Ziele gut, aber manchmal wird vergessen, sich den gesamten Kontext anzuschauen. Dadurch kann es passieren, dass mit einem Brunnenbau – wenn er an der falschen Stelle gebaut wird oder durch Ausschließen bestimmter Bevölkerungsgruppen in der Planungsphase – mehr Schaden in der Gesellschaft angerichtet wird, als er am Ende nutzen bringt. Bei Do No Harm wird deshalb zunächst eine Kontextanalyse gemacht, bei der mit allen möglichen Beteiligten und Betroffenen gesprochen wird, um ein Gesamtbild der Gesellschaft zu zeichnen und um mögliche Konfliktlinien herauszuarbeiten. Es müssen nicht immer offene Konflikte sein, wichtig ist, dass im Anschluss bei der Projektplanung – und Umsetzung diese (möglichen) Konflikte berücksichtigt werden, damit sie durch die Projektarbeit nicht vergrößert werden. Im besten Fall wird so das Projekt „konflikt-sensibel“ geplant und durchgeführt.

Einen Überblick über Do No Harm findet ihr auf der Website donoharm.info. Ist nicht das aktuellste Design, aber es geht ja um die Inhalte 😉

Do No Harm in Big Water

CSSL arbeitet ja schon eine Weile in Big Water, ihr erinnert euch an die Ökolodge… Eigentlich sollte die Kontextanalyse vor Projektstart stattfinden, wir haben das nun im laufenden Projekt gemacht. Aber die Ergebnisse sind trotzdem sehr interessant und vor allem ist es wichtig, sie nun in die weitere Arbeit vor Ort einfließen zu lassen.

An den ersten beiden Workshop-Tagen gab es nochmal ein kurzes Recap zu Do No Harm und zu Interviewführung. Dann ging es am Dienstagnachmittag in Freetown los. In Kleingruppen von drei Personen haben wir verschiedene Stakeholder, wie National Tourist Board, Ministerium für Tourismus, Ministerium für Landwirtschaft und Forst, Vertreter von Welthungerhilfe und Wild Life interviewt. Die Fragen behandelten die sozialen, ethnischen, religiösen und ökonomischen Gruppen in Big Water, wie sie zueinander stehen, wer verbindendes Element sein könnte und wer oder was die Gesellschaft eher trennt.

Mit dem Wissen um sogenannte Connector und Divider, soll es ermöglicht werden, bei der Projektarbeit sensibel vorzugehen, um die Connector zu stärken und die Divider mit einzubinden und wenn möglichen zu Connectoren zu machen.

Mittwoch und Donnerstag ging es dann ins Feld. Wir haben Einzelpersonen und Gruppen in Big Water und der Umgebung interviewt. Zum Beispiel den village headman, village vice headman (diese Person ist immer eine Frau), Frauengruppen, Lehrer, den Headman, der übergeordneten Ortschaft, Jugendgruppen, die Mummy Queen usw.

Interviews unter Bäumen und Mittagessen am Straßenrand

Bei den Interviews wurde zunächst immer betont, dass es keine Konflikte gibt, nach und nach kam dann aber doch heraus, dass es einige Konfliktlinien gibt und vor allem, dass CSSL bisher nicht ganz perfekt mit diesen bestehenden Konflikten umgegangen ist. Deshalb bin ich gespannt auf die finale Analyse von Rolf und John und wie wir die Ergebnisse dann in die künftige Arbeit in Big Water einbinden.

Das Hauptproblem der Menschen in Big Water ist auf jeden Fall, dass sie sich bisher nicht gut genug eingebunden fühlen in die Projektplanung und Umsetzung; dass sie uns als Regierungsvertreter wahrnehmen, die ihnen verbieten, den Wald zu nutzen – allerdings leben sie vom Wald und wissen nicht, wie sie sonst überleben sollen; die Grenze des „green belt“ wurde so festgelegt, dass die Big Water Community quasi gar keinen Wald und auch die Felder, die sie sonst bewirtschaftet haben, nicht mehr nutzen dürfen (man muss dazu sagen, die community kam nicht zum Meeting, als die Grenzen festgelegt wurden) und so kann zum Beispiel die traditionelle Landwirtschaft mit abwechselnder Nutzung der Felder nicht mehr praktiziert werden.

Außerdem gibt es mehrere große Firmen, die auf dem Gebiet Holz schlagen und jetzt eine neue Firma, die Steine abbauen will. Einerseits will die Community das nicht, weil sie wissen, dass damit ihre Lebensgrundlage – der Fluss, der dem Ort seinen Namen gibt – stark leiden wird, zugleich wollen sie das Land an die Unternehmen verkaufen, um schnelles Geld zu machen für den Hausbau, Autos und ähnliche Anschaffungen. Eine sehr verzwickte Situation. Wie fast überall in den forest edged communities. Die einzige Lösung scheint, alternative nachhaltige Einkommensmöglichkeiten zu schaffen, so dass der Wald geschützt werden kann und langfristig die Lebenssituation der Bevölkerung stabil bleibt bzw. verbessert wird.

Die Interviews wurden entweder direkt auf dem Schulhof durchgeführt, in der Schreinerei oder unter dem Baum mit Mamy Queen. Auf dem einen Foto seht ihr ein Interview in der Schule, im Hintergrund seht ihr ein rundes Gebilde in den Nationalfarben Salones. In der Mitte dieser runden Dinger sind immer die Handpumpen angebracht. Auch auf den Dörfern sehen die oft so aus. Ich nehme an, weil es relativ einfach ist, die Tiere fernzuhalten, wenn man am Durchgang ein kleines Gitter anbringt.

Raus aus der Komfortzone

Mein Highlight war die Zusammenarbeit mit einer Kollegin von YMCA – Salaimatu. Eine junge Frau, die anfangs etwas schüchtern und unsicher war, am Ende aber perfekte Interviews geführt hat. Es ist sehr cool zu sehen, wie schnell sich Menschen entwickeln können, wenn sie sich auf etwas neues einlassen und sich trauen, ihre Komfortzone zu verlassen. Das werde ich mir als Vorbild nehmen für die Zukunft. Nach den zwei Wochen Workshop und dem anschließenden Partywochenende war ich am Montag so zerschlagen, dass ich eigentlich nur noch reinwollte in die Komfortzone – leider weiß ich noch nicht so genau, wo die sich in Freetown versteckt. Deshalb hieß es dann einfach weitermachen 🙂

Und hier zum Abschluss noch ein paar Fotoeindrücke der letzten Tage und ich freudestrahlend mit meinen Zertifitkat. Ohne Zertifikat geht hier gar nichts!!!

Ich entschuldige mich auch ernsthaft für die oft verwirrenden Sätze und wahrscheinlich fehlen 50% der wichtigen Infos, damit ihr in der Lage seid, alles zu verstehen. Bitte habt Nachsehen – im Gegensatz zu Winter mit Schnee haben wir hier über 30 Grad und ich will gar nicht wissen wie viel Luftfeuchtigkeit. Mein Gehirn ist sehr weit von Höchstleistungen entfernt…

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