Wie unpassend, dass ausgerechnet jetzt die Sonne hinter den Wolken hervorkommt. Aber zugleich ist es auch ein Segen, dass es endlich einmal nicht regnet und die Sonne uns allen wenigstens kurz zeigt, dass sie noch da ist. Seitdem ich zurück bin, regnet es fast die ganze Zeit. Dieses Jahr macht die Regenzeit ihrem Namen alle Ehre und lässt uns die Naturgewalten spüren.

Bevor ich letztes Jahr nach Salone gekommen bin, hieß es immer, wenn du bis Ende Juli keine Freundschaften geschlossen hast, dann wirst du sehr einsame Wochen verbringen, weil in der Regenzeit alle zuhause bleiben und niemand ausgeht. Dann hat es letztes Jahr aber gar nicht so viel geregnet und ich dachte, das sind alles Übertreibungen. Jetzt weiß ich, es war nicht übertrieben!!!! Manche Dinge lerne ich wirklich erst in Jahr 2 😉

Am Sonntag zum Beispiel hat es von morgens um 3 oder 4 bis abends um sieben durchgeschüttet. Dass es überhaupt so viel Wasser da oben in den Wolken gibt, hat mich sehr erstaunt. Irgendwann müssen die doch mal leer geregnet sein. Aber nein. Als es abends aufgehört hat zu schütten wie aus Eimern, regnete es nur normal weiter. Bei mir in der Wohnung regnet es auch immer an vier Stellen, wenn es draußen stark regnet, weil mein Dach nicht ganz dicht ist. Aber das nehme ich gerne in Kauf, wenn ich sehe, wie es in anderen Stadtteilen aussieht und wenn ich in den sozialen Medien mitbekomme, wie es anderen Menschen bei dem Dauer-Stark-Regen ergeht.

Überflutete Straßen – oder war das schon immer ein Fluss hier?

Der Regen hatte mich schon direkt nach meiner Ankunft in Empfang genommen. Als wir während des Curfews zuhause saßen, haben wir noch gescherzt, dass eh niemand rausgehen würde, weil es so stark regnete. Am Montag nach meiner Ankunft sind wir aber trotzdem in unser asiatisches Karaoke-Restaurant, weil ein Freund von mir Geburtstag hatte. Wir waren die einzigen Gäste, kein Wunder bei dem Regen. Freddy, der noch unterwegs war, hat aus dem Keke Videos geschickt. Er steckte fest, weil eine der großen Straßen in Freetown vollständig überschwemmt war. Ich zeige euch hier ein paar Videos aus den sozialen Medien. Quelle und Ursprung unbekannt (bis auf Freddys Video), da mehrfach geteilt und weitergeleitet. Aber so bekommt ihr einen kleinen Eindruck davon, was es heißt, wenn es in den Whatsapp-Gruppen auf einmal heißt „Weiß jemand, ob man gerade die Wilkinson entlang kommt?“

An diesem Abend regnete es zwar sehr stark und Straßen wurden zu Sturzbächen, aber es wurde nicht von Opfern berichtet. Das ist in jeder Regenzeit die größte Sorge hier. Viele Menschen leben sehr nahe an den Wasserwegen oder unten am Meer in Wellblechhütten. Wenn Starkregen kommt, schießen die Wassermassen von den Hügeln ins Tal und reißen alles und jeden mit. Letztes Jahr gab es kaum Überflutungen und kein einziges Todesopfer. Es gab aber auch nicht viel Regen. Dieses Jahr sieht es leider anders aus.

Gedenken an die Opfer des Mudslides 2017

Bei lange andauerndem Starkregen kommen die Gespräche früher oder später immer auf den 14. August 2017. Vor fünf Jahren ereignete sich eine sehr schlimme Katastrophe. In den frühen Morgenstunden wachten die Menschen in Mortomeh, das ist ein Stadtteil von Freetown, von lautem Grollen auf. Einige dachten, es wäre ein Donner – obwohl es im August eigentlich nie donnert. Es war kein Donner. Ein riesiger Hangabschnitt hatte sich gelöst und rutschte in die Tiefe. Nach drei Tagen Dauerregen war der Untergrund nicht mehr fest, der abgeholzte Hügel hatte nichts mehr, was ihn hielt, so rutschte eine unglaubliche Schlammlawine ins Tal und begrub Häuser und Menschen unter sich. Über 1.000 Menschen verloren an diesem Tag ihr Leben oder gelten immer noch als vermisst. Jede Person in Freetown weiß bis heute ganz genau, was sie getan hat, als sie von dem Unglück erfuhr. Es gehört zum kollektiven Gedächtnis der Stadt. Umso verwunderlicher ist es für mich, dass weiterhin Hügel abgeholzt werden und Häuser darauf gebaut werden. Direkt in der Nähe der Unglückstelle werden auch weiterhin neue Häuser gebaut.

Wir wollten anlässlich des fünften Jahrestages des Unglücks mit community members, der head woman und Vertretern der NDMA (National Disaster Management Agency) einen kleinen Fernsehclip drehen, um einerseits an die Opfer von damals zu erinnern und zugleich die gefährlichen Konsequenzen der Entwaldung zu thematisieren. Ich bin schon öfter an der Stelle mit dem mudslide vorbeigefahren. Man sieht es wie ein Mahnmal der Natur vom Highway aus. Dieses Mal sind wir direkt an den Fuß des Hügels, der abgerutscht ist, direkt an den Rand der red zone. Am Tag bevor wir mit unserem Fernsehteam nach Mortomeh kamen, hat sich ein Riss am Boden aufgetan. Er läuft mehrere hundert Meter in der yellow zone durch Häuser, über Wege den Hügel entlang. Es ist sehr wahrscheinlich, dass es, wenn es so weiterregnet, zu neuen Erdrutschen kommen wird.

Als wir dort waren, haben auch schon die ersten Familien begonnen, ihr Hab und Gut in anderen Häuser zu tragen. Das Problem ist: dort wo sie leben, sollte niemand wohnen. Dort wo neue Häuser gebaut werden, ist eigentlich yellow zone und somit Gefahrenzone. Wieder einmal ist das Problem nicht, dass es keine Gesetze und Regeln gibt, sondern dass diese nicht eingehalten und umgesetzt werden. Gemeinsam mit der head woman, den local chiefs und ein paar community members haben wir uns den Riss angeschaut. Einige Leute sagen, sie würden sofort umziehen, wenn sie die finanziellen Möglichkeiten hätten. Der Executive Director der NPAA (National Protected Area Agency) sagt, alle haben nach 2017 Geld bekommen, um wo anders Grund zu kaufen und ein Haus zu bauen. Aussage gegen Aussage. Keine Ahnung, ob es irgendwo offizielle Dokumente gibt, wer wieviel Kompensation bekommen hat damals. Im kurzen Videoclip kommen alle nochmal zu Wort:

Im Anschluss an die Begutachtung der Lage vor Ort gab es ein Treffen mit Vertretern von UNOPS, Wissenschaftlern, Vertretern des Umweltministeriums und der beiden oben genannten Agency und eben CSSL, vertreten durch mich. Da fällt mir gerade ein, ich wollte ja noch fragen, ob ich die Präsi von den Treffen haben kann. Dort sind einige Drohnenaufnahmen, die zeigen, wie verrückt die Leute teilweise bauen, ohne irgendwelche Reglementierung. Einer hat zum Beispiel die Mauer um sein Grundstück so gezogen, dass er damit einen Wasserweg blockiert. Das Wasser wird nun umgeleitet und flutet eine Straße, die komplett unpassierbar ist, sobald es regnet. Das ist nur ein Beispiel. Bei dem Treffen wurde mir auf jeden Fall sehr klar, dass wir uns sehr glücklich schätzen können, dass nicht jedes Jahr viel mehr Unglücke geschehen während der Regenzeit.

Weil euch ja immer interessiert, was ich eigentlich so mache: Zu diesem Treffen waren eigentlich auch meine Kollegin und der Präsident von CSSL eingeladen. Meine Kollegin war krank und Charles und ich waren parallel noch auf einem anderen Workshop zu KBAs (Key Biodiversity Areas). Davon vielleicht ein anderes Mal mehr. Ich war der Meinung, es ist gut, dass wir ernst genommen werden und eingeladen werden zu diesem Meeting. Also bin ich eben alleine hin, um CSSL zu vertreten. NDMA hatte eingeladen, um Empfehlungen von verschiedenen Organisationen zu bekommen, wie weiter vorgegangen werden sollte. Es ging nicht nur um Mortomeh, sondern allgemein um Orte, die ebenfalls disaster prone sind. Ich denke zwar nicht, dass ich diejenige bin, die da mit dem meisten Sachverstand auftritt, aber meine Beiträge waren trotzdem sehr gut, finde ich zumindest. Eines meiner Anliegen ist, dass CSSL als wichtiger Player wahrgenommen wird. Ich habe auf jeden Fall meinen Senf dazugegeben. Mein wichtiger Beitrag war, dass es mit Sicherheit gut ist, wissenschaftlich fundiert zu argumentieren, weshalb bestimmte Gegenden als red zones markiert werden, wo nicht gebaut werden sollte und wo keine Abholzung und keine Landwirtschaft erlaubt sein sollte und wo am Ende bestehnde Häuser abgerissen werden. Aber die wichtige Frage ist, wie schafft es die Regierung, dass die Menschen nicht einfach wieder kommen und ihre Häuser in diesen gefährdeten Zonen wieder neu bauen. Die meisten Menschen, die zum Beispiel in der Kroo Bay oder Susan Bay leben (das sind zwei Slums unten am Meer), die Menschen wissen, es ist hochgefährlich dort und sie wissen, dass die Wahrscheinlichkeit, dass alles weggespült wird, mit jeder Regenzeit kommt. Aber sie wollen in der Stadt wohnen. Was also ist nötig, damit die Menschen wirklich nicht an Orten bauen, die ganz klar überflutungsgefährdet sind? Und zwar nicht nur, wenn einmal ein Jahrhunderthochwasser kommt, sondern jedes Jahr aufs Neue.

Es regnet, es regnet, kein Ende in Sicht

Als wir in Mortomeh waren, hatten wir großes Glück. Genau die vier Stunden, in denen wir vor Ort waren, war es trocken. Als wir ins Auto stiegen, kamen die ersten Tropfen vom Himmel. Die ganze Woche über regnete es immer mal mehr mal weniger. Am Wochenende dann hörte der Regen allerdings gar nicht mehr auf. Ich wachte Sonntagmorgen so gegen vier auf, weil es so stark geregnet hat. Ich wohne ja direkt unter dem Dach und da ist der Regen sehr laut. Es ist so laut, dass ich nicht telefonieren kann und eigentlich sind auch Stummfilme an solchen Tagen geeigneter als Filme mit Ton. Es schüttete wirklich den ganzenTag. Und dann kamen auch langsam die Videos über die sozialen Medien. Straßen waren zu Sturzbächen geworden, Menschen, die hüfttief durch Wasser waten. Und dann kam das, was viele befürchtet hatten: ein Mudslide, der seine ersten Todesopfer forderte. Eine ganze Familie wurde vom Schlamm begraben. Ein Mädchen konnte noch gerettet werden. Ich zeige euch nicht alle Videos, weil wie schon in einem früheren Artikel geschrieben, nicht immer auf die Privatsphäre von Opfern rücksichtgenommen wird.

Ich glaube, die ganze Stadt hat aufgeatmet, als am Abend der Regen nachließ. Heute, zwei Tage später, scheint auf einmal sogar die Sonne. Ich hoffe wirklich, dass wir nun ein paar Tage mit weniger Regen haben. Zu viele Menschen haben alles verloren, weil ihre Häuser überschwemmt wurden. Eine Organisation alleine hat im Laufe des Sonntags schon über 250 Familien aufgenommen. Meine Security Familie hat früher in den Viertel gewohnt, in dem es den Mudslide gab am Sonntag und wo es die stärksten Überflutungen gab. Jetzt wohnen sie wo anders. Aber Aminata hat mir erzählt, dass eine befreundete Familie am Samstag vorübergehend zu ihnen gezogen ist. Seit Freitagnachmittag wurden über die sozialen Medien schon Warnungen der NDMA verschickt, dass die Wettervorhersage Starkregen verspricht und alle Menschen aus überflutungsgefährdeten Gegenden ihre Häuser verlassen sollen. Es ist gut, mitzubekommen, dass die Regierung versucht, die Leute zu warnen. Leider sind nicht alle diesem Aufruf gefolgt. Wenn es nochmal zu diesen Starkregen kommt, wird es mit Sicherheit auch weitere Todesopfer geben. Einerseits brauchen wir den Regen in der Regenzeit, weil es ja dann ab November wieder fünf Monate trocken ist, aber zu viel Regen auf einmal, bringt neue Gefahren.

800ml Niederschlag ???!

Ich, die sich ja bei bestimmten Zahlen nichts vorstellen kann, weiß nun, was es heißt, wenn im Reiseführer steht: Im August 800mm Niederschlag. Laut Wikipedia ist das die mittlere Niederschlagsmenge der letzten Jahre in Deutschland aufs ganze Jahr gerechnet! Bei uns gibt es also in einem Monat soviel Niederschlag, wie in Deutschland in einem ganzen Jahr. Dafür ist bei uns der Niederschlag in den Monaten der Trockenzeit bei Werten von 2-8 mm, also sehr ungleich verteilt. Das muss ich natürlich dazusagen. Im Jahresmittel sind wir in Sierra Leone bei knapp über 3.000mm pro Jahr. Der gesamte Niederschlag kommt in drei bis vier Monaten runter.

Und nun noch ein Lichtblick

Ich arbeite heute von zuhause, weil ich seit gestern Gäste habe. Hannah und Max sind gestern wieder in Salone gelandet und bleiben zwei Nächte bei mir, bevor sie sich auf den Weg nach Makeni und Bo machen. Deshalb sitze ich gerade zuhause und freue mich über größer werdende Lücken in der Wolkendecke und sogar blauen Himmel. Endlich wieder Sonne auf der Haut 😊 Das schreit nach einem Strandspaziergang später. Vielleicht gibt es heute sogar einen Sonnenuntergang im Meer. Das wäre traumhaft!

Und übrigens, inmitten all der tragischen Nachrichten, gibt es auch immer wieder Lichtblicke. So wurden in den letzten Tagen Elefanten in Sierra Leone gesichtet. Ich freue mich riesig! Ich hoffe, sie werden nicht verjagt, so dass wir bald auch hier Elefanten in unseren Wäldern haben und ich sie vielleicht sogar einmal sehe, auf einer meiner nächsten Reisen in den Regenwald!

Oh Salone 😔 gerade eben erreicht mich die Nachricht, dass der Elefant getötet wurde. Wegen des Elfenbeins. Es ist so traurig hier. Solange es nicht genug Geld gibt für diejenigen, die den Wald und die Tiere schützen sollen, ist es wohl aussichtslos hier…