Das Unmögliche wagen. Das kann hier bedeuten, zu versuchen, den Western Area Peninsula Forest National Park zu schützen. Beziehungsweise, die Regierung daran zu erinnern und den Druck auf sie zu erhöhen, die Gesetze, die den Wald schützen, auch durchzusetzen. Ihr merkt es schon. Heute geht es mal wieder um meine Arbeit.
Freetown liegt am Nordzipfel der Peninsula. Die Peninsula ist wunderbar hügelig und war bis vor wenigen Jahren mit dichten Wäldern überzogen. Schönen Regenwäldern. In den Wäldern leben Schimpansen, verschiedene Affen, Schuppentiere und natürlich viele Vögel, Kreuch- und Fleuchtiere und Insekten. Es leben aber auch schon seit vielen Jahrhunderten Menschen an der Küste und in der Region von Freetown. Das war bisher keine zu große Gefahr für den Wald. Denn es waren nicht so viele Menschen wie heute.
Ungebremstes Bevölkerungswachstum auf der Peninsula und forteilende Entwaldung
Während des Bürgerkrieges in den 1990er Jahren sind viele Menschen aus den Provinzen in die Hauptstadt geflüchtet. Sie sind nach dem Krieg nicht wieder in ihre Heimatorte zurückgekehrt, sondern in Freetown geblieben. Zugleich nahm das Bevölkerungswachstum zu, so dass immer mehr Menschen auf der Peninsula leben. Da die Menschen irgendwo wohnen wollen bzw. müssen, wird immer mehr Wald abgeholzt, um Platz für Häuser zu schaffen und um Holzkohle herzustellen, die die meisten Menschen zum Kochen verwenden.
Freetown erstreckt sich bis über die Hügel, auf denen früher dichter Wald stand:
Mein Herz blutet!
Immer wenn ich aus Freetown Richtung Strand fahre oder in die andere Richtung aus Freetown hinaus Richtung up-country, blutet mein Herz. Es geht erst 30 – 60 Minuten (je nach Richtung, die ich einschlage) vorbei an traurig aussehenden, abgeholzten Hängen. Kahl und anklagend stehen sie da. Verwüstung, Zerstörung, Kahlschlag. Wenn ich etwas weiter nach Süden fahre, sehe ich die grünen Hügel. So sollte eigentlich alles hier aussehen. Aber in der Nähe Freetowns stehen kaum noch Bäume auf den Hügeln. Dafür halbfertige Häuser, Wellblechhütten und halbfertige Mauern, die Grundstücke eingrenzen. Die Häuser sehen nicht so aus, als wären es die armen Bevölkerungsschichten, die sich hier ein Zuhause bauen. Es sind wahre Prachtvillen, die da am Entstehen sind. Immobilienspekulationen machen auch vor Sierra Leone nicht halt. Und ein Grundstück in der Nähe der Strände und zugleich mit direkter Anbindung zur Hauptstadt, ist natürlich nicht ohne.
Save the Forest now – sonst ist es zu spät!
Meine Organisation, die Conservation Society of Sierra Leone (CSSL), ist genau die richtige, um hier etwas zu unternehmen. Bisher haben wir allerdings hauptsächlich Projekte in anderen Regionen des Landes. Da unsere Arbeit stark von Projektmitteln abhängig ist, können wir kaum eigenständig entscheiden, wo wir was machen. Für alles müssen immer Gelder beantragt sein, diese dürfen dann nicht für andere Sachen oder an anderen Orten verwendet werden. Deshalb habe ich mir überlegt, wir starten eine Kampagne über die Projektgelder, die an meinen Aufenthalt hier gebunden sind. Wenn wir jetzt nicht damit starten, den Wald zu retten, wird es bald keinen Wald mehr geben, der geschützt werden muss.
Forest loss – eine globale Gefahr
Erst wollte ich schreiben: „Forest loss – ein globales Problem / eine globale Herausforderung“. Aber dann ist mir klar geworden, es geht hier nicht um ein Problemchen oder eine Herausforderung, die es zu bewältigen gibt. Es geht um eine sehr akute Gefahr, die es abzuwenden gilt!
Alleine im Jahr 2021 haben wir auf der ganzen Welt 3,75 Millionen Hektar primären Regenwald verloren. Das sind 10 Fußballfelder pro Minute! Das ganze Jahr über. Viele Analysen konzentrieren sich auf tropische Regenwälder, wenn es um die Betrachtung der Deforestation geht, da die Regenwälder am wichtigsten sind um den Klimawandel aufzuhalten und zugleich sind es auch meist die tropischen Regenwälder, die von Menschen abgeholzt werden und nicht wegen natürlichen Bränden oder ähnlichem Schwankungen erfahren.*
Sierra Leone gehört nicht zu den Ländern, mit den größten Abholzungsflächen im weltweiten Vergleich. Das liegt daran, dass das Land gerade einmal so groß ist wie Bayern und deshalb flächenmäßig mit Brasilien oder der Demokratischen Republik Kongo gar nicht mithalten kann. Als ich mir aber auf der interaktiven Karte des Global Forest Watch die Entwicklung der Entwaldung in Salone in den letzten Jahren angeschaut habe, bin ich dann dennoch erschrocken.
Die Bilder zeigen die Ausdehnung des Waldgebietes. Die grünen Flächen sind bewaldet, die lilalen entwaldete Gebiete. Das erste Bild zeigt den Stand im Jahr 2001, also vor zwanzig Jahren. Das zweite Bild zeigt 2015 und das dritte die Realität im Jahr 2021. Die Bilder zeigen eindrücklich, dass innerhalb der letzten Jahre weit mehr abgeholzt wurde, als in den fünfzehn Jahren zuvor.
Die große grüne Fläche rechts unten ist der Gola Rain Forest National Park. Er befindet sich größtenteils in Liberia und nicht in Sierra Leone. Am Gola sieht man, dass es möglich ist, Waldflächen zu schützen, wenn ausreichend finanzielle Mittel und nationales und internationales Commitment vorhanden sind.
Wasserknapptheit, Landslides und Erosion
Alles ganz tragisch, aber was soll man machen? Irgendwo müssen die Menschen ja wohnen und sie brauchen eben auch Holz zum Kochen und Bauen. Viele Menschen in den forest edge communities, mit denen wir reden, sind eher gegen uns. Sie denken, wir wollen sie nur davon abhalten, den Wald zu nutzen und schaden ihnen damit. Aber es geht schon lange nicht mehr darum, den Wald und die Tiere zu schützen. Es geht hier in Sierra Leone schon längst darum, das Überleben und das tägliche Brot der Menschen langfristig zu sichern. Dadurch, dass die bestehenden Grenzen des Schutzgebietes nicht respektiert werden und die Waldfläche immer weiter dezimiert wird, verschlechtert sich nicht nur die Bodenqualität für die Landwirtschaft, das viel größere Problem ist, dass unsere Wassersammelbecken nicht mehr genug Wasser haben, um uns durch die Trockenzeit zu bringen. Seit März schon gibt es ständig kein Wasser in Freetown. Einer der Gründe dafür liegt in den abgeholzten Hängen.
Eine weitere Gefahr kommt nun in der Regenzeit wieder auf uns zu: der Starkregen wäscht die trockenen, oberen Erdschichten weg, so dass es zu Schlammlawinen und Erdrutschen kommt. Wo vorher der Wald die Hänge befestigt hat und das Wasser aufgenommen hat, stürzt es jetzt hinab und begräbt alles was nicht schnell genug weg ist unter sich. Vor fünf Jahren gab es einen ziemlich schlimmen Erdrutsch. Über tausend Menschen sind gestorben. Leider wurden keine Lehren daraus gezogen. Eigentlich kann man nur warten, wann es zur nächsten Katastrophe kommen wird.
Die Strategie derjenigen, die die Entwaldung vorantreiben, ist folgende: erst Feuer legen, dann brennt ein Teil des Waldes nieder. Dann ist es eh kein richtiger Wald mehr und dann kann man ganz unschiniert abholzen. Ein Problem bei der Sache ist, dass die Regierungsstellen, die eigentlich für den Schutz des Waldes zuständig sind, gerne ein Auge zudrücken, wenn die entsprechende Person kommt oder der Geldbeutel weit genug aufgemacht wird. Außerdem gibt es nicht genug Forestguards, die auf Kontrolle gehen. Und selbst wenn die Guards dann jemanden stellen, sind sie oft diejenigen, die nicht bewaffnet sind, weshalb es kaum zur Verfolgung und zu Festnahmen kommt. So kommt es, dass nicht nur in Sierra Leone, sondern weltweit, ein Großteil der tropischen Wälder innerhalb von offiziell anerkannten Schutzgebieten abgeholzt wird. Es fehlt einerseits an den finanziellen Mitteln, um die nötigen Schutzmaßnahmen zu ergreifen, aber hauptsächlich fehlt es am politischen Willen, die Gesetze wirklich durchzusetzen.
Glück im Unglück
Vor wenigen Wochen aber, da haben „sie“ es zu weit getrieben. Sehr nahe am Guma Water Reserve wurde ein Brand gelegt. Das hat sogar den Präsidenten auf den Plan gerufen, der tatsächlich hingefahren ist, um sich das ganze anzuschauen. Alleine durch seine Präsenz wurde ein sehr klares Zeichen gesetzt. Es sieht so aus, als würde die Regierung es nun ernst nehmen, mit der neuen Demarkierung der geschützten Fläche und der Durchsetzung der Gesetze. Ich denke, die Regierung weiß, dass wir vor sehr großen Problemen stehen werden, wenn wir kein Wasser mehr haben in Freetown.
Unten seht ihr die Fotos vom Brand, die über whatsapp geteilt wurden. Und Fotos wie es dann aussieht, wenn angefangen wird zu bauen.
Uns kommt das sehr zu pass. Wo wir doch für dieses Jahr vorhatten, uns für den Schutz des Waldes einzusetzen. Wir müssen also die Gunst der Stunde nutzen. Und da wird es schon wieder schwierig. CSSL ist nicht gerade bekannt für schnelle und gezielte Aktionen 😉 Mal schauen, ob ich das ändern kann.
Wir haben den Stein auf jeden Fall schon ins Rollen gebracht. Im ersten Schritt wollen wir uns mit like-minded Organisationen zusammentun. Viele arbeiten in einem ähnlichen Bereich, wir haben alle viel Wissen, viele Kontakte und Erfahrungen in dem Bereich. Ich bin der festen Überzeugung, wenn wir es schaffen, zusammenzuarbeiten und unsere Kräfte zu bündeln, können wir dieses Mal wirklich etwas erreichen. Wir haben Einzelgespräche mit unseren Partnern geführt, als nächstes wird es einen runden Tisch geben, an dem wir unsere gemeinsame Strategie entwickeln und verfeinern können und dann legen wir hoffentlich gemeinsam und voller Motivation los, damit auch in fünf Jahren noch Bäume auf den Hügeln der Peninsula stehen, die Menschen in Freetown ohne Sorge vor Wasserknappheit und Erdrutschen leben können und die Schimpansen und Pangolins nicht weiter um ihren Lebensraum fürchten müssen.
In diesem Sinne: drückt mir die Daumen und leistet euren Beitrag zum Klimaschutz!
*Mehr Infos und Zahlen gibt es zum Beispiel beim World Resource Institute.










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