Nichts für zarte Seelen

Heute muss ich euch auf einen Exkurs in die Geschichte mitnehmen. Einen Teil der Geschichte, der sich ins kollektive Gedächtnis vieler Menschen eingebrannt hat und ihre Gefühle und Wahrnehmungen teilweise bis heute berührt. Am Wochenende war ich auf Bunce Island, dem ehemaligen Handelsstützpunkt der Briten für Sklaven.

Der transatlantische Sklavenhandel – ein oberflächlicher, geschichtlicher Abriss

Ich bin keine Expertin auf dem Gebiet des transatlantischen Sklavenhandels, deshalb möchte ich hier nicht mit zu vielen geschichtlichen Fakten aufwarten. Viele Menschen in Europa denken irgendwie, dass Kolonialismus und Sklavenhandel eins sind. Das stimmt nicht. Der Sklavenhandel begann sehr viel früher als der Kolonialismus. Der transatlantische Sklavenhandel begann relativ zeitgleich mit der Ankunft der Europäer an den afrikanischen Küsten und der Besiedlung der Amerikas durch die Europäer.

Für alle, die sich noch nicht so oft mit dem Thema beschäftigt haben, hier nur ganz kurz und oberflächlich: europäische Handelsmächte kauften Menschen an den afrikanischen Küsten (hauptsächlich an der Westküste) und verschifften ihre menschliche Ware in die Karibik und in die Südstaaten der heutigen USA.  Es tut mir etwas weh, so etwas wie „menschliche Ware“ zu schreiben. Die Sklavenhändler hätten sogar noch das menschliche weggelassen. Für sie waren diese Männer, Frauen und Kinder nur Waren, mit denen sie möglichst viel Profit machen wollten. Wir wissen, dass viele dieser Menschen während der Überfahrt wegen Wassermangel, Nahrungsmangel und Krankheiten, die sich wegen der nicht möglichen Hygiene ausbreiteten, starben und über Bord geworfen wurden. In den Amerikas mussten die Sklaven hauptsächlich in der Landwirtschaft arbeiten. Die landwirtschaftlichen Produkte wurden dann wiederum nach Europa geschifft, dort gegen europäische Waren getauscht, diese wurden dann in Afrika wieder gegen Sklaven getauscht. Das ist das sogenannte Modell des Dreieckshandels.

Als erstes europäisches Land Verbot Dänemark im Jahr 1792 den Sklavenhandel (das Verbot trat aber dann erst im Jahr 1803 in Kraft). Erst im Jahr 1807 wurde der Sklavenhandel von Großbritannien offiziell verboten. Ab diesem Zeitpunkt bekämpfte Großbritannien den Sklavenhandel auch in internationalen Gewässern.

Die Abschaffung des Sklavenhandels hieß nicht zugleich die Abschaffung der Sklaverei. Aber so viel Platz habe ich hier leider nicht, um zu sehr in die Tiefe zu gehen. Ich bin sicher, wenn ihr Sklavenhandel in eure Suchmaschine eingebt, bekommt ihr schön aufbereitete Infos dazu.

Und hier noch ein kleiner Funfact: Während ich diesen Text schreibe, läuft meine Playlist und nun ratet mal, welches Lied gerade läuft: Keine Macht für niemand 😊 Wie passend.

Zutiefst berührt auf Bunce Island

Natürlich habe ich am Wochenende nicht das erste Mal vom Sklavenhandel gehört. Natürlich weiß ich, dass die „Black lives matter“ Bewegung nicht im luftleeren Raum entstanden ist. Natürlich weiß ich, dass die Folgen des transatlantischen Sklavenhandels bis heute Auswirkungen in den Gesellschaften haben, denen alle gesunden Männer und Frauen gestohlen wurden, in denen das handwerkliche Wissen von Generationen verloren ging, in denen ganze Generationen entwurzelt wurden und schreckliches Leid erleben mussten – dennoch: der Besuch auf Bunce Island hat mich ganz tief Innen berührt.

Vielleicht kennt ihr das Gefühl, das einen überkommt, wenn man ein KZ besucht. Wir wissen theoretisch alle, was in den KZs vorgegangen ist. Aber wenn man dort ist, spürt man auf einmal die Angst, Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit und zugleich bin ich immer ganz leer und taub von dem Wissen, dass es Menschen waren, die anderen Menschen all dieses Leid angetan haben.

Can you imagine – for 140 years these things happen

Ein großes Lob sei hier nochmals unserem Guide ausgesprochen. Er hat es hervorragend geschafft, sachliches Wissen zu vermitteln ebenso wie uns sehr deutlich auf die Monstrositäten hinzuweisen, die auf dieser Insel geschehen sind. Zunächst benutzen die Portugiesen Tasso Island als Handelsstützpunkt. Die Portugiesen betrieben zu dieser Zeit noch keinen transatlantischen Sklavenhandel, sondern handelten mit „normalen“ Waren. Als die Briten die Küste Sierra Leones in ihre Gewalt gebracht hatten, startete der Sklavenhandel zunächst auch auf Tasso Island. Tasso ist jedoch etwas größer, es gibt dort drei Dörfer, die Insel ist sehr bewaldet, so dass es für die Sklaven vergleichweise einfach war, abzuhauen und sich in den Wäldern zu verstecken. Das war aus ökonomischer Sicht für die Briten natürlich gar nicht gut. Sie entschieden sich deshalb, ihren Stützpunkt nach Bunce Island zu verlagern. Das ist eine sehr kleine Insel. Die ganze Insel wurde entwaldet und das Fort darauf errichtet. Die beiden „Räume“ für die Sklaven – einer für die männlichen, einer für die weiblichen – waren ohne Dach. „If it rains or if it suns, they always were outside. Can you imagine?” Wir reden hier nicht von einem kleinen Sommerregen und einer angenehm wärmenden Sonne auf der Haut. Wir reden hier von tropischen Regenstürmen und unglaublich intensiver Sonne. „The women all half naked. Only wearing the tapa. Can you imagine? The slave traders just choose and took them to abuse them. Can you imagine. For 140 years…” Auf der Insel gibt es auch einen Friedhof. Sehr viele Europäer haben hier ihre letzte Ruhe gefunden. Und die Mende, Timne, Limba und anderen? Die wurden ins Meer geworfen, wenn sie auf der Insel verstarben. Keine Beerdigung. Kein „Ruhe in Frieden“. Kein Ort, an dem die Ahnen besucht werden können. Einfach mal kein Respekt vor den Toten.

Wissenschaftliche Untersuchungen aus den letzten Jahrzehnten gehen von insgesamt über 11 Millionen Menschen aus, die von Afrika nach Amerika als Sklaven verschifft wurden. Nicht mitgezählt sind hier all diejenigen, die schon zuvor an den unglaublich schlimmen Bedingungen verstorben sind.

Noch eine kurze Geschichte, die auf den Magen schlägt, und dann überlasse ich euch euren Gedanken. Unser Guide, Fortune, hat erzählt, dass ab und an auch Frauen mit Babies gefangen wurden. Diese Babies – ich schaffe es kaum, das wirklich zu schreiben – die Babies wurden an den Strand gelegt, mit dem Ziel sie an die Krokodile zu verfüttern. Die so angelockten Krokodile waren leichte Beute für die Sklavenhändler. Krokodilhaut war neben Elfenbein, Gold und Diamanten ein wertvolles Gut aus Afrika.

Nie wieder! – ein Ausruf, der leider viel zu oft nötig ist

Vielleicht versteht ihr nun, weshalb mir der Besuch auf den Magen geschlagen hat und ich auch euch nicht vor diesem Wissen verschonen möchte. Wie hieß so schön eine Aufsatzaufgabe in der Schule „Zukunft braucht Vergangenheit“. Ich kann nur hoffen, dass mit dem Wissen darüber, wie grausam wir in der Vergangenheit zueinander waren, die Zukunft rosiger und freundlicher aussieht. Das liegt in der Hand jedes und jeder einzelnen von uns.

Vor zwei Jahren habe ich in Ghana schon die Forts der Sklavenhändler an der Goldküste besichtigt. Wir haben uns auf dieser Reise schon etwas mehr mit dem Thema Sklavenhandel beschäftigt. Deshalb war noch etwas Wissen im Hinterkopf. Eindrücklicher war aber wahrscheinlich, was ich aus Büchern über das Leben und das Leid der verschleppten Menschen in Amerika weiß. Wer sich etwas mit dem Thema beschäftigen möchte, kann ja mal in „The Underground Railroad“ reinlesen.

Zum seelischen Ausgleich…

Um euch nicht vollkommen deprimiert zu verlassen ob der unglaublichen Unmenschlichkeiten, zu denen nur Menschen in der Lage sind, gibt es für den seelischen Ausgleich noch ein paar Fotos der Hoffnung von Bunce Island: das eine Foto zeigt mich mit Sarah und Hannah an der Wurzel eines Baumes. Da die Insel während des Sklavenhandels vollständig entwaldet war, ist klar, dieser Baum kann frühestens nach 1807 gewachsen sein. In „nur“ 200 Jahren ist er sehr weit gewachsen. Das macht uns Hoffnung für die Natur, wenn der Mensch nicht mehr da ist.

Das zweite Hoffnungsbild ist das mit dem Baum, dessen Wurzeln die Mauer stützen. Fortune sieht es als Bild dafür, wie die afrikanischen Nationen zusammenhalten sollten. Dann könnten sie sich gemeinsam stark gegen Amerika, China, Indien und Europa behaupten und würden endlich die Zeit der Unterdrückung hinter sich lassen. So Fortune.

… und noch ein paar „Urlaubsfotos“ von Tasso. Die 2,5 Tage auf Tasso haben sehr gut getan, um runterzukommen und Kraft zu tanken für den Endspurt bis Oktober.

Die Fotos wurden teilweise von Sarah oder Hannah aufgenommen bzw. Das eine von Fortune. All Photo Credits to them for their Photos!

2 Kommentare

  1. Dawit

    First off, the courage I could already sense from the whole is amazing! … Daumen hoch, Kathrin!

    Mit diesem Artikel bin ich aber persönlich betroffen und zutiefst berührt…

    Das mit dem „Zukunft braucht Vergangenheit“ finde ich aktuell besonders bedeutungsvoll.
    Was wir heute als im ausland lebenden Afrikanern erleben müssen (z. B. in den USA), ist anscheinend nicht sooo monströs und grausam wie oben beschrieben. Trotzdem die Gewalt, Diskriminierung und Hass gegen Afrikanern wird wahrscheinlich so verachtet wenn alles für die Zukunft (hoffentlich naher) eine Vergangenheit wird.

    Zum seelischen Ausgleich:
    Es gab auch Afrikaner, die für die europäischen Invasoren defensiv keine Macht gegeben haben. Damals hatten sie mit Speer und Schild, barfuß gekampft und den „Goliath“ besiegt. So haben sie bis heute ihre Kultur, Sprachen und Würde schützen können. Check out: „Battle of Adwa“! Über sowas wird’s ja nie bei CNN oder BBC erzählt. 😉

    Ansonsten, hat mich gefreut wieder von dir zu lesen. …weiter so! 🙂

    LG,
    Dawit

    • TheKaddl

      Hi Dawit, danke für den Recherchetipp. Schaue ich mir direkt an! LG

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