Mangelernährung vs. Pizzaabend

Diese Woche wurde der aktuelle Welternährungsbericht der Vereinten Nationen veröffentlicht. Was viele befürchtet haben, ist nun bestätigt. In vielen Ländern der Welt hat zusätzlich zu Klimawandel und gewalttätigen Konflikten auch die Covid-Pandemie zur dramatischen Verschlechterung der Ernährungssituation beigetragen.

Das Ziel der Weltgemeinschaft “zero hunger bis 2030″ rückt in weite Ferne. 811 Millionen Menschen litten letztes Jahr an Unterernährung oder Mangelernährung. Jedes fünfte Kind weltweit ist wegen Magelernährung oder Hunger in seiner körperlichen und geistigen Entwicklung negativ beeinflusst. Diese Hemmnisse in der Entwicklungsphase des Körpers können in späteren Jahren kaum mehr aufgeholt werden.

Wegen der Pandemie blieben in vielen Ländern die Schulen geschlossen. Anders als in Deutschland, heißt das für die meisten Kinder, dass sie die einzige sichere Mahlzeit am Tag einbüßen. Oftmals gibt es von Regierungen oder Hilfsorganisationen finanzierte Schulspeisungen. Sind die Schulen zu, bleiben auch die Schulküchen kalt. 370 Millionen Kinder haben so im letzten Jahr ihre wichtige tägliche Schulspeisung nicht erhalten.

Inflation und höhere Lebensmittelpreise in Salone

Auch in Sierra Leone ist diese Entwicklung zu spüren. Durch die globale Pandemie kam es auch hier zu einer Preissteigerung in den letzten Monaten. Reis, Benzin, Fisch, alle Preise stiegen. Die Löhne stiegen jedoch nicht. 

Das Youtube-Video des World Food Programme der UN zeigt ein paar O-Töne aus Sierra Leone.

Noch ein kleiner Hinweis: der Bikedriver hat erwähnt, dass die Benzinpreise gestiegen sind. Erst vor zwei Wochen wurde der Preis nochmals erhoeht. Jetzt kostet ein Liter 9.500 LE (95 US-Cent).

Die Lebensmittelpreise steigen, wobei einige Lebensmittel ohnehin schon irrsinnig teuer sind. Auch ich habe meine Ernährung umgestellt. Nicht so sehr, weil ich mir das Stück Gauda für umgerechnet 10€ oder den Mozzarella für 7€ nicht ab und an leisten kann, ganz zu schweigen von einem Riegel Marseis (auch über 6€), sondern weil ich einfach zu geizig bin, soviel Geld für ein bisschen Käse oder Schoki auszugeben. Aber ich habe die Wahl. Ich kann entscheiden, kaufe ich es oder kaufe ich es nicht. Fuer viele stellt sich diese Frage gar nicht.

Auch “normales” Gemüse ist vergleichsweise teuer. Vier kleine Tomaten, mehr gelb als rot kosten knapp einen Euro, ein Bündel Frühlingszwiebeln 50 Cent, ein paar Karotten ebenfalls ein Euro, zwei dünne Auberginen: einen Euro, ein bisschen grüner Salat auch ein Euro. Paprika gibt es ganz selten schöne. Und wenn, dann kostet ein Paprika 1,50€. Rote Beete habe ich seit Wochen nicht mehr gesehen. Gurken, Tomaten, Karotten gibt es eigentlich immer. Beim Rest muss man immer etwas schauen, was es gerade gibt und wie es aussieht.

Selbst das Obst ist nicht unbedingt günstig. Eine Ananas oder eine Papaya kosten so knapp 1,50€, 4-5 Bananen 80 Cent.

Wenn ich mich also ein bisschen so wie zuhause mit viel Gemüse ernähren möchte, dann ist das eher teuer hier. Deshalb ernähren sich die meisten Menschen hier von Reis (ein halber Sack – 25kg – kostet so 15-20€) und “grüner Soße” wie ich es mal nenne. Weit entfernt von grüner Soße aus Frankfurt. Es ist Casava leave, potatoe leave oder Krinkrin. Die Blätter werden ähnlich wie Spinat gekocht und mit Zwiebel, Peperoni, Maggi und Fisch oder Fleisch gekocht. Manchmal wird auch Erdnusspaste dazugegeben. Selbst im Restaurant kostet das manchmal knapp über einem Euro.

Ein Monatsgehalt oder ein Pizza-Abend?

Letzte Woche hatte ich auch nochmal ein Gespräch zum Thema Mindestlohn mit Abdul aus meinem Guesthouse. In einem früheren Artikel habe ich anscheinend geschrieben, dass das Durchschnittseinkommen bei 250-300€ im Monat liegt. Das Mindesteinkommen ist um einiges geringer. Es liegt bei rund 40-50€ im Monat. Wer davon noch ein bisschen Gemüse kaufen möchte, hat am Ende nichts mehr übrig für Transport, um in die Arbeit zu kommen, Schulgeld, Miete oder andere anfallende Kosten. 

Security Guards verdienen normalerweise so viel bzw. so wenig. Ich denke, auch bei vielen anderen Jobs für ungelernte Kräfte gibt es nicht mehr Geld. 

Mietkosten können hier sehr unterschiedlich ausfallen, je nachdem, wie man wohnt. Im Compound gegenüber von unserem Guesthouse zum Beispiel wohnen die Leute in Wellblechhäusern, die sind nur semipermanent. Das gibt es öfter hier. Leute kaufen sich ein Grundstück, aber haben kein Geld, um direkt zu bauen oder wollen noch nicht bauen. Dann vermieten sie das Grundstück zu geringen Preisen. Das können dann 1-5 € im Monat sein für einen Teil des Grundstücks. Manchmal auch etwas mehr.  Wenn die Landbesitzer dann ihr Grundstück bebauen wollen, müssen sie es irgendwie schaffen, dass die Leute, die da mittlerweile wohnen, wo anders hingehen.

Und jetzt kommt das Verrückte an meiner Situation hier. Letzte Woche hatte ich mit Abdul über Gehälter, Mieten, Preise und so gesprochen und dann am Wochenende kam die Idee auf, wir könnten uns mal Pizza gönnen. Im Moment sind Jenna und ich die einzigen Gäste im Guesthouse und irgendwie haben wir beide noch nicht so ganz gecheckt, wie das hier mit der Bezahlung der Angestellten läuft. Ich habe es so verstanden, dass es auch ein bisschen abhängig davon ist, wie viele Gäste da sind. Wir wissen beide nicht so genau, ob immer alle genug Geld für Essen haben oder nicht. Deshalb kochen wir normaler Weise immer ein bisschen mehr, wenn wir kochen, ich lass morgens immer mein halbes Tapalapa (ähnlich wie ein Baguette) da und wir bringen auch immer Cola und Fanta mit, wenn wir uns Bier oben im kleinen Laden kaufen. Abdul hatte letzte Woche irgendwie nicht viel Appetit und als ich ihn am Samstag gefragt habe, worauf er Lust hat, meinte er Pizza. Also haben wir beschlossen, wir gönnen uns am Samstag mal Pizza. Die beste Pizza hier gibt es bei Gigibonta. Echte Steinofenpizza. Vier Pizzen kosten allerdings fast soviel wie ein Monatsgehalt mit Mindestlohn. Ist etwas verständlich, wenn man die Käsepreise in den Läden kennt… Jenna hatte noch eine Flasche Rotwein für gute 6€ beigesteuert, da kamen wir insgesamt bestimmt auf über 40€ für ein Abendessen mit einem Gläschen Wein. Abdul war ziemlich geschockt, als ich ihm gesagt habe, wie viel die Pizzen kosten. Er meinte, das nächste Mal holen wir nur eine.

So sieht das aus, wenn man einfach mal ein Monatsgehalt verfuttert:

So schnell kann es gehen und schon ist ein Monatsgehalt weg. Einfach mal vier Pizzen geholt. Irre. Darf ich eigentlich gar nicht drüber nachdenken – muss ich aber.

Also doch wieder armes, hungriges Afrika?

Eigentlich schreibe ich nicht so gerne über solche Themen hier. Über Hunger, zu hohe Preise, “Armut”. Eigentlich möchte ich euer Bild von Afrika – diesem großen Land südlich des Mittelmeeres – ja erweitern und nicht weiter schon vorhandene Bilder in euren Köpfen bestätigen. Aber der Hunger und die Armut gehören irgendwie trotzdem dazu, wenn man möglichst das ganze Bild betrachten möchte.

Mit meinem Schreiner hatte ich heute ein ziemlich langes und gutes Gespräch darüber. Häh? Wie mit “ihrem Schreiner” und wieso spricht sie mit ihrem Schreiner über den Hunger in der Welt? Das ist eine andere Geschichte. Die kommt dann ein anderes Mal. 

1 Kommentar

  1. Canan Sofuoglu

    Ist denn Besserung in Aussicht z. B. nach der Pandemie? Oder kann man von hier etwas tun auch wenn’s nur ein Tropfen auf dem heißen Stein wäre?

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