Heute kommt mein Post nicht aus Freetown, sondern aus Kabala. Kabala ist im Norden Sierra Leones, umgeben von den Wara-Wara-Bergen. Während ich euch schreibe, höre ich die Vögel in den Bäumen, das Hupen der Okadas aus der Stadt und habe den Blick auf die Berge im Sonnenuntergang.
Jedem Tief folgt irgendwann ein Hoch
Letzte Woche hatte ich ganz eindeutig mein größtes Tief erreicht, seitdem ich hier bin. Ich war genervt von der Arbeit bzw. wusste ich teilweise nicht, wie ich alles, was von mir erwartet wird, auch schaffen soll. Ich war genervt davon, dass ich nach acht Wochen immer noch keinen richtigen Wochenablauf habe, die Coronazahlen steigen und niemand scheint es ernst zu nehmen, Heimweh kam dazu und ein paar nervige Sachen, die zu erledigen waren. Ich wollte das mit meiner Wohnung ab August endlich klar machen, eigentlich mal mit meinem Sportprogramm starten und die Sprache kann ich immer noch nicht. Natürlich weiß ich, dass alles auf einmal zu viel verlangt ist, aber trotzdem…
Ich war zwar schon zwei mal Joggen und habe auch schon angefangen mit dem Auto zu fahren, aber irgendwie war gefühlsmäßig der Wurm drin. Und dann kamen auch noch Magenschmerzen dazu. Das Gute ist, nach jedem Tief kommt bekanntlich wieder ein Hoch.
Kabala in den grünen Hügeln
Vor zwei Wochen war ich ja schon in Kenema und im Gola Rainforest. Für diese Woche stand der Besuch in Kabala an, wo eine weitere Zweigstelle von CSSL ist. Das Büro in Kabala ist das kleinste mit unter zehn Mitarbeitenden. Im Norden von Kabala liegen die Wara-Wara-Mountains. Ich werde auf jeden Fall nochmal hierherkommen, um die Berge zu erkunden. Dieses Mal ist nur ein kurzer Besuch geplant, also keine Zeit für die Berge. Wir – mein Chef, mein Kollege Abdul, meine Kollegin Margaret und mein Fahrer – sind am Mittwoch von Freetown aus aufgebrochen. Die Fahrt dauert knapp über sechs Stunden, ist also nicht unbedingt ein Katzensprung. Schon auf dem Weg hierher habe ich mich in die Landschaft verliebt. Es ist hügelig und grün. Die Städte hier sind kleiner. Gestern haben wir schon eine kleine Vorstellungsrunde mit den Kollegen und der Kollegin gemacht, damit wir heute mehr Zeit für unseren Kommunikations-Input und den Besuch des Lake Sonfon haben. Anschließend ging es ins Hotel mit Blick in die Berge.
Infrastruktur und andere Probleme
Wie schon in Kenema haben wir auch hier in Kabala mit dem Team eine kleine Abfrage gemacht als Vorbereitung für unsere Kommunikationsworkshops. Wir haben die Kollegen und die Kollegin gebeten, aufzuschreiben, in welchen Bereichen sie gerne Trainings hätten und wobei wir sie unterstützen können. Es kamen wieder ganz unterschiedliche Sachen auf den Tisch, teilweise hatten sie nichts mit Kommunikation zu tun, aber es ist natürlich trotzdem gut, dass diese Dinge einmal ausgesprochen werden und wir können sie mit nach Freetown nehmen.
Mohamed Turay zum Beispiel, er ist ein Volunteer von CSSL, hat sehr klare Worte gefunden. Seiner Familie gehört das Land um den See. Er gehört zur Community vor Ort und setzt sich schon sehr lange für den Erhalt und den Schutz des Sees ein. Er berichtete von der Schwierigkeit der Kommunikation mit anderen Freiwilligen und dem Office in Kabala. So banal wie es klingt, aber natürlich sind Kommunikationsmittel nötig, Handys, Guthaben, Strom zum Aufladen und ähnliches. Manchmal scheitert die Kommunikation schon an den basics. Er erzählte auch, dass er offiziell bekannt ist vor Ort. Wenn aber Leute aus den Sustainable Help Groups vor Ort unterwegs sind, werden sie manchmal angefeindet, weil sie nicht nachweisen können, für wen sie arbeiten und zu welchem Zweck sie da sind. Auch Workshops und Fortbildungen scheitern manchmal daran, dass kein Geld dafür da ist, den Transport von allen zu zahlen. Ich denke, für alles können wir nicht direkt eine Lösung finden, aber wir haben beschlossen, wir kommen nochmal mit mehr Zeit, um auch diese Themen zu besprechen. Vielleicht können wir gemeinsam Lösungen finden, die finanzierbar und umsetzbar sind.
Ein Kollege hat auf den Zettel geschrieben “E Mails schreiben”, die Kollegin hat skills training erwähnt, wobei auch Computer skills gemeint waren. Wir müssen mal schauen, wie wir das alles bearbeiten können. Es ist natürlich sehr wichtig, dass diese Fähigkeiten bei allen da sind und wenn sie es nicht sind, dass wir sie entwickeln und stärken können.
Lake Sonfon und seine heiligen, kulturellen Orte
Lake Sonfon ist ein grüner See. Man sieht kaum Wasser, weil sich auf der Oberfläche ein grüner Teppich ausbreitet. Es ist der größte See Sierra Leones. Von Kabala aus fährt man nochmal knappe zwei Stunden, größtenteils dirtroad. Es ist also ziemlich remote, wie man so schön sagt.
Mohamed erklärte mir die kulturelle Bedeutung des Sees. Im See gibt es eine Insel, auf der Wald wächst. In diesem Wald werden die Könige der Gegend gekrönt oder besser gesagt “gethront”. Ich weiß nicht, ob es eine Krone gibt. Auf der kleinen Insel ist ein Thron. Wenn nun mehrere Anwärter für den Thron da sind, besteigen sie nacheinander den Thron. Wenn man nicht dazu bestimmt ist, König zu werden, bricht der Thron zusammen. Wenn man dazu bestimmt ist, König zu werden, dann passiert nichts und das ist die Bestätigung, dass dies der neue König sein soll.
Auf einer anderen kleinen Insel sind die Ahnen. Dort ist auch ein Schwert. Das hat Mohamed sehr betont. Ich weiß nicht so genau, was es mit dem Schwert auf sich hat, aber es scheint sehr wichtig zu sein.
Abgesehen von der Natur, ist Lake Sonfon also unbedingt schützenswert, da er wichtiges kulturelles Erbe enthält und sich dort heilige Orte befinden.
Wo unsere Störche den Winter verbringen
CSSL ist keine Organisation, die sich speziell für die Bewahrung des kulturellen Erbes einsetzt. Unser erstes Anliegen ist der Schutz der Natur. Was also machen wir da?
Lake Sonfon ist eine sehr wichtige Bird-Migration-Area. Das heißt, Zugvögel kommen teilweise aus Europa zum Überwintern hierher, teilweise nutzen sie den See und seine Umgebung als Zwischenstopp. Wer sich also schon immer gefragt hat, wo unsere Störche den Winter verbringen, hier ist die Antwort: am Lake Sonfon.
Außerdem gibt es hier ein paar gefährdete Tierarten, wie das Schuppentier und mehrere seltene Vogelarten. Ich habe heute zum Beispiel mein erstes gutes Vogelfoto geschossen: einen great blue Turaco. Ich habe die Vögel während der Fahrt im Baum entdeckt und geistesgegenwärtig den Fahrer stoppen lassen. Jeder Stopp wird auch gerne für ausufernde Fotosessions genutzt…
Papanie, der Programm Manager in Kabala und Birdwatcher, hat mir erklärt, welche Vögel am See zu sehen sind. Aktuell nicht so viele, da es gerade in Europa angenehm warm ist. Im Januar und Februar aber geht es am Lake Sonfon wohl nicht so ruhig und gemütlich zu wie heute. Als ich das Bild des Storches auf dem Plakat entdeckt habe, wurde mir mal wieder klar, wie sehr doch alles verknüpft ist. Wird hier Lake Sonfon und ähnliche Gebiete zerstört, gibt es auch in Deutschland keine Störche mehr, weil sie keinen Ort mehr haben, an dem sie überwintern können. Umweltschutz und Conservation sind also wirklich unbedingt ein globales Thema. Nur mit internationaler Zusammenarbeit, können wir die Tiere und die Natur für alle bewahren.
Wir haben auch ein paar Videos gedreht heute, aber da muss ich nochmal daran arbeiten, bevor ich die hier zeigen kann. Da stimmt die Qualität noch nicht so ganz.
Mining gefährdet Natur und Mensch
Ein großes Problem in der Umgebung des Lake Sonfon ist das Mining. Alahji erklärt, dass hier nach Gold geschürft wurde. Größtenteils privat und von den Menschen, die hier leben, aber trotzdem gefährlich. An dem einen Ende des Sees ist ein kleines Dorf, dessen Bewohnerinnen und Bewohner bis vor einigen Jahren noch mining betrieben haben. Dadurch wurde auch das Wasser des Sees verunreinigt. Es ist aber ihre Trinkwasserquelle. Somit ist es nicht nur für die Tiere und die Umwelt gefährlich, sondern auch für die Menschen selbst. Mit Hilfe von CSSL und Partnern konnte hier ein Projekt gestartet werden, in dem die Bevölkerung in der Nähe des Sees aufgeklärt wurde und neue Einkommensmöglichkeiten entwickelt wurden. Jetzt wird kein Gold mehr direkt am See geschürft.
Das funktioniert nur, wenn auch der Chief mit eingebunden ist. Im Falle des Lake Sonfon ist das Gute, dass das ganze Gebiet zu nur einem Chiefdom gehört, dem Diang Chiefdom. Somit muss man mit nur einem Paramount-Chief einig werden. Anders als im Greater Gola Landscape, der sich auf mehrere Chiefdoms erstreckt. Der Paramount-Chief war heute leider nicht da, so dass wir ihn nicht getroffen haben.
Bienen als Lebensretter
Eine der neuen Einkommensmöglichkeiten für die Menschen des Chiefdoms sind Bienen. Mit Hilfe von CSSL wurden Bienenkästen verteilt, die die Menschen in der Nähe des Sees verteilen. Die Wildbienen nutzen dieses Angebot sehr gerne, da es kaum Bäume gibt, in denen sie sich niederlassen können. Der Honig wird dann zweimal im Jahr geerntet und verkauft. Durch diese Maßnahme und weitere konnte das Mining direkt am See gestoppt werden.
Nur 1 Kilometer Bufferzone
Anfangs einigten sich alle für eine drei Kilometer weite Bufferzone um den See herum. Innerhalb dieser 3 Kilometer durfte nicht gejagt werden, keine Landwirtschaft betrieben, keine Bäume abgeholzt werden und so weiter. Nach einiger Zeit wurde die Zone auf einen Kilometer verkleinert, da die Leute nicht ausreichend Holz und Boden zum Leben hatten. Nun gibt es zwei Zonen. Die 1-Kilometer-Zone mit sehr strikten Schutzregeln und eine weitere, die bis 3-Kilometer vom Seeufer reicht, in der nur nachhaltig gewirtschaftet werden darf und eingeschränkter Gebrauch der natürlichen Ressourcen sichergestellt ist.
Das Wasser in dem Seeabschnitt in der Nähe des alten Mining-Dorfes ist leider teilweise immernoch verunreinigt. CSSL hat ein Programm zur Kontrolle der Wasserqualität, das diese Verunreinigung belegt. Oberhalb des Sees wird weiterhin nach Gold geschürft, so dass immer noch verunreinigtes Wasser in den See gelangt. Diese Aktivitäten sind außerhalb der 3-Kilometer-Bufferzone, somit ist es sehr schwer, hier irgendetwas zu unternehmen.
Dreckiges Auto, dreckige Maske, glückliche Kathrin
Was bleibt von unserem Tagestrip zum Lake Sonfon? Mein Auto ist super dreckig, nachdem es den Hin- und Rückweg hinter sich hat, meine FFP2-Maske ist auch innen voller Staub (ich habe sie mal abgesetzt und wieder aufgesetzt und anscheinend war mein Gesicht etwas vom roten Staub eingedeckt), aber mir geht es sehr gut. Ich habe zwar wieder so viele Ideen und neue Ansätze, was ich gerne alles machen würde, um meine Kolleginnen und Kollegen zu unterstützen, aber langsam kann ich alles strukturierter ablegen in meinem internen Speicher. Aus Ideen werden eher Umsetzungspläne. Außerdem entschädigt so ein Arbeitstag im Grünen, mit vielen interessanten Infos und spannenden Leuten für die schlechte letzte Woche. Und das beste: ich bin den ganzen Rückweg selbst gefahren 🙂 Auf dem Foto seht ihr den Teil der Straße, der absolut in Ordnung ist. Teilweise geht es steil bergauf über Steine und Rinnen, so dass man richtig durchgeschüttelt wird.
Ich glaube, am Anfang hatten meine Kollegen etwas Sorge, mein Chef hat kein einziges Mal die Augen zugemacht, wobei er sonst im Auto immer sofort einschläft, aber mir hat es riesig Spaß gemacht über die huckeligen Sandpisten zu fahren und teilweise durch ziemlich tiefes Wasser.
Morgen sehen wir noch einmal kurz die Kollegen und die Kollegin zum Foto-Shooting für die neue Website und dann geht es wieder zurück Richtung Freetown. Ich denke, da werde ich dann auch nochmal hinter dem Steuer sitzen 🙂
























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