Viele von euch haben sich nach meinem letzten Beitrag gemeldet. Vielen Dank für die Grüße von all diesen Inseln. Wie das so ist, geht es mir nun auf einmal sehr gut. Nachdem ich mir den Frust einmal von der Seele geschrieben hatte, ging es nur noch aufwärts mit meiner Stimmung und ich habe meine Fähigkeit innere Ruhe zu bewahren und gelassen zu Lächeln perfektioniert. Hilfreich dafür war mit Sicherheit mein Wochenendtrip zu Hannah nach Bo. Hannah ist auch ungefähr seit einem Jahr in Sierra Leone. Sie arbeitet bei WAVES (Women Against Violence) und ist über agiamondo hier. Ich habe sie letztes Jahr zufällig kennengelernt und irgendwie passt es bei uns beiden. Wir haben uns noch nicht so oft gesehen, weil sie in Bo wohnt, aber immer, wenn wir uns sehen, war es sehr gut. Ich hatte schon lange vor, sie in Bo zu besuchen, letztes Wochenende war es dann endlich so weit.
Wie vor jeder längeren Reise ist es zurzeit mal wieder ein Zittern, ob man genug Diesel bekommt, um hin und wieder zurück zu fahren. Nachdem ich das erste Mal, als dieses Problem aufkam, noch etwas nervös war, bin ich mittlerweile entspannt. Und vor allem dachte ich mir dieses Mal: falls ich in Bo keinen Diesel bekomme und nicht zurück nach Freetown fahren kann, dann bleibe ich eben noch ein paar Tage bei Hannah und arbeite dort im Homeoffice 😊
Am Freitag, am frühen Nachmittag ging es also los. Unterwegs habe ich an meine letzte Fahrt auf dieser Strecke gedacht. Damals waren Vivien und Jasi mit dabei. Dieses Mal saß ich alleine im Auto, aber dafür hatte der Regen die Landschaft in ein wunderschönes Arrangement aus unterschiedlichen Grüntönen verzaubert. Vielleicht ist es doch gut, wenn Leute mich am Anfang der Regenzeit besuchen, dann sieht das ganze Land gleich viel schöner aus, weil alles so grün und fruchtbar ist.
Sundowner auf der Terrasse der Präsidentenresidenz
In Bo angekommen bei Hannah, ging es noch für ein Sundowner Bier auf den nächsten Hügel. Bo ist eine Universitätsstadt und liegt 3,5 Stunden südöstlich von Freetown auf der Strecke Richtung Kenema und Gola Rainforest. Bisher kannte ich Bo nur vom Durchfahren. Die Gegend um Bo ist grün und etwas hügelig. Der Hügel, auf den wir unseren Abendspaziergang machten, beherbergt die „Sommerresidenz“ von Siaka Stevens. Siaka Stevens gilt als der erste Präsident Sierra Leones. Es ist immer noch sichtbar, wie schön die Residenz einmal war und wie schön sie eigentlich auch heute sein könnte, wenn sie nicht unbenutzt und heruntergekommen wäre. Teilweise ist das Fischgräten-Holz-Parkett noch sichtbar. Als wir da oben saßen und den Sonnenuntergang in seiner Farbenpracht genossen, während unsere Blicke über die Stadt schweiften und wir uns über unsere alltäglichen Herausforderungen austauschten, wussten wir noch nicht, dass der Besuch von Stevens Residenz, erst der erste Teil unserer historischen Tour werden würde.
Mittlerweile ist die Präsidentenresidenz heruntergerockt und beherbergt den staatlichen Radiosender SLBC Bo. An den Wänden finden sich Grafities von der Radiostation aber auch noch eine Botschaft an die ECOMOG Truppen, die im Bürgerkrieg die Rebellen bekämpften.
Auf in die Kangari Hill
Hannah teilt meine Wanderfreudigkeit. Deshalb war es von Anfang an klar gewesen, dass wir unser gemeinsames Wochenende auch für einen Hike oder eine Wanderung in der Umgebung von Bo nutzen würden. So sehr ich mich mittlerweile auch an das Leben in Freetown gewöhnt habe, es ist immer noch nervig für mich, dass es so lange dauert, bis ich aus der Stadt draußen bin. In Bo ist das anders. Dadurch, dass die Stadt viel kleiner ist, ist der Weg in die Natur auch viel kürzer. Trotzdem haben wir uns entschieden, die Kangari Hills zu erkunden, die circa eine Stunde nördlich von Bo liegen und sind nicht in der direkten Umgebung geblieben. Wir sind mit Hannahs Auto los, da wir noch nicht wussten, ob ich am nächsten Tag Diesel für die Heimatfahrt bekommen würde – witzigerweise oder peinlicherweise der Doppelgänger meines Autos. Über rote Pisten näherten wir uns den Kangari Hills.
Die Kangari Hills sind ein Forest Reserve. Leider ist viel mehr nicht bekannt. Wir sind also soweit gefahren, bis wir ein Dorf fanden, das nett aussah und von dem aus GoogleMaps einen Weg in die Hügel andeutete. Unser Auto haben wir bei einer netten Frau vor dem Haus geparkt und sind dann losgelaufen Richtung „Wunde“. Da Wunde auf GoogleMaps als Ort angegeben wurde, sind wir davon ausgegangen, dass es sich um ein Dorf handeln würde.
Über Trampelpfade ging es durch grüne Natur und Wald, wunderschöne Landschaften und Hannah hat sogar eine Gruppe Great Blue Turacos gesichtet. Ich war sehr erleichtert, dass es sich um Vögel handelte, die ich kenne und bezeichnen konnte. Wie peinlich wäre das sonst gewesen für mich als alte Birdi 😉
Irgendwann kamen wir dann an drei Häuschen vorbei und haben uns dort erkundigt, wo es nach Wunde geht, was ja unser erstes Ziel war. Die Frauen dort haben uns erklärt, wir wären schon in Wunde. Ziemlich witzig. Es waren wirklich nur drei Lehmhäuser mitten im Wald und GoogleMaps zeigt es mit Namen an…
Die eine Frau in Wunde erklärte uns, den weiteren Weg. Sie meinte noch, wir sollten nicht in die Banga Plantage, weil es dort keinen Weg rausgibt (Banga ist das Wort für Palmöl/früchte/bäume). Wir haben uns also wieder auf den Weg gemacht und sind weiter durch die grüne Landschaft spaziert, bis wir dann doch in der Banga Plantage gelandet sind. Eigentlich wollten wir weiter nach Petema und von dort aus die Runde zurück zu unserem Auto machen. Die Leute dort (es waren wieder nur 2 Häuser) haben uns nicht so richtig verstanden und wir sie auch nicht. Aber irgendeinen Weg haben wir dann doch eingeschlagen. Petema haben wir so leider nicht erreicht, dafür sind wir am Ende in Mongeri gelandet. Wenn man mit GoogleMaps und ohne offizielle Wanderwege durch die Gegend läuft, kommt man eben manchmal wo anderes an als geplant. Aber das macht die Sache ja nicht weniger interessant.
Historical Tour, die Zweite – the home of Samuel Hinga Norman
Wir waren noch gar nicht richtig im Dorf angekommen, da wurden schon eilig drei Plastikstühle aus dem Haus getragen und in den Schatten eines Baumes gestellt. Der Chief des Ortes lud uns ein, uns hinzusetzen und auszuruhen. Woher wussten die denn, dass wir just in diesem Moment ankommen würden? Irgendeine Art der Kommunikation scheint es zu geben, die wir nicht wahrnehmen.
Der Chief hat uns oben ohne, bekleidet in einer Jeans und Schlappen begrüßt. Es war ja auch Samstagnachmittag. Da ist man legere unterwegs. Wir haben erst ein bisschen Smalltalk betrieben mit ihm und dem anderen Mann, einem der Lehrer aus dem Ort, wie sich später herausstellte. „Ihr seid bestimmt wegen Samuel Hinga Norman hier?“ wurden wir gefragt. Es hat ein paar Anläufe gebraucht, bis wir verstanden haben, dass es sich um einen Namen handelt. Und nein, wir hatten den Namen noch nie gehört.
Kriegsheld und/oder Kriegsverbrecher?
Mongeri, der Ort, in dem wir gelandet sind, ist der Geburtsort von Samuel Hinga Norman. Seine Grabstätte ist direkt neben dem Fußballplatz im Ort. Die Schrifttafel ist zerstört, so dass ein bisschen Puzzlearbeit nötig war, um sie richtig zusammenzusetzen. Außerdem fehlen ein paar Teile. Die Kinder tragen die wohl immer weg. Aber einmal im Jahr kommt die Familie von Samuel Hinga, um ihm zu Gedenken. Er war der Anführer der Defense Forces während des Krieges und er war auch vor dem Special Court. So viel erfuhren wir vor Ort. Irgendwie konnten wir nicht ganz herauslesen, ob er nun eher als Held gesehen wurde, weil er als Chef der Defense Forces gegen die Rebellen kämpfte oder aber ein Kriegsverbrecher war. Vor dem Special Court wurden nach dem Bürgerkrieg die Verbrechen verhandelt, die während des Krieges begangen worden waren. Wenn jemand also vor dem Special Court war, dann hat er höchstwahrscheinlich Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen.
Da wir aus den Ausführungen des Chiefs und des Lehrers nicht ganz schlau wurden, wie die Menschen zu dieser Berühmtheit aus ihrem Ort stehen, haben wir zuhause noch ein bisschen online recherchiert. Und tatsächlich gibt es wohl sehr unterschiedliche Sichtweisen. Einerseits wird Samuel Hinga wirklich als Kriegsheld gefeiert, da er die Rebellen bekämpfte und erfolgreich zurückdrängte. Aber er war auch angeklagt, da er wohl mit verantwortlich war, dass Kindersoldaten rekrutiert wurden, Dörfer geplündert und Frauen und Mädchen vergewaltigt wurden. Er war der Anführer der sogenannten Kamajors.
Schusssichere Westen und der Glaube an den Zauber
Die Kamajors waren nicht Teil der offiziellen Armee Sierra Leones, sondern separat von ihr. Eigentlich sind es traditionelle Jäger, die dem Chief direkt untergeben sind. Die Kamajors hatten ein eigenes Aufnahmeritual, sie hatten bestimmte Westen – ich habe das im Nationalmuseum gesehen – die durch bestimmte Amulette kugelsicher waren. Dadurch waren die Kamajors quasi unverwundbar. Deshalb hatten die Rebellen Anfangs auch sehr große Angst vor ihnen und haben sich nicht wirklich getraut gegen sie zu kämpfen. Aber sie hatten auch sehr strenge Regeln, an die sie sich halten mussten – dazu gehörte wohl auch, dass sie eigentlich abstinent leben sollten. Da es sich bei den Kämpfern oft um junge Männer handelte, und im Krieg auch viele Drogen genommen wurden, haben sie die Regeln immer wieder und immer öfter gebrochen. Dadurch wirkten die Zauber nicht mehr, die sie beschützt haben, so wurden sie verwundbar und als die Rebellen das gemerkt haben, hatten sie nicht mehr wirklich Angst vor ihnen.
Das hat mir alles ein Freund von mir erzählt. Er ist sich sicher, wenn die Kamajors sich weiter an die Regeln gehalten hätten, wären sie weiter unverwundbar gewesen.
Es finden sich nicht so viele Menschen, die Kriegshelden sind, ohne auch Verbrechen begangen zu haben. Mit dieser inneren Spaltung müssen die Menschen irgendwie umgehen. Vielleicht ist es die Lösung in Mongeri, dass die Grabstätte zwar da ist, aber es niemanden stört, wenn Kinder Teile der Schrifttafel entfernen und Ziegen ihre Zeichen auf dem Grabstein hinterlassen. Ich weiß es nicht. Das ist reine Interpretation.
Samuel Hinga Norman wurde 2004 vor dem Special Court angeklagt. Er starb allerdings bevor das Urteil verkündet worden war in Guinea, wo er sich wegen einer medizinischen Behandlung aufgehalten hatte.
Abschied aus den Kangari Hills und Bierchen am Fluss
Von Mongeri aus sind wir den „Highway“ zurück zu unserem Auto gelaufen. Bestimmt haben alle Menschen, die wir auf unserem Ausflug getroffen haben, große Fragezeichen in ihren Köpfen gehabt, was diese zwei weißen Frauen da treiben. Das Konzept „Spaziergang“ einfach so, gibt es hier nicht. Entweder haben sich die Leute gewundert oder aber sie wundern sich eh über nichts, was Weiße so machen, da wir eh unverständlich sind.
Zurück bei unserem Auto haben wir uns noch ein bisschen mit Madame Fouday unterhalten, bei der wir unser Auto abgestellt hatten. Sie hat neun Kinder, das kleinste Kind auf dem Foto ist allerdings eines ihrer Enkelkinder. Ein Kind war krank, deshalb wurden aus Rinde eines bestimmten Baumes gerade ein Sud gekocht. Und das eine Mädchen hieß Hannah. Welch Freude, eine Namensvetterin zu treffen.
Auf dem Hinweg hatten wir schon unseren Spot für ein Sundownder Bierchen gesichtet. Wir sind über eine Brücke gefahren und der Fluss sah traumhaft aus. Die einzige Herausforderung war, ob es ein kühles Bier geben würde, weil es ja nicht überall Strom gibt. Aber was soll ich sagen, es war einfach unser Tag. Nicht nur der Ausflug war super schön, alle Menschen super nett, nein, es gab auch noch richtig kaltes Bier. Da haben wir sofort zwei Dosen gekauft und sind zum Fluss gelaufen. Begleitet von einer Kinderschar. Die Kinder wurden (zum Glück) irgendwann von Frauen zurückgerufen. Wir hatten uns die Waschstelle der Frauen ausgesucht, um auf den Felsen im Wasser unser Bier zu genießen. Wahrscheinlich dachten die anderen, dass wir uns waschen wollen und haben deshalb die Kinder weggeschickt. Wir waren ganz froh, so konnten wir in Ruhe die unglaublich schöne Natur genießen – und unser Bier und den Ausflug perfekt ausklingen lassen.
Party Town Bo
Bo ist bekannt für seine Clubs und sein Nachtleben. Ist halt eine Universitätsstadt. Das Party- Nachtleben habe ich mir aber für den nächsten Besuch aufgehoben. Wir waren etwas zu erschöpft nach dem ganzen Tag Wandern in der Hitze. Deshalb haben wir uns am Straßenrand noch schön kros gegrillte Ziege und Hühnchen geholt und Brot und sind dann noch in eine von Hannahs Stammkneipen, um unser Essen mit einem Bier zu genießen. In Bo und auch in anderen Städten habe ich das schon gesehen, in Freetown eigentlich noch nicht wirklich. Am Straßenrand gibt es kleine Buden, die auf Metallplatten Fleisch ganz kros braten. Man sucht sich ein Stück Fleisch aus, ein Stück Ziege zum Beispiel für 10,000 LE (das ist weniger als ein Euro). Dann wird es in mundgerechte Häppchen geschnitten und schön angebraten. Mit Zeitungsstücken wird es dann vom Blech genommen, es kommt Lime und scharfes Gewürz darauf und dann bekommt man es mit ein paar Zahnstochern in die Hand zum Essen. Es schmeckt wirklich perfekt in Kombination mit Bier und Brot.
Die Location, in die wir sind, ist anscheinend eine angesagte Studi-location. Junges Publikum, sehr gemischt und wir mittendrin. Natürlich total underdressed, da noch verschwitzt und in unseren Wanderklamotten. Peinlich, peinlich. Aber die Musik und die Atmosphäre waren hervorragend. Ein rundum gelungener Tag.
Ich war wirklich sehr traurig, als ich am Sonntag wieder zurück nach Freetown musste. (Un-)Glücklicherweise habe ich tatsächlich 20l Diesel bekommen, so dass zumindest sichergestellt war, dass ich Freetown auch erreichen würde.
Spätestens nach dem ersten Tollgate, wenn man sich Freetown nähert, merkt man dann auch direkt den Unterschied zwischen der big city und up-country. Der Smog hat einen wieder. Wie schlecht die Luft hier ist, merke ich immer erst, wenn ich ein paar Tage wo anders war und wieder zurückkomme. Jetzt habe ich mich schon wieder daran gewöhnt.
Anfangs war ich mir ja nicht sicher, ob ich es so gut finde, dass ich in Freetown bin und ob ich nicht lieber in einer der kleineren Städte wie Bo, Kenema oder Makeni leben möchte. Mittlerweile bin ich aber ganz froh, in Freetown zu sein. Vieles ist hier viel einfacher. Vor allem ist es viel leichter, auszugehen, Bekanntschaften zu schließen und Leute zu finden, mit denen man ein Biertrinken gehen kann und mit denen ich mich gut unterhalten kann. Trotzdem ist es super, nun eine weitere Insel in Sierra Leone zu haben. Ich freue mich schon auf meinen nächsten Trip nach Bo, oder vielleicht treffen wir uns das nächste Mal auch in Makeni, wo Hannahs Freund lebt.
Und um nochmal auf meinen letzten Blogbeitrag zu sprechen zu kommen: Ich bin seit einigen Tagen wirklich entspannt und Situationen, die mich zuvor innerlich aufgeregt haben, kann ich nun gelassen hinnehmen und mich zurücknehmen. Vielleicht habe ich wieder einen kleinen weiteren Schritt in Richtung ankommen in einer neuen Umgebung geschafft.
Hinweis: Die meisten Fotos im heutigen Beitrag sind von Hannah. Vielen Dank dafür!



























Schreibe einen Kommentar