Mein letzter Eintrag liegt schon eine ganze Weile zurück. Wie immer ein Zeichen, dass ich entweder sehr busy bin oder dass es mir nicht so gut geht. Dieses Mal traf beides zu. Wie immer in den letzten Monaten des Jahres heißt es in der Arbeit, dass noch möglichst viele Projekte umgesetzt werden müssen. Dann musste ich meinen Plan fürs kommende Jahr machen, meinen Halbzeitbericht schreiben und dann gibt es ja auch noch Leben neben der Arbeit. Ich habe ein paar schöne Wanderungen gemacht und war gestern endlich, endlich auch mal wieder im Meer schwimmen.

Midterm Blues oder doch ernste Zweifel?

Nach England hatte ich das Gefühl, ich komme hier gar nicht mehr rein. Irgendwie habe ich meinen Platz nicht mehr gefunden und war gar nicht mehr bei mir. Weil es so lange gedauert hat, bis dieses unangenehme Gefühl weg war, hatte ich viel Zeit zum Reflektieren, was es wohl sein könnte, das mich innerlich so unruhig macht. Das Ergebnis vieler Gespräche und Gedankenwälzungen: es sind wohl viele Gründe und nicht nur einer. Vielleicht spielt es eine Rolle, dass ich jetzt quasi die Hälfte meines Vertrages hinter mir habe und ich mich frage, was ich eigentlich bisher hier gemacht und erreicht habe. Schaffe ich es, meine Aufgaben zu erfüllen, für die ich gekommen bin? Dieses Jahr schaffe ich wahrscheinlich 50% von dem, was ich mir letztes Jahr vorgenommen habe. Da war ich noch ein bisschen blauäugig. Mittlerweile weiß ich schon besser einzuschätzen, wie lange alles dauert und wie viele Unwägbarkeiten ich mit einberechnen muss. Aber nächstes Jahr ist dann eh wieder alles anders. Im Juni sind Wahlen. Deshalb ist das komplette erste Halbjahr unklar, was und wie wir arbeiten können. Also Fokus eher auf Advocacyarbeit vor den Wahlen, mit dem Versuch, die Parteien dazu zu bringen echte Versprechen abzugeben, wie sie Umweltschutz in der nächsten Legislaturperiode umsetzen wollen. Außerdem soll ich noch eine longterm Strategie für Kommunikation und eine für Ökotourismus erstellen. Und dann ist das Jahr wahrscheinlich auch schon wieder vorbei. Es stimmt wirklich, was alle immer sagen: im ersten halben Jahr schaust du nur zu, versuchst anzukommen und machst ein paar kleine Projekte, dann fängst du ein bisschen an zu arbeiten. Nach einem Jahr verstehst du einigermaßen, wie die Dinge laufen und funktionieren. Und dann bist du aber mit dem Kopf bald schon wieder am Ende deines Einsatzes, weil du dann immer schon auf das Ende hin planst.

Wo bin ich zuhause?

Dann ist da das ewig und immerwährend Thema der unglaublichen Ungerechtigkeiten und Privilegien. Und dieses Gefühl, nirgends ganz zuhause zu sein. Ich merke, das hier ist nicht meine Welt. Ich gehöre hier nicht wirklich dazu und werde das auch nie tun. Aber ich kann mir gerade auch nicht vorstellen, morgen in den Flieger zu steigen und wieder in Schoppershof zu wohnen. Irgendwie ist das gerade auch nicht meine Welt. Wo ist also meine Welt gerade? Wahrscheinlich mache ich mir auch zuviele Gedanken und sollte einfach mehr im Hier und Jetzt sein. Den Strand genießen, durch den Regenwald stapfen und mich abends über meinen frisch gegrillten Fisch oder African Dish freuen. Und genau das mache ich auch ab und zu. Und es tut jedes Mal sehr, sehr gut.

In der Arbeit läuft es gerade auch ganz gut. Ich komme mit meinem Team gut klar. Wir hatten sehr gute offene Gespräche und ich habe wirklich das Gefühl, meine Arbeit hier bringt Veränderung. Das ist ja ein Ziel meines ganzen Aufenthaltes. Wie ihr euch denken könnt, bin ich sozial auch sehr gut eingebunden und merke immer wieder, dass ich hier mittlerweile so viele Menschen kenne, bei denen ich mich ehrlich freue, wenn ich sie sehe. Also gab es eigentlich keine äußeren Gründe für meine innere Unausgeglichenheit. Ich versuche mit einer Mischung aus mich zurückziehen, Wohnung verschönern und Party-on meine innere Balance wieder zu finden. Manchmal klappt es besser, manchmal nicht so gut. Das endgültige Rezept scheine ich dieses Mal nicht so einfach zu finden.

Wann platzt der Knoten endlich?

Ich habe mich schon gefühlt wie ein Kleinkind, das vor einer neuen Entwicklungsstufe steht und deshalb erst einmal mit sich und seiner Umwelt kämpfen muss und sich selbst nicht mehr findet, bis es endlich die nächste Stufe erreicht hat und der Knoten geplatzt ist. Vielleicht ist nach eineinhalb Jahren wieder einmal so ein Knoten dran. Man weiß es nicht. Ich merke nur, dass ich anfangs gedacht habe, es wird irgendwann leichter, hier zu sein, weit weg von zuhause, in dieser oft herausfordernden Umgebung – und ich merke, es wird irgendwie nicht leichter. Vieles ist Routine, vieles Alltag, aber das heißt irgendwie nicht, dass es leichter wird. Wie auch. Für meine Kolleginnen und Kollegen ist das Leben hier ja auch nicht leicht.

Zugleich gibt es nach wie vor ganz viele kleinere und größere Highlights. Zum Beispiel unsere Wanderung in Kabala, wo ich übers lange Wochenende mit Hannah, Max und einem Besucher aus Deutschland war; oder Carbonara Night mit den Italians, Mittwochabend Salsa Night mit Margharitas und Tanzen unter der Woche, Field Trip mit den Kolleginnen und Kollegen zum Wasserfall oder wie gestern einmal wieder von den Wellen des Ozeans tragen lassen mit Blick auf die Mangroven und die bewaldeten Hügel der Peninsula. Der Wechsel aber, zwischen all diesen Welten, zwischen Deutschland und Sierra Leone, zwischen Expat-Leben und Büro, ist auch nach eineinhalb Jahren noch anstrengend für mich und wird es wohl auch bleiben. Der Kopf und das Herz kommen nie so wirklich zur Ruhe.

Ich habe ja das große Glück, dass ich hier wirklich gute Freunde gefunden habe. Zwei von ihnen sind leider letzte Woche ausgereist. Ramith ist zurück nach Indien und mein einer John ist nach Äthiopien. Das hatte bestimmt auch ein bisschen Auswirkungen auf meine Stimmung. John haben wir mit einem gebührenden Abendessen und einem spontanen Pool-Besuch im Anschluss verabschiedet. Wieder einmal die verrückt reiche Seite des Landes. Wäre John noch hier, würde ich jetzt allerdings keinen Artikel für euch schreiben, sondern mit ihm den Sonntagnachmittag verbringen. So hat alles seine guten und seine schlechten Seiten 😉

Jetzt muss ich mich mal losreißen. Ich sitze gerade an meinem Eßtisch, die Wohnungstüre ist offen, so dass immer ein frisches Lüftchen hereinweht, vor mir meine Balkonpflanzen und hinter ihnen das Meer. Aber das soll es heute nicht gewesen sein. Ich werde mich jetzt dann mal fertig machen und noch rausgehen. An den Strand, ans Meer, oder zur Lifemusik heute Abend in die Strandbar. Auf der Suche nach meiner Life-balance.

Ich hoffe, ich schaffe es bald noch von all den anderen Dingen berichten, die ich in den letzten Wochen erlebt habe. Zum Beispiel den ersten Teil des Wanderführers Salone, die Climate Action Conference, Teamausflug zum Mambo Waterfall und natürlich was sonst noch so tagein, tagaus passiert.

Euch einen guten Sonntag und eine gesunde Balance in eurem Alltag 🙂

Und manchmal hilft einfach auch der tiefe Blick ins Glas, damit die Welt ein bisschen bunter aussieht 😉