Ich glaube, ich brauche gerade kaum jemandem in Deutschland oder Südeuropa ein Lied von den Folgen des Klimawandels singen. Starkregen, Überflutungen, unbeherrschbare Brände, Wetterextreme in sämtlichen Ausprägungen… All das sind laut Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die den aktuellen Weltklimabericht verfasst haben, die Folgen des menschengemachten Klimawandels.
Nicht nur in Deutschland, auch hier in Sierra Leone sind die Folgen des Klimawandels zu spüren. Der Regen in dieser Regenzeit lässt auf sich warten. Wir hatten ein schönes sonniges Wochenende und das im Monat August, in dem es eigentlich stundenweise wie aus Eimern schütten sollte. Aber leider wird einem selbst der sonnige Sonntagnachmittag am Strand vermiest, da alle Strände voller Seegras sind.

Seegras statt Sandkorn
Vor drei Wochen beim Sonntagsjoggen entlang des Lumley Beaches war ich überrascht, bestürzt, irritiert. Ich kann gar nicht mehr so genau sagen, was da in mir vor sich ging. Der ganze Strand war voller Seegras. Wortwörtlich war der Strand vor lauter grün-braunem Zeug nicht mehr zu sehen. Naja, dachte ich mir. Ist halt Regenzeit und in der Regenzeit wird mehr Seegras angeschwemmt. Das hat bestimmt irgendwas mit den globalen Wasserströmungen zu tun, die sich ja im Laufe des Jahres ein bisschen verändern.
“It only started some years ago that it is like this”, erklärte mir dann aber Asan. Früher gab es auch in der Regenzeit keine von Seegras überschwemmten Strände. Da ich allgemein bekannt bin als conservation- und environmentexpert, wurde ich von meinen Mitläufern gefragt, weshalb in der Regenzeit seit einigen Jahren immer so viel Seegras angeschwemmt werde.
Um keine Antwort verlegen, habe ich natürlich sofort in den “Kompetenz-vortäuschen-Modus” geschalten und ein paar Überlegungen angestellt. Zum Beispiel, habe ich laut vor mich hinphilosophiert, könnte es etwas mit der Überfischung der Meere zu tun haben. Vielleicht gibt es nicht mehr genug Fische, die das Seegras fressen. Oder vielleicht hat es auch mit der steigenden Temperatur des Meerwassers zu tun. Ich weiß ja, dass zum Beispiel Korallen schon auf 0,5° Temperaturunterschiede reagieren und teilweise schon bei 1° erhöhter Temperatur unwiederbringlich absterben. Wieso sollte nicht auch das Seegras empflindlich auf Temperatur reagieren? Leider mehr Fragen als Antworten in meinem Kopf zu diesem Thema. Deshalb habe ich zuhause umgehend meine Recherchemaschine angeworfen und mich etwas schlau gemacht.
Temperaturanstieg und Düngemittel verschmutzen unsere Strände
Es war sehr interessant und zugleich sehr traurig, was das Internet mir zu meiner Nachfrage verraten hat. Das “Seegrasproblem” besteht nicht nur an unseren schönen Stränden in Salone und wahrscheinlich an den anderen Küsten Westafrikas, sondern auch an der Ostküste Brasiliens und der USA. Wie so oft kommen mehrere Faktoren zusammen und den Schaden haben am Ende nicht unbedingt die, die für die Ursachen verantwortlich sind.
Ich muss zugeben, dass ich hauptsächlich Informationen zum Seegrasaufkommen in den Amerikas gefunden habe, aber ich denke, die Ursachen lassen sich auf Westafrika übertragen.
Ein Grund, weshalb es in den letzten Jahren zur Seegras-Expansion gekommen ist, ist tatsächlich die erhöhte Meerestemperatur. (Diese Annahme von mir war also richtig!) Schon eine leichte Erhöhung der Temperatur sorgt dafür, dass das Seegras schneller und besser wachsen kann und sich mehr ausbreitet.
Für alle, die am menschengemachten Klimawandel zweifeln und die nicht sicher sind, ob die erhöhte Temperatur tatsächlich unsere Schuld ist, sei hier nun noch ein weiterer Grund für das viele Seegras an den Stränden aufgeführt, der sehr klar menschengemacht ist: Durch die fortschreitende Abholzung der Wälder – in Südamerika namentlich des Amazonas – und die damit verbundene Umwandlung von Waldgebieten in Ackerland wird das Wachstum multipliziert. Wie das geschieht? Ganz einfach: Auf dem Ackerland werden Düngemittel eingesetzt, diese gelangen über Bäche und Flüsse ins Meer und werden mit den globalen Meeresströmungen verteilt. So gelangen Düngemittel in die Weltmeere. Offensichtlich machen diese Dünger ihren Job sehr gut. Das Seegras springt auf jeden Fall darauf an. Wir düngen also das Seegras im Meer und die Ergebnisse werden uns dann an die Strände geschwemmt.
Warum ist zuviel Seegras schlecht?
Seegras ist wichtig und gut für den Lebenskreislauf in den Weltmeeren. Allerdings kann zuviel Seegras zum Kollaps von Ökosystemen führen. Schildkröten finden am Strand keinen Sand mehr, wo sie ihre Eier ablegen können; falls sie es dennoch schaffen, erschwert es das Seegras den Babyschildkröten, den Weg ins Meer zu schaffen; Seegras entzieht dem Wasser zu viel Sauerstoff, so dass Fische und andere Wasserlebewesen nicht überleben können; totes Seegras sinkt zum Boden und bedeckt wertvolle Korallen und so weiter und so fort. Meine Infos hierzu habe ich von ein paar Internetartikeln, hauptsächlich von der Seite phys.org (Falls jemand diese Seite kennt und weiß, dass es keine gute Quelle ist, bitte gerne Bescheid geben.).
Wie gesagt, die meisten Quellen konzentrieren sich auf die Amerikas und nicht auf die westafrikanische Küste. Schaut man sich aber die Meeresströmungen an, sieht man, dass es hier durchaus Zusammenhänge geben kann und es sogar sein kann, dass der Dünger aus dem Amazonas durch die Meeresströmungen bis zu uns kommt. Das ist aber wieder nur eine meiner Annahmen. Das müsste mal noch jemand wissenschaftlich verifizieren.

Ihr seht schon. Ich komme irgendwie immer wieder an den Punkt, an dem alles mit allem zusammenhängt. Egal ob das nun der norwegische Lachs ist, das Winterquartier der Störche oder eben das Seegras an den Stränden. Unser Klima ist ein weltweites Klima. Und zugleich betrifft es uns alle in unserem Alltag, egal wo auf der Erde wir leben. Für mich ist es der Beweis, dass ich hier nicht im luftleeren Raum arbeite, sondern conservation und Umweltschutz wirklich Themen sind, die wir weltweit gemeinsam angehen müssen.
Weltklimabericht: 2° Ziel wird immer unwahrscheinlicher
Und welch glücklicher Zufall, dass ausgerechnet heute der sechste umfassende Bericht des Weltklimarates veröffentlicht wurde. Die Daten aus dem Bericht belegen, was wir gerade weltweit erleben: Brände, Starkregen, Hitzewellen, schmelzende Eisschilde und Folgen der steigenden Meerestemperatur sind alles Folgen des menschengemachten Klimawandels. Und somit unterstützt der Weltklimabericht auch meine Annahmen zum Seegras an Salones Stränden. Die Zukunftsaussichten des Berichtes sehen leider nicht soooo positiv aus.
Kurz zusammengefasst: Das Ziel von 1,5° erhöhte Temperatur im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter ist so gut wie unerreichbar geworden. Dieses Ziel wäre wichtig gewesen, um Ökosysteme und das Weltklima so zu erhalten, wie wir es kennen. Die Working Group hat fünf Szenarien ausgearbeitet, die die klimatischen Folgen für fünf verschiedene Temperaturanstiege zeigen. Extreme Wetterlagen, wie wir sie gerade erleben, werden uns bleiben, unabhängig vom Anstieg. Diese Entwicklung ist jetzt schon irreversibel. Stoppen oder verlangsamen können wir die aktuelle Entwicklung nur, wenn sehr, sehr schnell die Staaten weltweit gemeinsam ihr Vorgehen anpassen. Vielleicht schaffen wir es doch endlich – gemeinsam als Menschheit – den rasanten weiteren Anstieg abzubremsen und zu stoppen. Es geht hier nicht nur um ein bisschen weniger Regen hier und ein bisschen höhere Temperaturen dort, es geht darum ganze Ökosysteme zu erhalten und mit ihnen Tier- und Pflanzenwelt oder sie aufzugeben bzw. in den sicheren Untergang zu schicken. Und mit diesen Ökosystemen verschwinden auch Teile unserer Lebensgrundlage.
Wer zu faul ist, den ganzen Bericht zu lesen (was wahrscheinlich kaum jemand wirklich macht bei 1.300 Seiten Wissenschafts-blabla), kann sich einfach mal die regionalen Factsheets anschauen. Man muss auch kein Englisch verstehen, um die Grafiken auf der ersten Seite zu verstehen. Hier ist der direkte Link zu Europa: IPCC Regional Factsheet – Europa. Unten auf der ersten Seite sind die Entwicklungen von Temperaturen (temperature) und Niederschlag (percipitation) dargestellt. Direkt darüber die Hauptergebnisse.
Natürlich gibt es alle wichtigen Infos auch auf sämtlichen Nachrichten- und Medienseiten schön verständlich auf deutsch zusammengefasst. Da kann ja jede und jeder mal den Nachrichtenkanal der eigenen Wahl befragen.
Es gibt auf der Seite des IPCC auch einen interaktiven Atlas. Ich finde, der ist nicht ganz selbsterklärend, aber wer sich ein bißchen mit Daten auskennt bzw. Lust auf Daten hat und gerne herumklickt, kommt eigentlich auch damit gut zurecht: Interaktiver Klimaatlas
Die wichtigste Botschaft der Workinggroup – zusammengefasst von mir:
It is late – but not too late. We have to start some action now!
Ich habe mir heute morgen, bevor ich in die Arbeit gefahren bin, den Livestream der Präsentation der Ergebnisse ein bisschen angeschaut. Ich habe großen Respekt vor Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die es tatsächlich schaffen, diese hochkomplexen Daten so aufzubereiten, dass ich in der Lage bin, ihren Ausführungen zu folgen, während ich noch meinen ersten Kaffee des Tages trinke. Was ich besonders eindrücklich fand, war die eine Präsentatorin, die wiederholt unser aller Pflicht als Bürgerinnen und Bürger angesprochen hat. Es ist nicht nur “die Politik”, “die Wirtschaft” oder „die Industrie“, die verantwortlich sind, dem Klimawandel etwas entgegenzusetzen. Es ist jede und jeder einzelne von uns.
Deshalb rate ich auch denjenigen, die sich eigentlich keine Infos auf irgendwelchen weiterführenden Links anschauen wollen, klickt wenigstens kurz das Factsheet Europa an und schaut euch an, wie sich die Temperaturen verändern werden. Ich bin mir sicher, ihr werdet ins Schwitzen kommen!
Und wer jetzt genervt ist, von zu viel Klimadrama, denen kann ich schon mal sagen, sorry, das ist leider unsere Realität und: bald kommen ein paar motivierende und positiv stimmende News. Sie sind schon in der Pipeline.
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