Ich schreibe mal wieder aus Kenema, von der Terasse des Paloma Hotels. Morgen startet der zweite Workshop um unsere Kommunikationsstrategie hoffentlich fertigzustellen. Auch wenn sich mal wieder alles ins Unendliche verzögert hat in den letzten Wochen – wir hatten kaum Strom in Freetown, weshalb das Filmteam nicht wirklich an den Filmen weiterarbeiten konnte – höre ich nicht auf, zu hoffen, dass wir die Filme noch fertig bekommen, bevor ich mich im Juni in den Urlaub verabschiede.
Was machen die Häuser da in den Hügeln?
Ich war das letzte Mal im November hier in Kenema, um das Filmmaterial für unsere Filme über den Gola Rainforest und das Kambui Hills Forest Reserve zu drehen. Wer immer hier lebt, sieht es vielleicht nicht so cras, aber für mich, die immer nur alle paar Monate hier ist, ist es jedes Mal wieder schockierend. Ich bin erst seit zwei Jahren hier und ich sehe den Wald verschwinden. Ich höre mich schon an, wie eine alte Frau. Ich erinnere mich noch daran, als die Hügel alle voll bewaldet waren. Es geht mit erschreckender Geschwindigkeit voran. Und ich habe schon Angst, wie es wohl bei meinem nächsten Besuch aussehen wird. Wenn ich im Herbst wiederkomme, wieviel Wald wird dann noch da sein? Wie viele Bäume werden durch Häuser ersetzt worden sein?
Ich kann es kaum in Worte fassen, für die, die es nicht mit eigenen Augen gesehen haben. Bevor man die Stadt erreicht, erheben sich zu beiden Seiten der Straße Hügel, die eigentlich bewaldet waren. Eigentlich ist es ein Forest Reserve. Aber die Grenze und die sogenannte Bufferzone wird konstant neu definiert. Als ich das erste Mal hier war, haben mir meine Kollegen schon erklärt, dass in der früheren Bufferzone, einer der Minister, der aus Kenema stammt, eine neue Straße gebaut hat (die übrigens nach dem aktuellen Präsidenten benannt ist) und in dieser Straße ein Hotel mit Club und Restaurant gebaut hat. Deshalb ist die Bufferzone schon mal weiter in die Hügel gewichen.
Jetzt sehe ich, dass überall in den Hügeln, auf die ich schaue, während ich hier auf der Terasse sitze, Häuser entstanden sind in den letzten Monaten. Im Herbst war da noch Wald, jetzt ist es kahle Fläche und Bebauung. Noch schlimmer sieht es aus, wenn man in die Stadt einfährt. Der eine Hügel ist vollständig abgeholzt und offensichtlich hat der Regen der letzten Tage einen Erdrutsch verursacht. Eine riesengroße Narbe ist entstanden. Was eigentlich grün und bewaldet sein sollte, ist nun rote Erde. Der Korridor, der die Kambui Hills Süd und Nord verbindet, und der es Tieren ermöglicht hat, vom Südteil in den Norden zu wandern, ist vollständig verschwunden.
Demotivierend oder neue Motiviation?
Seit ein paar Jahren schon sind Kollegen von mir hier aktiv und versuchen mit den communities zu arbeiten, mit Regierungsbehörden und mit den lokalen Verwaltungsstrukturen, um das Forest Reserve zu bewahren. Offensichtlich ohne Erfolg. Wenn ich das sehe, würde ich am liebsten in den Flieger steigen und wegfliegen. Was für einen Sinn hat unsere Arbeit eigentlich? Oder vielleicht sollte es mich eher motivieren. Was müssen wir an unserer Arbeit ändern? Was müssen wir machen, um die letzten Reste des Waldes zu schützen? Es gibt hier Schimpansen, Schuppentiere, und einige bedrohte Vogelarten. Offensichtlich ist es den Menschen und vor allem den Entscheidungsträgern egal. Verstehen sie echt die Zusammenhänge und die Bedeutung des Waldes nicht oder denken sie, er ist doch unendlich?
Dabei ist echt eine Wohltat, wenn man aus Freetown kommend, hier aus dem Auto steigt. Die Luft ist kühl, es ist schon fast kalt möchte ich behaupten. Ich ärgere mich, dass ich kein Jäckchen eingepackt habe. Zwischen den Hügeln dehnen sich die Reisfelder aus, aber für wie lange werden sie genug Wasser haben, um den Reis anzubauen, wenn der ganze Wald bald weg ist?
Wenn unsere Videos irgendwann mal fertig sind, werdet ihr sehen, was ich meine.
Die Sonne ist jetzt hinter den Hügeln untergegangen, so dass die scenery sich verändert hat. Nun sehe ich nicht mehr die entwaldeten Stellen, nur noch die Silhouette der Hügel. Ganz oben ist der Wald noch da, so dass es fast wie „früher“ aussieht.
Black Johnson Beach – außer Kopf schütteln bleibt uns nichts
Das Umweltschutz nichts für Schön-Wetter-Leute ist, war mich schon klar. Aber hier wird es mir sehr klar. Viel klarer als mir lieb ist. Ihr erinnert euch vielleicht, dass ich vor ein paar Wochen über Black Johnson Beach geschrieben haben. Ein kleines Paradis in der Nähe von Freetown, das für einen irrwitzigen Fischereihafen zerstört werden soll. Irrwitzig, weil wer die Bucht kennt, sofort sieht, dass das Wasser nicht tief genug für große Thuna-Schiffe ist und dass die Pläne die gesamte Bucht verwandeln und zubetonieren würden. Die Machbarkeitsstudie wurde unter fragwürdigsten Bedingungen erstellt. Und nach wie vor liegt offensichtlich keine Lizenz für das chinesische Unternehmen vor, das die Pläne umsetzen sollen.
Heute morgen noch Schildkröten und am Nachmittag die schweren Maschinen
Heute morgen noch postete Jane (eine Britin, die seit vielen Jahren in Black Johnson wohnt), Videos von Meeresschildkröten, die in Black Johnson gerettet wurden. Nur wenige Stunden später postete sie Fotos und Videos von schweren Maschinen, die am Strand ankamen und dokumentierte, dass anscheinend irgendwelche Vorarbeiten begonnen haben.
Ich denke, wir verstehen alle, dass das Land Entwicklung braucht, dass Industrien aufgebaut werden müssen und natürlich muss es Kompromisse geben zwischen Mensch und Natur. Aber wenn es so offensichtlich wie hier in Black Johnson ist, dass es um Geld geht, weil der ausgewählte Ort selbst für Laien absolut ungünstig erscheint und außerdem das Gutachten nicht sauber erstellt wurde, dann ist das kein guter Kompromiss. Es ist eigentlich gar kein Kompromiss. Es ist viel mehr dumm und waghalsig. Als ich letztes Jahr bei der öffentlichen Anhörung war, habe ich mich zu Wort gemeldet und gefragt, ob denn untersucht wurde, welche Folgen für die Strände südlich von Black Johnson erwartet werden. Das sind die Strände, an denen es Tourismus gibt. Ich gehe davon aus, dass sie alle zerstört werden, durch dieses Großvorhaben. Die Strömungen, die Strände, die Ökosysteme, alles wird sich ändern.
Ich sehe schon, wie sehr sich Bureh Beach verändert, wegen des Sand minings, das am Nachbarstrand stattfindet. Was wird da erst ein riesiger Hafen anstellen, für dessen Schiffe Gräben ausgehoben werden müssen, der Abfälle produziert und mit Sicherheit die Wasserqualität nicht verbessern wird.
UN Decade for Restoration
Die UN hat die Dekade der Restoration von Ökosystemen ausgerufen. Aufforstungsprojekte auf der ganzen Welt werden gefördert und promoted. Diese Projekte schenken Hoffnung, aber sie sind vielleicht nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Wer weiß. Wenn wir aber die Hoffnung verlieren, können wir direkt einpacken. Deshalb haben wir gar keine Wahl, als an der Hoffnung festzuhalten.
Ich versuche, während ich euch schreibe, heimlich das Gespräch am Nebentisch zu verfolgen. Die drei Herren reden über den Regenwald. Da werde ich natürlich sofort neugierig und möchte wissen, für welche Organisation sie arbeiten und was sie hier machen. Der eine Herr ist anscheinend aus den Niederlanden, einer der anderen anscheinend aus Ghana oder Nigeria. Das habe ich nicht so gut gehört. Ich werde gleich mal versuchen, mich in deren Gespräch einzuklinken.
Deshalb überlasse ich euch nun euren Gedanken und empfehle euch, die Filme der Flagship Projekte für Restoration. Es ist ganz spannend, weil sie aus ganz unterschiedlichen Erdteilen kommen. Wir starten unser Restoration Projekt in der Yawri Bay dieses Jahr, vielleicht können wir dann auch etwas dazu beitragen, zerstörte Ökosysteme wieder aufzubauen.
Das sind nur ein paar Videos aus der Serie. Die ganze Serie könnt ihr euch online anschauen: https://www.decadeonrestoration.org/restore-films-frontiers-hope
Setzt sich eure Organisation offen für die Aufforstung bzw. gegen Abholzung ein? Und gibt es noch andere Organisationen dort die das offiziell tun? Und wer bestimmt die Bufferzonen?