100 Tage Salone

Heute vor 100 Tagen bin ich in Salone gelandet. Es fühlt sich einerseits schon viel länger an, da ich schon so viel gelernt und erlebt habe, und zugleich sind es erst drei Monate. 

Meine wichtigste Erkenntnis der letzten Tage: ich stresse mich selbst zu sehr und sollte einfach mal einen Gang runterschalten. Und wie sooft hilft mir das Schicksal, eine höhere Macht oder der Zufall dabei. 

Back to Kenema – Roadshow durch die communities

Ich schreibe euch wieder aus Kenema. Am Freitagvormittag hat meine Kollegin gefragt, ob es okay sei, wenn sie nächste Woche nicht im Büro wäre, weil die Kolleginnen und Kollegen aus Kenema angefragt haben, ob sie die ganze Woche mit ihnen auf Roadshow in die communities in Kenema in den Kambui Hills kommen kann. Erst war ich nicht so begeistert. Mariama war die letzten vier Wochen nicht im Büro, weil sie krank war. Sie ist mein Counterpart, das heißt, eigentlich soll ich eng mit ihr zusammenarbeiten. Ich hatte das Gefühl, ich komme überhaupt nicht mit meinen Projekten und selbstgesetzten Zielen voran, da ich alleine gearbeitet habe und eigentlich ihre Unterstützung gebraucht hätte bzw. sie Teil meiner Aufgaben ist. Und dann habe ich gemerkt, dass ich einen vollkommen falschen Ansatz verfolge. Ich bin erst drei Monate hier. Eigentlich sollte ich noch in der Phase des Beobachtens sein, des Lernens, und des Ankommens. Es geht am Anfang noch nicht wirklich um Output. Ich soll meine Kolleginnen und Kollegen unterstützen, nicht selbst alles umsetzen. Also habe ich mich spontan entschieden mitzukommen. Ein paar Tage in den grünen Hügeln würden mir bestimmt gut tun. Und so ist es auch. Gestern sind wir angekommen. Jetzt sind die anderen gerade am Markt, um noch ein paar Sachen einzukaufen und dann geht es später los zur ersten community.

Was es mit der Roadshow auf sich hat, werde ich auch erst erfahren, wenn wir dort sind. Wir werden in den nächsten sechs Tagen sechs communities besuchen und sie über Landnutzung und nachhaltiges Forestmanagement aufklären. Teilweise werden wir dort übernachten, teilweise abends zurück nach Kenema kommen. 

Perfekt für mich gerade – einfach mal die Zügeln aus der Hand geben und frei nach dem Motto “follow the flow” einfach mitmachen, ohne selbst zu planen. 

Warum ich trotz Strandnähe urlaubsreif bin

Was habe ich nun schon alles gelernt in meinen ersten 100 Tagen hier? Die meisten Leute zuhause, denen ich neidisch auf ihre Urlaubsfotos anworte, dass ich auch dringend Urlaub brauche, antworten meist mit: du bist doch direkt am Strand… Ja, das schon, aber es ist jeden Tag so anstrengend hier, weil alles anders ist und vieles umständlicher als in Deutschland. 

Jede Kleinigkeit hier ist zugleich eine Neuigkeit für mich, die ich aufnehmen und abspeichern muss. Das sind nicht unbedingt schwierig Sachen. 

Autokennzeichen, Stromrechnung und Küchenzeug

Zum Beispiel die Kennzeichen:

  • weißer Hintergrund mit schwarzer Schrift = privates Fahrzeug
  • weißer Hintergrund mit roter Schrift = commercial (Taxis, Busse, LKWs…)
  • weißer Hintergrund mit blauer Schrift = nationale NGO
  • blauer Hintergrund mit weißer Schrift = internationale NGO
  • weißer Hintergrund, grüne Schrift = Regierungsfahrzeug

Der Strom wird hier nicht pauschal monatlich bezahlt und dann einmal im Jahr abgerechnet. Es gibt ein Prepaid-System. Ich habe einen “Meter” vor meiner Wohnung, der abwechselnd vier Zahlen anzeigt. Ich wusste erst gar nicht, welche davon mein aktueller Stand ist. Wenn man Stromguthaben aufladen möchte, muss man ins Büro der Stromgesellschaft, bezahlt den Betrag der eigenen Wahl und bekommt dann einen Beleg mit einem Code, den man dann zuhause eingeben muss. Meist muss man bei der Stromgesellschaft eine zeitlang anstehen. Frisst also wieder etwas Zeit. 

Für meine Wohnung wollte ich noch ein paar Sachen für die Küche kaufen. Und jetzt rede ich noch gar nicht vom Herd. Es geht erst einmal um Besteck, Teller und Töpfe. Es gibt hier keine Ikea, in die man einmal hinfährt und dann alles einkauft. Also ging es von Stand zu Stand in Lumley auf der Suche nach Tellern und Besteck, die meinen Ansprüchen genügen. Es ist nicht so einfach Besteck zu finden, das nicht aus Alu ist und sich bei der ersten Benutzung verbiegt. Teller habe ich bis jetzt noch nicht in der Anzahl, wie ich sie gerne hätte, weil ich einfach noch keine gefunden habe, die gut ausschauen (also nicht zerkratzt sind und auch vom Stil her okay) und nicht 6€ das Stück kosten.

Natürlich habe ich auch in der Arbeit schon unglaublich viel gelernt. Über die Inhalte, über die Schwierigkeiten für Conservation und Biodiveristätsarbeit hier, über die Arbeitsweise in Sierra Leone. Das muss alles irgendwie und irgendwo verarbeitet werden.

Arbeit mit Hindernissen

Auch in der Arbeit erscheinen die einfachsten Sachen, die schwierigsten zu sein. Seit gefühlt zwei Monaten versuche ich, dass alle Kolleginnen und Kollegen die offizielle CSSL – Emailadresse verwenden. Heute habe ich versucht, meine Zeit hier in Kenema zu nutzen, um mit jedem und jeder einzeln das erste Login durchzuführen. Aber dann war das Internet wieder weg… Eigentlich wollte ich auch unsere neuen Templates für Briefe, Listen usw. zeigen, damit alle künftig die neuen Designs verwenden, aber ich glaube mittlerweile, dass wir dafür heute keine Zeit mehr haben werden. Ich bin ganz offensichtlich noch viel zu ambitioniert.

Dankbar und angekommen

Das hört sich jetzt alles wenig erbaulich an. Aber das liegt wohl daran, dass ich in den letzten Tagen etwas gestresst war. Wenn ich es mit etwas Abstand betrachtet, sehe ich, dass ich dafür, dass ich erst 100 Tage hier bin, erstens schon sehr viel erreicht habe und zweitens eigentlich noch gar nichts hätte erreichen müssen.

Aber: ich finde ich cruise schon sehr selbstsicher durch die City, habe schon einen Schreiner, einen Schneider und eine Küchenzeug-Verkäuferin meines Vertrauens, mindestens einen Freund und eine Freundin und humorvolle Kollegen.

Ich habe in den letzten 100 Tagen so viel Positives erlebt und bin sehr, sehr dankbar dafür. Ich treffe jeden Tag so viele Menschen, die mir mit unglaublicher Freundlichkeit begegnen. Ich habe meine Wohnung, die wirklich meine Wohnung ist. Wenn ich dieses Mal nach Freetown zurückkomme, komme ich nach hause zurück. Das ist ein sehr gutes Gefühl. Und ich freue mich jetzt schon darauf, wenn ich von meiner ersten Reise nach Deutschland zurückkomme und beim Warten auf die Fähre ein Star-Bier kaufen werde und froh bin, wieder hier zu sein.

Wenn ich in Freetown unterwegs bin oder auch gestern auf der Fahrt nach Kenema – ich sehe die Welt um mich herum nicht mehr als “spannend” oder “anders” an. Es ist wie es ist. Normale Normalität. Ich denke, mein Blick auf die Menschen hier und ihre Lebensumstände haben sich in den letzten Monaten schon stark verändert. Ich weiß, dass ich von ein paar Leuten vermisst werde, wenn ich eine Woche nicht in Freetown bin. All das ist schon einiges für nur wenige Wochen in einem neuen Land.

Nach 100 Tagen heißt es für mich also: Geduld lernen, treiben lassen und einfach da sein. Wie sich mein Blick auf die Welt um mich herum geändert hat, das kommt dann in dem Artikel, den ich letztes Mal schon angekündigt habe. Den Artikel mit den guten Nachrichten.

2 Kommentare

  1. Lauerin

    Wie schön, liebe Kaddl 🥳, oh das macht mich ganz happy, deine Zwischenbilanz zu lesen. Mach schön weiter so, besser geht es ja nicht. Ich drücke dir die Daumen für die nächsten 100 Tage und bin gespannt, an welchem Punkt du dann stehen wirst. Und P. S. Ich hab auch kan Ollaub! 😉

  2. Kathrina

    🥲kann ich gut nachvollziehen dass dich jetzt schon einige Leute vermissen 😘😘😘

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