Deutschland – was ist da los bei dir?

Ich sitze im schönen Hill View in Kabala, blicke in die Wara-Wara Mountains und finde endlich Zeit, mir von der Seele zu schreiben, was mich schon seit einiger Zeit beschäftigt. Selten habe ich mich so für meine Heimat geschämt wie in den letzten Wochen. Wenn ich Nachrichten aus Deutschland lese, möchte ich sofort das Phone aus der Hand legen und hoffen, dass das alles nicht so schlimm ist, wie es sich für mich liest. Was ist da nur los? Haben wir nichts gelernt aus unserer Geschichte?

Deutschland ist berühmt für Fleiß, BMW, Bayern München und Hitler. Bisher konnte ich das immer mit sehr viel Fassung tragen. Ja, die Deutschen haben zwei Weltkriege begonnen, furchtbare Gräueltaten vollbracht, mit deutscher Disziplin und Effizienz, aber das war alles früher. Das war nie meine Generation. Das war die Generation unserer Großeltern. Wir haben im Geschichtsunterricht gelernt, wie es dazukommen konnte, dass die NSDAP die Weimarer Republik aushöhlte und die Demokratie außer Kraft setzte. Wir haben gelernt, wie es möglich war, dass die breite Masse der Ideologie folgte. Aber wir haben doch auch gelernt, dass all das möglich war, weil die Mehrheit schwieg. Weil niemand auf die Straße ging, weil sich niemand vorstellen konnte, dass die Nazis wirklich machen würden, was sie angekündigt hatten. Und jetzt verschließen wir wieder Augen und Ohren vor dem was kommen wird? Ich bin fassungslos dieser Tage, wenn ich nach Deutschland blicke.

Wie kann es sein, dass „Klimakleber“, die fordern, dass die Regierung ihre eigenen Gesetze und ihre eigenen Zugeständnisse umsetzt, in Präventivhaft genommen werden, während Politikerinnen und Politiker Naziplattitüden über Twitter verbreiten, eindeutige Symbolik und verbotene Phrasen verwenden und nicht etwa abgestraft werden, sondern auch noch steigenden Zuspruch erleben? Wie kann es sein, dass Parteimitglieder, einer „demokratischen“ Partei, auf Twitter öffentlich davon reden, dass sie es machen werden die NSDAP, das System nutzen, um die Demokratie abzuschaffen, und die Leute sind wieder so dumm, sie zu wählen? Wieso geht da kein Aufschrei durch die Republik? Oder bekommen das wirklich so viele nicht mit? Oder ist es ihnen einfach egal? Es geht schlimmerweise ja nicht nur um die AFD. Der Vorsitzende der CDU verbreitet fake news über Menschen mit Mitgrationsgeschichte – und das nicht zum ersten Mal. Aiwanger hat sich ja auch sehr klar positioniert in den letzten Wochen. Und die CSU mit Söder, gehen sie auf Distanz? Zeigen sie klare Kante gegen rechts und rechte Propaganda? Nein. Was ist da los? Wissen es die Politiker selbst nicht besser? Falls die Führungspersonen von CSU und CDU wirklich denken es entspricht der Realität, was sie da von sich geben, sind sie nicht die richtigen für ihre Positionen, weil es schlicht und ergreifend nicht stimmt, was sie sagen. Hier geht es nicht um politische Meinungen, sondern um Fakten. Und falls sie wissen, dass sie Unwahrheiten verbreiten, dann sollten sie erst recht nicht in diesen Positionen sein. Anstatt gesellschaftsverbindend zu wirken und verschiedene Meinungen zusammenzuführen, was meines Erachtens die Aufgabe einer „Volkspartei“ wäre, spalten sie die Gesellschaft weiter und entscheiden sich dafür gegen die Grünen zu hetzen. Die Grünen, die versuchen, zu retten, was in den vorangegangenen Legislaturperioden vernachlässigt wurde. Nämlich Antworten auf die Klimakrise zu finden.

Wir sehen Überflutungen, Stürme, Dürre, Waldsterben, das größte Artensterben seit den Dinosauriern und und und. Und was machen wir? Die Grenzen dicht und den Ausbau erneuerbarer Energien bremsen. Das ist genau das, was es gerade braucht. Ganz große Klasse! Wenn wir weitermachen wie bisher, steigt der Meeresspiegel in den nächsten Jahrzehnten weiter. Oft verstehen wir nicht, was das bedeutet, aber: steigt der Meeresspiegel um einen halben Meter, stehen Teile Niedersachsens und Schleswig-Holsteins unter Wasser. Der durchschnittliche Temperaturunterschied zwischen heute und der letzten Eiszeit (als die Hälfte des Planeten nicht bewohnbar war), liegt nur bei 6°. Da kann man sich ja ausmalen, was passiert, wenn die Temperatur „nur“ um 2° steigt. Ziemlich viel nämlich… Aber heute soll es ja nicht ums Klima an sich gehen, sondern ums politische Klima in Deutschland.

Wann ging es Deutschland wohl am besten in den vergangenen Jahrzehnten? In der Zeit, in der wir dachten, wir machen besser alles alleine und schotten uns ab, oder in der Zeit, in der Europa wuchs und wir starke Partnerschaften aufbauten? Was wäre denn geworden aus dem Wirtschaftswunder ohne italienische Arbeitskräfte und später Menschen aus der Türkei, die unsere Wirtschaft mit aufgebaut haben? Nichts wäre geworden aus unserem wirtschaftlichen Aufstieg. Und jetzt denken wir, es wäre schlau, diese Menschen nicht hier zu haben? Glauben wir wirklich, dass der beste Weg nach vorne Abschottung ist?

Bisher konnte ich immer vor mir selbst rechtfertigen, dass sind nicht wir, das ist nicht meine Generation. Aber jetzt? Das was jetzt passiert, das sind wir. Wir sind diejenigen, die in wichtigen Positionen in Firmen sind, wir sind diejenigen, die Kinder großziehen und die Weichen für die Zukunft legen. Wir können uns jetzt nicht mehr herausreden. Und offensichtlich verkacken wir es auf sehr vielen Ebenen. Rassismus und Ausländerhass nehmen zu, Lösungen für die Klimakrise sind noch nicht in greifbarer Nähe und wir diskutieren über Grenzkontrollen, Gendersprache und nicht abgeschobene Geflüchtete. Hat sich jemand mal die offiziellen Zahlen angeschaut? Die Anzahl derjenigen, die wirklich abgeschoben werden können und die Abschiebung nicht durchgesetzt wird, ist so schwindend gering, dass es für mich schon fraglich ist, ob sich der finanzielle Aufwand und die Medienaufmerksamkeit überhaupt lohnen. Ich will hier nichts schön malen. Klar, Integration ist schwierig, Integration braucht Zeit und kostet Geld, aber ohne Integration wird es nicht gehen und ohne Migration von Menschen aus anderen Ländern auch nicht. Wieso werde ich hier als Expat gefeiert und wenn Menschen aus Afrika zum Arbeiten nach Deutschland gehen, sind es Arbeitsmigraten und – migratinnen? Was bin ich denn anderes? Was ist das für eine verschobene Wahrnehmung der Realität?

Die Welt war noch nie so vernetzt wie heute. Noch nie war es so leicht in Kontakt zu kommen und zu bleiben, Informationen auszutauschen, Erfahrungen zu teilen und über weite Distanzen zusammenzuarbeiten. Warum schaffen wir es nicht, das Positive daraus stärker auszuschöpfen und einen guten gemeinsamen Weg zu finden? Wir denken, wir leben jetzt in schwierigen Zeiten? Die schwierigen Zeiten liegen noch vor uns. Der Meeresspiegel steigt, das Klima ändert sich schneller als gedacht, die Ressourcenverteilung wird noch kritischer werden. Das alles wird nur funktionieren, wenn Länder sich zusammenschließen und gemeinsam agieren. Die Entwicklung in Deutschland und Europa, die ich von hier mitbekomme, ist aber eine vollkommen andere.

Vielleicht sieht das für mich auch extremer aus, aus der Distanz, als für euch. Aber wenn ich gerade auf Deutschland blicke, frage ich mich wirklich, ist das ein Land, in das ich zurückkehren möchte? Ich habe wirklich Bauchschmerzen, wenn ich an die Wahl in Bayern denke und würde am liebsten einfach Augen und Ohren davor verschließen. Ich finde es ganz tragisch, dass Populisten und Populistinnen mit ihrem Quatsch durchkommen und auch noch so viele Stimmen für ihren Nonsense bekommen. Ich würde so gerne hier berichten können, dass Deutschland aus seiner Geschichte gelernt hat und wir nicht die gleichen Fehler ein zweites Mal begehen. Dass wir ein aufgeklärtes Land sind und smarte Entscheidungen treffen. Aber ich fürchte, das Gegenteil wird der Fall sein.

Erst vorgestern war ich bei einem Paramount Chief, eine Stunde schlimmste dirtroad von Kabala entfernt, Kabala ist fünf Stunden von der Hauptstadt entfernt. In dem Ort, in dem der Paramount Chief lebt, gibt es keinen Strom, kein fließend Wasser, keinen Luxus dieser Art, aber er hält eine Rede über die technische Überlegenheit Deutschlands im weltweiten Vergleich und sagt am Ende „Unfortunatelly, they are a bit racist.“ Er wollte mich nicht angreifen und beleidigen, sagte er dann gleich, aber was konnte ich erwidern? Ich habe ihm geantwortet, I am not offended. He is speaking the truth. What can I say?

Und weil ich tatsächlich während meiner Meditation vor einigen Tagen meine Gedanken nicht von der politischen Entwicklung in Deutschland lösen konnte, und vermehrt Diskussionen über das Thema mit unterschiedlichen Leuten hatte, musste ich das hier jetzt endlich thematisieren. Ich mache mir Sorgen.

Wie der ganzen Frustration begegnen?

Ich habe über die Zeit hier viele coping mechanisms entwickelt, um mit Frustration umzugehen und meinen Kopf frei zu bekommen. Einer ist wandern in der Natur. Letztes Wochenende hatte ich das große Glück, mal wieder mit Hannah und Max unterwegs zu sein. Wir wollten den Camel Mountain in der Nähe von Makeni besteigen. Also haben wir auf Googlemaps geschaut, welches Dorf in der Nähe liegt, sind dorthin gefahren und haben gefragt, ob uns jemand den Weg hoch zeigen kann. Also sind wir mit ein paar Jungs und Machete bewaffnet los. Es ging durch Palmöl-Plantagen, über Reisfelder, durch eine Chashewfarm, durch unglaublich hohes Elefantengras und eine Felsspalte. Am Ende mussten wir dennoch umkehren, bevor wir den Gipfel erreicht hatten, da zu viele Dornengewächse unseren Weg versperrten. Die Regenzeit ist eben keine Wanderzeit 😉 Es war trotzdem schön.

Für euch nun ein paar Eindrücke von unserer Wanderung. Auf das wir das Schöne nicht vergessen, all dem Frust zum Trotz, durch den wir gehen müssen.

2 Kommentare

  1. Steffi Prieske

    Es ist tatsächlich so schlimm wie du es aus der Ferne wahrnimmst. 😞 mir ist dieses Jahr besonders aufgefallen, dass Menschen mit rechtsgerichteten Meinungen sich offenbar wieder wohler fühlen, ihre Ansichten in der Öffentlichkeit zu zeigen bzw. kundzutun. Mir wird Angst und bange, wenn ich an die Zukunft denke, auch weil ich nicht weiß, was man dagegen tun soll. Traurig…

  2. Canan

    Du sprichst mir aus der Seele.. ich mache mir inzwischen Sorgen über meine Zukunftsperspektiven und die meiner Familie..
    Auch wenn ich von uns sagen würde dass meine Familie gut integriert ist , ich hier zu Hause bin und mich genauso deutsch wie türkisch fühle, fürchte ich mich vor dem Hass und dem Gefühl nicht willkommen zu sein. Denn nach der Wahl gestern bestätigen sich diese Gefühle immer mehr..
    Und wenn ich an meine Schülerinnen und Schüler denke mache ich mir Gedanken ob ihre Zukunftsperspektiven und die Stimmung im Lande nicht für noch mehr Frust und Motivationslosigkeit sorgen werden. Richtig traurig 😞

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