Heute geht es nicht um meine Lebensrealität in Sierra Leone, sondern um die Lebensrealität in Deutschland. Letzten Sonntag bin ich, nachdem ich den Blogartikel gepostet habe, noch zu Freunden von Maria an den Pool. Ganz unverhofft bin ich dann in ein Gespräch über Rassismus in Deutschland geraten.
Es gibt keine menschlichen Rassen
Bevor ich weiter in meinen Sonntagabend einsteige, möchte ich noch einen kleinen Exkurs in den Sprachgebrauch des Begriffs „Rasse“ machen. Der Begriff ist wissenschaftlich nicht auf die menschliche Gattung anwendbar. Ursprünglich wurden Menschen entsprechend ihres Phänotypus (ihres äußeren Erscheinungsbildes) in verschiedene „Rassen“ eingeteilt. Es gibt aber keine klaren Trennlinien. Außerdem gibt es keine genetischen Belege für unterschiedliche menschliche Rassen. Die durchschnittlichen genetischen Unterschiede zwischen den Menschen verschiedener Phänotypischer Gruppen sind geringer als die zwischen den Individuen innerhalb der einzelnen Phänotypischen Gruppen. Und dann wissen wir alle, dass es keine klar abgrenzbaren phänotypischen Gruppen gibt. Ich möchte deshalb sehr klar betonen, dass ich hier nicht von „Rassen“ spreche, sondern von Rassismus.
Im englischen Sprachgebrauch wird der Begriff „race“ dennoch verwendet. Hier hat er aber auch inhaltliche Bedeutung.
Rassismus verletzt
Rassismus ist eine Ideologie oder eine Denkweise, die Menschen aufgrund äußerlicher Merkmale und negativer Fremdzuschreibungen, z.B. auf Grund von Herkunft, Aussehen und weiteren Attributen, diskriminiert. Rassismus erleben meist Menschen, die anders aussehen, als die Mehrheitsgesellschaft oder als die Gesellschaftsgruppe, die die meiste Macht hat. Menschen werden einer Gruppe zugeordnet, der negative Eigenschaften zugeschrieben werden.
Rassismus verletzt. Er verletzt nicht nur durch körperliche Gewalt, sondern auch durch Worte, Blicke und die Andersbehandlung von Menschen. Und damit kommen wir zurück zu meinem Gespräch letzte Woche.
„Ich bin froh, dass ich nicht in Deutschland aufgewachsen bin.“
Nachdem ich letzte Woche meinen Blogbeitrag fertig hatte, bin ich mit dem Keke zu Omar, einem Freund von Maria. Wir waren dort mit Judy, seiner Schwägerin und noch einer Nachbarin im Pool. Ganz entspannter Sonntagabend also. Später kamen noch zwei weitere Gäste. Mir wurde schon ein deutscher Gast angekündigt.
Sie kam dann auch, aber war anscheinend etwas genervt, dass Judy ständig meinte, wir sollen doch Deutsch reden, wir sollen doch Deutsch reden… Ihre Mutter ist Deutsche, der Vater aus Sierra Leone. Später am Abend haben wir uns dann noch etwas eingehender unterhalten, wobei ich irgendwann eigentlich das Gefühl hatte, sie wollte einfach einmal loswerden, wie rassistisch sie in Deutschland behandelt wird und wie unwohl sie sich immer fühlt, wenn sie ihre Mutter besucht.
Amina (ich habe den Namen geändert, weil ich finde ihre Erlebnisse sind sehr persönlich) ist 46 Jahre. Sie ist nicht in Deutschland aufgewachsen, hat dort aber ihre Ausbildung gemacht und fliegt jedes Jahr zweimal nach Deutschland zu ihrer Mutter. Amina erzählte von ihrer Großmutter, die allen Enkelkindern immer etwas Geld gegeben hat, ihr und ihren Geschwistern aber nicht. „Das sind doch afrikanische Kinder“, hat sie wohl gesagt. Wenn das mal nicht sehr tief innen drin verletzt. Natürlich reflektiert man das nicht als Kind, aber ich frage mich:
Weshalb sind die Kinder „afrikanisch“, nur weil ein Elternteil aus Afrika stammt. Weshalb sind sie nicht „europäisch“, weil ja auch ein Elternteil aus Europa kommt? Und weshalb ist das sofort negativ konnotiert?
Amina gehört hier ganz klar zur reichen Bevölkerungsschicht. Sie hat in Hamburg im Kempinski geheiratet. Ich kenne nicht so viele Leute, die sich das leisten können. Trotzdem sagt sie, wird sie bei allen Deutschlandbesuchen immer skeptisch beäugt. Menschen aus Afrika haben arm zu sein. Sie sind nicht reich! Und wenn sie doch reich erscheinen, dann stimmt da etwas nicht. Woher haben sie das Geld und wie können sie sich das leisten? Diese ständige Konfrontation mit negativen Zuschreibungen und Stereotypen, ist nicht nur super unangenehm, sondern auch wieder verletzend und anstrengend.
Während Ebola hat Amina ihre ältere Tochter auf einer Schule in Deutschland eingeschrieben. Auch das war nicht einfach. Die Tochter war so froh, als das Schuljahr vorbei war und sie wieder zurück nach Sierra Leone konnten. Ständig die andere zu sein, die exotische, und dann noch blöde Sprüche hören zu müssen – egal ob sie als Scherz gemeint sind oder nicht. Ich habe es nicht für möglich gehalten, dass es echt Menschen gibt, die Sachen sagen wie „Iss doch mal mehr weiße Schokolade, dann wir deine Haut heller.“ Erstens ist das natürlich absoluter Quatsch und zweitens, wieso sollte die Haut denn heller werden?
Ich finde es ganz furchtbar, dass Menschen solchen Situationen ausgesetzt sind. In meinem Land. In dem Land, in dem ich mich immer sicher fühle. Und dann höre ich immer wieder von Menschen, dass es Gegenden gibt, in die sie lieber nicht gehen. Dass sie sich super unwohl fühlen in Deutschland. Und oftmals ist es auch ihr Land, das Land in dem sie geboren und aufgewachsen sind.
Wir haben uns dann auch noch darüber unterhalten, dass die Situation für Amina und ihre Tochter noch eine ganz andere ist, als die für junge Männer. Einer gutgekleideten, gutaussehenden Frau mit zwei Töchtern wird nochmal anders begegnet als einem Vater mit zwei Söhnen. Zu schnell werden manche Menschen auf Grund ihres Aussehens kriminalisiert und ungerecht behandelt. Ich kenne die Erlebnisse des Sohnes einer Freundin, der öfter mal in Polizeikontrollen gerät. Hätten er und seine Freunde blonde Haare, wären ihre Abende wahrscheinlich entspannter. Eine andere Freundin, die in Deutschland geboren ist, wird manchmal für ihr gutes Deutsch gelobt. Mir ist das noch nie passiert.
Ich weiß, was es heißt, anderes auszusehen und anders behandelt zu werden. Mir passiert das hier auch jeden Tag. Aber ich werde meist nicht mit negativ-Zuschreibungen konfrontiert. Und trotzdem nervt es mich oft, dass ich nicht als Person wahrgenommen werde, sondern nur über meine Hautfarbe und dass ich gleichgesetzt werde, mit allen anderen, die ähnlich aussehen wie ich. Aber wie gesagt, der große Unterschied ist: mir wird nicht mit Abwehr, Misstrauen und Hass begegnet.
Es ist wohl naiv und utopisch von einer Gesellschaft zu träumen, in der Menschen nicht nach ihrem äußeren Erscheinungsbild bewertet werden, aber vielleicht ist es möglich, dass wir uns nicht gegenseitig abwerten. Es ist menschlich, unsere Gegenüber über Aussehen und Auftreten einzuordnen. Aber vielleicht schaffen wir es, uns mehr auf das Lächeln im Gesicht des anderen zu konzentrieren und weniger auf die Hautfarbe und das phänotypische Erscheinungsbild. Stereotype helfen uns im Alltag, Situation einzuschätzen und uns schneller zu orientieren. Aber wir sollten uns ihrer bewusst sein und wir sollten uns bewusst sein, dass es nur Stereotypen sind und keine Wahrheiten.
Ich für mich weiß in Situationen wie letzten Sonntag nie, wie ich am besten reagieren soll. Ich weiß, dass es diesen Alltagsrassismus in Deutschland gibt. Ich kenne viele Geschichten dazu. Es tut mir total leid, dass Menschen täglich Rassismus erleben. Aber was den Betroffenen wirklich helfen würde, kann ich alleine ihnen nicht geben. Dafür braucht es uns alle.
In diesem Sinne: lasst uns mit offenen Augen und offenem Herzen durch die Welt wandern, verschenkt euer Lächeln an so viele Menschen wie ihr könnt und versucht die Stereotypen in euren Köpfen zu finden und konstant zu hinterfragen.
Ich muss hier jetzt abbrechen und in die Arbeit. Aber das wollte ich noch loswerden, bevor wieder so viel los ist, dass ich keine Zeit mehr dafür finde.
Mir wurde heute in der Schule von einer anderen Lehrkraft auch gesagt, dass sie es schade findet, dass ich keine Klassleitung bin, weil ich toll deutsch sprechen kann! 😬
Mir wurde heute in der Schule von einer anderen Lehrkraft auch gesagt dass sie es schade findet dass ich keine Klassleitung bin weil ich toll deutsch sprechen kann! 😬