Und dann kam die Angst

Wenn ihr diese Zeilen lest, habe ich schon mein zweites Frühstück in Sierra Leone und einen aufregenden und vollen ersten Tag hier hinter mir. Mir geht es gut – nur an das Klima muss sich mein Körper noch etwas gewöhnen. Aber weil nicht immer alles nur easy läuft und diese Zeiten für mich innerlich doch sehr aufwühlend sind, möchte ich euch natürlich auch meine Zweifel und Ängste nicht vorenthalten. Hier deshalb ein kurzer Rückblick auf den Herflug:

Ich bin also wirklich gestartet. Ich habe von Anfang an gesagt, ich glaube es erst, wenn ich in Sierra Leone aus dem Flieger steige. Zu Lange hat sich die ganze Geschichte hingezogen. Zu sehr habe ich monatelang gehofft, dass es endlich losgeht für mich. Und dann saß ich auf einmal im Flieger, der Blick aus dem Fenster hat sich definitiv verändert: Ich sehe Frankreich unter den Schäfchenwolken vorbeiziehen und auf einmal bekomme ich es mit der Angst zu tun. Die Angst hat mich vollkommen überrascht. Darauf war ich nicht vorbereitet. Auf einmal war sie da. Dabei hatte der Tag so gut begonnen. Voller Tatendrang und Spannung auf das, was mich erwartet, habe ich die letzten Gepäckstücke zum Auto gebracht und mein bis-auf-weiteres letztes Laugenbrötchen gegessen. Auf dem Weg zum Flughafen habe ich die letzten Tränen des inneren Abschieds vergossen – der größte Teil der Tränen floss schon in den Tagen zuvor – und war am Flughafen frohen Mutes. Gepäckaufgabe, Check-In, überteuerter Flughafenkaffee, letzte Telefonate innerhalb Deutschlands, alles lief ohne Stress und ohne Wartezeit, nahezu perfekt also. 

Und auf einmal kommt die Angst. Angst, dass ich das alles niemals schaffen werde ohne meine Familie und meine Freundinnen und Freunde, die mich im Alltag immer stützen und begleiten. Angst, dass ich mich toll überfordere. Dass mich auch niemand davon abgehalten hat, denke ich mir noch. Ich komme mir schon vor, wie diese armen Gestalten aus den Gesang-Castings-Shows, bei denen sich immer alle denken “OMG! Hat die Person keinen Freundeskreis, der mal sagt, dass sich das furchtbar anhört????”. Ich denke mir also auch “OMG! Wieso hat in den vergangen Wochen niemand wenigstens versucht, mich von dieser Idee abzubringen?” So sitze ich da nun – Klein-Kaddl – die denkt, sie kann einfach mal alleine nach Sierra Leone fliegen, um dort ja was eigentlich zu tun? Der einzige andere echte Zweifel an der ganzen Unternehmung ist noch keine 24 Stunden alt. Nachdem ich mich von meinen Geschwistern und Großeltern verabschiedet hatte, hatte ich kurz mit dem Gedanken gespielt, mich einfach irgendwo zu verstecken und dann nicht fliegen zu müssen. Das zeugt von einem sehr reifen Umgang mit Stresssituationen wie ich finde 😉 Aus irgendeinem Grund habe ich mich aber doch fürs Fliegen entschieden. 

Die Angst kam zum ungünstigsten oder zum besten Zeitpunkt – das werden die nächsten Wochen zeigen. Auf jeden Fall gab es in dem Moment als sie kam, kein Zurück mehr. Ich saß auch nicht am Emergency-Exit; ich hatte also wirklich keine Option und musste erst einmal weiterfliegen. Da mir in der aktuellen Situation nichts anderes übrig blieb, entschied ich mich für das Gulasch aus dem Bordbistro (natürlich kein Vergleich zum Gulasch meiner Mutter, das ich erst am Vortag hatte), schaltete Meryl Streep ein und hoffte auf meine große Verdrängungskompetenz.

Notiz an mich: ich sollte meine Verdrängungskompetenz bei kommenden Vorstellungsgesprächen unbedingt bei meinen Stärken nennen. Nach dem Gulasch und dem Film ging es mir gleich viel besser. Vielleicht hat auch der Blick auf die beruhigende Eintönigkeit und Wellenförmigkeit der Sahara das ihrige dazugetan. 

Wie immer bei längeren Flügen, habe ich bei der Ankunft das Gefühl auf einmal und ohne jede Vorwarnung aus diesem ruhigen, behüteten Raum des Flugzeuges ins Unbekannte geworfen zu werden. Bam! und Hallo Luftfeuchtigkeit. Wo genau soll ich jetzt hin und wer will wann welche Zettel von mir sehen? Ah – hier ist nur die Temperaturmessstation…

Die Ankunft am Flughafen und vor allem der Weg vom Flughafen zum Hotel sind ein kleines Abenteuer für sich, auf das sich alle freuen dürfen, die planen, mich zu besuchen. Der Internationale Flughafen ist nicht in Freetown, sondern in Lungi. Nach Passkontrolle, Gepäckausgabe und Covid-Test muss man zunächst mit dem Bus zur Fähre und dann mit selbiger nach Freetown übersetzen. Ich jedenfalls habe es genossen, das Gewusel bei der Gepäckaufgabe für die Fähre, wie drei Männer mit vollem Körpereinsatz meinen während des Fluges geöffneten Koffer wieder zusammenzurrten (ich habe immer noch nicht reingeschaut, was alles nicht mehr im Koffer ist), die Busfahrt über Stock und Stein und Off-Road-Gassen zum Anleger, den wackeligen Holzsteg zur Fähre und die Überfahrt. Alles bei Dunkelheit, deshalb ohne overload an visuellen Eindrücken. 

Endlich im Hotel angekommen blieb mir nur noch die Klimaanlage, die auf 16° eingestellt war, auszuschalten, zu duschen und dann im Bett liegend meinem ersten Regenzeit-Sturm zu lauschen und einzuschlafen – ganz ohne Angst.

8 Kommentare

  1. Jasmin

    Als würdest du dich von etwas abbringen lassen 😘

    • TheKaddl

      😅

      • Simon

        Das hätte dich nur bestärkt, es auf jeden Fall zu machen… Ich erinnere nur daran, wie ein ganzes Land… Irgendwas mit M.. o… versucht hat, dich von deinen Plänen abzubringen… Nur damit du dann sagst: „Ha, von wegen, dann gehe ich eben nach Westafrika!“ Wovon du dann sehr begeistert erzählt hast. Du wolltest/willst ein Abenteuer, da gehören Angst und Zweifel dazu. Neben der Verdrängungskompetenz zählt es zu deinen Stärken, dass du Dinge trotz Angst und Zweifeln (oder manchmal auch gerade deswegen? :P) durchziehst, wo andere einen Rückzieher machen.
        Zu den „Schwächen“ zählt da eher die „Beratungsresistenz“. Ich sage nur: „Was soll ich denn heute kochen?“… „Ja, interessante Vorschläge, aber ich mache etwas ganz anderes, was ich will.“ ;-P
        Schön, dass du angekommen bist 😉

  2. Lauerin

    Mensch, Princess, nun hast du doch den allergrößten Schritt schon gemacht. Dabei kann man auch mal Angst vor sich selber kriegen! Ich finde das jedenfalls einen beruhigend menschlichen Zug 😉. Meryl Streep ist immer eine gute Idee. Schön, dass du gut gelandet bist. Drücker!

    • Mila

      Liebe Kathrin,
      welch‘ großartige Idee uns an Deinem Abenteuer teilhaben zu lassen! Danke Dir! Ich bin begeistert von Deinen Verdrängungsskills… ach und von Dir ganz allgemein 😉
      Freue mich auf die nächsten Updates und Deine Eindrücke.
      Ganz liebe Grüße

  3. Kathrina

    Hey Kaddl, es ist so schön von dir zu lesen, du beschreibst das so toll und bildlich. Bei der Stelle mit der Angst hab ich selber ganz kalte Füße bekommen…. ich wäre in Ohnmacht gefallen… oder hätte mich wirklich vorher versteckt:-) Ich freue mich für dich, dass du die Entscheidung getroffen hast und das Abenteuer in vollen Zügen auskostest. Mit allen Höhen und Tiefen … Danke für diesen Blog!!

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