Endlich mal wieder birdie stories 😊 Im Januar war ich 10 Tage lang Wasservögel zählen für den Waterbird Census am East Atlantic Flyway. Ich kann jetzt mehrere Schwalben, Pelikane und Reiher identifizieren, ganz zu schweigen von ein paar „Waders“. Aber zuerst einmal, wie kam es dazu?
Ich bin am Sonntag, den 8. Januar wieder in Sierra Leone gelandet. Tina kam dann einen Tag später nachgeflogen. Dieses Mal aber nur für drei Wochen Urlaub. Wir haben noch etwas rumgesponnen, was sie dieses Mal so machen möchte und natürlich: Turtle Islands stand noch auf der Liste. Die Turtle Islands sind die traumhaften Inseln an der südlichen Küste. Leider schwer zu erreichen und die Anfahrt ist ziemlich teuer. Deshalb war ich da auch noch nicht. Es war schon die ganze Zeit meine Idee, die Turtles irgendwie mit der Arbeit zu machen. Und wie es der Zufall so will, hat das jetzt genau in Tinas Urlaubszeit geklappt. Als ich in die Arbeit bin, haben die Kollegen erzählt, dass der Waterbird Census ansteht. Ein Team zählt die Vögel nördlich von Freetown an der Küste, das andere Team südlich von Freetown an der Küste bis zu den Turtle Islands. Whoop whoop!
Water Bird Census am East Atlantic Flyway
Alle drei Jahre findet der internationale Water Bird Census statt. Es werden gleichzeitig in allen Ländern entlang der Westafrikanischen Küste Wasservögel und Vögel, die vom Wasser abhängig sind, gezählt. Es waren also gleichzeitig mit uns Teams von Marokko bis Südafrika unterwegs. Alle Daten werden gesammelt und dann in einem Report veröffentlicht. Es dauert immer bis zu einem Jahr, bis alle Daten gesammelt und dann der Report für 2023 veröffentlicht wird.
Ich habe ja schon in anderen Beiträgen erklärt, dass Vögel als early-warning-systems für Klimawandel und Umweltzerstörung genutzt werden können. Die Vergleichsdaten sind deshalb von wissenschaftlicher Relevanz für die Interpretation von Tendenzen und Entwicklungen. Die meisten Vögel, die wir gesehen haben, brüten in Europa, in Norddeutschland, im Wattenmeer, in Island, Norwegen und so weiter. Hier kann man sie aber besser zählen, weil sie hier in großen Schwärmen zusammen sind und nicht verstreut brüten.
Ich bin ja noch immer neu im Vogel-business, aber ich finde es super beeindruckend, was diese kleinen Tierchen leisten. Wie weit sie fliegen. Wahnsinn. Diese kleinen Körperchen und so viel Energie und Wille. Joost, der eine Vogelfreund, hat mir erzählt, dass die Vögel auch erst Selbstvertrauen dafür aufbauen müssen. Man kann das beobachten. Manche Vögel fliegen erst ein paar hundert Meter oder 1-2 Kilometer aufs Meer und kommen dann wieder zurück. Das machen sie ein paar Mal, bis sie sich wirklich trauen, loszufliegen und dann fliegen sie tausende Kilometer weit.
10 Tage Sonne, Meer, Vögel und Abenteuer – Alles für die Wissenschaft
Die Sierra Leonische Küste ist aufgeteilt in zwei Gebiete. Eines nördlich von Freetown und das zweite südlich von Freetown. Wir hatten Glück und waren im südlichen Team. Bevor es in die Praxis ging, gab es eine Einführung von Joost. Joost ist einer der niederländischen Vogelfreunde. Er arbeitet bei dem Unternehmen, das die Vogelzählung finanziert. Gemeinsam mit Rinse unterstützte er unser Team als Experten. Die Idee ist, dass immer zwei super-Experten mit in den Teams sind, die weltweit Kapazitäten aufbauen.
Zugegebener Maßen waren Tina und ich nach der Einführung etwas still. Wir wussten nicht so recht, ob wir überhaupt von Nutzen sein würden. Waren wir dann aber doch.
Endlich die ersten Vögel zählen!!!
Gemeinsam mit den zwei Vogelfreunden aus den Niederlanden und drei meiner Kollegen ging es am 20. Januar dann wirklich los zum ersten Bird Count. Morgens ging es nach Tombo und von dort aus in zwei Teams zum Vögelzählen. Die ganze Küste ist in Bereiche eingeteilt. Pro Bereich muss dokumentiert werden, wann (Datum und Uhrzeit), Flut oder Ebbe, ob man zu Fuß, vom Boot aus, aus der Luft oder mixed gezählt hat, wie viele Spezies und wie viele Vögel pro Spezies. Meist hatten wir zwei Leute pro Team, die gezählt haben und dann nochmal 1-2 Personen, die mitgeschrieben haben. Abends wurde dann alles in die Formulare übertragen, so dass wir meist erst gegen 10 Uhr wirklich Feierabend hatten. Da wir abhängig von Ebbe und Flut waren, ging es in den ersten Tagen erst gegen Mittag los, dafür haben wir dann immer bis zum Sonnenuntergang gezählt. Bei Flut verstecken sich die Vögel meist in den Mangroven und kommen erst während der Ebbe raus, wenn der ganze Schlamm sichtbar wird und sie sich schön die Würmer und Krabben aus dem Schlamm schnappen können.
Am ersten Tag war ich im Bodenteam, d.h. wir sind vier Stunden lang durch den Mangrovenschlamm gewatet und haben Vögel gezählt. Manchmal sinkt man da schon bis zum Knie ein und kommt dann nicht mehr so leicht raus. Gleichzeitig sind im Schlamm Muscheln, Krabben und Co. Man muss also auch immer etwas aufpassen, wo man so hinläuft. An Tag eins war ich mit Rinse unterwegs, Dauda, meinem Kollegen und dann ist noch ein junger Mann aus der einen Community mitgelaufen. Ich habe schon die ersten Vogelnamen gelernt, so dass mir die Ringed Plover, Red Shank, Great White Heron, Western Reef Herons und ein paar andere dann schon direkt bekannt waren.
Abends gab es dann noch eine Besprechung für die nächsten Tage und die ersten Formulare wurden ausgefüllt. Am ersten Tag war noch alles etwas chaotisch, nach und nach hat sich das dann aber eingespielt.
Am Morgen des nächsten Tages wussten wir noch nicht, welch abenteuerliche Fahrt und nächtlicher Spaziergang uns erwarten würden. Aber ich glaube, dafür brauche ich einen eigenen Beitrag. Nur so viel Spoiler schon mal: Der Motor ist abends kurz vor Sonnenuntergang ausgefallen und wir waren noch einige Kilometer von dem Dorf entfernt, in dem wir übernachten sollten. Aber wie gesagt, diese Story gibt es dann extra.
Unser Team bestand aus Tina und mir, dann Dauda, meinem Kollegen, der uns aber nur die ersten Tage begleitet hat, Rinse und Joost, die internationalen Experten, Jesse, einer unserer Volunteers und Vogelfreund, Papanie kam erst später dazu und war dann krank und somit nicht immer dabei und dann natürlich noch der Bootsmann und der Bootsjunge.
Für uns war es der erste Tag auf dem Boot, mit der ganzen Crew auf dem Wasser. Die ersten Tage ging es durch die Mangroven der Yawri Bay. Es kam auch mal vor, dass wir nochmal an Land gehen mussten, um zu warten, bis die Ebbe kommt. Einmal in einem kleinen Fischer-Dorf. Da wurde gerade der Fang des Tages an Land gebracht. Ist immer ganz gut, dann kann man auch mal in den Mangroven auf Klo. Dann nach zwei Tagen in Shenge, wo wir uns sehr schnell sehr wohl gefühlt haben und der Besitzer des einzigen Amusement Centers und Bierverkaufsstelle des Ortes uns auch sehr schnell als treue Kundschaft liebgewonnen hat, ging es weiter nach Süden.
Von Shenge aus ging es dann endlich auf unsere Turtle Islands. Wow. Was soll ich sagen. Traumkulisse den ganzen Tag. Wir sind einfach den ganzen Tag an der Küste entlang geschippert, vorbei an Mangroven, dann wieder Traumstrände mit Palmen und kleinen Hüttchen unter den Palmen, Fischerdörfer und Inseln.
Unsere Handys waren mittlerweile kaputt vom Salzwasser, mein Fernglas hat es ebenfalls nicht geschafft, unsere Klamotten stanken nach Schlamm und Fisch und zu Essen gab es morgens, mittags, abends Reis mit Scheiß. Zu Tinas Leidwesen meist mit seafood. Bei der einzigen Autofahrt des Trips über holprige Straßen musste leider Tinas Nase dranglauben. Als sie auf meinen Hinterkopf gestoßen ist, hat es sich sehr unangenehm angehört. Vielleicht ein kleiner Nasenbruch? Der kleine Höcker, der ihre Nase jetzt ziert, war mir so früher noch nie aufgefallen… Ich hatte mir zuvor schon bei unserem nächtlichen Mangrovenmarsch die eine Zehe gebrochen, zumindest war sie ganz farbig bunt und hat geschmerzt. Aber alles für die Wissenschaft, wie wir immer sagten.
Joost und Rinse waren überglücklich, dass Tina und ich ein bisschen interkulturelle Kommunikation übernehmen konnten und selbst meine minimalen Kriokenntnisse halfen in der Kommunikation mit dem Bootsmann. Mein Kollege musste an Tag 3 abbrechen und zurück nach Freetown, so dass unser Volunteer Jesse ganz hervorragend die Organisation übernahm, aber nicht ganz nach den Vorstellungen der Niederländer. So sind wir natürlich immer frühestens mit einer Stunde Verspätung los, weil dann doch noch Benzin oder Wasser gekauft werden musste. Und das Ganze ja, obwohl wir von den Gezeiten abhängig waren. Ab Tag 7 war ich dann endlich Bossman an Bord, weil ich die Navigation übernommen habe. Joost und Rinse haben gezählt, Tina und Jesse notiert. Also eigentlich hauptsächlich Tina. (Bossman ist übrigens genderneutral, genauso wie die Ansprache white man oder Sir.)
Es ist wirklich sehr schwer in Worte zu fassen, wie der Tagesablauf war. Morgens aufgestanden, die feuchten, stinkigen Klamotten wieder angezogen, „das Büro“ – sprich Kulli, Notizhefte, Kippen – in doppelte Plastiktüten verpackt und dann ab aufs Boot. Während der Fahrt kommt dann auf einmal „crested. Sandwich 4, reef one, crested, one more, sandwich two, great white, no it was one sandwich one little, two more reef…“ parallel kommt von Rinse „redshank 14, green shank, whimbrel two, two more, godwit, green shank, bartailed three, grey plover 34, ringed plover 63. Two more, two more, total four.“ Und wenn dann noch jemand anders dazwischen ruft „palmnut vulture“, dann sind die Damen im Büro, also wir, langsam ganz verwirrt. Leichter wurde es ab Tag drei, wenn man weiß, dass Reef, Western Reef, Western Heron, Reef Egret, alles der Western Reef Egret sind. Und dass Egret und Heron auch austauschbare Begriffe sind. Dann wussten wir auch langsam, dass die bartailed und die godwit beides die bartailed godwit sind. Das passierte ungefähr zeitgleich mit unserer Verwandlung à la Gregor Samsa in zwei Red Shank. Die Sonne hatte das ihrige dazubeigetragen. Und jetzt kann ich ja auch den birdie- Scherz aus der Überschrift aufklären: natürlich sind royal und crested tern ein und das selbe.
Unsere Vogelfreunde haben wir nicht mal beim Essen ohne Fernglas um den Hals gesehen. 😊 Nachts sind sie noch mit Nachtsichtgerät herumgestiefelt. Musste man einfach gern haben, die beiden. Während Joost und Rinse immer auf der Pirsch waren, Tina und ich noch Formulare befüllt haben, hat Jesse unermüdlich versucht, Obst und Nescafé für uns heranzuschaffen. Eine kaum zu bewältigende Aufgabe. Man mag es kaum glauben, aber auf den Inseln gilt: Fisch ist ihr Gemüse…
Bei all dem Spaß darf man nicht vergessen, dass es harte Arbeit war. Ab und an mussten wir aussteigen, ne ganze Zeit durch den Matsch waten und dann dem Bootsmann wieder begreiflich machen, wo er hinfahren soll. Es war oft anstrengend, körperlich und kommunikationstechnisch, abends sind wir immer erschöpft ins Bett gefallen, aber die Stimmung war durchweg gut, auch dank des Humors unserer niederländischen Freunde, dem super Team spirit und of curlew auch wegen uns. (Noch ein lustiger neuer birdie-Scherz🤣 der curlew ist ein Wasservogel mit ganz langem leicht gebogenem Schnabel.)
Und dann die traumhafte Umgebung und die vielen tollen Vögel, die wir gesehen haben. Selbst Tina und ich waren ganz aus dem Häuschen, als wir als Bodenteam mit Jesse alleine eine Unit gezählt haben und tatsächlich einen Goliath Reiher gesehen haben. Wahnsinn. Und als wir dann ein paar Tage später auf einer Sandbank zwischen den Mangroven African Skimmer und noch viel cooler, Eurasian Oystercatcher gesehen haben, war kein Halten mehr.
Mein Favorit waren aber wahrscheinlich die Pelikane und andere Vögel, die in den Mangrovenkronen sitzen, während die Flut schon da war. Wunderschön. Genauso wie der Anblick, wenn ein paar Hundert Vögel auf einmal losfliegen und in Schwärmen durch die Luft schweben.
Als wir auf den Turtle Islands angekommen sind, haben wir erst an einer kleinen Inseln angehalten, die nach getrocknetem Fisch gestunken hat wie sonst was, und auf dieser kleinen Insel sollten wir dann in einem guesthouse schlafen, in dem auch die Benzinkanister gelagert werden. Zum Glück sind wir dann auf eine andere Insel, wo wir ein kleines Häuschen bezogen haben, mit nur zwei Zimmerchen, so dass ein Teil von uns gezeltet hat und Tina und ich unsere Matratze einfach unter das Sternenzelt gelegt hatten. Es war wunderschön.
Für Jesse gab es an diesem Abend Schwimmunterricht mit super Betreuungsschlüssel. Ein Schwimmschüler und vier ausgebildete Schwimmlehrfachkräfte. Während einer Jesse das Brustschwimmen erklärte, versuchte ich ihm toter Mann beizubringen, Tina zeigte ihm, wie man richtig krault und Joost machte wie immer Quatsch dabei. Aber Erfolg: niemand ist ertrunken.
Von Turtle ging es zurück nach Shenge über Shebro Island. Wir waren zwei Nächte in Bonthe. Die Heimatstadt des Präsidenten. Sie hat einen ganz eigenen Flair, ganz anders als alles, was ich sonst so gesehen habe bisher. Schöne Straßen und wenn man ankommt, fast ein bisschen kubanischer Flair. Leider haben wir davon nicht so viele Fotos, weil ja die Handys kaputt waren.
Aber in Bonthe habe ich meinen ersten Black Heron gesehen. Der ganz witzig seine Flügel nach vorne holt, um sich selbst Schatten zu machen beim Fischen.
Auch die schönste Vogelreise geht irgendwann zu Ende
Am 30. Januar sind wir dann nach 10 Tagen Sonne, Meer, Vögel, Abenteuer und ganz viel Spaß komplett verschlammt und mit Salzkruste wieder in Freetown angekommen. Die Erlebnisse waren einmalig. Und wenn Vogelzählen immer so läuft, melde ich mich jetzt freiwillig für alle Bird Census activities. Haben uns auch schon mal auf die Liste für den Waterbird Census in der Karibik setzen lassen.
Am 31. Januar haben wir dann noch alle gemeinsam – Team Nord und Team Süd – in der Aberdeen Creek gezählt. Das war sehr traurig. Die Aberdeen Creek ist die einzige offizielle Ramsar Site in Sierra Leone. Ramsar Sites sind international anerkannte wichtige Wetland Areas. Unsere ist leider teilweise eine Müllhalde und teilweise sind die Mangroven abgeholzt. Ich war echt schockiert, als wir dort waren. Letztes Jahr war die Aussichtsplattform noch mitten in den Mangroven. Jetzt sind die Mangroven weg und es sind schon Grundstücke markiert, ein großes Grundstück ist schon mit einer Mauer gesichert. So gehen wir hier mit unseren natürlichen Schätzen um. Trotzdem haben wir in der Creek 517 Long-tailed Kormorane gezählt, über 50 Great White Egrets und noch viele, viele andere Vögel.
And the winner is…
Insgesamt haben wir im Team Süden 41,974 Vögel gezählt, insgesamt 60 unterschiedliche Arten (von denen ich bestimmt 40 erkenne!!!) mit unserem Winner: den Curlew Sandpiper mit 7.007 Vögeln, dicht gefolgt von der Crested Tern mit 6.381 Exemplaren.
Naja und eigentlich sind wir alle Gewinner, falls wir es schaffen, die Lebensräume der Vögel in Europa, Afrika und der restlichen Welt zu schützen. Sonst verlieren wir am Ende nämlich alle.
Es waren 10 Tage voller neuer Eindrücke, ganz viel lernen auf vielen Ebenen, eine gute Zeit mit unserer Crew und ganz viel empfundener Dankbarkeit und Glück, dass ich so etwas erleben darf und dass auch noch Arbeit nennen kann.
Die Handys gehen mittlerweile wieder, gebrochener Zeh und gebrochene Nase sind auch wieder fast wie neu, nur eine Tupperschüssel ging verlustig und eben mein Fernglas. Unsere Reisdiät haben wir auch beendet und mittlerweile ist auch das letzte Salzkorn von der Haut entfernt und der letzte Mangovenschlamm unter den Fußnägel verschwunden. Bereit also für das nächste Abenteuer. Leider, leider muss ich jetzt aber erstmal wieder ein bisschen ins Büro.

Da bleibt mir nur noch eines zu sagen: Auf Wiederschnitzel!
(Eine der tollen neuen deutschen Redewendungen, die wir von den Holländern gelernt haben 😉)





































































































Wähnsinnsgschicht! 🙂