Autor: TheKaddl (Seite 9 von 9)

Was machst du da eigentlich?

“Was machst du da eigentlich?” war eine der am häufigsten gestellten Fragen auf die Information, dass ich nach Sierra Leone gehen werde. Noch weiß ich das selbst nicht so genau. Aber ich kann mit euch das Wissen teilen, das ich zum aktuellen Zeitpunkt schon habe.

“Da” das Sierra Leone in Westafrika. Für alle, die einen ähnlich tiefgehenden Erdkundeunterricht hatten wie ich: Am schnellsten findet ihr Sierra Leone auf der Karte, wenn ihr entweder den Namen in die Suche eingebt oder bei einer analogen Karte von Marokko aus die Küste nach unten wandert, bis ihr in Sierra Leone angekommen seid. Und da sitze ich nun, am Lumley Beach in Freetown (das ist die Hauptstadt). Infos zum Land und zur Stadt usw. kommen dann später irgendwann. Heute erst einmal: Was mache ich da eigentlich?

Ich bin als ZFD-Fachkraft bei der Conservation Society of Sierra Leone (CSSL). ZFD steht für Ziviler Friedensdienst oder auf Englisch Civil Peace Service. Dazu auch wann anders mal mehr Infos. Nur soviel sei noch gesagt: meine englische Bezeichnung hört sich um einiges cooler an: CPS Professional! 

Mein neuer Arbeitgeber: Conservation Society of Sierra Leone

CSSL wurde 1986 gegründet und blickt auf eine lange Geschichte und viele Erfolge zurück. Wir haben ein Büro in Freetown und zwei Regionalbüros. Eines in der Nähe des Lake Sofon und eines beim Gola Nationalpark. Das sind die beiden Gegenden im Land, in denen CSSL neben Freetown hauptsächlich tätig ist. Wenn es gut läuft, werde ich die beiden Regionalbüros in der letzten Maiwoche besuchen und dabei dann auch etwas vom Land sehen!

CSSL ist eine Umweltschutzorganisation – in ihrem Visionstatement steht als oberstes Ziel die Bewahrung der Natur und ihrer Schätze und Vielfalt durch nachhaltige Nutzung natürlicher Ressourcen. Um dieses Ziel zu erreichen, arbeitet CSSL auf mehreren Ebenen: Sie betreiben Advocacy/Lobbyarbeit auf politischer Ebene und der Ebene internationaler Unternehmen, sie arbeiten auf der Ebene der kommunalen Verwaltung und Chiefdoms, betreiben Forschung zum Thema und machen Aufklärungsarbeit in Dorfgemeinden und mit Schulklassen. CSSL greift dafür auf ein großes nationales und internationales Netzwerk zurück und versucht so auf möglichst allen gesellschaftlichen Ebenen anzusetzen, um das wichtige Thema Umweltschutz und nachhaltige Nutzung natürlicher Ressourcen bekannt zu machen und eine Veränderung im Denken und Handeln anzustoßen.

Aber zurück zur Frage: Was mache ich da eigentlich? Ich unterstütze CSSL im Bereich Öffentlichkeitsarbeit und Advocacy. Advocacy bedeutet übersetzt Anwaltschaft. Meist wird Advocacy für eine Gruppe oder eine Sache übernommen, die selbst nicht in der Position oder in der Lage ist, für die eigenen Rechte zu kämpfen. Es ist eine Art von Lobbying für andere. Während meiner drei Jahre hier soll ich CSSL dabei unterstützen, ihre Advocacy und Öffentlichkeitsarbeit strategischer aufzustellen und ein bis zwei Kolleginnen oder Kollegen im Team mein Wissen in dem Bereich weitergeben. Ganz praktisch gehört dazu, die Website zu überarbeiten (check that one out: www.cssl1986.org), Informationsmaterial zu planen und zu erstellen, Kommunikationspläne zu erstellen, Themen zu identifizieren und Kampagnen zu entwerfen. Ich mache das wahrscheinlich hauptsächlich mit einem Kollegen, der für Advocacy zuständig ist und schon lange dabei ist, und einer Kollegin, die für den Bereich Umweltbildung zuständig ist. Und wenn dann noch Zeit und Energie übrig ist, soll ich helfen, eine Strategie für Ökotourismus zu entwicklen und ja – wir brauchen dann bestimmt ein paar Testpersonen 😉

Erster Online-Workshop im CPS-Netzwerk

Einen ersten Eindruck von der Arbeit und den Herausforderungen sowie von Kolleginnen und Kollegen von anderen Partnerorganisationen im CPS (Civil Peace Service) Netzwerk hier in Sierra Leone konnte ich am Mittwoch schon sammeln. Mittwochnachmittag war mein erster Online-Workshop hier. Es ging um das Thema “How strategic is your advocacy?”. Von 13 angemeldeten Teilnehmenden waren nur sieben da. Teilweise wohl dem Regen geschuldet, der in Teilen des Landes schon nachmittags ziemlich stark war und Strom und Internet gekappt hat. Vor dem Workshop war ich etwas aufgeregt. Es war ja das erste Mal, dass ich Kolleginnen und Kollegen kennenlernen würde. Bisher hatte ich nur meinen Chef und eine Kollegin live getroffen. Aber es war alles ganz easy. 

Nach dem Einstieg mit einem muslimischen und einem christlichen Gebet wurde ich sehr herzlich empfangen und in die Gruppe aufgenommen. Es war sehr spannend direkt zu erfahren, wie Advocacy hier angegangen wird, welche Herausforderungen da sind und wie man sie wohl am besten angehen könnte. Außerdem habe ich direkt ein paar Partnerorganisationen bzw. Leute von den Partnerorganisationen kennengelernt. Da ist zum Beispiel Madame, die sich um Berufsausbildung bemühen, Organisationen, die sich für Frauen- und Mädchenrechte einsetzen, eine Organisation, die für das Recht auf Bildung kämpft usw. Ein sehr diverses Umfeld also, in dem ich tätig sein werde. Jede Organisation hat ihr eigenes Thema, aber es gibt immer wieder Schnittstellen. Über das CPS-Netzwerk soll Wissen und best practice ausgetauscht werden und gegebenenfalls auch gemeinsame Aktionen gestartet werden. Die Atmosphäre im Workshop war sehr gut, die Diskussionen sehr lebhaft und engagiert. Ich habe das Gefühl, da sind einige Leute mit sehr viel Energie und Willen, Situationen zu verändern. Aber auch die Schwierigkeiten scheinen nicht ohne zu sein. Jetzt am Mittwoch war der erste Teil des Workshops. Es folgen noch drei weitere Teile. Für mich war es auf jeden Fall ein guter Einstieg ins Thema und ein gutes Warm-Up für Montag. Da darf ich meine “Hotelquarantäne” verlassen und habe meinen ersten Tag im Büro. Das wird dann auch wieder etwas aufregend!   

Falls ihr jetzt immer noch nicht so genau wisst, was ich hier eigentlich mache: keine Sorge. Mir geht es noch ganz ähnlich, auch wenn sich das Bild langsam schärft. Was ich wirklich hier machen werde, das werde ich wahrscheinlich erst nach und nach erfahren und erleben.

First day in my life as an expat

Wer auf Insta meine Fotos von meinem ersten Tag hier gesehen hat, denkt nun ich bin im Urlaubsparadies angekommen. Für die Menschen, die Urlaub machen können, mag das stimmen, für den Großteil der Bevölkerung hier nicht. Schon auf dem Weg von der Fähre zum Hotel sprangen die Anzeichen für die Lebensrealität, die mich in den kommen Jahren umgeben wird, ins Auge: selten habe ich so viele Menschen in einer Hauptstadt mit Wasserkanistern Wasserholen sehen, spielende Kinder im Wasser, bei dem ich lieber nicht nachdenke, was alles drin ist, kleine zusammengezimmerte Häuschen und vieles mehr. 

In meinem Kopf ist angekommen, das wird hier kein Urlaub, aber es ist gut zu wissen, dass es kleine Inseln gibt, auf denen ich Kraft sammeln kann. Die ersten Inseln habe ich direkt an meinem ersten Tag kennengelernt.

Ein Expat – was ist das?

Einige von euch fragen sich bei der Überschrift vielleicht, was ist ein expat? Ich kenne das Wort auch noch nicht so lange, aber als alte Lateinerin konnte ich es mir natürlich sofort erschließen: expat steht für expatriat – also die, die sich außerhalb ihrer Heimat befinden. Das Interessante an dem Konzept der Expats ist, dass es offensichtlich auch damit zusammenhängt, dass man keinen Wohnsitz mehr im Heimatland hat. Ich kenne niemanden, der als Student länger im Ausland war oder die als Freiwillige ein Jahr woanders gelebt hat und sich als “Expats” bezeichnen würden. Expats scheinen nur Leute zu sein, die für internationale Organisationen, Regierungsinstitutionen und ähnliches ins Ausland gehen und sich dort in ihrer Expat-Community zusammenfinden. Dabei ist es vollkommen egal, woher die Expats kommen. Es ist also eine sehr internationale Gemeinschaft.

Das Vorurteil, dass ich zu Expats in meinem Kopf habe, ist, dass sie in ihrer eigenen Blase in einer Art Parallelgesellschaft leben. Eigentlich ist es mein Ziel, die nächsten drei Jahre nicht in der Expat-Community zu verbringen. Es wird sich zeigen, ob ich es schaffe, mir auch außerhalb Freundschaften und Beziehungen aufzubauen. Der Einstieg hier in Sierra Leone war auf jeden ein Expat-Tag par excellence.

Start in den Tag als Expat

Der Tag eines Expats startet im besten Fall in einem klimatisierten Zimmer. Das Badezimmer mit fließend Warmwasser ist nicht weit und zum Frühstück gibt es natürlich Kaffee mit Milch und allerlei anderen guten Sachen. 

Nach dem Frühstück geht es im klimatisierten Geländewagen, den der Expat natürlich auch privat nutzen darf, zu einem Ausflugsziel, das jemand aus der lokalen Bevölkerung niemals besuchen würde. In meinem Fall war es der Guma Valley Dam. Der Guma Valley Dam wurde in den 1960er Jahren gebaut und versorgt Freetown mit Wasser. Abgeholt wurde ich von Jonas, einer anderen Fachkraft von Brot für die Welt, der schon eine Weile hier ist und bald zurückkehrt nach Deutschland. Gemeinsam mit ihm und seiner Freundin, die gerade zu Besuch ist, fuhren wir also zum Damm. Nach einigem Palaver mit dem Mann am Gate – eigentlich muss man in Freetown im Guma Dam Building einen Pass besorgen (wahrscheinlich eine Art Ticket oder Passierschein) – ging es dann auch ohne Pass. Allerdings zu Fuß, die angeblich 1,5 km zum Damm. Da wir über eine Stunde brauchten in Flipflops und in hoher Luftfeuchtigkeit, denke ich, es waren dann doch mehr als 1,5 km. Die kleine Wanderung ging durch wunderschön grünen Wald, mit rießen Schnecken auf dem Weg (wirklich groß, bestimmt 20cm lang), Vogelgezwitscher und sogar ein Affe wurde gesichtet sowie viele bunte Schmetterlinge. Oben am Damm gab es sogar eine Picknickstelle, leider hatten wir nichts dabei… Also genossen wir den Ausblick auf den Stausee und die in den Wolken mystisch wirkenden Hügel ohne Picknick. Jonas holte zwar eine Mango vom Baum, aber die war alles andere als reif.

Traumstrand als Ziel, der nur mit eigenem Auto erreichbar ist

Nach der schweißtreibenden Wanderung hatten wir uns unser nächstes Ziel – einen der Traumstrände in der Nähe von Freetown – redlich verdient. Den Strand findet nur, wer weiß, wo er ist. Sowohl auf dem Weg zum Damm als auch zum Strand sind die Hinweisschilder so platziert, dass sie erst erscheinen, wenn man den Weg eh schon gefunden hat. Also alles Geheimtipps hier 😉 Und natürlich kommt man dort auch nur mit eigenem Auto hin, am besten ein Geländewagen. 

Aus dem Corona-geplagten Deutschland kommend, wo alle seit Wochen auf die Öffnung der Außengastronomie warten, ist ein kühles Bier unter Palmen, neben den Mangroven und mit Blick auf weiße Strände und kristallklares Wasser doppelt so wertvoll und erfrischend. Und es war ja mein erstes Bier in Sierra Leone! Zum Bier gab es lecker Hummus (hier gibt es eine ziemlich große libanesische Community, deshalb gibt es überall Hummus). 

Giftgrüne Schlangen und Hexen

Und dann waren wir ganz lange einfach nur faul und haben nichts gemacht – bis uns eine kleine grüne Schlange aus unserem Nichtstun riess. Plopp – machte es und auf einmal fiel sie vom Himmel (also vom Baum) direkt neben uns in den Sand. Giftgrün, so dick wie ein Finger und vielleicht einen halben Meter lang.

Die Bedienung meinte, sie wäre zwar sehr giftig, aber “normale” Menschen greift sie nicht an. Sie beißt nur Hexen. Also müssten wir uns keine Sorgen machen. Er hat das mit so einer Ruhe gesagt, dass man wirklich das Gefühl bekam, Sorgen sind ganz und gar überflüssig. Leider weiß ich immernoch nicht, ob die Schlange giftig war, aber nur Hexen beißt oder ob sie einfach auch gar nicht giftig war und vor allem – wen definiert die Schlange als Hexe???

Zum Strand selbst ist nicht so viel zu sagen, außer, dass er wirklich sehr schön ist. Wer mehr Fotos sehen will: einfach mal Cockle Point Beach in die Suchmaschine eingeben. Von unserem kleinen Strandlokal, das etwas versteckt im Mangrovenwald war, musste man noch durch hüfttiefes Wasser waten, um an den Meeresstrand zu kommen. Weißer Sand, Sonnenschirme aus Palmblättern und sanft rauschende Wellen – das Wasser ist ganz weich und warm. Die Wellen schaukeln einen ganz angenehm und sanft. Blickt man Richtung Süden sieht man Banana Island, blickt man ins Landesinnere, sieht man die grüne Hügelkette und auf der anderen Seite ist der unendliche Ozean.

Back to reality

Nach so viel Urlaubsfeeling geht es zurück in die Realität. Dafür reicht schon ein Besuch im Supermarkt auf dem Heimweg mit leeren Regalen und wenig einladender Atmosphäre, dem Stromausfall, der in der Wohnung seit dem Morgen schon auf einen wartet und die teure Rechnung des Elektrikers, der das Problem innerhalb von Minuten aber mit sehr viel “Hirnleistung” behebt. 

Für mich war der Tag ziemlich voll gewesen. Neue Umgebung, viele Eindrücke, Hitze und hohe Luftfeuchtigkeit und noch ganz viel in mir drin zu Verarbeiten. Entsprechend knocked-out war ich dann am Folgetag. Aber zunächst ging es erst einmal ins Bett, an meinem ersten Tag als Expat.


Noch eine Info: Ich habe jetzt einen Newsletter.

Ihr findet unten rechts ein Formular-Feld, über das ihr euch für meinen Newsletter anmelden könnt. Mir hat es gestern das Format zerschossen, ich schaue, dass ich das bald wieder hinbekomme, aber vielleicht kommt ihr trotzdem klar. Ihr müsst nur eure E-Mail-Adresse eingeben und auf „jetzt anmelden“ klicken. Dann bekommt ihr immer eine Info per E-Mail, wenn ein neuer Beitrag von mir veröffentlicht wurde und nur dann 😉

Und dann kam die Angst

Wenn ihr diese Zeilen lest, habe ich schon mein zweites Frühstück in Sierra Leone und einen aufregenden und vollen ersten Tag hier hinter mir. Mir geht es gut – nur an das Klima muss sich mein Körper noch etwas gewöhnen. Aber weil nicht immer alles nur easy läuft und diese Zeiten für mich innerlich doch sehr aufwühlend sind, möchte ich euch natürlich auch meine Zweifel und Ängste nicht vorenthalten. Hier deshalb ein kurzer Rückblick auf den Herflug:

Ich bin also wirklich gestartet. Ich habe von Anfang an gesagt, ich glaube es erst, wenn ich in Sierra Leone aus dem Flieger steige. Zu Lange hat sich die ganze Geschichte hingezogen. Zu sehr habe ich monatelang gehofft, dass es endlich losgeht für mich. Und dann saß ich auf einmal im Flieger, der Blick aus dem Fenster hat sich definitiv verändert: Ich sehe Frankreich unter den Schäfchenwolken vorbeiziehen und auf einmal bekomme ich es mit der Angst zu tun. Die Angst hat mich vollkommen überrascht. Darauf war ich nicht vorbereitet. Auf einmal war sie da. Dabei hatte der Tag so gut begonnen. Voller Tatendrang und Spannung auf das, was mich erwartet, habe ich die letzten Gepäckstücke zum Auto gebracht und mein bis-auf-weiteres letztes Laugenbrötchen gegessen. Auf dem Weg zum Flughafen habe ich die letzten Tränen des inneren Abschieds vergossen – der größte Teil der Tränen floss schon in den Tagen zuvor – und war am Flughafen frohen Mutes. Gepäckaufgabe, Check-In, überteuerter Flughafenkaffee, letzte Telefonate innerhalb Deutschlands, alles lief ohne Stress und ohne Wartezeit, nahezu perfekt also. 

Und auf einmal kommt die Angst. Angst, dass ich das alles niemals schaffen werde ohne meine Familie und meine Freundinnen und Freunde, die mich im Alltag immer stützen und begleiten. Angst, dass ich mich toll überfordere. Dass mich auch niemand davon abgehalten hat, denke ich mir noch. Ich komme mir schon vor, wie diese armen Gestalten aus den Gesang-Castings-Shows, bei denen sich immer alle denken “OMG! Hat die Person keinen Freundeskreis, der mal sagt, dass sich das furchtbar anhört????”. Ich denke mir also auch “OMG! Wieso hat in den vergangen Wochen niemand wenigstens versucht, mich von dieser Idee abzubringen?” So sitze ich da nun – Klein-Kaddl – die denkt, sie kann einfach mal alleine nach Sierra Leone fliegen, um dort ja was eigentlich zu tun? Der einzige andere echte Zweifel an der ganzen Unternehmung ist noch keine 24 Stunden alt. Nachdem ich mich von meinen Geschwistern und Großeltern verabschiedet hatte, hatte ich kurz mit dem Gedanken gespielt, mich einfach irgendwo zu verstecken und dann nicht fliegen zu müssen. Das zeugt von einem sehr reifen Umgang mit Stresssituationen wie ich finde 😉 Aus irgendeinem Grund habe ich mich aber doch fürs Fliegen entschieden. 

Die Angst kam zum ungünstigsten oder zum besten Zeitpunkt – das werden die nächsten Wochen zeigen. Auf jeden Fall gab es in dem Moment als sie kam, kein Zurück mehr. Ich saß auch nicht am Emergency-Exit; ich hatte also wirklich keine Option und musste erst einmal weiterfliegen. Da mir in der aktuellen Situation nichts anderes übrig blieb, entschied ich mich für das Gulasch aus dem Bordbistro (natürlich kein Vergleich zum Gulasch meiner Mutter, das ich erst am Vortag hatte), schaltete Meryl Streep ein und hoffte auf meine große Verdrängungskompetenz.

Notiz an mich: ich sollte meine Verdrängungskompetenz bei kommenden Vorstellungsgesprächen unbedingt bei meinen Stärken nennen. Nach dem Gulasch und dem Film ging es mir gleich viel besser. Vielleicht hat auch der Blick auf die beruhigende Eintönigkeit und Wellenförmigkeit der Sahara das ihrige dazugetan. 

Wie immer bei längeren Flügen, habe ich bei der Ankunft das Gefühl auf einmal und ohne jede Vorwarnung aus diesem ruhigen, behüteten Raum des Flugzeuges ins Unbekannte geworfen zu werden. Bam! und Hallo Luftfeuchtigkeit. Wo genau soll ich jetzt hin und wer will wann welche Zettel von mir sehen? Ah – hier ist nur die Temperaturmessstation…

Die Ankunft am Flughafen und vor allem der Weg vom Flughafen zum Hotel sind ein kleines Abenteuer für sich, auf das sich alle freuen dürfen, die planen, mich zu besuchen. Der Internationale Flughafen ist nicht in Freetown, sondern in Lungi. Nach Passkontrolle, Gepäckausgabe und Covid-Test muss man zunächst mit dem Bus zur Fähre und dann mit selbiger nach Freetown übersetzen. Ich jedenfalls habe es genossen, das Gewusel bei der Gepäckaufgabe für die Fähre, wie drei Männer mit vollem Körpereinsatz meinen während des Fluges geöffneten Koffer wieder zusammenzurrten (ich habe immer noch nicht reingeschaut, was alles nicht mehr im Koffer ist), die Busfahrt über Stock und Stein und Off-Road-Gassen zum Anleger, den wackeligen Holzsteg zur Fähre und die Überfahrt. Alles bei Dunkelheit, deshalb ohne overload an visuellen Eindrücken. 

Endlich im Hotel angekommen blieb mir nur noch die Klimaanlage, die auf 16° eingestellt war, auszuschalten, zu duschen und dann im Bett liegend meinem ersten Regenzeit-Sturm zu lauschen und einzuschlafen – ganz ohne Angst.

How to start this blog?

Ja, wie eigentlich anfangen mit diesem Blog, der euch von meinem Leben in Sierra Leone berichten soll, wenn ich selbst gerade an meinem Küchentisch in Moorenbrunn sitze und in den winterlichen Maimorgen blicke.

Nach langer Wartezeit und Geduldsprobe ist seit Januar klar: es geht für mich für drei Jahre nach Sierra Leone, Westafrika. Auf einmal ging gefühlt dann doch alles ganz schnell. Knapp über zwei Monate Vorbereitungszeit liegen nun hinter mir. In diesen Wochen habe ich erste Einblicke bekommen in Geographie, Geschichte, Kultur und Menschen Sierra Leones. Ich wurde vorbereitet auf meine Rolle als Fachkraft aus Europa, als Beraterin vor Ort, auf schwierige Lebensumstände wie nicht existierender Gesundheitsversorgung, Mangel an (Trink)wasser, nicht vorhandener Infrastruktur, marodes Bildungssystem und Korruption begleitet von großer Armut und Perspektivlosigkeit. Gleichzeitig habe ich viel gehört und gelesen (natürlich in renommierten Fachartikeln) über die positive Energie der Menschen. 

Ich bin also sehr gespannt auf mein Leben zwischen den Spannungsfeldern von unglaublichen Herausforderungen und energiegeladenen Veränderungswillen.

Meine neuen Kolleginnen und Kollegen gehören – was ich bisher mitbekommen habe – auf jeden Fall zur energiegeladenen Seite der Medaille. Ich werde in Freetown bei der Conservation Society of Sierra Leone (CSSL) arbeiten, die sich für Umweltschutz und nachhaltige Nutzung natürlicher Ressourcen einsetzt. Was CSSL genau macht und wo CSSL überall tätig ist, dazu in späteren Posts mehr, wenn ich selbst mehr darüber weiß.

In den nächsten Tagen muss ich erst einmal die Herausforderung bewältigen, mich hier von meinem Küchentisch, von meinem Blick aus dem Fenster und vor allem von all den Menschen hier zu verabschieden und gut in den neuen Abschnitt meines Lebens zu starten.

Ich bin mir sicher, die Vorbereitungszeit ist eine Stütze und ich werde öfter darauf zurückgreifen, aber ob sie wirklich vorbereiten kann, auf das was kommt? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass ich besonders in der ersten Zeit auf die Geduld und die Hilfe der Menschen in meiner Umgebung und auch von euch zu Hause angewiesen bin. Ich freue mich, wenn ihr mich in dieser Zeit begleitet und bin gespannt auf Rückmeldungen und Anregungen.

The Kaddl

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