In den letzten Wochen wurden mir viele Fragen gestellt zu meinem Alltag hier. Wie ich wohne, wie das eigentlich so mit Ausgehen abends ist, was ich am schönsten finde und was ich am schwierigsten finde, all solche Sachen. Deshalb möchte ich heute versuchen, euch ein paar Einblicke in meinen Alltag zu geben.
Morgens wenn die Hähne krähen und die Krähen schreien
Normalerweise wache ich spätestens gegen sieben auf. Davor bin ich vielleicht auch schon einmal aufgewacht, weil es wieder einmal einen Hundefight des Nächtens auf der Straße gab – begleitet von lautem Heulen und Kläffen. Gegen halb sechs/ sechs erwacht mein Viertel zum Leben. Ich höre die Kinder, ich höre, wie Wasser in Eimern gesammelt wird, die Unterhaltungen auf der Straße und die ersten Straßenverkäufer mit ihren Megaphonen, die das immer gleiche in blecherner Stimme verkünden. Aber all diese Geräusche können mich so früh noch nicht aus dem Bett locken. Ich stehe erst zwischen sieben und halb acht auf. Dann schäle ich mich elegant unter meinem Moskitonetz hervor und gehe erstmal Duschen.
Ist Strom da, schalte ich direkt mal den Wasserkocher an für mein erstes Käffchen – ist mal wieder kein Strom da, wird die Espressokanne auf den Gasherd gesetzt oder eben Wasser im Topf erhitzt. Je nach Lust und Laune und davon abhängig, was es so an Essensvorräten gerade in der Wohnung gibt, mach ich dann meinen Obstsalat oder schlappe die drei Stockwerke nach unten, um mir im Laden gegenüber Brot oder direkt Brot mit Rührei und scharfer Soße zum Frühstück zu kaufen. Dem Ladem seht ihr auf dem einen Foto weiter unten. Dann geht es wieder nach oben – Morgensport wäre damit dann auch schon abgehakt. Dann muss ich nur noch meinen Kaffee trinken und mein Frühstück genießen, blicke von meinem Balkon aus auf´s Meer und warte darauf, dass Sinneh mich gegen viertel vor neun abholt.
Sinneh sitzt dann meistens gegenüber vor dem Shop, wo ich sonst mein Bier kaufe, da steht morgens ein Bänkchen, auf dem er wartet, bis ich runterkomme. Abends steht das gleiche Bänkchen dann vor meinem Tor (weil dort dann Schatten ist) und ich muss die Herren, die darauf sitzen aufscheuchen, um in meine Einfahrt fahren zu können.
Und Arbeit so?
Viele haben in den letzten Wochen auch gefragt, was ich mache und wo ich arbeite und auch mit wem. Treue Leserinnen und Leser wissen das natürlich alles schon längst. Aber hier nochmal kurz zusammengefasst: Ich arbeite bei einer Sierra Leonischen Umweltschutzorganisation, der Conservation Society of Sierra Leone (cs-sl.org). Ich unterstütze im Bereich Kommunikation und Advocacy (sowas wie Lobbying für andere). Ich bin die einzige europäische Person in meiner Organisation. Neben meinem eigentlichen Auftrag – Internetseite überarbeiten, Kommunikationsstrategie entwickeln, Kommunikationsprodukte überarbeiten und neue entwerfen (also alles Sachen, die ich in meinen Jobs in Deutschland auch gemacht habe), kommt hier noch ein bisschen IT-Unterstützung für die Kolleginnen und Kollegen dazu.
Normalerweise bin ich nine to five im Büro. Ab und an gibt es aber auch Aktionen, Events oder so etwas wie Aufklärungstrips in unsere Projektgegenden zum Beispiel in der Nähe des Gola Rainforest (Der Tanz mit dem Teufel) oder der Tagestrip zur Wildlife Week.
Ich wurde auch gefragt, wie die Leute in den Dörfern das aufnehmen, wenn ich ankomme und sage, was sie tun oder nicht tun dürfen. Da muss ich euch nun enttäuschen. Ich erzähle hier niemandem, was er zu tun oder zu lassen hat. Ich unterstütze „nur“ in der Kommunikation und gebe da meinen Input. Aber es sind meine Kolleginnen und Kollegen, die die Inhalte einbringen. Die meisten sind nämlich im Gegensatz zu mir Expertinnen und Experten auf dem Gebiet Biodiversität und Conservation.
Habe ich einen normalen Tag im Büro, gibt es mittags entweder lecker Mittagessen aus der Tupperdose von zuhause oder ich gönn mir mein Brot mit Ei und Mayonnaise (ich liebe und feiere unseren Brotmann, der jeden Mittag kommt, weil er schon seit Wochen weiß, dass ich mein Brot nicht in einer Plastiktüte haben möchte). Manchmal bestelle ich auch bei dem Restaurant in der Nähe entweder ein Schwarma (so eine Art Wrap) oder African Dish.
Was gibt es da zu Essen?
Das bringt uns schon zur nächsten Frage. Was gibt es da zu Essen? Was esse ich hier eigentlich die ganze Zeit? Das hängt sehr stark davon ab, wie viel Energie und Ambitionen ich habe. Ich kann mich schön gesund ernähren mit vielen frischen Früchten, Gemüse und Salat, oder ich gehe oft essen und kaufe auch mein Mittagessen in dem kleinen Restaurant in der Nähe vom Büro, dann gibt es eher viel Pommes, Reis mit Fisch oder Chicken oder mit spinatähnlicher Soße in der ebenfalls etwas Fisch und manchmal auch Fleisch ist. Die spinatähnliche Soße gibt es in verschiedenen Versionen: Casava-Leave (Casava ist eine Wurzel, die man auch essen kann), Potatoe-leave (hier sind die Blätter von Süßkartoffeln gemeint. Potatoe sind immer Süßkartoffeln, unsere Kartoffeln heißen hier Irish Potatoe) oder Krin-Krin (das ist eine eigene Pflanze über die ich noch nicht mehr herausfinden konnte). Die Blättern werden sehr kleine geschnitten und dann noch im großen Mörser zerstampft. Sie werden mit Zwiebeln, manchmal Erdnußpaste und auf jeden Fall mit Chillies gekocht. Oftmals sind auch Fischstücke mit drin und man bekommt meist noch einen halben Fisch oder einen ganzen Fisch mit in die Schüssel, wenn man es im Restaurant bestellt. Ganz generell gibt es relativ viel Fisch, klar, weil wir direkt am Meer sind. Und als Fleisch hauptsächlich Chicken. In Freetown gibt auch einige libanesische Restaurants, die sehr gut sind, aber auch etwas teurer und es gibt eine echte italienische Pizzeria mit Pizza aus dem Holzofen. Bei mir zuhause gibt es natürlich auch öfter Nudeln mit Soße. Klassiker.
Absolute Luxusprodukte sind alle Milchprodukte. Es gibt keine Milchkühe hier, so dass Milch, Käse, Butter und Co importiert werden. Ein Liter Tetrapack-Milch für 2€ ist absolut bezahlbar für mich, aber ein kleines Stück Emmentaler oder Gauda für 15€? Da hört die Freundschaft auf. Von Butter habe ich mich schon entwöhnt. Aber auf meine Milch im Kaffee möchte ich nicht verzichten. Der einzige „Käse“, der noch auf meinem Frühstückstisch ist, ist in kleine Portionen abgepackter Streichkäse. Den gibt es nämlich auch an den kleinen Kiosken und es stört ihn nicht, wenn die Kühlkette unterbrochen wird 😉
Was hält der Feierabend so bereit?
Nach der Arbeit geht es manchmal noch kurz zum Supermarkt, wo ich mich hauptsächlich mit Kaffee und Milch eindecke. Alles andere bekomme ich auch auf der Straße oder in den kleinen Läden, wie denen in meiner Straße. Für Obst und Gemüse gehe ich meistens zum Strand runter. Da sind Obst und Gemüse zwar nicht am günstigsten, aber ich kann es mit einem kleinen Spaziergang verbinden. Und dann kommt es darauf an, ob ich vollkommen müde und erschlagen bin und einfach nur zuhause bleibe, ein Buch lese, einen Film anschaue oder früh ins Bett gehe. Oder ob ich mich noch auf ein Sundowner Bierchen mit jemandem treffe. Manchmal – so wie heute – sitze ich auch einfach auf meinem Balkon, meine Lichterkette leuchtet und unten von der Straße tönt Musik, Unterhaltungen und gelegentliches Hupen zu mir hinauf. Donnerstags geht es nach der Arbeit immer direkt in die Kletterhalle. Es ist eine kleine Klettercommunity hier, so dass man sich eigentlich kennt. Nach dem Klettern kommt Abdul manchmal mit zu mir und wir holen uns unterwegs noch Essen an meinem mittlerweile favorite Fastfood Restaurant, wo es chicken und fish mit rice oder chips gibt zu super Preisen. Dann genießen wir unser Abendessen bei mir am Balkon und ich freue mich auf mein wohlverdientes Radler (das muss ich natürlich selbst zusammenmischen).
Partyycrew gefunden?
Einige erinnern sich vielleicht, dass ich ja noch auf der Suche nach einer Partycrew war. Nun, ich bin in der Expat-Community angekommen und ich muss sagen, die Irish crew ist immer für drinks und party zu haben. Seitdem die Ausgangssperre vor ein paar Wochen aufgehoben wurde, sind meine Freitagnächte auf jeden kürzer und meine Samstage dafür umso fauler.
Kannst du da abends um die Häuser ziehen?
Um die Häuser ziehen kann ich nicht direkt, nicht so, wie ich es in Nürnberg machen würde. Hier trifft man sich eher mit ein paar Leute in einer Location und fährt dann mit Taxi oder Keke weiter zur nächsten. Einerseits sind die Location nicht so nah aneinander und andererseits ist es dort, wo sie nah beieinander sind – auf der Beach Road – nicht so sicher in der Nacht. Ich habe allerdings auch direkt bei mir in absoluter Nähe zu meiner Wohnung einen Nachtclub und auch ein kleines Restaurant, von wo aus ich auch heimlaufen kann.
Und am Wochenende dann an den Strand?
Ich muss zugeben – ja, ganz viel ist hier auch Klischee. Unter der Woche schön anstrengend arbeiten und dann am Wochenende Party-on und chillen am Strand. Auch für dieses Wochenende wurde ich schon eingeladen, weil eine Expat-Crew von Freitag bis Sonntag an den Strand fährt und dort das Wochenende verbringt. Manchmal fahre ich da mit. Dieses Wochenende nicht. Manchmal mach ich auch einen entspannten und mach am Samstag schön meinen Haushalt und chille dann am Sonntag an meinem Lieblingsplatz am Stadtstrand und schau den Fußballspielern zu oder fahre am Nachmittag zum Cockle Point Beach. Das ist der Plan für diesen Sonntag. Deshalb für euch im Herbst, ein paar Strandbilder von meinen Wochenenden hier:
Was ist das Schönste und was ist das Schwierigste für mich?
Das ist ganz einfach zu beantworten. Das Schwierigste bzw. Nervigste für mich war in den letzten Wochen, dass wir oft keinen Strom hatten bei mir in der Straße. Ich sehe von meinem Balkon aus, dass die ganze Stadt die Hügel in ein wunderschönes Lichtermeer verwandelt, aber meine Straße ist dunkel, bis auf die Häuser, die ihren Generator angeschmissen haben. Und da sind wir schon bei meinem Hauptproblem hier. Wie zu erwarten war, sind es die Generatoren oder besser gesagt, ihr Geräusch. Leider bin ich sehr empfindlich was monotone Motorengeräusche angeht. Angefangen bei der Dunstabzugshaube, über den Staubsauger bis hin zur Klimaanlage des Nachbarn oder noch schlimmer ihrer Generatoren. Aber gut – das wird ganz offensichtlich meine persönliche Challenge hier werden. Ruhig atmen und die Generatorengeräusche im Geiste umarmen.
Und das Beste oder Schönste hier? Ich finde es schlicht und ergreifen sehr gut, dass ich bei einer Umweltschutzorganisation arbeite und hoffentlich durch meine Arbeit die Folgen des Klimawandels abgeschwächt werden können und wir es schaffen, wichtige Lebensräume zu erhalten, Arten zu schützen und die Lebensgrundlage der Menschen nachhaltig zu sichern.
Und natürlich ist auch der Blick von meinem Balkon rüber aufs Meer sehr schön und die vielen Begegnungen mit sehr freundlichen und offenen Menschen.
Hast du das Gefühl, dass deine Arbeit wirkt, dass du Sinnvolles mit deiner Arbeit erreichst oder alles wieder ist wie davor, wenn du weggehst?
Diese Frage habe ich zunächst immer ernsthaft beantwortet, bis mir dann eines Morgens im Bett klar wurde, dass mir zuvor noch nie jemand solche Fragen gestellt hat. Deshalb werde ich künftig immer mit Gegenfragen antworten: Und bei dir so? Hast du das Gefühl, deine Arbeit ist sinnvoll? Weshalb wird an meine Arbeit hier eine andere Erwartung gerichtet als an die Arbeit, die ich in Deutschland gemacht habe? Wieso muss auf einmal alles sinnvoll und nachhaltig sein, was ich mache und früher war es egal? Sollten wir nicht alle Sinnvolles und Nachhaltiges machen, so dass sich die Frage erübrigt?
Wie wohnst du?
Ich wohne in einer großen Wohnung in einer ganz netten Wohngegend. Es ist etwas lauter als ich das von meinen letzten Wochen in Moorenbrunn gewohnt war. Es ist immer etwas los auf der Straße, weil die Leute gegenüber vor dem kleinen Kiosk abhängen, wo immer Musik läuft und lebhafte Gespräche geführt werden. Ich bin langsam fertig eingerichtet, nur Vorhänge fehlen noch im Wohn-Esszimmer. Aber meine ersten Tomaten sind reif und ich habe meine Stammläden, in denen ich einkaufe. Ich habe einerseits Blick aufs Meer und gleichzeitig Blick auf die Hügel Freetowns. Kaum vermeidbar im dritten Stock. Die Gegend ist eine normale Wohngegend, nicht die schlechteste aber auch nicht die allerbeste. Eine ganz angenehme Mischung. Ich laufe nur 10-15 Minuten ans Meer und habe auch einen guten Anschluss an die „Öffis“. Die Öffis, das sind hier einerseits Minibusse, die aber nur sehr selten unterwegs sind. Die Fortbewegung findet hauptsächlich mit den Kekes oder Motorradtaxis statt.
Unten mal ein paar Eindrücke von der Wohnung, Balkon-Impressionen und der Blick in die Nachbarschaft:
Wie bewegst du dich fort?
Mein Fortbewegungsmittel ist etwas abhängig davon, was ich so mache. Zur Arbeit fahre ich immer mit meinem Auto, einem Landcruiser. Wenn ich am Wochenende an den Strand fahre oder abends zum Klettern gehe, mache ich das auch mit meinem Auto. Wenn ich sonst abends unterwegs bin und etwas trinken möchte, dann nehme ich normalerweise ein Keke oder wenn ich mich mit Freunden treffe, die in der Nähe wohnen, gehe ich auch sehr gerne zu Fuß, einfach um ein bisschen Bewegung zu haben.
Auf den Fotos sehr ihr mein Auto und Sulay, einen der beiden Keke-Fahrer meines Vertrauens.
Und kann man dich besuchen?
Ganz klare Antwort: Ja. Falls ich euch von der Fähre abholen soll, einfach kurz vorher Bescheid geben 😉
Das ist nun mal der erste Schwung Antworten auf Fragen, die immer wieder kommen. Wer mehr Fragen hat, immer her damit!


























Danke für diese großartigen FAQ 🤗, jetzt geh ich mit dir durch deinen Tag. Liebe Grüße!