Der Tag an dem der Wal strandete

Bevor wir gemeinsam durch den Gola Rainforest streifen, muss ich noch berichten, was seit gestern passiert ist. Gestern früh kamen die ersten Fotos in den Whatsapp-Gruppen zu einem kleinen gestrandeten Wal direkt am Lumley Beach, dem Stadtstrand hier. Klein in Anführungszeichen, es ist ein kleiner Buckelwal. Ich habe die Info in der Whatsapp-Gruppe von CSSL geteilt, weil ich dachte, wir wissen wahrscheinlich, wer informiert werden kann/muss, damit der Wal gerettet werden kann und zurück ins Wasser findet.

How to celebrate a birthday?

Zunächst war bei uns aber business as usual. Mit einer kleinen Unterbrechung. Meine Kollegin Mariama hatte am Freitag Geburtstag. Ich habe es erst am Morgen des Geburtstages erfahren und spontan gesagt, ich bringe ihr diese Woche einen Kuchen mit. Hätte ich gewusst, wie viel Überforderung ich damit provoziere, hätte ich das sein lassen. Da ich von anderen Geburtstagsfeiern hier weiß, dachte ich, es wäre normal, Geburtstag mit Kuchen oder Torte zu feiern. Dem ist aber nicht so. Die Generation, die älter als 40/50 ist, kennt normalerweise den eigenen Geburtstag nicht, sondern nur den Tag, an dem die Geburt der Gemeinde gemeldet wurde. Geburtstage sind deshalb für die Leute nicht so wichtig. Es ändert sich gerade. In den Städten werden nun die Geburtstage der Kinder und auch der jüngeren Generation (unter 30) gefeiert.

Bei uns wurde Mittags ein “emergency meeting” einberufen. Einerseits, um mich nun auch einmal offiziell willkommen zu heißen und Mariamas Geburtstag nachträglich zu zelebrieren. Es wurde noch schnell eine Geburtstagskarte mit Windows-Graphis gebastelt und dann mit einiger Unbeholfenheit gratuliert. Das beste ist allerdings, die Tradition hier zum Geburtstag: Das Anschneiden des Kuchens. Erst schneidet das Geburtstagskind den Kuchen an (oder tut so), dann kommen nach und nach einzelne Gäste und schneiden mit dem Geburtstagskind den Kuchen an, wobei tausende Fotos gemacht werden. Am Ende haben wir noch alle zusammen den Kuchen angeschnitten, bevor er verteilt wurde.

Dieses Mal gab es keinen Bananenkuchen, sondern einen italienischen Kuchen – zumindest laut online-Rezept. Er war auch sehr lecker. Wenn ich so weitermache, schaffe ich vielleicht tatsächlich irgendwann einen Käsekuchen. Das wäre ja mein Traum.

Whale watching und dann? 

Nach der ganzen Feierei, sind wir (Mariama, Abdul und ich) dann tatsächlich mal Richtung Strand aufgebrochen, um nach dem Wal zu sehen. Den ganzen Tag über wurden Videos und Fotos gepostet. Je weiter der Tag voranschritt, um so mehr Menschen sammelten sich um den Wal. Mittlerweile war es schon halb vier am Nachmittag. 

Auf den Videos, die online kamen, sah man einerseits Menschen, die versuchten, den Wal feucht zu halten und immer wieder Wasser über ihn kippten, leider gabe es auch Videos, die zeigten, wie junge Männer auf ihn klettern und für Fotos posen. Ein Video, das zeigt, wie versucht wurde, zu helfen, ist auf Youtube zu sehen:

Als wir am Strand ankamen, war dort eine riesige Menschenmenge. Wir hatten nicht wirklich einen Plan, was wir machen würden, wenn wir dort sind. Abdul hat sich vor gekämpft und ein kurzes Video gedreht. Auch von den hinteren Reihen aus konnte man sehen, dass mit schwerem Gerät versucht wurde, den Wal auf eine Plane zu bringen und ihn dann ins Wasser zu befördern. Aber leider war nicht das richtige Gefährt zur Verfügung. Die Reifen blieben im Sand stecken. 

Schon am Morgen war klar, die Flut kommt erst abends gegen 19h. Bis dahin muss der Wal irgendwie überleben, weil er schafft es frühestens mit der Flut zurück ins Wasser. Wir schauten dem Getümmel eine Zeit lang zu. Das traurigste war, dass zu viele Leute, zu laut direkt bei dem kleinen Wal waren. Zwei Soldaten versuchten, die Leute vom Wal fernzuhalten, aber immer wieder schafften es einzelne auf ihn zu steigen – oder besser gesagt auf sie. Die Kleine ist ein 4-Monate altes Kalb.

Da wir nichts ausrichten konnten, haben wir versucht das Tourist Board zu erreichen (die sind anscheinend für Angelegenheiten am Strand zuständig) und danach die Kollegen von der Environment Protection Agency (EPA). Das ist die Umweltschutzbehörde der Regierung. Zwei Kollegen von der EPA waren vor Ort, so dass wir kurz mit ihnen gesprochen hatten. Anscheinend hat am Morgen schon das Fischereiministerium die Führung in der Sache übernommen. Es waren auch mehrere Minister und Stellvertreter da gewesen. Ich weiß allerdings nicht, was die da gemacht haben, außer Präsenz zu zeigen. Ich dachte die ganze Zeit, es kann doch nicht so schwer sein, ein paar Polizisten zu schicken, die aufpassen, dass die Leute Abstand halten und den armen kleinen Wal nicht noch mehr Stress aussetzen. Aber anscheinend ist es nicht so einfach oder es fehlt an Bewusstsein. Wale sind immerhin keine Fische, sondern sehr intelligente und emotionale Säugetiere…

Einer der Männer am Strand und später auch Paul, von der EPA, erzählten, wie der Wal anscheinend an den Strand kam. Der Wal folgten den Fischern und geriet in eines ihrer Netze, wahrscheinlich, weil er sich die Fische schnappen wollte. Die Fischer hätten dann ihr Netz loslassen müssen, um den Wal zu befreien, aber anscheinend hatten sie gehofft, ihn an Land zu bekommen. So ein Wal hat ziemlich viel Fleisch, damit kann man einige Mägen füllen und viel Geld verdienen. Mehr als mit den kleinen Fischchen. Der Wal wehrte sich wohl, so dass eines ihrer Boote unterging (alle haben überlebt, zum Glück konnten alle schwimmen) und auch vom zweiten Boot ging die Seilwinde über Bord. Etwas Schadenfreude ist da auf meiner Seite natürlich dabei… Der Kollege von der EPA meinte, die Fischer müssen nun den ganzen Einsatz bezahlen. Ich bin mir nicht sicher, wie das funktionieren soll. Ich denke nicht, dass sie dafür Geld haben. Aber immerhin wird versucht, abschreckende Maßnahmen zu ergreifen.

Als wir den Strand wieder verlassen haben – es war langsam Zeit für den Feierabend und die Kollegin und der Kollege wollten offensichtlich nach Hause – war der kleine Wal schon fast im Wasser. Die Flut kam. Aber man konnte immer wieder Menschen sehen, die auf den Wal stiegen. Ich war echt frustriert und enttäuscht, dass wir nicht mehr gemacht haben und vor allem, dass wir nicht schon viel früher etwas unternommen hatten. 

Als ich zuhause war, kam die erlösende Nachricht: Der Wal war im Wasser und schwamm los. Ich war immer noch etwas traurig-berührt, wie viele den Wal behandelt haben und das so wenig unternommen wurde, um ihn vor der Menge zu schützen. Aber ich glaube, ich habe zu hohe Ansprüche. Die Wale, die in den letzten Jahren in Sierra Leone gestrandet sind, sind alle im Kochtopf gelandet. Gestern, das war ein großer Erfolg. Der Wal hat überlebt und war am Ende im Meer und nicht im Topf. Vielleicht muss ich es von dieser Seite sehen. Und natürlich darf ich nicht vergessen: die Kinder hier wachsen nicht mit “Wieso? Weshalb? Warum?” auf und kennen keine Dokumentationen über Wale und andere Tiere. Die meisten haben ihr wissen von Facebook, TikTok und Whatsapp. Aber sehr viele von den Leuten, die am Strand waren, wollten dem Wal helfen und haben diejenigen, die vorgeschlagen haben, ihn zu töten und zu essen, beschimpft und versucht, sie zu verjagen.

Fußball-EM im Wellblech-Cinema

Als wir auf dem Weg zurück Richtung Büro waren, kam eine Nachricht von Abdul (nicht dem Kollegen, sondern Abdul aus dem Guesthouse): “James is asking if you would join him to the cinema today?” Ich war kurz irritiert. Cinema? Kino? Ich dachte, wir gehen zusammen das Fußballspiel anschauen? Aber okay – ja, klar komme ich mit ins Cinema. 

Um kurz vor sieben bin ich also mit James los. Von James habe ich noch nicht so viel berichtet. Er arbeitet auch im Guesthouse. Bis vor zwei Tagen dachte ich, dass er sehr ruhig und schüchtern sei. Ich hatte zwar schon so das Gefühl, dass er etwas offener wird und mir jetzt auch manchmal ein paar Fragen stellt, seitdem ich ein paar Brocken Krio spreche, aber ich dachte, er wäre ein ruhiger Typ. Dann haben wir vorgestern gemeinsam einen Film angeschaut (Cook Off – ein simbabwischer Film, der ebenfalls auf Netflix zu sehen ist. @Dorothee: Danke für den Tipp.) Nach dem Film gab es eine sehr laute und hitzige Diskussion. James hat sich vollkommen in Rage gesprochen, weil er anderer Meinung war als Abdul in Bezug auf den einen Mann im Film. Da habe ich gemerkt – okay, James ist weder ruhig noch leise – er redet einfach nicht so gerne Englisch 😉

Ich kam auf die Idee, James zu fragen, ob ich mit ihm das Spiel anschauen kann, weil er selbst Fußball spielt und ich weiß, dass er manchmal zum Fußballschauen ausgeht.  

Wie gesagt, sind wir kurz vor sieben los. Das “Cinema” ist eine Wellblechhütte, zusammengezimmert aus ich weiß nicht wie vielen mehr oder weniger rostigen Teilen, vielleicht 3-4 Meter x 10 Meter, wobei der hintere Teil zugestellt war mit Bänken und anderem Zeug. Es gibt keine Fenster, nur eine Türe vorne links, vorne auf der schmalen Seite sind zwei Bildschirme angebracht, so dass wir beide Spiele parallel schauen konnten. Der Ton war leider beim “wichtigeren” Spiel an – Portugal gegen Frankreich. Im Innenraum waren Stuhlreihen aufgestellt. Als wir ankamen, waren schon fast alle Stühle besetzt. Anfangs war neben mir noch ein Motorrad, das wurde aber während der ersten Halbzeit über die Bänke nach hinten gehoben, um mehr Platz für weitere Stühle und Zuschauer zu schaffen.

Ich muss zugeben, auch wenn die deutsche Mannschaft mich spielerisch nicht überzeugt hat, hat das Fußballschauen dort echt Spaß gemacht. Die Männer reden zwar alle Krio und ich verstehe nur ab und an, worum es geht. Zum Beispiel wurde einmal sehr lange und sehr laut und hitzig über “Kimmitsch” diskutiert. So hitzig, dass James sogar aufstehen musste vor lauter Emotionen. Die meisten in Sierra Leone und anscheinend allgemein in Westafrika unterstützen Frankreich. Erstens, weil Frankreich oft gewinnt (man unterstützt halt gerne die Siegertypen) und weil in Frankreich viele Spieler mit afrikanischen Wurzeln spielen. Zum Glück haben wir Rüdiger! Rüdiger ist ja quasi aus Sierra Leone. Ich war sehr froh, dass ich mich nicht an den Diskussionen beteiligen musste. Sonst wären meine peinlichen Wissenslücken, was die Namen der deutschen Nationalspieler angeht, sofort offensichtlich gewesen. Ein paar kenne ich zum Glück, so dass es nicht wirklich auffiel.

Am Ende war ich sehr froh, dass wir uns qualifiziert haben, einerseits natürlich für Deutschland, aber auch, weil ich mich freue, die nächsten Spiele wieder in einem Cinema anzuschauen…

Der zweite Tag an dem der Wal strandete

Nach dem anstrengenden Tag mit Geburtsfeiern, interkulturellem Austausch, Trauer darüber, wie es dem kleinen Wal erging und Freude über den Ausgang der Fußballspiele genoß ich noch mein wohl verdientes Feierabendbier auf dem Balkon im guesthouse mit den Jungs dort. Im Fußball-Cinema trinkt niemand Bier. Die Frau, die in der Halbzeit da war, verkaufte nur Saft und Softdrinks. Der Ausklang des Tages war auf jeden Fall entspannt und schön. 

Der heutige Morgen war ebenfalls sehr entspannt. Als ich aber im Büro ankam, erreichte mich direkt die traurige Nachricht, dass der kleine Wal wieder gestrandet ist. Es gab nun einen Videoaufruf vom National Tourist Board an alle Organisationen und Unternehmen, zu helfen, den Wal wieder ins Meer zu bringen.

Meine Kollegin meinte, sie hat den Wal heute morgen am Strand gesehen. Die eine Flosse ist verletzt und der Wal ist schon etwas in den Sand eingesackt. Sie versuchen jetzt anscheinend, den Sand wegzuschaufeln. Das Drama scheint noch nicht vorbei. Ich hoffe, es nimmt ein gutes Ende.

Gerade kam mein Kollege. Wir fahren wohl nochmal zum Strand. Ich werde berichten.

Fünf Stunden später – zurück vom Strand

Seit einer halben Stunde sind wir wieder im Büro. Gemeinsam mit Mariama, Edward (Programm Manager) und zwei weiteren Kollegen sind wir heute Mittag an den Strand gefahren. Dort lag der Wal noch. Es waren viel weniger Leute da als gestern, so dass ich es in die erste Reihe geschafft habe. Es war nicht klar, ob er noch lebt oder nicht. Aber die Leute haben weiter versucht ihn naß zu halten. Auf den Fotos seht ihr den „kleinen“ Wal, außerdem die Menschenmenge und dann das Fischerboot des Verbrechens. Es ist eines der Fischerboote, die den Wal an den Strand geschleppt haben. Auf dem letzten Foto seht ihr im Hintergrund ein großes Schiff kommen. Das wird später noch eine wichtige Rolle spielen.

Wir konnten in der Menge keine offizielle Person ausmachen. Also sind wir zum National Tourist Board gelaufen. Das Büro ist gleich in Strandnähe. Nach einer kurzen Wartezeit konnten wir mit der General Managerin sprechen. Gestern hatte ich schon den Eindruck, dass verschiedene Stellen den Wal retten wollen, aber es weiß niemand so genau, was zu tun ist und wer genau die Führungsrolle übernehmen kann/soll. Auf jeden Fall war auch klar, dass von uns als Conservation Society mehr Unterstützung erwartet wird.

Meine Kollegen sind anschließend zum Büro des Ministery for Fishery and Marine Ressources gefahren. Mariama und ich entschlossen uns, am Strand zu bleiben. Wir hatten gesehen, dass sich von dem großen Boot aus ein Schlauchboot auf den Weg Richtung Strand gemacht hatte. Also sind wir wieder los Richtung Wal. Als wir ankommen, hat die Action schon gestartet. Sie haben den Schwanz des Wales mit einem starken Seil umwickelt und ihn damit ins Wasser gezogen. Für uns sah er leblos aus, aber einer der jungen Männer am Strand hat versichert, dass er gesehen hat, wie Wasser aus der Fontäne kam, bevor er ins Wasser gezogen wurde.

Mariama erblickte einen Mann mit professioneller Kamera am Strand. Also Media! Wir sind hin und haben gefragt, ob sie wissen, wer hier von offizieller Stelle da sei. Wir dachten, die haben bestimmt alle wichtigen Leute interviewt. Die Journalistin hat uns dann auch tatsächlich zu dem Kollegen vom Fischerei- und Meeresministerium gebracht und uns ihm vorgestellt. Mariama hat ihn interviewt. Auch der Ministeriumsmann, Victor, bestätigte, dass der Wal noch lebte. Ein uns bekannter Doktor war vor Ort und hatte den Wal untersucht. Außerdem erfuhren wir, dass die Walfamilie südlich in der Nähe von Banana Island ist. Deshalb ist der Plan dieses Mal, den Wal nicht einfach ins Wasser zu bringen, wie gestern, sondern sie wollen ihn bis nach Banana Island schleppen. Auf dem Foto unten sieht man nur einen kleinen schwarzen Punkt im Wasser. Das ist der Wal.

Ende gut, alles gut?

Ich bin mir nicht sicher. Wir hoffen, dass es der Wal wirklich schafft. Wir haben Victors Kontakt, so dass wir nachfragen können, ob der kleine Wal mit seiner Familie wiedervereint werden konnte. Und zugleich kam gestern und heute raus, dass wir als Conservation Society schneller in Aktion treten müssen. Es wird von uns erwartet. Auch Victor vom Ministerium meinte, er wäre sehr froh, dass jemand von CSSL da ist und er wünscht, dass wir in Kontakt bleiben, um zu besprechen, wie künftig in solchen Situationen schnell und organisiert reagiert werden kann. Sehr gut. Das betrifft ja auch meinen Aufgabenbereich, genau dafür bin ich ja hier. Nicht unbedingt für die Abwicklung der Rettung, aber dafür Ministerien und Öffentlichkeit aufzurütteln und zur Aktion zu bewegen, wenn es um Umweltthemen geht.

Ich hoffe, dass in den nächsten Tagen keine Wale mehr stranden und ich dann mal in Ruhe vom Gola Rainforest berichten kann.

Good News: gerade (19:19h) kam die Info an, dass die Kleine lebt und schwimmt. Auf dem einen Video winkt sie mit der Flosse.

1 Kommentar

  1. Lauerin

    Unglaubliches, was du schon wieder erlebst! 👀 Danke für deinen spannenden Erzählungen!

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