Am 18. Januar 2002 wurde der Bürgerkrieg in Sierra Leone nach über zehn Jahren für beendet erklärt. Ich dachte mir, dass ist ein Anlass, um über den Krieg und vor allem über 20 Jahre Frieden zu schreiben. Aber das Jubiläum ist gar nicht Thema No1 gerade – Thema No1 der letzten Wochen war Sierra Leones Beteiligung am Africa Cup! Deshalb schreibe ich heute nicht über den Frieden, sondern über das, was die Menschen aktuell bewegt: Fußball!
Das erste Mal seit 25 Jahren wieder dabei
Der Africa Cup of Nations 2021 (verschoben wegen Covid) findet seit dem 9. Januar in Kamerun statt. Sierra Leone hat sich das erste Mal seit 25 Jahren qualifiziert. Als wir letztes Jahr das Qualifikationsspiel gewonnen haben, war ganz Freetown auf der Straße und aus dem Häuschen, Menschengruppen mit Sierra Leonischen Flaggen rannten durch die Straßen und machten mit Trillerpfeifen und Topfdeckeln unendlich viel Lärm. Ich erinnere mich noch sehr gut an die Stimmung, ich saß im Keke und war mittendrin. Freudiges Chaos in der ganzen Stadt. Es war klar: das hier ist nur der Vorgeschmack. Let´s see, was passiert, wenn wir erst wirklich im Africa Cup spielen…
Erstes Spiel: Sierra Leone – Algerien
Und dann war es so weit, erster Auftritt Sierra Leone auf der internationalen Fußballbühne seit über zwei Jahrzehnten. Wahnsinn! Stellt euch das vor. Eine ganze Generation junger Menschen ohne internationale Fußballturniererlebnisse. Und dabei sind hier alle so fußballbegeistert.
Das erste Spiel fand am frühen Nachmittag statt. Ich habe es also gemeinsam mit meinen Kollegen in unserem Konferenzraum auf dem großen Bildschirm angeschaut.
Meine Kolleginnen waren nicht wirklich interessiert, obwohl sie sich in den Landesfarben gekleidet hatten, kamen sie immer nur ins Zimmer gestürmt, wenn der Lärmpegel bei uns im Zimmer und draußen auf der Straße zunahm und klar war, irgendetwas ist passiert.
Tina hat mir von zu Hause immer Nachrichten geschrieben: „Jetzt haben wir wohl ein Tor gemacht? Die Leute auf der Straße drehen durch.“ – „Nein, es war nur der Anstoß.“ … „Jetzt haben wir aber ein Tor gemacht.“ – „Nein, war leider Abseits.“ …. „Jetzt haben wir aber gewonnen oder?“ – „Nein. Wir haben unentschieden gespielt. Das Spiel ist aus.“
Trotz unentschieden wurde gejubelt und gefeiert. Beim Abpfiff sprangen meine Kollegen auf und tanzten und jubelten, als hätten wir gewonnen. Okay, Sierra Leone hat unentschieden gegen den amtierenden Meister Algerien gespielt. Also kein schlechter Auftakt für das Turnier.
Spiel 2: Sierra Leone – Elfenbeinküste
Das zweite Spiel war an einem Sonntag. Wir haben uns also mit ein paar Freunden verabredet, um es gemeinsam zu schauen. Kurzfristig mussten wir aber kurz vor Anpfiff die Location nochmal wechseln, weil die erste Location einfach keine gute Fußball-Atmosphäre hatte. Zu clean und posh. Also schnell zum nächsten Roundabout und Keke klargemacht und auf in die Fußballkneipe, in der die Iren immer Premier league schauen und meist fußballbegeistertes Publikum ist. Yep, das war dann schon mehr unser Ding. Am Roundabout wurden wir direkt noch mit der Salone Flagge im Gesicht geschmückt (uns wurde mit Nagellack die Fahne auf die Wangen gemalt) und die kleine Fahne hatten wir ja eh schon mitdabei. Nun waren wir wirklich vorbereitet für das Spiel.
Dieses Spiel war um einiges spannender, vor allem, da Ivory Coast tatsächlich irgendwann ein Tor gemacht hat und wir das restliche Spiel mit zum Zerreißen gespannten Nerven immer wieder aufspringen mussten, wenn es zu brenzligen Situationen kam. Tina ist nicht wirklich für ihre Fußballbegeisterung bekannt, aber hier ist selbst für sie kein Halten.
Was für mich sehr interessant zu beobachten ist: Wenn Sierra Leone etwas Gutes macht, dann wird aufgesprungen, applaudiert, getanzt… Wenn die Gegner ein Tor machen, verfallen alle in eine Art kollektive Schockstarre. Da ist kein Gemaule, keine Beschwerde, kein Nichts. Einfach nur ruhige Niedergeschlagenheit.
Was ein Fest, als wir in der Verlängerung dann den Ausgleich erzielten. Party on! Wieder ein Unentschieden, das gefeiert wird, wie der Turniergewinn.
Der Montagmorgen im Büro war dann auch entsprechend anstrengend 😉 Ich frage mich wirklich, weshalb an den Tagen nach den Spielen nicht einfach Public Holiday ausgerufen wurde…
Und weil ihr euch ja auch immer für alltägliches interessiert, dachte ich, ich mach mal eine kleine Fotoreihe vom Klo. Was gibt es alltäglicheres als den Gang zur Toilette. Auch wenn Wasserhähne und Spülkasten vorhanden sind, heißt das nicht immer, dass da auch Wasser kommt. Deshalb gibt es die kleinen handlichen „Plastik-Teekannen“ und meist gibt es eine Wassertonne, wo man diese auffüllen kann.
Spiel 3: Sierra Leone – Äquatorial Guinea
Gestern dann, das große Zittern. Das alles entscheidende Spiel. Kommen wir in die nächste Runde, oder nicht? Eigentlich haben alle damit gerechnet, dass wir gewinnen. Weil die Menschen hier einfach sehr viel Hoffnung in sich tragen und weil der Präsident allen Spielern eine Prämie für jedes gewonnen Spiel versprochen hat und wir uns sicher waren, dass sie die Prämie bestimmt haben wollen.
Das dritte Spiel wollten wir an der Beach Road anschauen. Von dort aus kommen wir im Notfall auch zu Fuß nach Hause, weil wir wussten gar nicht, was wohl passiert, wenn wir gewinnen. Und natürlich war auch klar, am Beach wird die Stimmung am besten und die Party am lautesten sein. Schließlich reiht sich am Strand eine Bar an die nächste.
Wie beim letzten Spiel haben wir einmal location gewechselt. In der ersten Location gab es keine Sitzplätze mehr. Alles war reserviert und wir hätten in der Sonne stehen müssen. Das wäre zu viel Sonne gewesen. Also sind wir einfach die Straße lang und in die nächstbeste Bar. Ein Volltreffer! Nicht nur wegen des Barmanns und des Herren mit der rosa Schürze. Die Stimmung war top – fehlten nur noch ein paar Tore für Salone.
Dieses Spiel war das mit Abstand am aufregendsten. Wir lagen schon in der ersten Halbzeit hinten, aber in der zweiten machte Sierra Leone wirklich Druck. Leider, leider, ohne Erfolg. Wir gaben die Hoffnung nicht auf. Das letzte Mal glückte der Ausgleich ja auch erst in der Nachspielzeit. Als dann aber Kamara kurz vor Ende der regulären Spielzeit einen Elfmeter verschoss, war die Stimmung am Boden. Fast alle Zuschauer und Zuschauerinnen verließen die Bar noch vor Abpfiff. Kein Lächeln mehr in den Gesichtern. Nur noch Trauer und Enttäuschung. Als der Schiedsrichter Sierra Leone den Elfmeter gab, rasteten alle aus. Wir dachten schon, es wäre ein Tor. Und dann diese Enttäuschung…
Wir hoffen nun auf das nächste Turnier. Salone hat nicht schlecht gespielt. Die Abwehr und der Torwart sind sehr gut, nur mit den Toren klappt es nicht so. Kam mir irgendwie von irgendwo bekannt vor…
Salone Stars – still our team!
Wir haben den Abend dann noch in einem Beachrestaurant mit Sonnenuntergang und Chicken und Chips ausklingen lassen. Tina hat unterwegs noch versucht ein paar Plastikflaschen vor den Wellen zu retten.
Während ich den Beitrag schreibe, höre ich auf einmal Geschrei von der Straße. Neugierig schau ich auf den Balkon und unten stehen ein paar Leute und diskutieren sehr emotional aufgeladen über das gestrige Spiel. Es wird laut diskutiert, weil unsere Mannschaft einen Elfmeter verschossen hat. Hoffentlich lassen sie ihre Enttäuschung nicht am Team aus. Salone Stars sind schließlich immer noch unser Team. Egal ob sie gewinnen oder verlieren!
So war das mit Salone und dem Africa Cup 2021. Aber der nächste Africa Cup kommt bestimmt und dann sind wir wieder mit dabei!



















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