Autor: TheKaddl (Seite 3 von 9)

Frauen: Objekt? Subjekt? Mensch!

Je älter ich werde, umso schwerer fällt es mir, Situationen und (gesellschaftliche) Regeln auszuhalten, die ich als ungerecht und diskriminierend empfinde. Besonders, wenn ich selbst betroffen bin oder Menschen, mit denen ich mich auf irgendeiner Persönlichkeitsebene identifiziere.

Immer wieder komme ich an den Punkt, an dem ich mich selbst Frage, Mund auf oder Mund zu?

Wenn es schon in Deutschland, in dem gesellschaftlichen Kontext, in dem ich Zuhause bin, schwierig für mich ist, diese Frage zu beantworten, dann könnt ihr euch vorstellen, dass es in Salone noch schwieriger ist. Lange habe ich mich immer für „Mund zu“ entschieden, wenn ich Ungerechtigkeiten wahrgenommen und empfunden habe. Rückblickend habe ich vieles auch oft ausgeblendet. Ich habe das Gefühl, ich hatte lange keine Kapazitäten, mich mit bestimmten Themen zu beschäftigen. Ich war wohl zu sehr mit mir selbst beschäftigt. Aber seit ein paar Wochen hat sich das geändert. Lange hat sich mein Alltag anstrengend angefühlt. Das hat sich seit November geändert. Offensichtlich sind jetzt Energien frei, durch die ich nun vieles als störender empfinde, was die Monate zuvor auch da war, aber nicht mein Thema war.

Noch ein kleiner Hinweis: Der Text ist streckenweise etwas holprig. Ich habe ihn teilweise diktiert und dann überarbeitet. Das klappt nicht so gut, habe ich jetzt festgestellt. Mache ich also künftig nicht mehr. Oder ich muss noch sehr viel üben.

Im Alter werde ich zur Feministin

Ein Thema, das mich auch in Deutschland seit einigen Jahren mehr beschäftigt als in jüngeren Jahren, ist die Wahrnehmung und Stellung von Mädchen und Frauen in verschiedenen Gesellschaften und Zeiten. Im Alter werde ich immer feministischer. Das mag daran liegen, dass ich mit zunehmendem Alter immer klarer sehe, in wie vielen Bereichen und durch wie viele gesellschaftliche Erwartungen und ungeschriebene Regeln, Frauen benachteiligt und begrenzt werden. Ich brauche euch nicht zu erzählen, auf welchen Ebenen dies in Deutschland der Fall ist. Immer noch. Auch in meiner Generation. Aber wie soll ich mit Diskriminierung und Ungleichbehandlung in einem kulturellen und religiösem Kontext umgehen, der nicht der meine ist und den ich auch nicht vollständig kenne und verstehe?

Ich habe mich in den letzten Wochen immer wieder für „Mund auf“ entschieden. Oft sind es kleine Situationen, die mich ärgern und in denen ich innerlich mit mir kämpfe und nicht weiß, wie ich am besten reagiere. Kultursensibel, nicht abwertend, aber dennoch meine Position darstellend. Ich sehe mich ja ungern in der Rolle des postkolonialen europäischen Menschen, der Menschen in anderen Erdteilen erklärt, wie sie am besten zu leben haben. Aber immer öfter kann ich meinen Mund nicht halten und muss ansprechen, was ich sehe und wie es auf mich wirkt. Natürlich kommt es sehr stark darauf an, mit wem ich es zu tun habe. Mit Kollegen kann ich ganz anders kommunizieren als mit Menschen, die ich nicht kenne.

Genderpolicy und Quotendenken – aber nur solange das Essen rechtzeitig am Tisch steht.

In der Arbeit wird gerade die genderpolicy final bearbeitet. Wir haben verschiedene policies zu Arbeitssicherheit, Kinderrechten und anderen topics. Würden Geldgebeorganisationen nicht nach den policies fragen, wären wir wahrscheinlich nicht so fleißig dabei, sie zu verfassen. Oft habe ich das Gefühl, Gendergerechtigkeit ist erfüllt, wenn zwei von vier Positionen mit Frauen besetzt sind, wenn wir gleichviele Männer und Frauen interviewen, wenn wir gleichviele Schülerinnen und Schüler zu Aktionen einladen. Mir ist schon klar, dass gesellschaftliche Veränderung viel Zeit braucht, aber ich denke, es ist wichtig, dass die Leute sehen, dass wir weit von Gleichstellung entfernt sein können, selbst wenn alle Quoten erfüllt sind. Es ist gut, auf Gleichgewicht zu achten, aber es muss auch klar sein, dass das nur ein Schritt zur Gleichstellung ist.

So erzählte mir ein Freund, der auch aus Deutschland kommt und in einer lokalen NGO arbeitet, dass ganz selbstverständlich die Frauen in der Organisation sich bei Events ums Essen kümmern, außerhalb ihrer Arbeitszeit und ohne extra Entlohnung. Bei mir ist auch die Sekretärin zuständig, meinem Chef das Essen zu bringen. Als dann Fatmata nicht da war und auch meine Kollegin nicht ins Büro kam, war mein Chef ganz verwirrt, weil wer bringt ihm denn dann heute sein Essen? Manche Aufgaben werden sehr klar nur an weibliche Teammitglieder gegeben. Ganz selbstverständlich.

Als wir vor ein paar Wochen in der Yawri Bay unterwegs waren, haben sich meine Kollegen auch immer sehr selbstverständlich an den Tisch gesetzt und gewartet, bis unsere Kollegin ihnen das Essen auf den Teller, den Teebeutel in die Tasse und das Wasser eingeschenkt hat. Bis ich dann einmal zu ihr sagte, dass sie die Kollegen nicht bedienen muss. Stimmt, hat sie dann gesagt und sich wieder hingesetzt. Da werden ganz viele erlernte Handlungsweisen abgespult. Es geht mir nicht darum, meinen Kollegen nicht den Tee vorzubereiten. Ich mache das auch. Aber nicht, weil es meine Aufgabe als Frau ist, sondern weil ich es gerne mache. Genauso wie ich mich auch freue, wenn jemand anders mich umsorgt. Ich habe mich aber jetzt entschieden, in diesen Fällen nicht mehr den Mund zu halten. Ich glaube ganz fest daran, dass wir als Gesellschaft stärker sind, wenn wir alle stark sind. Und dafür ist es wichtig, dass alle geben und nehmen können. Dass alle Hilfe anbieten, aber auch alle Hilfe akzeptieren können. Auf verschiedenen Ebenen. Und wenn meine Kollegin persönlich gestärkt und selbstbewusster aus unserer gemeinsamen Zeit herausgeht, wäre das ein Gewinn für sie persönlich und auch für die Organisation.

Einerseits heißt es immer Mal wieder „ladies first“ und wenn ich vom Workshop meine „schwere“ Tasche trage, bieten immer Kollegen an, die Tasche für mich zu tragen, weil das macht man so in der Kultur hier. Frauen tragen nicht schwer und Männer lassen sie keine schwere Arbeit verrichten. Ich kann in diesen Situationen leider beim besten Willen ein lautes Lachen nicht unterdrücken. Früher habe ich meinen Mund gehalten. Jetzt nicht mehr. Meine Kollegen frage ich dann immer, wer denn das Wasser auf dem Kopf nachhause trägt, wer das Feuerholz sammelt und teilweise weite Strecken trägt, wer die Klamotten wäscht, wer kocht, Mais und Casava stampft und die Kinder dabei immer am Rücken hat? Ich will damit nicht sagen, dass die Männer nicht körperlich schwer arbeiten. Aber oft wird gar nicht gesehen, was Frauen alles leisten. Teilweise zusätzlich zu einem Job im Büro, einem Verkaufsstand oder einem kleinen Restaurant. Meine Kollegen wissen dann nicht so genau, wie sie reagieren sollen. Es ist auch etwas gemein. Sie wollen höflich zu mir sein und ich konfrontiere sie mit der gesellschaftlichen Benachteiligung von Frauen. Meine Hoffnung ist, kleine Steinchen ins Rollen zu bringen. Insbesondere der Blick auf unbezahlte Arbeit im Haushalt ist ja ein Thema, das oft übersehen wird in der Diskussion um Geschlechtergleichstellung. Gleichstellung und Gleichbehandlung wird in Sierra Leone normalerweise als positiv bewertet. Ich bin mir aber nicht sicher, ob alle Männer wirklich alle Sphären des Lebens im Kopf haben, wenn sie darüber reden. Und auch viele Frauen haben in der Diskussion meist nur die Gleichstellung und Gleichbehandlung außerhalb der eigenen vier Wände im Kopf.

Ich bin kein Objekt!

Ähnliche Situationen wie die eben erwähnten, kennen die meisten. Was aber in Sierra Leone für mich hinzukommt ist die Behandlung von Frauen als wären wir Objekte. Oft fühle ich mich nicht als Subjekt wahrgenommen. Männer erheben Besitzansprüche, die ihnen absolut nicht zustehen. Das beginnt damit, dass Typen, denen ich in einem guten Moment meine Telefonnummer gebe, echt verärgert sind, wenn ich nicht antworte und noch besser: wenn ich mich nicht täglich von mir aus melde. Was bringt einen Menschen dazu, zu denken, dass ein fremder Mensch, der seine Nummer nur zögerlich herausgegeben hat, in der Pflicht ist, dir täglich guten Morgen zu wünschen? Ohne Aufforderung! Deshalb gebe ich jetzt meine Nummer nicht mehr heraus. Und erkläre auch immer weshalb. Das sorgt zwar manchmal für Verwirrung, aber das kann ich nicht ändern. Alleine die Tatsache, dass erwartet wird, dass ich meine Nummer mit jedem wortwörtlich hergelaufenen Mann teilen möchte, bedarf sehr viel Selbstbewusstsein und Standfestigkeit meinerseits, wenn ich sie nicht teilen möchte. Das ist für mich eine wunderbare Übung, zu lernen nein zu sagen. Männer sind es nicht gewohnt, ein nein zu hören und es zu akzeptieren.

In meinem letzten Beitrag habe ich schon anklingen lassen, dass ich während der Tage in den communities in der Yawri Bay immer wieder mit der für mich traurigen und krassen Lebensrealität der Frauen konfrontiert wurde. Angefangen hat es direkt am ersten Abend, als wir noch ein paar Beiträge am Fischstrand gedreht haben. Das ist der Strand in Tombo. Dort kommen die Fischer mit ihren Booten an, tragen ihren Fang an Land und die Frauen übernehmen ihn und verkaufen die Fische weiter. Männer können sich frei bewegen. Frauen müssen ihr Haar bedecken. Ohne Kopfbedeckung dürfen Frauen nicht an den Strand. Auf die Frage, weshalb das so ist, habe ich keine Antwort erhalten.

Als wir ein paar Tage später in der Nähe von Shenge nochmal am Strand waren, kam das Thema nochmal auf. Wir sind alle zusammen am Strand entlang gelaufen. Die Fischer, die da saßen und ihre Netze geflickt haben, haben uns auch gegrüßt beim Vorbeilaufen. Meine Kollegin hat sich dann irgendwann zu ein paar von den Fischern gesetzt, weil sie nicht so weit laufen wollte. Als wir sie am Rückweg wieder eingesammelt haben, war sie in einer Diskussion mit den Fischern. Sie hatte den Pulli von dem einen auf dem Kopf. Ihr war vorgeworfen worden, dass wir beide ohne Kopfbedeckung am Strand waren und ich hätte nicht einmal gegrüßt. Als Gast sollte ich mich doch an die lokalen Regeln halten. Wir haben das dann geklärt. Gegrüßt hatte ich nämlich! Dass wir auch dort den Kopf hätten bedecken müssen, wussten wir nicht. Wir waren ja nicht direkt an einem Fischstrand. Auf dem Weiterweg haben wir dann noch über die Situation und diese Regel diskutiert. Ich bin neben Woodie gelaufen. Er kommt aus der Gegend und arbeitet schon lange mit uns, setzt sich für die Mangroven ein und ist eigentlich im Umgang mit uns und anderen Frauen nicht respektlos oder so. Aber er sieht keine Diskriminierung in der Tatsache, dass Frauen ihren Kopf bedecken müssen und Männer nicht. Ich habe versucht zu erklären, dass es aus meiner Sicht sehr wohl diskriminierend ist, weil es eine Andersbehandlung ist, die eine bestimmte Personengruppe in ihrer Freiheit einschränkt. Das wurde von meinem Gegenüber nicht so gesehen. Ich habe auch versucht zu sagen, dass wenn niemand mehr den Grund für eine Regel oder eine Tradition kennt, es auch an der Zeit sein kann, diese Tradition zu überdenken.

Die Argumentation ist oftmals, dass das eben so ist in Afrika und in Afrika Tradition eben sehr wichtig ist und man das in Afrika nicht ändern kann. Wenn ich dann sage, dass wir in Europa auch sehr viele Traditionen haben und uns diese sehr wichtig sind, glauben mir die Leute nicht wirklich. Zu sehr ist das koloniale Bild von Afrika und seinen Menschen in die Köpfe zementiert. Immer wieder erschreckend. Europa wird als technisch und fortschrittlich wahrgenommen, Afrika als traditionell und unterentwickelt. Aber das ist ein anderes Thema. Dieses Selbstbild macht es gesellschaftlichem Wandel aber doppelt schwer. Wenn argumentiert wird, dass Wandel nicht möglich ist, ist es umso schwerer, ihn auch nur anzustoßen.

Als Woodie dann noch den Islam in die Diskussion brachte, habe ich die Diskussion abgebrochen. Ich fühle mich (noch) nicht in der Lage die Religion in Frage zustellen. Als Woodie begann mit dem Koran zu argumentieren, habe ich gesagt, dass ich nicht über Religion diskutieren möchte. Allerdings habe ich noch gesagt, dass ich glaube, wenn eine Frau Allahs Worte gehört hätte und sie aufgeschrieben hätte, würde im Koran manches anders stehen. Ob er verstanden hat, was ich damit sagen wollte, weiß ich nicht.

Schön fand ich in der ganzen Diskussion auch, als einer meinte, die Frauen würden auch diskriminieren, weil es einen besonderen Ort gibt, an dem alle die Schuhe ausziehen müssen. Auf meine Nachfrage, ob Männer und Frauen die Schuhe ausziehen müssen, wurde mit ja geantwortet. Dann ist es keine Diskriminierung, weil ja alle gleich behandelt werden, meinte ich. Ach so, stimmt.

Im letzten Beitrag habe ich schon kurz über die Toilettensituation in dem einen Dorf gesprochen. Die meisten Dörfer sind ähnlich aufgebaut. Es gibt eine Hauptstraße in der Mitte, die ein bisschen breiter ist und links und rechts davon sind dann die Häuser, manchmal gibt es auch noch Häuser in zweiter Reihe. Es gibt keine Teerstraßen. Der Untergrund der Straßen oder kleinen Plätze besteht aus  festgetrampeltem Lehm oder Erde.  In dem Dorf, in dem wir übernachtet haben, war das so ähnlich. Es gab einen kleinen Dorfplatz, mit einem großen Baum in der Mitte. Als wir angekommen sind, wurden Holzbänke und Stühle aus verschiedenen Häusern herbeigetragen, sodass wir uns hinsetzen konnten. Meist sitzen die Männer am Dorfplatz oder vor den Häusern. Die Frauen sitzen oft zusammen irgendwo anders. Manchmal gibt es eine Kochstelle, die mehrere Familien gemeinsam nutzen, manchmal hat jedes Haus seine eigene Kochstelle. Das ist immer ein bisschen unterschiedlich in den Dörfern. Es gibt alleinstehende Häuser und dann gibt es manchmal auch Häuser mit mehreren Zimmern, in denen dann mehrere Familien oder alleinstehende Männer wohnen.

In dem Dorf haben wir in einem Haus übernachtet, in dem mehrere Zimmer waren. Hinter dem Haus gab es eine überdachte Kochstelle und daneben war ein „Toilettenhäuschen“ mit drei kleinen Kabinen. Zwei Toiletten und eine Dusche. Bei der Dusche war ein Loch im Boden, damit das Wasser gut abfließen kann, bei den Toiletten ist meist noch etwas aufgemauert, so dass man sich gemütlich in der Hocke über das Loch setzen kann. Die Kabinen sind zu einer Seite offen. Die Öffnungen sind mit alten Reissäcken verhangen, die man herunterlassen kann, aber es gibt keine Türe oder so, die man zumachen kann. Auch die Reissäcke verdecken die Öffnungen nicht vollständig. Erst fand ich das voll komisch, da jede Person, die hinter der Kabine vorbeiläuft, mich sehen kann, während ich dusche oder mein Geschäft verrichte. Als ich ein bisschen nachgedacht habe, wurde mir klar, dass es gleichzeitig für mehr Sicherheit für die Frauen sorgt. Erstens ist das Toilettenhäuschen genau neben der Stelle, an der die Frauen kochen. Das heißt, dass eigentlich immer Frauen da sind und mitbekommen, wer da hingeht. Dadurch, dass alles offen ist, kann jeder und jede jederzeit hineinschauen und sehen, was passiert. Damit kann niemand eine Frau bedrängen oder ihr irgendwas antun, während sie am Klo ist oder während sie duscht. Als ich in der Dunkelheit nochmal aufs Klo bin, hat eine Frau sich einfach im Freien geduscht, neben der Kochstelle. Schwarzer Körper sieht man ja nicht in der Dunkelheit. Sie konnte im Freien duschen, direkt neben den anderen Frauen, und war zugleich geschützt. Mir ist da nochmal echt bewusst geworden, wie verletzlich und wie angreifbar die Frauen sind.

Noch ein weiteres kleines Beispiel zum Thema: Frauen sind Objekte. Ich bin mit meiner Kollegin und Woody in einem anderen Dorf von unserer Unterkunft zu den anderen gelaufen. Dann kommt ein alter Mann vorbei und spricht nur Woddy an. Das regt mich ja schon mal auf. Wenn ich nicht angesprochen werde, sondern über mich in meiner Anwesenheit gesprochen wird. Ich empfinde das als sehr verletzend und entmündigend. Der alte Mann spricht also nur Woody an und sagt dann auch noch „Du hast zwei Frauen, ich habe keine. Gib mir eine.“ Ich weiß nie, wie ich auf so etwas reagieren soll. Ich finde das unmöglich, total erniedrigend. Aber offensichtlich ist es total ok und normal. Es reagiert überhaupt niemand auf soetwas. Weder meine Kollegin, noch Woody. Wenn ich mir vorstelle, dass das Gleiche in Deutschland passieren würde… Ich kann mir das gar nicht vorstellen ehrlich gesagt. Wenn ich über all das nachdenke, wird mir immer bewusst, welch große Unterschiede es gibt in der Wahrnehmung von Frauen und dass sie in Sierra Leone eine ganz andere Stellung in der Gesellschaft haben als in Deutschland.

Als wir wieder in Freetown waren, kam Schwarbu, einer der Filmemacher nochmal bei uns im Büro vorbei, um uns das ganze Filmmaterial zu geben. Ich weiß gar nicht genau wie, aber irgendwie sind wir dann auch nochmal auf das Thema Frauen gekommen. Schwarbu hat erzählt, dass er in dem einen Dorf mit ein paar Frauen gesprochen hat. Die Frauen haben ihm erzählt, dass wenn die Männer vom Fischen kommen, erwarten sie, dass das Essen schon fertig ist. Wenn ich das richtig verstanden habe, hat die eine gesagt, einmal war das Essen noch nicht fertig und dann hat ihr Mann sie ins Feuer geschubst, also in die heißen Kohlen. Häusliche Gewalt ist Alltag hier für die meisten Frauen. Es ist sehr normal, dass Männer Frauen schlagen, auch wirklich schlimm schlagen man. Auch in Freetown sehe ich immer wieder mal Frauen mit blauen Flecken im Gesicht.

Die Frauen im Dorf haben auch berichtet, dass die Männer heimkommen, essen wollen und Sex wollen, aber es ist sehr egal, was die Frauen wollen. Die Frauen legen sich hin und lassen es über sich ergehen. Es gibt keine Zärtlichkeit, kein Miteinander. Es geht um Triebbefriedigung für den Mann. Die Bedürfnisse und Gefühle der Frauen spielen dabei keine Rolle. Obwohl die Frauen es einerseits gewohnt sind, dass über sie und ihren Körper bestimmt wird, sprechen sie mit einem fremden Mann über solche Themen. Das wiederum finde ich ganz spannend. Sie sind nicht ängstlich oder eingeschüchtert.

In der jüngeren Generationen ändert sich das Verhältnis oder auch die Beziehung zwischen Männern und Frauen. In der Stadt stärker und schneller als auf den Dörfern. Ich bekomme das mit, wie meine Kollegen über Frauen und Mädchen reden und über ihre Beziehungen zu ihnen. Im Gespräch sagen meine Kollegen, sie wollen nicht, dass ihre Töchter schlecht behandelt werden oder dass ihre Töchter irgendwann einen Mann haben, der keine Rücksicht auf ihre Gefühle und ihre Bedürfnisse nimmt.

Aber der Alltag für die Frauen in den Dörfern ist sehr stark fremdbestimmt durch Regeln, was sie zu tun und zu lassen haben, durch Regeln, was sie tragen dürfen und was sie nicht tragen dürfen, durch religiöse Regeln, aber auch durch kulturelle Regeln. Auch die Genitalverstümmelung ist ein extremer Eingriff in den Körper der Frau. Die Objektivierung der Frau, dass sie nicht als gleichberechtigtes Subjekt wahrgenommen wird, sondern als Objekt, mit dem Mann machen kann, was Mann will, das einem zu dienen hat, das keine eigenen Ansprüche und Bedürfnisse hat, die irgendwie erfüllt werden wollen. Das ist mir in diesen Tagen an denen wir unterwegs waren nochmal sehr schockierend bewusst geworden. Es ist nicht so, dass die Unterdrückung im Alltag ständig sichtbar ist. Viele Frauen treten auch in der Öffentlichkeit stark auf und diskutieren mit Männern lautstark. In der Stadt ist das normal, gerade in Freetown. In den Dörfern sieht man das nicht so sehr.

Das sind alles die kleinen und größeren Situationen, denen ich im Alltag begegne. Hinzukommt noch alles, was nicht auf den ersten Blick sichtbar ist. Ich weiß, dass wahrscheinlich über 90% aller Frauen mit Genitalverstümmelung leben. Aus meiner Sicht ist das eine Methode von Männern, um Frauen zu unterdrücken, ihnen Lust an ihrem Körper zu nehmen und sie einzuschränken. Ich weiß, dass die Mädchen, die kaum alt genug aussehen, um schon ihre Menstruation zu haben und dennoch mit dicken Babybäuchen herumlaufen, sich bestimmt nicht freiwillig und bewusst für Sex und Schwangerschaft entschieden haben. Es ist mir klar, dass das Mädchen, das mit 14 in der vierten Klasse noch nicht den eigenen Namen buchstabieren kann, wahrscheinlich auch nicht viel über ihre eigenen Rechte weiß. Was bringen Billboards an den großen Überlandstraßen mit Aufschriften wie „Education is my right. Marriage is my choice.“, wenn diejenigen, um die es geht weder lesen können, noch Englisch sprechen noch jemals soweit aus ihrem Dorf kommen werden, um auch nur in die Nähe des Billboards zu kommen? Aber gut, irgendwo muss man anfangen.

Ich merke, dass meine (jüngeren) Kollegen anders ticken. Es ist ein sehr großer Unterschied zwischen Stadt und Dorf und auch der Bildungsgrad macht in meiner Wahrnehmung einen sehr großen Unterschied, wie Frauen und Mädchen wahrgenommen und behandelt werden. Bildung, Vorbilder, Austausch sind wohl wie immer die wichtigsten Treiber für Veränderung und Wandel.

Wenn ich mir bewusst mache wie Mädchen in den Dörfern in Sierra Leone aufwachsen und bestimmt auch immernoch in den Städten, empfinde ich sehr sehr große Dankbarkeit, dass ich anders aufwachsen durfte, dass ich nicht das Gefühl hatte, anders behandelt zu werden, weil ich ein Mädchen bin; dass ich das Gefühl habe, egal ob als Kind als Jugendliche oder jetzt als Erwachsene, dass Männer mich zwar vielleicht anders behandeln als sie andere Männer behandeln würden, aber sie behandeln mich nicht als Objekt über das sie bestimmen können, das sie besitzen können, sondern ich habe das Gefühl, ich werde als Mensch wahrgenommen. Dass das nicht selbstverständlich ist, ist sehr schmerzhaft für mich. Ich finde es wirklich sehr schlimm das anzusehen und nicht viel tun zu können. Wie krass auch, dass ich Dankbarkeit empfinde, für etwas, das normal sein sollte…

Es ist nicht so, als ob das Thema Benachteilung und Unterdrückung von Frauen mir nicht schon vorher begegnet wäre, aber ich hatte einfach überhaupt gar keine Kapazitäten, mich mit einem so großen Thema zu beschäftigen. Da war so viel, was ich verarbeiten und verstehen musste, um im Alltag klarzukommen. Ich merke, jetzt ist der Alltag gerade für mich nicht mehr anstrengend in Sierra Leone. Das ist ein ganz wunderschönes Gefühl. Nach eineinhalb Jahren bin einfach da und es ist gut und es geht mir gut. Jetzt habe ich Kapazitäten frei, um tiefer in den gesellschaftlichen Alltag einzutauchen und stehe wohl eher vor der Herausforderung wie ich mit all den Ungerechtigkeiten umgehe, in die ich nun noch tiefer eintauchen werde.

Was ich heute geschrieben habe, hört sich streckenweise sehr crass an, habe ich gemerkt, als ich den Text nochmal gelesen habe, bevor ich ihn veröffentliche. Die Realität ist leider manchmal sehr hart. Ich möchte das gar nicht abschwächen. Ich möchte nur sagen, dass ich auch sehr oft sehr viel Wertschätzung wahrnehme zwischen den Geschlechtern und der Alltag nicht immer und von allen Frauen von Benachteiligung und Unterdrückung geprägt ist. Aber es gibt dennoch viele Situationen, in denen ich eine Schieflage wahrnehme und diese nicht akzeptieren möchte. Vielleicht wird das mein Ding fürs neue Jahr. Für mich lernen, wie und wann ich meinen Mund aufmache, um Situationen für mich selbst, aber vor allem auch für andere zu verbessern.

In diesem Sinne wünsche ich euch allen Kraft und Weisheit für das neue Jahr. Es gibt doch diesen einen Spruch „Gebe mir die Gelassenheit, das zu akzeptieren, was ich nicht ändern kann, die Kraft, das zu verändern, was ich ändern kann und die Weisheit, zwischen beiden zu unterscheiden.“ Ich bin mir sicher, wir können viel mehr verändern, als wir denken. Wir brauchen dafür bestimmt sehr sehr viel Kraft. Aber ich bin mir auch sicher, dass es sich lohnt. Ich wünsche mir und uns allen für das neue Jahr ganz viel Kraft und Weisheit, damit wir Situationen, die nicht akzeptabel sind, verändern können.

Into the Mangroves – oder was von ihnen übrig ist

Seit knapp einer Woche bin ich wieder zurück von meiner letzten Video-Reise. Dieses Mal ging es in die Yawri Bay, südlich der Peninsula, um unsere Arbeit in den Mangrovenwäldern zu dokumentieren. In den communities, die wir besucht haben, bin ich so oft mit dem Frauenbild hier konfrontiert worden, dass ich eigentlich darüber berichten wollte. Aber Hannah meinte, ich soll euch erst mal ein paar schöne Bilder von den Mangroven zeigen und dann in meinem nächsten Post vom Frauenbild erzählen. Die meisten Fotos, die ihr heute sehen werdet, sind von Schwarbu, einem der Filmemacher. Mein Handy hat leider die eine Bootsfahrt nicht überlebt, so dass jetzt auch meine Fotos alle nicht zugänglich sind. Deshalb gibt es jetzt doch nicht so viele Bilder für euch, wie geplant.

Tombo – Fischerdorf mit night live Character

Unser Ziel war, wie eben schon erwähnt, die Yawri Bay. Wer sind wir? Dieses Mal war ich mit meiner Kollegin Mariama, meinem Kollegen Dauda, den zwei Filmemachern Alba und Schwarbu und Woodie, unserem Kontakt in Tombo unterwegs. Die Yawri Bay ist südlich der Peninsula; von Freetown etwas mehr als eine Stunde Autofahrt entfernt, liegt Tombo, eine Fischer-community. Von hier aus sind wir in die Mangroven gestartet, die die Landschaft in der Yawri Bay bestimmen.

Tombo ist eigentlich nicht sonderlich groß, aber witzigerweise gehen die Leute aus Bureh (das Örtchen mit schönem Strand) nach Tombo zum Partymachen. Unlängst war da zum Beispiel eine jersey Party. Jersey werden hier die Fußballtrikots genannt. Es war also eine Party, bei der alle die Trikots ihres Lieblingsvereins trugen. Ziemlich witzig, wie ich finde.

Bevor wir nach Tombo los sind, wollten wir eigentlich im Büro noch drei Interviews machen für unseren Image-Film. Natürlich waren dann aber alle drei Personen nicht da, die wir interviewen wollten, obwohl sie am Vortag noch zugesagt hatten. Naja, ich rege mich gerade gar nicht mehr auf über so etwas.

In Tombo haben wir zuerst ein paar Videos und Interviews am Strand gemacht, wo die ganzen Fischerboote ankommen. Es ist unglaublich laut und ein ziemliches Gewusel. Die Männer kommen mit ihren Booten an und transportieren die Fische in Eimern und gelben, oben aufgeschnittenen Kanistern an Land, wo schon die Frauen warten, die den Fisch abnehmen. Die Männer fahren aufs Meer und fischen, die Frauen verarbeiten ihn weiter, trocknen ihn und verkaufen ihn. Den ganzen Strand entlang sind die Fischernetze ausgebreitet und werden von den Fischern direkt geflickt, bevor es am nächsten Tag wieder auf´s Meer geht.

Ich habe immer das Gefühl, dass es in den Fischer-communities etwas rabiater zugeht. Aber das Leben ist auch echt ein hartes für die Fischer.

Ein Interview haben wir auch mit der Vorsteherin der Frauengruppe gemacht, die den Fisch trocknet. Ich persönlich stehe ja gar nicht auf den getrockneten Fisch. Nicht nur, dass er nicht so gut riecht, er schmeckt mir auch nicht so gut. Ich sehe aber ein, dass der Fisch irgendwie haltbar gemacht werden muss, damit er nicht sofort schlecht wird, bei den Temperaturen hier. Normalerweise wird der Fisch über Mangroven-Feuer getrocknet. Manche communities nehmen auch Kokosnussschalen oder anderes Holz. Unser Ziel – und das von anderen Organisationen – ist, die communities dazu zu bewegen, keine Mangroven zu nehmen und möglichst effizientere Öfen zu verwenden, die weniger Holz brauchen und zugleich weniger Rauch absondern. Das ist eine win-win-Geschichte: gesündere Arbeitsumgebung für die Frauen und weniger Bäume müssen abgeholzt werden. Die Frauen in Tombo haben so einen effizienteren Ofen. Eigentlich hätte es hier jetzt Fotos gegeben, aber siehe oben…

Noch ein kleiner Teaser auf den nächsten Beitrag zum Thema Frauen – Männer: Männer können an den Strand ohne Einschränkungen, Frauen müssen ihr Haupt bedecken. Weshalb, kann niemand sagen. Tradition… Ich reagiere ja immer etwas empfindlich, wenn mir Regeln aufgedrückt werden, deren Sinn ich nicht erkennen kann.

Abends sind wir dann zum Abendessen noch rauf zur Hauptstraße, wo es lecker Acheke gab und danach saßen wir noch kurz vor unserem guesthouse. Dort wurde mit einem sehr coolen selbstgebauten Flipper gespielt. Auch hier gilt: Fotos gibt es dann ein anderes Mal 😉

Ich dachte noch, schön, ein paar Tage raus aus der Stadt und ruhige Nächte. Nichts da. Tombo ist wirklich sehr lebhaft. Unglaublich wie viel Lärm Leute machen können, wenn sie nur auf der Straße rumsitzen und sich unterhalten. I love it!

Why to protect the mangrove?

Mangroven sind super wichtig. Sie sind die breeding areas für Fische. D.h. die Fische laichen dort und die kleinen Fische können in den Mangroven etwas geschützt vor großen Raubfischen heranwachsen. Werden die Mangroven abgeholzt, haben die Fische keine Laichgegend mehr, wodurch es weniger / keine Fische mehr gibt. Die fishing-communities, die die Mangroven abholzen, sägen also auf dem Ast, auf dem sie sitzen. Aber gleichzeitig brauchen sie das Holz zum Kochen und Fischtrocknen.

Die Mangroven schützen vor Erosion. Sie fungieren quasi als Schutzwall gegen das Meer, das immer versucht, Sand und Land wegzutragen. Sie sind unglaublich wichtig, um den Klimawandel aufzuhalten, da sie sehr viel CO2 binden. In den Mangroven gibt es einzigartige Ökosysteme, Tiere und Pflanzen. Es gibt super viele Vögel. Innerhalb von wenigen Minuten sahen wir verschiedene king fisher, Reiher, Flamingos, Turacos und und und. Die Tiere, die ich ja am coolsten finde, sind nicht Krabben. Wobei ich die schon ziemlich cool finde. Nein, es sind diese komischen Tiere, die halb Fisch – halb Landlebewesen sind. Ein Blick zurück in die Evolution. Sie sehen ein bisschen aus wie gräuliche Nacktschnecken, die aber auch hüpfen können, mit Glubschaugen. Ich kann die ewig beobachten.

Und zu guter Letzt: die Mangroven sind einfach wunderschön!

Auf den Fotos bekommt ihr ein paar Eindrücke von den intakten Mangrovenwäldern, aber auch von der Zerstörung. Viel ist schon zerstört. Wir sind ganz lang an zerstörten Mangroven vorbeigefahren, aber auch an ein paar Wiederaufforstungsstellen. Die meisten Fotos wurden bei Ebbe gemacht, deshalb sind die Wurzeln so weit aus dem Wasser. An den Wurzeln seht ihr Austern. Die kann man da einfach „abpflücken“.

Wir haben ein Projekt hier in der Bucht, um die verblieben Mangroven zu schützen. In den letzten zwei Jahren haben ein Kollege und eine Kollegin hier mit den communities gearbeitet, By-laws entwickelt und eco-guards ausgebildet, um das sensible Ökosystem zu schützen. Von Tombo aus waren wir drei Tage mit dem Boot unterwegs, um diese Arbeit und die Gegend zu portraitieren.

Am ersten Morgen haben wir gemeinsam mit den Fischern den Hafen von Tombo verlassen und sind los in die Bucht. Unterwegs haben wir andere kleine Boote getroffen, aber auch das Linienboot (das ist auf dem einem Foto zu sehen). Wir selbst waren nicht mit einem Holzboot unterwegs, sondern mit einem Speedboot. Das seht ihr auf dem einem Foto. Während der kleinen Reise waren wir in verschiedenen communities und haben Interviews mit eco-guards, Fischern, Fisch-Trocknerinnen usw gemacht.

Was soll ich sagen. Die Fotos sprechen für sich. Ich finde es unglaublich toll, mit dem Boot durch die Mangroven zu fahren, die Tiere zu beobachten, manchmal fahren wir auf breiten Flüssen, manchmal sind es ganz enge Wasserstraßen und dann landen wir auf einmal in einer Sackgasse im Schlick und gehen die letzten Schritte bis zu den Palmen durch schlammigen Untergrund.

Wir sind ja wie gesagt mit dem Speedboot unterwegs. Der Motor macht ziemlich Lärm und passt so gar nicht in die ruhige Natur. Achso, und ich sehe natürlich total bescheuert aus mit meiner Kappe und meinem Handtuch als Sonnenschutz. Dafür habe ich den anderen erklärt, was es heißt, wenn man Sonnenbrand hat. Again what learned.

Bei den videos wird manchmal nur der Ton angezeigt. Das ist natürlich nicht der Sinn der Sache. Falls das bei euch der Fall ist, probiert mal nen anderen Browser.

Ich finde es immer wieder beeindruckend, wie sehr der Wasserstand sich ändert zwischen Ebbe und Flut. Wenn man durch die Mangroven reist, ist es wichtig, die Gezeiten im Blick zu behalten. In der einen community, in der wir übernachtet haben, hat uns unser Bootsmann abgesetzt und hat sich dann wieder auf den Weg gemacht. Erstens, damit er noch rechtzeitig wieder zurück in tiefere Gewässer kommt und dann auch, weil es das erste Mal war, dass ein Motorboot dort war und der Bootsmann und unser Kontaktmann meinten, die Dorfleute würden Juju machen mit dem Boot, wenn es über Nacht bleibt.

Der Weg in diese community war echt strange. Am Ende gab es weit und breit keine Mangroven mehr. Kaum vorstellbar, dass hier jemals Mangroven waren. In den 80er Jahren hatten die Leute angefangen, die Mangroven abzuholzen, um Salz zu gewinnen. Für die Salzgewinnung wird irgendwie der Salzstaub eingesammelt, der wird auf Haufen gesammelt und mit Palmblättern bedeckt, dass der Wind ihn nicht forttragen kann. Dann wird der salt dust in Wasser aufgelöst und durch Schlamm gefiltert. Das Wasser wird aufgefangen und kommt dann auf eine Metallplatte, unter der Mangroven ein Feuer schüren, das das Wasser verdampfen lässt. Übrig bleibt Salz. Es ist super aufwendig und nicht wirklich ökonomisch. (Fotos folgen auch hier 😉 ) Davon konnten sie nicht wirklich leben, deshalb haben sie dann noch mehr Mangroven abgeholzt, um Landwirtschaft zu betreiben. Aber der Reis wächst nicht so super auf dem Boden und mit dem Salzwasser. Zugleich wird der Fluss immer kleiner und es können jetzt nur noch ganz kleine Boote bis zum Dorf fahren. Früher konnten auch die größeren Fischerboote, wie wir sie aus Tombo kennen, bis zum Dorf.

Die komplette Landschaft ist verändert. Ohne das Wissen, dass hier mal Mangroven waren, hätte ich das nie gedacht. Es sah trotzdem sehr malerisch aus. Mit den Reisfeldern, den Wasservögeln und den Palmen. Da seht ihr mich im Stechschritt ins Dorf einlaufen. Ich muss unbedingt an meiner Performance arbeiten…

Die Dörfer sind aufgebaut, wie Dörfer eben so aufgebaut sind. Es gibt eine Hauptstraße an der die meisten Häuser stehen, manchmal gibt es noch Häuser in zweiter Reihe. Die Häuser haben oft keine eigenen Toiletten. Es gibt dann oft so kleine Toilettenhäuschen, mit zwei bis drei Kabinen. Die Klohäuschen sind oft am Rand, neben der Stelle, an der die Frauen Kochen und die Kabinen sind oft in eine Richtung offen. Was es damit auf sich hat, erzähle ich im nächsten Beitrag.

Sehr ärgerlich. Ich sehe gerade, ich habe gar keine Fotos aus den Dörfern. Das nächste Mal werde ich bewusst eine Fotoreihe nur zum Thema Dorfleben machen.

Wenn wir unterwegs in den communities sind, gibt es manchmal guesthouses und manchmal schlafen wir in Zimmern, in denen eigentlich Leute wohnen. Das ist dann immer etwas strange, weil man einfach im Bett eines fremden Menschen schläft, alle seine Sachen um einen herum. Aber gut, so ist das dann also. Wieder war es nichts mit der ruhigen Nacht fern der Großstadt. Dieses Mal wurde ich erst von einem Kind geweckt, das anscheinend nicht müde war und dann hat um halb fünf schon der Muezzin zum Gebet gerufen. Zack und schon ist die Nacht vorbei.

Guru Guru, Blut ist im Schuh – oder eher in der Hose

Jede Frau hatte wohl irgendwann in ihrem Leben einmal diese Situation. Du gehst ganz entspannt aufs Klo, denkst dir nichts Schlimmes, putzt dich ab, dein Blick geht noch mal Richtung Klopapier und du denkst dir: F**K! Das sieht mir verdammt nochmal danach aus, als hätte ich gerade meine Tage bekommen und ich bin absolut nicht vorbereitet. Ich hatte netterweise genauso eine Situation als ich in Mochil morgens ins Toilettenhäuschen bin. Klopapier hatte ich mir auf die Reise mitgenommen, weil ich schon dachte, dass es nirgends Klopapier geben wird, wieso nur hatte ich nicht am Schirm, dass ich auch meine Tage bekommen würde??? Ich schlendere also am Freitagmorgen zum Toiletten-/ Duschhäuschen, meine Kollegin sitzt schon in der Hocke in der Duschkabine, ich also nebenan über das Loch im Boden, um meine Blase zu leeren und dann eben dieser Moment. Ich sofort zurück ins Zimmer. Stirnlampe aufgesetzt (die Zimmer sind immer sehr dunkel, wahrscheinlich, um die Hitze draußen zu halten) und durchsuche alle Taschen. Rucksack, Tasche, Umhängetasche, weit und breit kein Tampon in Sicht. Ich dachte mir noch, das gibt es doch nicht. Irgendwo fliegt doch immer noch eines rum. Aber nein. Offensichtlich hatte ich vor Kurzem die blöde Idee, meine Taschen auszuräumen. Das werde ich nie wieder machen! Ich also wieder zurück zum Klohäuschen, meine Kollegin immer noch bei der Morgenwäsche. Ich glaube, ich war ihr noch nie so dankbar! Als ich sie fragte, ob sie vielleicht Binden dabeihätte, antwortete sie mit einem Ja. Ich hätte sie knutschen können! In meinem Kopf habe ich schon überlegt, was ich machen würde. Es war Freitagmorgen, ich wäre frühestens am Samstagnachmittag zuhause. Also mehr als 24 Stunden hardcore bluten, ohne Tampon oder Binde. Da wäre sehr viel in die Hose gegangen. Aber so habe ich einfach nur unendliche Dankbarkeit verspürt. Und nachdem ich dann am Samstagnachmittag wieder zuhause war und endlich wieder von Binden auf Tampons umsteigen konnte, war ich nochmals sehr dankbar. Dabei waren es nur etwas mehr als 24 Stunden – okay, ohne richtige Toilette, Wasser und Damenhygieneprodukte. Alle Frauen, die ich in den Tagen in der Yawri Bay getroffen habe, alle Frauen, auf meinen Reisen in die Dörfer, all diese Frauen, machen das einmal im Monat für mehrere Tage durch. Sie nutzen Stofflappen, Blätter, alles was saugt. Ich habe mal wieder gemerkt, wie verdammt einfach mein Leben ist, nur weil ich andere Damenhygieneprodukte zur Verfügung habe. Aber zum Thema Frauen und ihren Alltag, gibt es ja das nächste Mal mehr.

Kann ein Tag schlecht sein, der mit einer Okada-Fahrt über die Dörfer startet?

Nach dem Frühstück – das eigentlich sehr ähnlich dem Abendessen ist – also Reis mit Fisch und Soße, wie gewohnt, alles auf einem großen Tablett, von dem wir alle gemeinsam essen – ging es auf die Motorräder. Unseren Bootsmann würden wir ein paar Dörfer weiter treffen. Zu uns konnte er wegen Ebbe nicht kommen, um diese Uhrzeit. Was soll ich sagen. Ich liebe es ja eh, mit den Okadas zu fahren. Aber morgens, über die Dörfer, durch dichten Wald – I love it!!! Auch diese Fotos sind leider, leider nicht da 🙁

Von Samu aus ging es dann wieder mit dem Boot weiter. Unser Boot hat schon gewartet, ihr seht es auf dem Foto. Dort ist auch die „Bootshalte“ für die Linienboote Richtung Tombo.

Leider hat uns draußen in der Bucht dann das schlechte Wasser erwischt, so dass wir alle ziemlich bald vollkommen durchnässt waren. Zweimal sind wir auch auf Sandbänken aufgelaufen. Die Fahrt war etwas abenteuerlich. Leider war der Wasserstand zu niedrig. Deshalb sind wir auch nicht nah genug an die Flamingos und die anderen Wasservögel herangekommen. Es ging erst einmal noch auf Plantain Island. Das hört sich um einiges schöner an, als es ist. Es war ziemlich deprimierend auf Plantain. Vielleicht wegen des Wetters. Es war bewölkt und superwindig. Wir waren patschnass und ich habe gefroren wie lange nicht mehr.

Plantain Island war früher vollkommen bewaldet. Nun ist fast nichts mehr vom Wald übrig. Die Insel ist super klein. Die Häuser sind ganz eng aneinandergebaut. Es sieht eigentlich aus, wie ein Flüchtlingscamp. Ganz viele Planen, die als Wände dienen, enge Gassen.

Die Kinder waren mehr als aus dem Häuschen, ein Opoto zu sehen. Mich also. Einen weißen Menschen. Ich habe dann irgendwann gesagt, dass nur die Mädchen mich anfassen dürfen. Es waren zu viele Kinderhände. Die Kinder schubsen sich dann auch immer irgendwann gegenseitig weg. Meine Kollegen haben mich weggeschickt, weil die Kinderschar um mich so laut war, dass wir nicht filmen konnten. Also bin ich in einer riesigen Traube von Kindern etwas abseitsgegangen, während die anderen das Interview mit den wood cuttern gemacht haben. Seitdem es auf Plantain kaum mehr Holz zum abholzen gibt, dient die Insel als Umschlageplatz für Holz.

Ich habe eigentlich nichts dagegen, wenn Menschen mich anfassen und anschauen. Ich verstehe es, dass es super interessant ist, wenn man das erste Mal im Leben jemanden sieht, von dem man nur gehört hat. Die Erwachsenen fassen mich natürlich nicht an. Die schauen aus der Ferne. Aber die Kinder haben nicht so viele Berührungsängste. Ich finde es auch okay, wenn Kinder neugierig sind. Sie sollen lernen, dass sich meine Haut so anfühlt, wie ihre und dass wir alle gleich sind. Nur meine Haare sind anders. Darauf haben wir uns geeinigt. Ein paar Mädels waren wirklich sehr putzig. Mit denen konnte ich auch ein bisschen reden. Sie haben ein bisschen was von meinem schlechten Krio verstanden. Die Leute in den communities hier – außerhalb von Freetown und von der Peninsula sprechen Timne oder Shebro. Irgendwann war es mir aber dann doch zu viel. Es war ja so windig, ich komplett nass bis auf die Haut, es war bitterkalt und meine Binde war spürbar vollgesogen. Ich konnte nicht spüren, ob voller Blut oder voller Meerwasser. Auf jeden Fall war es körperlich kein so entspannter Besuch auf Plantain.

Die beiden kleinen Nachbarinseln, Monkey Island und die Vogelinsel, sind dafür umso schöner. Sie sind sehr, sehr klein. Die Vogelinsel ist eigentlich eher nur ein großer Felshaufen, auf dessen Mitte in Baum steht. Monkeyisland hat einen kleinen superschönen Strand und ist voll bewaldet. Ist aber bestimmt nicht mal so groß wie ein halbes Fußballfeld, wenn überhaupt. Ich konnte leider keine Fotos machen, wegen Wetter und so. Aber am nächsten Tag haben wir die Drohne nochmal losgeschickt.

Wir waren alle froh, als wir nach einer weiteren kurzen Fahrt in Shenge gelandet sind, eine warme Dusche und Essen auf uns wartete. Ich war eigentlich echt müde und fertig. Ich hatte es mir schon auf der Veranda des guesthouses bequem gemacht, da wollten die verrückten Kollegen echt nochmal los. Na gut. Dann eben nochmal los. Also wieder rauf aufs Okada und ab über die Sandpisten. Die Wege, die die Dörfer hier verbinden, sind wirklich nur für Motorräder passierbar. Oder eben zu Fuß. Aber Autos haben hier keine Chance. Viel zu schmal alles.

In Shengue gibt es eine richtige Fischverarbeitungsfabrik inklusive Kühlhalle, Anlegesteg und allem drum und dran. Finanziert mit internationalen Geldern, für die communities. Insgesamt gibt es meines Wissens vier solche Anlagen in der Yawri Bay. Alle stehen leer. Nachdem sie fertig gestellt waren, hat die Regierung sie „übernommen“, um sie zu verkaufen. Aber anscheinend klappt das nicht. Jetzt stehen die einfach leer und werden nicht genutzt, obwohl sehr viel Geld dafür ausgegeben wurde. Und die community hat nichts davon. Immer wieder Alltags-Irrsinn hier.

Ein paar communities weiter sind wir dann am Strand entlang, zum Ende der Yawri Bay. Ein Teil des Strandes war offensichtlich die öffentliche Toilette, aber die hatten wir dann irgendwann hinter uns gelassen. Wenn man den Plastikmüll, der von den Wellen angeschwemmt wird, ausblendet, dann war es ein absoluter Traumstrand. Kilometerlang, weißer Sand, Palmen hängen Richtung Meer, ab und an ein Fischerboot und wieder ein paar Kinder, die mir fleißig beim Muschelsammeln helfen. Ganz am Ende des Strandes, die Fischerboote hatten wir hinter uns gelassen, ein wahres Naturparadies. Vogelschwärme fliegen durch die kleine Lagune, nur die Wellen rauschen und einfach bezaubernde Natur. Wow. Das einzig Störende wie gesagt, der Plastikmüll aus dem Meer.

Happy me!   

Was ein Glück ich auch habe. Da fahre ich tatsächlich ein paar Tage durch die Mangroven, darf Zeugin atemberaubender Natur zu sein, treffe Menschen, die mir mit Freundlichkeit und Lächeln begegnen und darf das auch noch Arbeit nennen. So gerne würde ich manchmal einfach alles filmen, um es euch zu zeigen. Der giftgrüne Riesenteddy, der auf der zerschlissenen Ledercouch liegt, während im Fernsehen eine Soap aus Nigeria läuft, die afrikanische Mama uns noch einen Abendtee anbietet, während ein paar Häuser weiter anscheinend eine Techno-Disko gerade eröffnet hat.

Nach sehr vollen drei Tagen, mit sehr vielen neuen Eindrücken und so viel neuem Wissen, ging es dann am Samstagvormittag wieder zurück nach Tombo und von dort nach Freetown. Unterwegs haben wir noch ein paar Fischerboote angefahren, um frisch gefangen Fisch zu kaufen.

Es ging zurück in den Alltag und ab aufs Thoa Festival am Cockel Point Beach. Der Elektro-Party des Jahres.

Aber einige der Begegnungen in der Yawri Bay haben noch lange nachgewirkt. Insbesondere die, die mich mit dem Frauenbild konfrontiert haben. Am Montag haben wir auch im Büro nochmal darüber gesprochen. Euch erzähle ich das nächste Mal davon. Heute ja mal wieder ein paar Bilder und nature für euch 😊

Und hier noch eines meiner Favourites. Als wir mal wieder auf einer Sandbank aufgelaufen waren, musste der Bootsmann, Woodie und Dauda aussteigen, um uns wieder zu befreien. Ich finde, es sieht eher so aus, als würde er mit seinem Boot Gassi gehen…

Rassismusgespräch am Pool

Heute geht es nicht um meine Lebensrealität in Sierra Leone, sondern um die Lebensrealität in Deutschland. Letzten Sonntag bin ich, nachdem ich den Blogartikel gepostet habe, noch zu Freunden von Maria an den Pool. Ganz unverhofft bin ich dann in ein Gespräch über Rassismus in Deutschland geraten.

Es gibt keine menschlichen Rassen

Bevor ich weiter in meinen Sonntagabend einsteige, möchte ich noch einen kleinen Exkurs in den Sprachgebrauch des Begriffs „Rasse“ machen. Der Begriff ist wissenschaftlich nicht auf die menschliche Gattung anwendbar. Ursprünglich wurden Menschen entsprechend ihres Phänotypus (ihres äußeren Erscheinungsbildes) in verschiedene „Rassen“ eingeteilt. Es gibt aber keine klaren Trennlinien. Außerdem gibt es keine genetischen Belege für unterschiedliche menschliche Rassen. Die durchschnittlichen genetischen Unterschiede zwischen den Menschen verschiedener Phänotypischer Gruppen sind geringer als die zwischen den Individuen innerhalb der einzelnen Phänotypischen Gruppen. Und dann wissen wir alle, dass es keine klar abgrenzbaren phänotypischen Gruppen gibt. Ich möchte deshalb sehr klar betonen, dass ich hier nicht von „Rassen“ spreche, sondern von Rassismus.

Im englischen Sprachgebrauch wird der Begriff „race“ dennoch verwendet. Hier hat er aber auch inhaltliche Bedeutung.

Rassismus verletzt

Rassismus ist eine Ideologie oder eine Denkweise, die Menschen aufgrund äußerlicher Merkmale und negativer Fremdzuschreibungen, z.B. auf Grund von Herkunft, Aussehen und weiteren Attributen, diskriminiert. Rassismus erleben meist Menschen, die anders aussehen, als die Mehrheitsgesellschaft oder als die Gesellschaftsgruppe, die die meiste Macht hat. Menschen werden einer Gruppe zugeordnet, der negative Eigenschaften zugeschrieben werden.

Rassismus verletzt. Er verletzt nicht nur durch körperliche Gewalt, sondern auch durch Worte, Blicke und die Andersbehandlung von Menschen. Und damit kommen wir zurück zu meinem Gespräch letzte Woche.

„Ich bin froh, dass ich nicht in Deutschland aufgewachsen bin.“

Nachdem ich letzte Woche meinen Blogbeitrag fertig hatte, bin ich mit dem Keke zu Omar, einem Freund von Maria. Wir waren dort mit Judy, seiner Schwägerin und noch einer Nachbarin im Pool. Ganz entspannter Sonntagabend also. Später kamen noch zwei weitere Gäste. Mir wurde schon ein deutscher Gast angekündigt.

Sie kam dann auch, aber war anscheinend etwas genervt, dass Judy ständig meinte, wir sollen doch Deutsch reden, wir sollen doch Deutsch reden… Ihre Mutter ist Deutsche, der Vater aus Sierra Leone. Später am Abend haben wir uns dann noch etwas eingehender unterhalten, wobei ich irgendwann eigentlich das Gefühl hatte, sie wollte einfach einmal loswerden, wie rassistisch sie in Deutschland behandelt wird und wie unwohl sie sich immer fühlt, wenn sie ihre Mutter besucht.

Amina (ich habe den Namen geändert, weil ich finde ihre Erlebnisse sind sehr persönlich) ist 46 Jahre. Sie ist nicht in Deutschland aufgewachsen, hat dort aber ihre Ausbildung gemacht und fliegt jedes Jahr zweimal nach Deutschland zu ihrer Mutter. Amina erzählte von ihrer Großmutter, die allen Enkelkindern immer etwas Geld gegeben hat, ihr und ihren Geschwistern aber nicht. „Das sind doch afrikanische Kinder“, hat sie wohl gesagt. Wenn das mal nicht sehr tief innen drin verletzt. Natürlich reflektiert man das nicht als Kind, aber ich frage mich:

Weshalb sind die Kinder „afrikanisch“, nur weil ein Elternteil aus Afrika stammt. Weshalb sind sie nicht „europäisch“, weil ja auch ein Elternteil aus Europa kommt? Und weshalb ist das sofort negativ konnotiert?

Amina gehört hier ganz klar zur reichen Bevölkerungsschicht. Sie hat in Hamburg im Kempinski geheiratet. Ich kenne nicht so viele Leute, die sich das leisten können. Trotzdem sagt sie, wird sie bei allen Deutschlandbesuchen immer skeptisch beäugt. Menschen aus Afrika haben arm zu sein. Sie sind nicht reich! Und wenn sie doch reich erscheinen, dann stimmt da etwas nicht. Woher haben sie das Geld und wie können sie sich das leisten? Diese ständige Konfrontation mit negativen Zuschreibungen und Stereotypen, ist nicht nur super unangenehm, sondern auch wieder verletzend und anstrengend.

Während Ebola hat Amina ihre ältere Tochter auf einer Schule in Deutschland eingeschrieben. Auch das war nicht einfach. Die Tochter war so froh, als das Schuljahr vorbei war und sie wieder zurück nach Sierra Leone konnten. Ständig die andere zu sein, die exotische, und dann noch blöde Sprüche hören zu müssen – egal ob sie als Scherz gemeint sind oder nicht. Ich habe es nicht für möglich gehalten, dass es echt Menschen gibt, die Sachen sagen wie „Iss doch mal mehr weiße Schokolade, dann wir deine Haut heller.“ Erstens ist das natürlich absoluter Quatsch und zweitens, wieso sollte die Haut denn heller werden?

Ich finde es ganz furchtbar, dass Menschen solchen Situationen ausgesetzt sind. In meinem Land. In dem Land, in dem ich mich immer sicher fühle. Und dann höre ich immer wieder von Menschen, dass es Gegenden gibt, in die sie lieber nicht gehen. Dass sie sich super unwohl fühlen in Deutschland. Und oftmals ist es auch ihr Land, das Land in dem sie geboren und aufgewachsen sind.

Wir haben uns dann auch noch darüber unterhalten, dass die Situation für Amina und ihre Tochter noch eine ganz andere ist, als die für junge Männer. Einer gutgekleideten, gutaussehenden Frau mit zwei Töchtern wird nochmal anders begegnet als einem Vater mit zwei Söhnen. Zu schnell werden manche Menschen auf Grund ihres Aussehens kriminalisiert und ungerecht behandelt. Ich kenne die Erlebnisse des Sohnes einer Freundin, der öfter mal in Polizeikontrollen gerät. Hätten er und seine Freunde blonde Haare, wären ihre Abende wahrscheinlich entspannter. Eine andere Freundin, die in Deutschland geboren ist, wird manchmal für ihr gutes Deutsch gelobt. Mir ist das noch nie passiert.

Ich weiß, was es heißt, anderes auszusehen und anders behandelt zu werden. Mir passiert das hier auch jeden Tag. Aber ich werde meist nicht mit negativ-Zuschreibungen konfrontiert. Und trotzdem nervt es mich oft, dass ich nicht als Person wahrgenommen werde, sondern nur über meine Hautfarbe und dass ich gleichgesetzt werde, mit allen anderen, die ähnlich aussehen wie ich. Aber wie gesagt, der große Unterschied ist: mir wird nicht mit Abwehr, Misstrauen und Hass begegnet.

Es ist wohl naiv und utopisch von einer Gesellschaft zu träumen, in der Menschen nicht nach ihrem äußeren Erscheinungsbild bewertet werden, aber vielleicht ist es möglich, dass wir uns nicht gegenseitig abwerten. Es ist menschlich, unsere Gegenüber über Aussehen und Auftreten einzuordnen. Aber vielleicht schaffen wir es, uns mehr auf das Lächeln im Gesicht des anderen zu konzentrieren und weniger auf die Hautfarbe und das phänotypische Erscheinungsbild. Stereotype helfen uns im Alltag, Situation einzuschätzen und uns schneller zu orientieren. Aber wir sollten uns ihrer bewusst sein und wir sollten uns bewusst sein, dass es nur Stereotypen sind und keine Wahrheiten.

Ich für mich weiß in Situationen wie letzten Sonntag nie, wie ich am besten reagieren soll. Ich weiß, dass es diesen Alltagsrassismus in Deutschland gibt. Ich kenne viele Geschichten dazu. Es tut mir total leid, dass Menschen täglich Rassismus erleben. Aber was den Betroffenen wirklich helfen würde, kann ich alleine ihnen nicht geben. Dafür braucht es uns alle.

In diesem Sinne: lasst uns mit offenen Augen und offenem Herzen durch die Welt wandern, verschenkt euer Lächeln an so viele Menschen wie ihr könnt und versucht die Stereotypen in euren Köpfen zu finden und konstant zu hinterfragen.

Ich muss hier jetzt abbrechen und in die Arbeit. Aber das wollte ich noch loswerden, bevor wieder so viel los ist, dass ich keine Zeit mehr dafür finde.

Climate Action, Klappe die Erste und Liberia

Das ist nun schon der dritte oder vierte Versuch, mal wieder einen Beitrag zu posten. Es war viel zu lange still hier und ich habe eigentlich so viel zu berichten. Drei angefangene Artikel liegen auf meinem Desktop, aber ich habe es nicht geschafft, sie fertig zu schreiben und online zu stellen. Ich bin in letzter Zeit super viel unterwegs und das wird bis Weihnachten noch so weitergehen.

Meinen midterm blues habe ich überwunden. Offensichtlich war es wirklich wie schon von mir vermutet. Ein weiterer Schritt in Sachen „Ankommen“ lag vor mir. Nach 1,5 Jahren ist es geschafft. Ich vermisse das deutsche Essen nicht mehr wirklich und wenn Leute fragen, was sie mir mitbringen sollen, sag ich eigentlich, dass ich alles habe, was ich brauche. Das gab´s ja auch noch nie. Es ist doch immer wieder überraschend, wie lange ich so brauche, bis ich mich an neue Sachen gewöhnt habe.

Immer schön flexibel bleiben

Ich war in den letzten Wochen trotzdem ziemlich am Limit. Einfach, weil echt sehr viel zu tun ist in der Arbeit und dann auch noch in der Wohnung wieder einmal ein paar Sachen dazugekommen sind, aber: ich war einfach nur super gestresst und nicht frustriert. Das freut mich sehr für mich! Oft hilft es ja auch, zu verstehen, was gerade so schwierig ist. Wenn ich das Problem erkannt habe, kann ich oft viel besser damit umgehen.

Eine gute Freundin, Antje in Liberia, hat mir bei einem Gespräch letzte Woche da noch einen wichtigen Hinweis gegeben und das sehr schön in Worte gefasst. Wenn alles immer im Fluss ist und nichts verlässlich ist, dann ist es manchmal schwierig, sich selbst zu verorten. Ich glaube, genau das war mein Gefühl. In den letzten Wochen wurden alle Pläne mal wieder kurzfristig verschoben, Dinge mussten angepasst werden, Besprochenes wurde dann doch wieder geändert, Dinge, die aus meiner Sicht klar kommuniziert waren, waren es offensichtlich nicht für alle und so weiter. Ich muss bei allem mitdenken, nachfassen, nochmal follow-up… Es hilft mir ein bisschen, dass ich bis zur Weihnachtspause nur noch wenige Projekte auf meinem Tisch habe. Ich hoffe, die kann ich noch umsetzen, dann habe ich einen guten Jahresabschluss mit vielen Ideen für 2023 😊

Bevor ich aber in die Zukunft schweife, hier ein kurzer Überblick, über meine letzten Wochen. Weil es zu viel zu berichten gäbe, konzentriere ich mich heute auf den Arbeitskontext und damit auf die globale Klimakrise und wie das mit uns in Sierra Leone und CSSL verknüpft ist.

High Level Climate Action Dialog

Mitte Oktober fand in Freetown der High Level Climate Action Dialog statt. Bevor ich in die Inhalte gehe, aber noch kurz ein Ausblick ins Alltagsleben hier und wie wichtig Beziehungen hier sind. Ich war zum High-Level Climate Action Dialog eingeladen, der von EU, UN und British High Commission in Zusammenarbeit mit der Regierung veranstaltet wurde. Wie kam ich zu dieser Einladung? Ganz einfach, dank meiner Nationalität.

In der ersten Oktoberwoche war ich mal wieder beim monatlichen deutsch-sprachigen Stammtisch. Eigentlich gehe ich da nicht hin. Aber beim Botschaftsempfang am dritten Oktober im Radisson Blue habe ich mit Kolleginnen von der GIZ ausgemacht, dass wir uns beim Stammtisch treffen, der im teuren italienischen Restaurant am Strand stattfindet. Ihr merkt schon, Botschaftsempfang, Radisson Blue, teurer Italiener… Ist ja alles High-Level bei mir hier. Auf jeden Fall saß neben mir Gerald, Head of Cooperation der Europäischen Union in Sierra Leone. Irgendwie habe ich belauscht, dass die EU eine Climate Action Conference veranstaltet und da habe ich gebeten, mich doch bitte einzuladen. Schließlich arbeite ich bei der Conservation Society of Sierra Leone. So einfach ist das, wenn man den richtigen Pass hat und zufällig neben den richtigen Leuten sitzt. Gerald kenne ich aber eh schon aus der Kletterhalle.

Dann war also der High-Level Climate Action Dialog. Veranstaltungsort war das Sierra Palms Hotel, natürlich auch eine sehr gute Adresse an der Beach Road. Leider war ich mal wieder dumm genug, mich sommerlich zu kleiden, wobei mir eigentlich hätte klar sein müssen, dass der Raum bei einem High-Level Dialog auf unter 20° heruntergekühlt wird. Aber was ziemlich witzig war, dass auf einmal lauter bekannte Gesichter aus der expat-community auftauchten. Natürlich Emma von der Irish High Commission und Christina, die Deutsche ist, aber für die British High Commission arbeitet und dann noch dieser eine James, der „kleine Luke“, der immer ganz wichtig auf allen Partys erscheint, aber immer alleine unterwegs ist, Irish Matthew und, und, und. Und natürlich ich. Wer von uns wäre denn bitte im eigenen Land, in Europa, bei einem High Level Climate Dialog eingeladen und wäre am Ende auch noch auf dem Podium? Nicht so viele von uns. Und wieso sind die europäisch-stämmigen auf dem Podium und stellen die Projekte vor und nicht die Sierra Leonischen Partner, die die Implementierung machen? Unser REDD+ Projekt im Gola Rainforest wurde nicht von meinem Chef vorgestellt, der anwesend war, sondern von Richard, der für den britischen Partner RSPB arbeitet und das Projekt von deren Seite unterstützt. Das geplante Baumpflanzprojekt von British High Comission, einer britischen Firma und Tacugama Chimpanzee Sanctuary, wurde nicht vom Gründer und Direktor von Tacugama vorgestellt (der neben mir saß und also auch da war), sondern von Christina von der British High Comission und James. Das geplante Projekt von Save the Children, wurde vom kleinen Luke vorgestellt. Alles muss ich nicht verstehen, aber wieso da nicht die lokalen Leute auf dem Podium sitzen, das verstehe ich wirklich nicht.

Inhaltlich ging es bei der Veranstaltung darum, die Finanzierungsmöglichkeiten für Projekte, die dem Klimawandel entgegenwirken, vorzustellen und bekannter zu machen. Selbstverständlich waren auch die Minister für Umweltschutz und Land Planning mit dabei und haben auch ihre Statements abgegeben. Wenn man denen so zuhört, könnten wir uns eigentlich entspannt zurücklehnen. Hört sich so an, als würden die alles Menschenmögliche tun, um die Umwelt zu schützen und den Klimawandel zu stoppen. Schade, dass ich vorletzte Woche wieder offensichtliche Beweise für das Gegenteil erlebt habe. Der sound der Kettensägen, der durch die protected area schallt, die deforestation in den Kambui Hills, die Verschiebung der Grenze von Naturschutzgebieten und so weiter.

Datenwahn und Hilflosigkeit

Generell war die Veranstaltung ganz gut. Ich finde auch die Idee sehr gut, Organisationen und Institutionen zu erklären, welche Fördertöpfe es gibt und wie man an die Gelder rankommt. Allerdings war eigentlich bei allen Fördertöpfen klar, dass sie für Organisationen und Institutionen aus Ländern wie Sierra Leone kaum erreichbar sind. Weltbank und Co verlangen so viele Daten, mit denen belegt werden muss, welche Klimaschäden aufgehalten werden, die Daten gibt es hier einfach nicht. Es gibt eine Wetterstation am Flughafen. Es gibt aber keine offiziellen Daten zum Niederschlag in den vergangenen Jahrzehnten im ganzen Land, zu Temperaturentwicklungen, Boden- und Wasserqualität und ähnlichem. Da viele dieser Daten aber nötig sind, scheitern einige Ländern schon an den Voraussetzungen in der Bewerbung, von bürokratischen Hindernissen ganz zu schweigen.

Da muss ich direkt wieder an meinen Chef denken, der im Dezember nach Montreal zum COP 15 zum Thema Biodiversität eingeladen ist. Angefangen hat es damit, dass er auf seinem Laptop nicht die entsprechend neue Version des Adobe Reader hat und die Formulare für den Visaantrag deshalb gar nicht auf seinem Laptop öffnen und speichern konnte. Deshalb hat er meinen benutzt. (Weshalb ich aber fast zwei Tage lang meinen Laptop nicht wirklich hatte und nicht an meinen eigenen Sachen weiterarbeiten konnte.) Dann musste er nicht nur Geburtsdaten seiner Eltern, sondern auch deren Todestage angeben. Er musste raten. Wie schon im Visumantrag für Großbritannien. Er hat also den Visumantrag von GB herausgesucht, um zu schauen, welche Daten er dort angegeben hat, damit die wenigstens einheitlich sind, wenn er schon die echten Daten nicht kennt. Woher soll er die haben? Viele Menschen – insbesondere im ländlichen Raum – wissen nicht, wann sie genau geboren wurden. All diese Anträge gehen von Gesellschaften aus, in denen alles schriftlich dokumentiert ist, bis ins kleinste Detail. Das ist aber nicht weltweit die Realität. Ist das dann jetzt eine Lüge? Vielleicht stimmen die Daten ja, die er geraten hat…

Während mein Chef also noch mit dem Visaantrag für Kanada kämpft, ist unser Programm-Manager schon unterwegs nach Scharm El-Sheikh zum COP 27. Edward ist Teil der Sierra Leonischen Delegation und ist mit den Regierungsmitgliedern angereist. Sie hatten bei uns angefragt und um Teilnahme von uns gebeten. Ich nehme an, zum COP 27 in Ägypten muss ich jetzt nicht viel erklären, da er bestimmt auch in Deutschland in den Medien ausgiebig besprochen ist.

Diese Infos nur für euch, damit ihr ein bisschen versteht, wie herausfordernd eine Teilnahme an diesen wichtigen Internationalen Treffen für Leute aus vielen Ländern der Welt ist. Für die Konferenz in England im August haben ja auch nicht alle Kolleginnen und Kollegen ihre Visa bekommen. Ganz normaler Alltag. Dabei ist es super wichtig, dass die Positionen aller Ländern vertreten sind, damit das globale Ungleichgewicht nicht noch verstärkt wird und weiterhin nur ein kleiner Prozentteil der Regierungen über globale Abkommen entscheidet, die die größten Auswirkungen für Menschen im globalen Süden haben.

Und was mache ich währendessen…

Während die Welt in Ägypten über ein neues Abkommen debattiert, das Ideen und Pläne der letzten COPs seit dem Paris-Abkommen in Aktion übersetzen soll und über die Entschädigung der ärmeren Länder diskutiert wird, die am meisten unter dem Klimawandel leiden, aber kaum einen Beitrag dazu leisten, bin ich durch den Regenwald gestiefelt.

Was kann ich auch besseres Tun, als zu versuchen, die wertvollen Wälder zu schützen und Menschen über deren Bedeutung, deren unglaubliche Schönheit und deren Fragilität aufzuklären. Yes. Und schon sind wir mittendrin in meinem Projekt für die letzten Wochen des Jahres. Ich musste mein Vorhaben natürlich mehrfach anpassen und ändern, aber ich bin guter Hoffnung, dass am Ende etwas herauskommt! Ursprünglich war eine Idee, mehrere Filme zu drehen über die verschiedenen Ökosysteme des Landes, wodurch sie bedroht sind und was wir als CSSL machen, um sie zu schützen. Aus diesen Einzelfilmen sollte dann noch eine große Dokumentation entstehen. Wir mussten jetzt aus Zeitgründen alles etwas abspecken, deshalb drehen wir jetzt dieses Jahr nur an drei Orten und ich hoffe, wir machen den Rest dann nächstes Jahr. Ein Film wird über die Natur und unsere Arbeit im Greater Gola Landscape gehen. Dafür war ich mit meiner Kollegin, meinem Kollegen und zwei Filmemachern für eine Woche im Gola und in den Kambui Hills unterwegs. Ich habe wieder einmal gemerkt, dass es mir unglaublich gut tut, durch den Wald zu stapfen und die Natur zu genießen. Die Zusammenarbeit mit den Filmemachern war echt gut und hat Spaß gemacht und ich bin jetzt schon gespannt, auf das fertige Ergebnis. Ich hoffe, die Filme werden gut!

Ich dachte, ich lass einfach mal die Bilder sprechen. Und weil ein Kamerateam dabei war, gibt es auch mal Fotos auf denen ich zu sehen bin. Die sind dann natürlich nicht von mir 😉 Und den Rest erfahrt ihr dann hoffentlich bald in unserem Filmchen.

Auf den Bildern seht ihr uns bei den Aufnahmen, die wunderschöne Natur und aber auch die Abholzung. Es war jedes Mal wieder spannend, wenn unsere Drohne gestartet ist und alle in den Himmel starrten. Am meisten Spaß hatten wir mit der Drohne in Lalehun, wo dreißig Kinder der Drohne durchs Dorf hinterherrannten und wir die Drohne und damit die Kinderscharr mehrfach durchs Dorf gejagt haben.

Heute also eine Bilderflut ohne viel Erklärungen, was wir da gefilmt haben. Ihr sollt ja noch ein bisschen neugierig sein, auf unsere Filme. Und ist ja eh sehr viel Text heute 🙂 Ich kämpfe schon den ganzen Tag mit Strom und Internet. Ich bin sehr froh, dass die Bilder nun hochgeladen sind, dafür sind die Bildbeschreibungen etwas lieblos. Ich hoffe, ihr verzeiht!

Am letzten Abend in Kenema, bevor es wieder zurück nach Freetown ging, kam auch die EU-ROM Delegation im Hotel an. Unser eines Projekt im Gola ist ja EU-finanziert und ist Teil des REDD+ Programmes, wodurch carbon credits verkauft und gekauft werden können. So schließt sich dann auch wieder der Kreis zwischen unserer lokalen Arbeit hier, den Regenwald zu schützen, den Programmen, die zum Klimaschutz auf internationalen Konferenzen wie den COPs entwickelt werden und der Veranstaltung in Freetown zur Finanzierung von climate action.

Next Stop Liberia – for peaceful elections

Nach einer Woche im Greater Gola Landscape kamen wir letzten Samstag wieder in Freetown an und am Montag ging es direkt wieder los. Dieses Mal nach Liberia zur jährlichen CPS Mano River Conference, das ist ein Treffen der Brot-für-die-Welt-Partnerorganisationen, die im Zivilen Friedensdienst Netzwerk (Civil Peace Service – CPS) sind. Letztes Jahr hat das Treffen in Sierra Leone stattgefunden, dieses Jahr wieder in Liberia. Wir wechseln uns da immer ab. Ich hatte erst geplant, noch etwas in Liberia zu bleiben, um mir das Land noch etwas anzuschauen, aber das hat leider aus Zeitgründen nicht geklappt. Ich hoffe, das schaffe ich im nächsten Jahr. Jetzt habe ich nur den Weg zwischen Grenze und Hotel gesehen, immerhin drei bis vier Stunden Fahrt inklusive kleine Einblicke ins Stadtgeschehen von Monrovia, der Hauptstadt Liberias. Auf dem Weg ging es hauptsächlich entlang an Gummiplantagen und Palmölplantagen. Viel mehr war da nicht rechts und links der Straße, außer ab und an ein paar Häuser.

Und natürlich bin ich auch in Liberia zum Bird Watching gegangen 🙂 Ich habe sogar meine Kenntnisse erweitert und kann jetzt noch drei weitere Vögel identifizieren. Leider will es einfach die Fotos von der Konferenz nicht hochladen. Ich gebe das jetzt auf…

Liberia und Sierra Leone bezeichnen sich als Schwesternstaaten, da sie in jüngerer Geschichte vieles gemeinsam erlebt und erlitten hatten. Zuerst die Bürgerkriege in beiden Ländern, dann Ebola und nun im kommenden Jahr die Wahlen. Als bei uns im August die Ausschreitungen waren, hat sich auch direkt Antje bei mir aus Liberia gemeldet. Zu schnell kann die Stimmung über die Grenze rüberschwappen. So war es im Bürgerkrieg und so wird es auch für die Wahlen im kommenden Jahr befürchtet. Deshalb wird Liberia unsere Wahlen im Juni und die Stimmung im Land in den Monaten davor und danach sehr genau beobachten, bei ihnen sind erst im Oktober Wahlen.

Zugleich ist Liberia aber auch ganz anders. In Liberia wurden befreite Sklaven und Sklavinnen aus Amerika angesiedelt, unabhängig von ihrer ursprünglichen Herkunft. Natürlich lebten auch schon zuvor Menschen in dem Gebiet des heutigen Liberia. Das wird aber kaum thematisiert in der Öffentlichkeit. Liberianisches Englisch hat – für mich witzigerweise – einen starken amerikanischen Klang. Man merkt auch, dass viele Leute Verwandtschaft in den USA haben, die Flagge ist der der USA sehr ähnlich und der US-Dollar ist normales Zahlungsmittel, neben dem liberianischen Dollar. In Liberia ist alles viel teurer als bei uns in Sierra Leone. Wenn wir für ein Bier normalerweise umgerechnet 1-2 US-Dollar zahlen, kostet ein Bier in Liberia eher zwischen 3 und 5 US-Dollar. Nur als ein Beispiel. Trotzdem sind die Herausforderungen sehr ähnlich, insbesondere in Hinblick auf die Wahlen im kommenden Jahr. Die hohe Jugendarbeitslosigkeit, Drogen, Machtmissbrauch, extrem gestiegen Preise für Lebensmittel und Benzin, fehlendes Vertrauen ins System, Korruption und Vetternwirtschaft, all diese gravierenden Probleme gibt es in beiden Ländern und beschäftigen die Menschen in Liberia und Sierra Leone.

Arbeitslosigkeit, Perspektivlosigkeit und Preissteigerungen

Die Inflation und die Preisentwicklungen der letzten Monate sind wirklich ein supergroßes Problem hier. Der Benzinpreis wurde erst vorgestern wieder erhöht. Er ist jetzt doppelt so hoch, wie bei meiner Ankunft für 1,5 Jahren. Durch den steigenden Benzinpreis sind auch Grundlebensmittel teurer. Ich kaufe selten Reis und Casava leave, deshalb kann ich dazu nicht so genau etwas sagen, aber ich weiß von Diskussionen im Büro, dass einfach alles so teuer ist. Ich merke es, wenn ich meine Standardprodukte kaufe. Ein Liter Milch kostet jetzt mindesten 40 NLe (vor einem Jahr 20), ein Stück Butter 60 NLe (vor einem Jahr 35), Toastbrot auch 60-70 NLe (vor einem Jahr 35). Ein Ei kostet jetzt 3,5 NLe(vor einem Jahr 2 NLe), ein Liter Diesel kostet jetzt 21 NLe (vor einem Jahr 10). Als ich im Mai 2021 angekommen bin, war der Wechselkurs 1€ / 11.000 Leones. Jetzt gibt es für einen Euro 18 New Leones (drei Nullen wurden ja im Juli gestrichen).

Diese Preisentwicklungen und die Inflation in Kombination mit hoher Jugendarbeitslosigkeit, Perspektivlosigkeit auch für junge Menschen mit Ausbildung macht junge Erwachsene sehr empfänglich für Manipulation, Dorgenkonsum und Ausnutzung durch politische Parteien. Mit dem Versprechen, ihnen Jobs zu geben, wenn die Wahlen gewonnen werden, dem Verteilen von Drogen, Essen, kleinen Geldbeträgen, werden Jugendliche instrumentatlisiert und aufgewigelt.

Das Netzwerktreffen stand unter dem Thema „Peaceful Elections. My Elections, My Peace, My Nation.” Ziel war es, im Austausch und mit verschiedenen Inputs und Methoden, Gemeinsamkeiten und Unterschiede herauszustellen und eine gemeinsame Strategie zu entwickeln, wie wir im kommenden Jahr in beiden Ländern als CPS-Netzwerk dazu beitragen können, dass die Wahlen, die Zeit vor den Wahlen und die Zeit nach den Wahlen friedlich werden. Wir haben viele Ideen gesammelt, einige action points notiert. Nun ist die Frage, was weiter mit dem Erarbeiteten passiert und ob das Netzwerk es schafft, die Ideen auch wirklich umzusetzen und aktiv zu friedlichen Wahlen beizutragen.

Meine kleinen und großen Freuden in Mitten all der Anstrengungen

Für mich war es spannend, endlich eines der Nachbarländer kennenzulernen und ich fand es auch super die Leute aus den Partnerorganisationen mal wieder länger zusehen und sich austauschen zu können. Besonders habe ich mich auf Antje gefreut, die ich schon aus der Vorbereitung in Deutschland kenne, die witzigerweise auch aus Nürnberg kommt und in Liberia beim YMCA arbeitet. Wir tauschen uns sonst über Sprachnachrichten und Telefonate aus, so war es super, dass wir uns jetzt nach einem Jahr wieder mal mit einer Falsche Wein an einen Tisch setzen konnten und richtig miteinander reden konnten.

Gestern ging es dann in einer 12-stündigen Fahrt zurück nach Freetown. Die Fahrt war lang, aber ich fand sie echt super. Ich war super gestresst in den letzten Wochen, weil so super viel zu organisieren und zu planen war und alles immer so flexibel ist. Ich merke, dass mit jeder Reise Anspannung von mir abfällt und ich mehr und mehr runterkommen. Ich habe nun endlich herausgefunden, auf welche Musik meine colleagues stehen 😊 Nachdem ich auf den Fahrten durch den Gola eine Einführung in deutschen HipHop gegeben habe, gibt es jetzt mindestens einen neuen Fan der Beginner in Sierra Leone und das ganze Auto singt jetzt immer lauthals mit bei „Solala, solala“. Auf der Fahrt nach Liberia kam nun heraus, dass meine Kollegen Abdul und Sinneh, auf 80er/90er Jahre Trash Disco stehen. Nichts leichter als das. Bei Sinneh habe ich das schon vermutet. Wir singen ja beide auch immer fleißig mit, wenn wir unsere einzige CD mit den besten Hits der 50er hören. Als dann aber Abdul auf einmal von der Rücksitzbank mit eingestimmt hat, habe ich mich sehr gefreut. Jetzt gibt es – solange es Internet gibt – immer beste Musik und damit auch beste Stimmung bei uns im Auto.

Wie gesagt, gestern Abend bin ich nach 12 Stunden Fahrt endlich wieder zuhause angekommen. Dann ging es natürlich nach einer Dusche erstmal zum Sundowner Bier an den Strand. Ich habe mich dann doch langsam sehr daran gewöhnt, direkt am Meer zu leben… Und am Mittwoch starten wir den nächsten field trip. Dieses Mal in die Yawri Bay, wo wir für drei bis vier Tage mit dem Boot durch die Mangroven und die Bucht schippern, um die communities dort für unseren nächsten Film zu besuchen. Ich bin gespannt, wo und wie wir dort übernachten. Ich nehme sicherheitshalber mal mein Zelt mit 😉

Achso, und damit ihr jetzt nicht denkt, das Leben hier wäre auf einmal ganz einfach: seit sechs Wochen versuche ich, den Hausverwalter dazu zu bewegen, meine hintere Türe zu reparieren. Die lässt sich nämlich seit ein paar Wochen nicht mehr öffnen und ich wollte dahinten meinen Gemüsegarten anlegen, außerdem wäre es einfach ganz gut, an die Sachen zu kommen, die da hinter der Türe sind. Meine Ambitionen, ein Sofa zu kaufen, habe ich nun ins neue Jahr verlegt, nachdem ich seit Mitte August mit dem Typen in Kontakt war, der das Sofa machen soll/will. Ich habe einfach keine Energie mehr dafür. Das Sofa muss nun warten. Dann ist gerade meine komplette Wäsche in der Waschmaschine, leider ist der Strom jetzt seit vier Stunden weg, so dass meine Wäsche nass in der Maschine feststeckt und schön nachmüffelt. Ich hoffe, der Strom kommt heute noch zurück, so dass ich die Wäsche fertig waschen kann, sonst habe ich morgen keine frische Unterhose. Vielleicht ist dann auch mein Magen wieder okay. Der meldet sich nämlich seit ich in Liberia ankam wiederholt bei mir und will mir irgendetwas mitteilen. Ich weiß noch nicht so genau was und hoffe, dass ich das in den Griff bekomme, bevor es am Mittwoch in die fishing communities geht. Dort gibt es wahrscheinlich ganz andere Toilettenoptionen als hier zuhause 😉

Wie dem auch sei: Euch wünsche ich einen wunderschönen Winterstart. Ich bin etwas neidisch und versuche Sonne, Meer und Regenwald umso mehr zu genießen.

Drei Stunden später, hat die Waschmaschine endlich geschleudert und die Fotos wurden teilweise hochgeladen. Nun habe ich meinen ganzen Sonntag damit verbracht, hier etwas zu posten. Vielleicht schaffe ich es jetzt noch raus, bevor die Sonne untergeht. Für euch in den Winter hier noch ein bisschen Sonnenschein, für die, die jetzt schon Sehnsucht nach dem Sommer haben:

I made it! Ich springe jetzt gleich in diesen Pool!

Life-balance und Midterm Blues

Mein letzter Eintrag liegt schon eine ganze Weile zurück. Wie immer ein Zeichen, dass ich entweder sehr busy bin oder dass es mir nicht so gut geht. Dieses Mal traf beides zu. Wie immer in den letzten Monaten des Jahres heißt es in der Arbeit, dass noch möglichst viele Projekte umgesetzt werden müssen. Dann musste ich meinen Plan fürs kommende Jahr machen, meinen Halbzeitbericht schreiben und dann gibt es ja auch noch Leben neben der Arbeit. Ich habe ein paar schöne Wanderungen gemacht und war gestern endlich, endlich auch mal wieder im Meer schwimmen.

Midterm Blues oder doch ernste Zweifel?

Nach England hatte ich das Gefühl, ich komme hier gar nicht mehr rein. Irgendwie habe ich meinen Platz nicht mehr gefunden und war gar nicht mehr bei mir. Weil es so lange gedauert hat, bis dieses unangenehme Gefühl weg war, hatte ich viel Zeit zum Reflektieren, was es wohl sein könnte, das mich innerlich so unruhig macht. Das Ergebnis vieler Gespräche und Gedankenwälzungen: es sind wohl viele Gründe und nicht nur einer. Vielleicht spielt es eine Rolle, dass ich jetzt quasi die Hälfte meines Vertrages hinter mir habe und ich mich frage, was ich eigentlich bisher hier gemacht und erreicht habe. Schaffe ich es, meine Aufgaben zu erfüllen, für die ich gekommen bin? Dieses Jahr schaffe ich wahrscheinlich 50% von dem, was ich mir letztes Jahr vorgenommen habe. Da war ich noch ein bisschen blauäugig. Mittlerweile weiß ich schon besser einzuschätzen, wie lange alles dauert und wie viele Unwägbarkeiten ich mit einberechnen muss. Aber nächstes Jahr ist dann eh wieder alles anders. Im Juni sind Wahlen. Deshalb ist das komplette erste Halbjahr unklar, was und wie wir arbeiten können. Also Fokus eher auf Advocacyarbeit vor den Wahlen, mit dem Versuch, die Parteien dazu zu bringen echte Versprechen abzugeben, wie sie Umweltschutz in der nächsten Legislaturperiode umsetzen wollen. Außerdem soll ich noch eine longterm Strategie für Kommunikation und eine für Ökotourismus erstellen. Und dann ist das Jahr wahrscheinlich auch schon wieder vorbei. Es stimmt wirklich, was alle immer sagen: im ersten halben Jahr schaust du nur zu, versuchst anzukommen und machst ein paar kleine Projekte, dann fängst du ein bisschen an zu arbeiten. Nach einem Jahr verstehst du einigermaßen, wie die Dinge laufen und funktionieren. Und dann bist du aber mit dem Kopf bald schon wieder am Ende deines Einsatzes, weil du dann immer schon auf das Ende hin planst.

Wo bin ich zuhause?

Dann ist da das ewig und immerwährend Thema der unglaublichen Ungerechtigkeiten und Privilegien. Und dieses Gefühl, nirgends ganz zuhause zu sein. Ich merke, das hier ist nicht meine Welt. Ich gehöre hier nicht wirklich dazu und werde das auch nie tun. Aber ich kann mir gerade auch nicht vorstellen, morgen in den Flieger zu steigen und wieder in Schoppershof zu wohnen. Irgendwie ist das gerade auch nicht meine Welt. Wo ist also meine Welt gerade? Wahrscheinlich mache ich mir auch zuviele Gedanken und sollte einfach mehr im Hier und Jetzt sein. Den Strand genießen, durch den Regenwald stapfen und mich abends über meinen frisch gegrillten Fisch oder African Dish freuen. Und genau das mache ich auch ab und zu. Und es tut jedes Mal sehr, sehr gut.

In der Arbeit läuft es gerade auch ganz gut. Ich komme mit meinem Team gut klar. Wir hatten sehr gute offene Gespräche und ich habe wirklich das Gefühl, meine Arbeit hier bringt Veränderung. Das ist ja ein Ziel meines ganzen Aufenthaltes. Wie ihr euch denken könnt, bin ich sozial auch sehr gut eingebunden und merke immer wieder, dass ich hier mittlerweile so viele Menschen kenne, bei denen ich mich ehrlich freue, wenn ich sie sehe. Also gab es eigentlich keine äußeren Gründe für meine innere Unausgeglichenheit. Ich versuche mit einer Mischung aus mich zurückziehen, Wohnung verschönern und Party-on meine innere Balance wieder zu finden. Manchmal klappt es besser, manchmal nicht so gut. Das endgültige Rezept scheine ich dieses Mal nicht so einfach zu finden.

Wann platzt der Knoten endlich?

Ich habe mich schon gefühlt wie ein Kleinkind, das vor einer neuen Entwicklungsstufe steht und deshalb erst einmal mit sich und seiner Umwelt kämpfen muss und sich selbst nicht mehr findet, bis es endlich die nächste Stufe erreicht hat und der Knoten geplatzt ist. Vielleicht ist nach eineinhalb Jahren wieder einmal so ein Knoten dran. Man weiß es nicht. Ich merke nur, dass ich anfangs gedacht habe, es wird irgendwann leichter, hier zu sein, weit weg von zuhause, in dieser oft herausfordernden Umgebung – und ich merke, es wird irgendwie nicht leichter. Vieles ist Routine, vieles Alltag, aber das heißt irgendwie nicht, dass es leichter wird. Wie auch. Für meine Kolleginnen und Kollegen ist das Leben hier ja auch nicht leicht.

Zugleich gibt es nach wie vor ganz viele kleinere und größere Highlights. Zum Beispiel unsere Wanderung in Kabala, wo ich übers lange Wochenende mit Hannah, Max und einem Besucher aus Deutschland war; oder Carbonara Night mit den Italians, Mittwochabend Salsa Night mit Margharitas und Tanzen unter der Woche, Field Trip mit den Kolleginnen und Kollegen zum Wasserfall oder wie gestern einmal wieder von den Wellen des Ozeans tragen lassen mit Blick auf die Mangroven und die bewaldeten Hügel der Peninsula. Der Wechsel aber, zwischen all diesen Welten, zwischen Deutschland und Sierra Leone, zwischen Expat-Leben und Büro, ist auch nach eineinhalb Jahren noch anstrengend für mich und wird es wohl auch bleiben. Der Kopf und das Herz kommen nie so wirklich zur Ruhe.

Ich habe ja das große Glück, dass ich hier wirklich gute Freunde gefunden habe. Zwei von ihnen sind leider letzte Woche ausgereist. Ramith ist zurück nach Indien und mein einer John ist nach Äthiopien. Das hatte bestimmt auch ein bisschen Auswirkungen auf meine Stimmung. John haben wir mit einem gebührenden Abendessen und einem spontanen Pool-Besuch im Anschluss verabschiedet. Wieder einmal die verrückt reiche Seite des Landes. Wäre John noch hier, würde ich jetzt allerdings keinen Artikel für euch schreiben, sondern mit ihm den Sonntagnachmittag verbringen. So hat alles seine guten und seine schlechten Seiten 😉

Jetzt muss ich mich mal losreißen. Ich sitze gerade an meinem Eßtisch, die Wohnungstüre ist offen, so dass immer ein frisches Lüftchen hereinweht, vor mir meine Balkonpflanzen und hinter ihnen das Meer. Aber das soll es heute nicht gewesen sein. Ich werde mich jetzt dann mal fertig machen und noch rausgehen. An den Strand, ans Meer, oder zur Lifemusik heute Abend in die Strandbar. Auf der Suche nach meiner Life-balance.

Ich hoffe, ich schaffe es bald noch von all den anderen Dingen berichten, die ich in den letzten Wochen erlebt habe. Zum Beispiel den ersten Teil des Wanderführers Salone, die Climate Action Conference, Teamausflug zum Mambo Waterfall und natürlich was sonst noch so tagein, tagaus passiert.

Euch einen guten Sonntag und eine gesunde Balance in eurem Alltag 🙂

Und manchmal hilft einfach auch der tiefe Blick ins Glas, damit die Welt ein bisschen bunter aussieht 😉

The Power of Many – will it be enough?

Ich habe sie gespürt, diese Power of Many beim BirdLife International Congress, der Mitte September in Cambridge stattfand. BirdLife International ist das größte globale Netzwerk von Umweltschutzorganisationen. Insgesamt gibt es 118 Partner weltweit. Meine Organisation in Sierra Leone ist der nationale Partner. Wie der Name schon sagt, war der Fokus ursprünglich auf Vögel gerichtet, aber da Vögel wichtige Indikatoren für die Gesundheit von Ökosystemen sind, und Vogelschutz immer auch Umweltschutz ist, sind nicht nur Vogelschutz-Organisationen im Netzwerk, sondern auch klassische Umweltschutzorganisationen. Der deutsche Partner zum Beispiel ist der NaBu.

Cambridge, wir kommen

Ein bisschen zum Hintergrund für euch: BirdLife International und der Partner aus UK, die Royal Society for the Protection of Birds (RSPB), sind unsere größten Geldgeber und wichtigsten Partner. Sie unterstützen uns bei unserer Arbeit im Gola Rainforest und bieten sehr viel Capacity Building und Unterstützung bei der Organisationsentwicklung für Partnerorganisationen an. Für uns war es deshalb sehr wichtig persönlich bei der Tagung dabei zu sein, um zu netzwerken, bestehende Beziehungen zu vertiefen und neue Partnerschaften zu knüpfen.

Da ich noch nie in England war, war ich natürlich etwas aufgeregt. Ich war sehr gespannt, wie Cambridge und London wohl so sind. Für meine Kollegin Mariama war es noch aufregender. Sie war noch nie in Europa gewesen, beziehungsweise war sie noch nie außerhalb Westafrikas. Da wir erst im Juli erfahren hatten, dass wir das Budget haben, um an der Tagung teilzunehmen, konnten wir erst im Juli mit der Visa-Beantragung starten. Ich habe auch sicherheitshalber nochmal nachgeschaut, ob ich vielleicht mittlerweile auch ein Visum für England brauche – aber nein. Trotz Brexit können EU-Passport-Holder weiterhin ohne Visum einreisen. Für meine Kollegin war es etwas nervenaufreibender. Am Donnerstag bekam sie ihr Visum, am Freitagnachmittag mussten wir auf der Fähre sein, um zum Flughafen zu fahren. Also mal wieder super kurzfristig.

Einige andere Partner, die zur Tagung kommen wollten, hatten nicht so viel Glück. Sie haben einfach gar kein Visum bekommen und konnten nur digital teilnehmen. Einmal mehr ein Zeichen der globalen Ungerechtigkeit in Hinblick auf Reisefreiheit.

Es geht ja nicht nur um die Reise an sich als Vergnügung. Reisen bildet und verbindet. Ich konnte zum Beispiel meiner Kollegin zeigen, aus welcher Welt ich komme. Natürlich ist England nicht Deutschland, aber es ist um einiges näher an Deutschland als an Sierra Leone. Ich konnte ihr zeigen, welches Obst und Gemüse es bei uns gibt, was ich eigentlich Brot nenne und wie bei uns Verkehr funktioniert. Sie war total geflasht von der Ordnung und der Sauberkeit und der guten Organisation und Pünktlichkeit von allem.  Sie war auch überrascht von den vielen verschiedenen Salat- und Tomatensorten. Und dann war da natürlich auch Vergnügen mit dabei: Ich habe es sehr genossen durch die kleinen Gassen in Cambridge zu schlendern und die unglaublich vielen beeindruckend Gebäude zu bestaunen.

Die größte Herausforderung: das Essen

Schon vor der Reise wurde offen über die größte Herausforderung für die Kollegin und meinen Chef diskutiert: das Essen. Dazu muss man wissen, Sierra Leonians essen am liebsten nur ihr eigenes Essen. Was Bauer nicht kennt, frisst er nicht, passt hier eins zu eins. Hier stießen Welten aufeinander. Während ich überglücklich war, über die große Essensauswahl und die internationalen Gerichte, verzweifelte der Rest meiner Reisegruppe täglich am Buffet. Und dabei gab es wirklich sehr gutes Essen. Aber keinen Reis mit Casava Leave. Sehr schwierig also. Ich habe versucht, mir die gute Laune nicht zerstören zu lassen und habe das Essensangebot ausgekostet. Mariama und Sheku waren erst glücklich, als wir einmal zum Essen eingeladen wurden und sie Fisch mit Pommes essen konnten. Nicht Fish and Chips, sondern normalen Fisch. Selbst Hamburger und Wraps waren schwierig, da sie im Geschmack natürlich etwas anders waren, als die bekannten Gerichte aus Salone.

Vogelfreaks aus aller Welt

Cambridge ist ja eine Kleinstadt. Und für ein paar Tage war sie übervölkert von Vogelfreaks. Man konnte keine 5 Meter gehen, ohne wieder eine Kongressteilnehmerin oder einen Kollegen aus einem anderen Land zu treffen. Erkennen konnte man uns an unseren BirdLife Taschen und den Kongress-Namensschildern. Ich fand die Atmosphäre unglaublich toll. Es war super spannend und gut mit so vielen Menschen zusammen zu sein, die alle ähnliche Ziele verfolgen und sich für die gleiche Sache einsetzen: Umweltschutz und climate change mitigation. Und natürlich war es super interessant, an einem Tisch zu sitzen mit Leuten aus Palau, den Cook Islands, Bulgarien, Kanada und Kolumbien und gemeinsam über die Herausforderungen in den einzelnen Ländern zu sprechen. Ich habe jetzt auf jeden Fall Kontakte in sehr viele Länder geknüpft, die ich irgendwann einmal besuchen möchte. Ich möchte auf jeden Fall unbedingt eine Balkantour machen, um meine Geierfreunde zu besuchen und natürlich auch in Lateinamerika die Partner bei ihrer Arbeit im Regenwald einmal begleiten. Außerdem habe ich versucht, mit den kleinen Inselstaaten in Kontakt zu kommen.

Hier also einfach mal ein paar Eindrücke (die ganzen guten Fotos sind offizielle Kongressfotos vom professionellen Fotografen, die schlechteren sind von mir 😉 ) . Das Motto der Tagung: BirdLife 100, It’s time bezieht sich auf das 100-jährige Bestehen, das wir in Cambridge gefeiert haben. Bei dem KBA Projekt sind wir auch dabei. Da geht es darum Key Biodiversity Areas zu identifizieren und sie dann unter globalen Schutz zu stellen. Wir hatten dazu im März den ersten Workshop hier mit Vertreterinnen und Vertretern von anderen NGOs und Regierungsbehörden und haben im August das Nationale Komittee gebildet. Nun geht es darum, Daten zu erfassen für mögliche KBAs und diese dann offiziell als solche anzuerkennen, damit der Schutz der Areas gewährleistet werden kann. Das ist ein Beispiel für die globale Zusammenarbeit nach dem lokal-global-Ansatz.

An dem einen Tag gab es einen Markt der Partnerorganisationen. Alle Partner konnten sich und ihre Arbeit an kleinen Ständen vorstellen. Irgendwie ist es echt witzig, wie schön dabei kulturelle Gepflogenheiten zu Tage kommen: Am Stand der Partner aus Bolivien gabe es einen Matebecher mit Mate-Tee, am Stand von NaBu eine Stofftasche und einen Flaschenöffner, bei den indonesischen Partnern eine Vorlage für einen Papierflieger, am Stand von Montenegro gab es Schnaps und bei Cook Islands Produkte aus Ocean Plastic.

Ancient Oaks im Sherwood Forest

Es wäre kein BirdLife Kongress, wenn es kein Bird-Watching geben würde. Am ersten Tag vor dem Kongress und am Tag nach dem Kongress wurden deshalb Exkursionen angeboten. Ich bin natürlich in den Shwerwood Forest, um auf den Spuren Robin Hoods zu wandeln. Und dann bin ich noch einmal in ein Vogelschutzgebiet am Meer. Vom Sherwood selbst war ich etwas enttäuscht, muss ich zugeben. Der Wald ist relativ klein und mutet eher wie ein Park und Ausflugsziel an mit breiten Wegen, Eiswagen und riesigem Besucherzentrum. Aber  was RSPB dort macht, ist ziemlich irre und spannend. Der Sherwood ist bekannt für seine Ancient Oaks. Diese Eichen sind sehr alt und haben eine spezielle Rinde und sind durch Wetter und Umwelteinflüsse ganz mystisch verformt. Diese Eichen sind super wichtig, für die Biodiversität im Wald. Nur auf ihnen gibt es spezielle Insekten, die wiederum wichtig sind für die gesamte Nahrungskette. Es gibt aber immer weniger dieser alten Eichen. RSPB versucht nun, die Lücke zu schließen, zwischen den jungen Bäumen und den ganz alten. Damit das Ökosystem erhalten bleibt, bevor die alten Eichen alle sterben. Es ist wirklich ziemlich verrückt. Zum Beispiel imitieren sie Blitzeinschläge an jungen Bäumen, oder verletzten die Bäumen, wie es Tiere machen würden. An diesen verletzten Stellen sammeln sich Insekten und Bakterien, die es auf den anderen Bäumen nicht gibt oder nur in geringerer Anzahl. So soll der Lebensraum, den die alten Eichen bieten, von jüngeren Eichen imitiert werden. Es ist ziemlich viel Aufwand, um die Biodiversität zu erhalten. Aber auch spannend zu sehen, was möglich ist.

Noch ein verrückter Fact: Auf dem ersten Foto seht ihr die Mayor Oak. In der hat angeblich Robin Hood gelebt. Außerdem haben einmal vier feine Herren im inneren (der Stamm ist hohl) ein Bankett gefeiert. Aber am crassesten: Diese Eiche ist schon seit Zeiten von Queen Victoria und vorher ein beliebtes Ausflugsziel. Es gibt viele alte Fotos und Postkarten. Die Menschen kamen in Massen, um unter den Zweigen zu Picknicken. Der Boden um die Eiche herum ist deshalb so verdichtet, dass er fest wie Beton ist und kein Regenwasser mehr durchlässt. Die Eiche ist deshalb umzäunt, damit der Boden sich erhohlen und wieder lockerer werden kann, damit die Wurzeln der Eiche wieder mit Regenwasser versorgt sind. Vollkommen verrückt, wie ich finde.

Vögel als Indikatoren für die Klimakrise

Auf dem Kongress gab es viel Austausch, best practices und Planung von gemeinsamen Projekten. Vogelschutz bedeutet vor allem, Habitate zu schützen. Und davon profitieren natürlich alle Tiere. Die Partner in Lateinamerika haben ein großes Projekt mit Farmern, um die Graslands zu schützen. Auf den Cape Verden geht es um den Schutz der Strände für Meeresschildkröten und Meeresvögel. Die Partner in Bulgarien und Ägypten arbeiten gemeinsam, zum Schutz von Geiern und Zugvögeln. Die Organisationen in der Sahel sind Teil des Green Belt Projektes. Partnerorganisation sind weltweit in zentralen Projekten zum Klimawandel aktiv.

BirdLife International war mir vorher nicht bekannt, aber wie das immer so ist, kaum komme ich vom Kongress zurück, sehe ich Berichte über die Arbeit von BirdLife von der Süddeutschen, bei GMX und in vielen weiteren Online-Medien. Auf dem Kongress wurde der aktuelle Bericht zu „State of the World´s Birds“ vorgestellt. Alleine das Coverbild ist es schon Wert, sich den Bericht mal anzuschauen! Dieser Bericht ist eines der Dokumente, auf deren Basis im Dezember in Montreal auf dem COP 15 der Vereinten Nationen ein neues internationales Framework zum Schutz der Biodiversität weltweit verabschiedet werden soll. Wow, dachte ich mir. Offensichtlich hat unsere Arbeit tatsächlich Auswirkungen auf weltweite Abkommen zum Artenschutz. Warum ist ein Bericht über Vögel so wichtig für ein globales Artenschutzabkommen? Vögel sind wichtige Indikatoren für die Gesundheit von Ökosystemen. In Deutschland wird jedes Jahr die Bevölkerung aufgerufen, die Vögel im Garten zu zählen und zu dokumentieren. Daten dieser Art werden weltweit gesammelt und über die Jahre verglichen. Am kommenden Wochenende ist zum Beispiel Global Birding Weekend. Menschen weltweit sind dazu aufgerufen, Vögel zu zählen und die Sichtungen digital zu erfassen. Es gibt dafür Apps (birdlaser oder ebird), die Daten werden zentral gespeichert und für Reports zur Entwicklung von Vogelbeständen verwendet. Wenn Vogelarten verschwinden oder Bestände stark abnehmen, ist das ein Zeichen für ein gestörtes Ökosystem. Verschwinden Vögel, verschwinden in der Folge normalerweise auch andere Tiere. Vögel bieten sehr viele sogenannte Services für Ökosysteme an. Sie verteilen Samen und befruchten Pflanzen, sie halten Schädlinge in Zaum, Aasfresser sind eine natürliche Müllabfuhr und sie sind Beute für andere Tiere. Wie das so ist bei Ökosystemen: alles hängt miteinander zusammen. Alle Teile der Kette sind wichtig und nötig, damit das ganze System funktioniert.

Das sechste globale Massensterben ist in vollem Gange

Die Ergebnisse des aktuellen Reports bestätigen die erschreckende Realität: jede achte Vogelart ist vom Aussterben bedroht. Die Vogelzahl weltweit hat in den letzten Jahrzehnten extrem abgenommen.

Die wissenschaftlichen Daten zeigen, dass wir uns – nicht nur in Bezug auf Vögel, sondern in Bezug auf Arten allgemein – mitten im sechsten Massenaussterben auf unserem Planten befinden. Das berühmteste Massensterben ist das, der Dinosaurier. Doch es gab noch vier weitere, die durch sich verändernde Temperaturen hervorgerufen wurden. Wir wissen, dass ein Großteil der Lebewesen auf der Erde sich nicht schnellgenug an die steigenden Temperaturen anpassen kann. Landtiere haben die Möglichkeit, in Regionen zu wandern, deren Klima gut für sie ist. Aber Tiere und Pflanzen leben in Symbiose. Wenn die Pflanzen nicht schnell genug „mitwandern“, dann haben auch die Tiere keine Chance. Ganz zu schweigen von allen Lebewesen, die im Wasser leben. Wenn die Meerestemperatur steigt, wo sollen sie hin? Korallen zum Beispiel sind sehr Temperatur-sensibel. Zugleich sind sie sehr wichtig für viele Fische. Sterben die Korallen, sterben auch die Fische, was wiederum andere Lebewesen beeinflusst. Das System gerät aus dem Gleichgewicht.

Globales Artenschutzabkommen – mehr als nur heiße Luft?

Im Dezember treffen sich Vertreter und Vertreterinnen von Staaten aus der ganzen Welt zum zweiten Teil des COP 15, der UN Biodiversity Conference, um hoffentlich das neue Framework zum Artenschutz anzunehmen. Einige Ziele des Artenschutzabkommen sind der Schutz von mindesten 30% der weltweiten Land- und Seefläche, Wiederherstellung von mindestens 20% von zerstörten Ökosystemen, 50% Reduktion von invasiven Arten. Wie immer bei globalen Abkommen ist die Frage, wie ernst nehmen die unterzeichnenden Staaten die Umsetzung und wer finanziert das Ganze. Durch die Energiekrise in Europa, den Krieg in der Ukraine und weitere Krisenherde weltweit scheint der Erhalt der Biodiversität wieder einmal in den Hintergrund zu geraten. Ich frage mich wirklich ab und an, wann die Staaten verstehen, dass es nicht darum geht, künftige Generationen zu schützen, es ist keine Zukunftsmusik mehr. Der Klimawandel ist da und das Artensterben hat schon längst begonnen. Wir können nur versuchen es noch aufzuhalten, um den Planeten möglichst lange gut bewohnbar für uns Menschen zu erhalten. Wie sagte der eine Vortragende so schön: Nature doesn´t need us. But we need nature.

Ich weiß, heute ist es ziemlich lange geworden mit vielen Infos und dabei hätte ich noch so viel zu berichten, von tollen Begegnungen, von so vielen Sachen, die ich gelernt habe, von so viel Enthusiasmus und Motivation. Ich wollte noch berichten vom Schlange stehen in London und historischer Spurensuche in Cambridge. Und auch all die Infos zum Klimawandel kommen immer viel zu kurz. Aber ich schließe für heute und rate allen, die ein bisschen Englisch können, einmal in den Bericht zu schauen. Er ist nicht nur für wissenschaftliches Publikum, er ist super aufbereitet für Menschen wie euch und mich, die nicht wirklich viel Ahnung von den Sachen haben. Es gibt viele Bilder und Grafiken und wirklich gut und leicht verständlich formulierte Erklärungen.

Hier noch zwei schlaue Sprüche zum Ende.

Und wenn ihr am Wochenende nicht wisst, was ihr machen sollt: Global Birding Weekend 😉

Ach ja, und dann wollte ich ja noch ein bisschen eure Aufmerksamkeit auf den deutschen BirdLife Partner lenken: den NaBu. Ich hatte den Eindruck, die machen echt gute Sachen und vor allem, was neu für mich war: der NaBu arbeitet nicht nur in Deutschland, sondern ist auch in internationalen Umweltschutzprojekten aktiv. Durchaus unterstützenswert, wie ich finde: https://www.nabu.de

By the way: Ich habe nun auch den Beweis, dass mein Handy offensichtlich Ohren hat: seit neuestem werden mir immer Vogel-Witze und Vogel-Videos bei Insta vorgeschlagen. Das ist wirklich beängstigend. Also Obacht, worüber ihr so sprecht…

The Sound of Salone

Ich höre ihn gerade, den Sound of Salone. Der Generator läuft auf Hochtouren, seitdem ich vor zwei Stunden im Büro angekommen bin. Da werden leider die anderen Geräusche in den Hintergrund gedrängt: Die Hähne, die 24/7 krähen, die Straßenverkäufer mit ihren Megafonen, die Hunde des nachts und die spielenden Kinder. Nur der Regen ist lauter als die Generatoren. Und wenn sie schweigen, dann kommt auch viel, viel Musik an meine Ohren.

Heute soll es eigentlich um Musik gehen, nicht um die Generatoren. Zurzeit haben wir auch fast immer Strom bei mir in der Ecke, deshalb sind die Generatoren zur Zeit gar nicht so raumeinnehmend. Nur im Büro eben.

Blogartikel während der Arbeitszeit???

Falls ihr euch jetzt fragt, weshalb ich einfach während der Arbeitszeit einen Blogartikel schreibe, dann kann ich das sehr schnell beantworten: Ich bin mal wieder in der Warteschleife. Meine Kollegin war letzte Woche krank. Ich sitze auf drei fertigen Konzepten. Nun muss ich meine Ideen aber noch mit meinem Kollegen und meiner Kollegin besprechen, damit wir die Planung finalisieren können und die Budgets erstellen können. Und dafür brauche ich sie eben. Mariama ist vorhin aber mit dem Finanzkollegen zu irgendeiner Schule gefahren, um seinen Neffen dort anzumelden. Und solange die nicht zurück sind, nutze ich die Zeit eben auf andere Weise sinnvoll. Außerdem habe ich schon eine große Verbesserung (zumindest für mich) ins Büro gebracht: ich habe endlich einen Kalender gemacht und ihn im Büro aufgehängt. Es gibt hier keine Kalender zu kaufen. Die einzig berechtigte Frage ist nun: Wieso habe ich über ein Jahr gebraucht, um endlich aus zwei Flipcharts einen Kalender zu machen? Das frage ich mich wirklich selbst. Wenn nun auch noch der Scheck diese Woche fertiggemacht wird, mit dem Geld für das Whiteboard, dann ist das Büro langsam so ausgestattet, dass die Planung und Übersicht unserer Aktionen auf ein vollkommen neues Level gehoben werden können.

Während ich hier sitze und tippe, kommt der Kollege vom CEPF Team ins Büro. Er ist ganz begeistert von unserem neuen Kalender und wird diese ungewöhnliche und hervorragende Idee kopieren. Damit ihr wisst, welch unglaubliche Innovation ich ins Büro bringe, hier ein Bild:

Aber nun: Musik

Auf Wunsch eines Einzelnen gibt es heute keine langen Ausführungen, sondern einfach mal ein paar Hörproben zur Musik, die hier in den Straßenkiosken und Clubs läuft. Im Keke und im Radio. Auf den Privatpartys und am Strand. Viele Lieder stammen aus Nigeria. Nigeria ist in Westafrika das Land, das am meisten medialen Einfluss hat. Die Filmindustrie und die Musikindustrie bestimmen den Markt in Westafrika. Aber wir haben auch ein paar Sierra Leonische Künstlerinnen und Künstler.

Damit ihr euch ein bisschen besser auf die Musik einstellen könnt, sind hier ein paar Fotos von meinem Strandnachmittag am Samstag. (Yeah! Wir hatten tatsächlich mal eine Regenpause und Sonnenschein!) Schließt die Augen, stellt euch vor, ihr sitzt am Strand und im Hintergrund läuft die Musik.

Genug des Geschwafels, hier kommt die Mukke:

Ich lerne ja immer gerne dazu. Ich habe meine erste Playlist auf youtube erstellt. Ich hoffe, das klappt so. 🙂

Vom Regen in den Sturzbach

Wie unpassend, dass ausgerechnet jetzt die Sonne hinter den Wolken hervorkommt. Aber zugleich ist es auch ein Segen, dass es endlich einmal nicht regnet und die Sonne uns allen wenigstens kurz zeigt, dass sie noch da ist. Seitdem ich zurück bin, regnet es fast die ganze Zeit. Dieses Jahr macht die Regenzeit ihrem Namen alle Ehre und lässt uns die Naturgewalten spüren.

Bevor ich letztes Jahr nach Salone gekommen bin, hieß es immer, wenn du bis Ende Juli keine Freundschaften geschlossen hast, dann wirst du sehr einsame Wochen verbringen, weil in der Regenzeit alle zuhause bleiben und niemand ausgeht. Dann hat es letztes Jahr aber gar nicht so viel geregnet und ich dachte, das sind alles Übertreibungen. Jetzt weiß ich, es war nicht übertrieben!!!! Manche Dinge lerne ich wirklich erst in Jahr 2 😉

Am Sonntag zum Beispiel hat es von morgens um 3 oder 4 bis abends um sieben durchgeschüttet. Dass es überhaupt so viel Wasser da oben in den Wolken gibt, hat mich sehr erstaunt. Irgendwann müssen die doch mal leer geregnet sein. Aber nein. Als es abends aufgehört hat zu schütten wie aus Eimern, regnete es nur normal weiter. Bei mir in der Wohnung regnet es auch immer an vier Stellen, wenn es draußen stark regnet, weil mein Dach nicht ganz dicht ist. Aber das nehme ich gerne in Kauf, wenn ich sehe, wie es in anderen Stadtteilen aussieht und wenn ich in den sozialen Medien mitbekomme, wie es anderen Menschen bei dem Dauer-Stark-Regen ergeht.

Überflutete Straßen – oder war das schon immer ein Fluss hier?

Der Regen hatte mich schon direkt nach meiner Ankunft in Empfang genommen. Als wir während des Curfews zuhause saßen, haben wir noch gescherzt, dass eh niemand rausgehen würde, weil es so stark regnete. Am Montag nach meiner Ankunft sind wir aber trotzdem in unser asiatisches Karaoke-Restaurant, weil ein Freund von mir Geburtstag hatte. Wir waren die einzigen Gäste, kein Wunder bei dem Regen. Freddy, der noch unterwegs war, hat aus dem Keke Videos geschickt. Er steckte fest, weil eine der großen Straßen in Freetown vollständig überschwemmt war. Ich zeige euch hier ein paar Videos aus den sozialen Medien. Quelle und Ursprung unbekannt (bis auf Freddys Video), da mehrfach geteilt und weitergeleitet. Aber so bekommt ihr einen kleinen Eindruck davon, was es heißt, wenn es in den Whatsapp-Gruppen auf einmal heißt „Weiß jemand, ob man gerade die Wilkinson entlang kommt?“

An diesem Abend regnete es zwar sehr stark und Straßen wurden zu Sturzbächen, aber es wurde nicht von Opfern berichtet. Das ist in jeder Regenzeit die größte Sorge hier. Viele Menschen leben sehr nahe an den Wasserwegen oder unten am Meer in Wellblechhütten. Wenn Starkregen kommt, schießen die Wassermassen von den Hügeln ins Tal und reißen alles und jeden mit. Letztes Jahr gab es kaum Überflutungen und kein einziges Todesopfer. Es gab aber auch nicht viel Regen. Dieses Jahr sieht es leider anders aus.

Gedenken an die Opfer des Mudslides 2017

Bei lange andauerndem Starkregen kommen die Gespräche früher oder später immer auf den 14. August 2017. Vor fünf Jahren ereignete sich eine sehr schlimme Katastrophe. In den frühen Morgenstunden wachten die Menschen in Mortomeh, das ist ein Stadtteil von Freetown, von lautem Grollen auf. Einige dachten, es wäre ein Donner – obwohl es im August eigentlich nie donnert. Es war kein Donner. Ein riesiger Hangabschnitt hatte sich gelöst und rutschte in die Tiefe. Nach drei Tagen Dauerregen war der Untergrund nicht mehr fest, der abgeholzte Hügel hatte nichts mehr, was ihn hielt, so rutschte eine unglaubliche Schlammlawine ins Tal und begrub Häuser und Menschen unter sich. Über 1.000 Menschen verloren an diesem Tag ihr Leben oder gelten immer noch als vermisst. Jede Person in Freetown weiß bis heute ganz genau, was sie getan hat, als sie von dem Unglück erfuhr. Es gehört zum kollektiven Gedächtnis der Stadt. Umso verwunderlicher ist es für mich, dass weiterhin Hügel abgeholzt werden und Häuser darauf gebaut werden. Direkt in der Nähe der Unglückstelle werden auch weiterhin neue Häuser gebaut.

Wir wollten anlässlich des fünften Jahrestages des Unglücks mit community members, der head woman und Vertretern der NDMA (National Disaster Management Agency) einen kleinen Fernsehclip drehen, um einerseits an die Opfer von damals zu erinnern und zugleich die gefährlichen Konsequenzen der Entwaldung zu thematisieren. Ich bin schon öfter an der Stelle mit dem mudslide vorbeigefahren. Man sieht es wie ein Mahnmal der Natur vom Highway aus. Dieses Mal sind wir direkt an den Fuß des Hügels, der abgerutscht ist, direkt an den Rand der red zone. Am Tag bevor wir mit unserem Fernsehteam nach Mortomeh kamen, hat sich ein Riss am Boden aufgetan. Er läuft mehrere hundert Meter in der yellow zone durch Häuser, über Wege den Hügel entlang. Es ist sehr wahrscheinlich, dass es, wenn es so weiterregnet, zu neuen Erdrutschen kommen wird.

Als wir dort waren, haben auch schon die ersten Familien begonnen, ihr Hab und Gut in anderen Häuser zu tragen. Das Problem ist: dort wo sie leben, sollte niemand wohnen. Dort wo neue Häuser gebaut werden, ist eigentlich yellow zone und somit Gefahrenzone. Wieder einmal ist das Problem nicht, dass es keine Gesetze und Regeln gibt, sondern dass diese nicht eingehalten und umgesetzt werden. Gemeinsam mit der head woman, den local chiefs und ein paar community members haben wir uns den Riss angeschaut. Einige Leute sagen, sie würden sofort umziehen, wenn sie die finanziellen Möglichkeiten hätten. Der Executive Director der NPAA (National Protected Area Agency) sagt, alle haben nach 2017 Geld bekommen, um wo anders Grund zu kaufen und ein Haus zu bauen. Aussage gegen Aussage. Keine Ahnung, ob es irgendwo offizielle Dokumente gibt, wer wieviel Kompensation bekommen hat damals. Im kurzen Videoclip kommen alle nochmal zu Wort:

Im Anschluss an die Begutachtung der Lage vor Ort gab es ein Treffen mit Vertretern von UNOPS, Wissenschaftlern, Vertretern des Umweltministeriums und der beiden oben genannten Agency und eben CSSL, vertreten durch mich. Da fällt mir gerade ein, ich wollte ja noch fragen, ob ich die Präsi von den Treffen haben kann. Dort sind einige Drohnenaufnahmen, die zeigen, wie verrückt die Leute teilweise bauen, ohne irgendwelche Reglementierung. Einer hat zum Beispiel die Mauer um sein Grundstück so gezogen, dass er damit einen Wasserweg blockiert. Das Wasser wird nun umgeleitet und flutet eine Straße, die komplett unpassierbar ist, sobald es regnet. Das ist nur ein Beispiel. Bei dem Treffen wurde mir auf jeden Fall sehr klar, dass wir uns sehr glücklich schätzen können, dass nicht jedes Jahr viel mehr Unglücke geschehen während der Regenzeit.

Weil euch ja immer interessiert, was ich eigentlich so mache: Zu diesem Treffen waren eigentlich auch meine Kollegin und der Präsident von CSSL eingeladen. Meine Kollegin war krank und Charles und ich waren parallel noch auf einem anderen Workshop zu KBAs (Key Biodiversity Areas). Davon vielleicht ein anderes Mal mehr. Ich war der Meinung, es ist gut, dass wir ernst genommen werden und eingeladen werden zu diesem Meeting. Also bin ich eben alleine hin, um CSSL zu vertreten. NDMA hatte eingeladen, um Empfehlungen von verschiedenen Organisationen zu bekommen, wie weiter vorgegangen werden sollte. Es ging nicht nur um Mortomeh, sondern allgemein um Orte, die ebenfalls disaster prone sind. Ich denke zwar nicht, dass ich diejenige bin, die da mit dem meisten Sachverstand auftritt, aber meine Beiträge waren trotzdem sehr gut, finde ich zumindest. Eines meiner Anliegen ist, dass CSSL als wichtiger Player wahrgenommen wird. Ich habe auf jeden Fall meinen Senf dazugegeben. Mein wichtiger Beitrag war, dass es mit Sicherheit gut ist, wissenschaftlich fundiert zu argumentieren, weshalb bestimmte Gegenden als red zones markiert werden, wo nicht gebaut werden sollte und wo keine Abholzung und keine Landwirtschaft erlaubt sein sollte und wo am Ende bestehnde Häuser abgerissen werden. Aber die wichtige Frage ist, wie schafft es die Regierung, dass die Menschen nicht einfach wieder kommen und ihre Häuser in diesen gefährdeten Zonen wieder neu bauen. Die meisten Menschen, die zum Beispiel in der Kroo Bay oder Susan Bay leben (das sind zwei Slums unten am Meer), die Menschen wissen, es ist hochgefährlich dort und sie wissen, dass die Wahrscheinlichkeit, dass alles weggespült wird, mit jeder Regenzeit kommt. Aber sie wollen in der Stadt wohnen. Was also ist nötig, damit die Menschen wirklich nicht an Orten bauen, die ganz klar überflutungsgefährdet sind? Und zwar nicht nur, wenn einmal ein Jahrhunderthochwasser kommt, sondern jedes Jahr aufs Neue.

Es regnet, es regnet, kein Ende in Sicht

Als wir in Mortomeh waren, hatten wir großes Glück. Genau die vier Stunden, in denen wir vor Ort waren, war es trocken. Als wir ins Auto stiegen, kamen die ersten Tropfen vom Himmel. Die ganze Woche über regnete es immer mal mehr mal weniger. Am Wochenende dann hörte der Regen allerdings gar nicht mehr auf. Ich wachte Sonntagmorgen so gegen vier auf, weil es so stark geregnet hat. Ich wohne ja direkt unter dem Dach und da ist der Regen sehr laut. Es ist so laut, dass ich nicht telefonieren kann und eigentlich sind auch Stummfilme an solchen Tagen geeigneter als Filme mit Ton. Es schüttete wirklich den ganzenTag. Und dann kamen auch langsam die Videos über die sozialen Medien. Straßen waren zu Sturzbächen geworden, Menschen, die hüfttief durch Wasser waten. Und dann kam das, was viele befürchtet hatten: ein Mudslide, der seine ersten Todesopfer forderte. Eine ganze Familie wurde vom Schlamm begraben. Ein Mädchen konnte noch gerettet werden. Ich zeige euch nicht alle Videos, weil wie schon in einem früheren Artikel geschrieben, nicht immer auf die Privatsphäre von Opfern rücksichtgenommen wird.

Ich glaube, die ganze Stadt hat aufgeatmet, als am Abend der Regen nachließ. Heute, zwei Tage später, scheint auf einmal sogar die Sonne. Ich hoffe wirklich, dass wir nun ein paar Tage mit weniger Regen haben. Zu viele Menschen haben alles verloren, weil ihre Häuser überschwemmt wurden. Eine Organisation alleine hat im Laufe des Sonntags schon über 250 Familien aufgenommen. Meine Security Familie hat früher in den Viertel gewohnt, in dem es den Mudslide gab am Sonntag und wo es die stärksten Überflutungen gab. Jetzt wohnen sie wo anders. Aber Aminata hat mir erzählt, dass eine befreundete Familie am Samstag vorübergehend zu ihnen gezogen ist. Seit Freitagnachmittag wurden über die sozialen Medien schon Warnungen der NDMA verschickt, dass die Wettervorhersage Starkregen verspricht und alle Menschen aus überflutungsgefährdeten Gegenden ihre Häuser verlassen sollen. Es ist gut, mitzubekommen, dass die Regierung versucht, die Leute zu warnen. Leider sind nicht alle diesem Aufruf gefolgt. Wenn es nochmal zu diesen Starkregen kommt, wird es mit Sicherheit auch weitere Todesopfer geben. Einerseits brauchen wir den Regen in der Regenzeit, weil es ja dann ab November wieder fünf Monate trocken ist, aber zu viel Regen auf einmal, bringt neue Gefahren.

800ml Niederschlag ???!

Ich, die sich ja bei bestimmten Zahlen nichts vorstellen kann, weiß nun, was es heißt, wenn im Reiseführer steht: Im August 800mm Niederschlag. Laut Wikipedia ist das die mittlere Niederschlagsmenge der letzten Jahre in Deutschland aufs ganze Jahr gerechnet! Bei uns gibt es also in einem Monat soviel Niederschlag, wie in Deutschland in einem ganzen Jahr. Dafür ist bei uns der Niederschlag in den Monaten der Trockenzeit bei Werten von 2-8 mm, also sehr ungleich verteilt. Das muss ich natürlich dazusagen. Im Jahresmittel sind wir in Sierra Leone bei knapp über 3.000mm pro Jahr. Der gesamte Niederschlag kommt in drei bis vier Monaten runter.

Und nun noch ein Lichtblick

Ich arbeite heute von zuhause, weil ich seit gestern Gäste habe. Hannah und Max sind gestern wieder in Salone gelandet und bleiben zwei Nächte bei mir, bevor sie sich auf den Weg nach Makeni und Bo machen. Deshalb sitze ich gerade zuhause und freue mich über größer werdende Lücken in der Wolkendecke und sogar blauen Himmel. Endlich wieder Sonne auf der Haut 😊 Das schreit nach einem Strandspaziergang später. Vielleicht gibt es heute sogar einen Sonnenuntergang im Meer. Das wäre traumhaft!

Und übrigens, inmitten all der tragischen Nachrichten, gibt es auch immer wieder Lichtblicke. So wurden in den letzten Tagen Elefanten in Sierra Leone gesichtet. Ich freue mich riesig! Ich hoffe, sie werden nicht verjagt, so dass wir bald auch hier Elefanten in unseren Wäldern haben und ich sie vielleicht sogar einmal sehe, auf einer meiner nächsten Reisen in den Regenwald!

Oh Salone 😔 gerade eben erreicht mich die Nachricht, dass der Elefant getötet wurde. Wegen des Elfenbeins. Es ist so traurig hier. Solange es nicht genug Geld gibt für diejenigen, die den Wald und die Tiere schützen sollen, ist es wohl aussichtslos hier…

Fragiler Frieden

Vor nicht ganz zwei Wochen bin ich wieder in Salone gelandet. Es sind noch keine 14 Tage. Aber zugleich ist in diesen Tagen – eigentlich in den ersten sieben Tagen seitdem ich wieder da bin – schon so viel passiert und ich habe emotional viel Neues erlebt. Zum Beispiel das Gefühl von Unsicherheit in diesem Land. Deshalb bin ich immer wieder verwundert, wenn Freundinnen aus Deutschland „immer noch“ Fotos aus dem Urlaub schicken. Wie lange sind die im Urlaub? Drei Monate? Gefühlt, ist es schon unglaublich lange her, dass ich in Deutschland war, auch wenn ich vor zwei Wochen noch den Sonntagnachmittag mit meiner Familie im Garten verbracht habe. Wie gesagt, es ist einiges passiert seit meiner Landung in Freetown.

Unerwarteter Empfang in Freetown

Direkt am Tag meiner Rückkehr gab es ziemlich schlimme Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und Demonstrantinnen und Demonstranten. Mich traf das sehr unvorbereitet. Ja, wir sprechen in den CPS-Meetings schon seit Monaten darüber, dass es vor den Wahlen zu Gewalt kommen kann bzw. wird. Seit Monaten wird diskutiert, wie insbesondere junge Menschen (junge Männer) positiv in die Gesellschaft eingebunden werden können, so dass sie sich nicht von politischen Parteien instrumentalisieren lassen. Aber trotzdem war es nicht wirklich greifbar für mich. Wahrscheinlich auch, weil ich mich noch gut an den Wahlkampf und die Wahlen damals in Mosambik 2004 erinnern kann. Damals waren auch alle sehr nervös und in Sorge, dass es Gewalt geben wird vor den Wahlen und während der Wahlen und dann blieb alles ruhig. Hier blieb es auf jeden Fall nicht ruhig vor zwei Wochen.

Ich bin in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch um kurz nach 1 Uhr in Lungi gelandet und war dann mit der Fähre so um drei/ halb vier auf der anderen Seite in Freetown. Ich hatte echt einen tollen Empfang. Freddy hat mich sogar mit dem Keke an der Fähre abgeholt, obwohl es mitten in der Nacht war und John kam auch noch vorbei, sodass wir dann noch zu viert bei Maria saßen bis vier, halb fünf und meine Wiederkehr feierten.

Internetsperre, Ausgangssperre und krasse Bilder

Als ich am Mittwochvormittag aufgewacht bin, war meine größte Sorge, dass ich keinen Strom hatte (weil ich mein Meter vor meiner Reise nicht ausreichend aufgeladen hatte) und meine Gasflasche leer war. Somit konnte ich mir nicht einmal Kaffee kochen! Und dann war auf einmal das Internet weg. Zuerst dachte ich, das liegt an meinem Handy, das sich erst wieder final ans Sierra Leonische Netz gewöhnen muss – was natürlich Quatsch war, weil ich davor schon Internetempfang hatte am Handy, aber egal. Weil ich dringend Kaffee brauchte, bin ich runter zu Maria. Und dort habe ich dann erst gecheckt, was eigentlich los ist in der Stadt.

Ich hatte schon über whatsapp ein kurzes Video gesehen, mit Leuten, die demonstrieren und dem Hinweis, heute mal lieber nicht in die Innenstadt zu fahren, aber Demos gibt es ja manchmal wegen höherer Benzinpreise. Das ist normalerweise nicht so tragisch. Dieses Mal aber war es sehr tragisch. Es wurde geschossen, Menschen wurden auf der Straße erschossen. Sicherheitskräfte und Zivilisten und Zivilistinnen sind gestorben. Es gab richtige Unruhen und gewalttätige Auseinandersetzungen in der Innenstadt in Freetown, in Waterloo und in zwei anderen Städten im Land. Brennende Reifen auf den Straßen, Menschen, die Sicherheitskräfte verprügeln und dann Militärs, die auf den Straßen patrouillieren. Das Internet und Telefonnetz waren für ein paar Stunden ausgeschalten und wurden dann wieder angemacht. Die Regierung hat eine Ausgangssperre ab 15h nachmittags verhängt, ohne Information, wie lange die Ausgangssperre gelten würde. Bei uns im Viertel war alles ruhig. Wir sind nochmal kurz raus und haben Essen besorgt, aber sonst war bei uns alles entspannt. Wir hatten eher so ein WG-Feeling hier mit gemeinsam Abendessen und Film schauen. Es war nur sehr komisch, zu wissen, dass hinter den Hügeln Ausnahmezustand herrscht. Die einzigen Infos, die wir hatten, kamen über soziale Medien und Telefonate mit Leuten, die jemanden kennen, der jemanden kennt…

Im Laufe des Tages habe ich mir dann leider noch ein paar der Videos angeschaut, die über die sozialen Medien geteilt worden waren. Keine schönen Bilder. Und vor allem keine Bilder, die ich sehen möchte, wenn es sich um die Stadt handelt, in der ich lebe. Die Medien filtern hier nicht nach irgendwelchen medien-ethischen Gesichtspunkten in Hinblick darauf, welche Arten von Gewalt und Folgen von Gewalt, Verletzte und Tote sie zeigen. Selbst Online-Zeitungen haben die whatsapp-Videos, die teilweise wirklich grausame Bilder beinhaltet haben, auf ihren Seiten veröffentlicht. Bilder, die so in Deutschland von den Medien niemals gezeigt werden würden.

Wir sind es vielleicht gewohnt, im Fernsehen Bilder von gewalttätigen Ausschreitungen zu sehen, von Menschen die Steine oder Molotow-Cocktails auf Polizei und Militär werfen, von brennenden Straßensperren und Mobs, aber wenn diese Bilder dann auf einmal aus der eigenen Stadt kommen und Menschen zeigen, die doch eigentlich immer freundlich und friedlich sind, dann geht das nicht spurlos an mir vorbei. Ich habe mich auch während der Ausschreitungen nie unsicher gefühlt in meinem Viertel und vor allem nicht, hier in meiner Wohnung. Aber es war ein sehr komisches Gefühl. Man hat gemerkt, dass in der ganzen Stadt auf einmal alle die Luft anhalten.

Die Ausgangssperre wurde am Donnerstagmorgen aufgehoben. Sie wurde durch eine nächtliche Ausgangssperre von sieben Uhr abends bis sieben Uhr morgens ersetzt. Die meisten Läden blieben zu, Büros blieben geschlossen, auch wir waren im Homeoffice bzw. zuhause. Ich war trotzdem mal kurz einkaufen. Ich bin ja erst am Mittwoch zurückgekommen und hatte nichts zu essen zuhause. Es war ruhig auf den Straßen und irgendwie eine komische Stimmung. Ab Freitag normalisierte sich die Lage schon etwas und einige Läden haben wieder aufgemacht und die Leute sind auch langsam wieder zurück ins Büro. Das Verrückte an der Situation war, dass es, wenn ich mir nicht aktiv bewusst gemacht habe, was hier gerade passiert, eigentlich gar nicht so extrem war. Ausgangssperre kennen wir jetzt ja alle schon von Covid. Wir sind dann eben am Samstag schon nachmittags zum Bierchen an den Strand und nicht erst am Abend. Sobald ich mir aber bewusst gemacht habe, weshalb hier gerade Ausgangssperre ist – nämlich dass einfach mal Menschen auf der Straße erschossen worden waren und es Leute gab, die in den sozialen Medien zum Sturz der Regierung aufgerufen hatten – dann kam doch wieder eine komische Stimmung in mir auf.

Die nächtliche Ausgangssperre wurde zuerst im Süden des Landes aufgehoben und dann am Samstagabend auch bei uns in Freetown. Es gab im Osten Freetowns am Wochenende zwar nochmal ein paar Auseinandersetzungen, aber es war nicht ganz klar, ob das eher eskalierte, weil die Leute schon angespannt waren, oder wirklich nochmal Leute mit Absicht eskalierten. In Makeni gab es auch danach nochmal Gewalt. Aber mittlerweile ist es auch dort wieder ruhig – zumindest an der Oberfläche.

Geht das jetzt so weiter?

Nun gut, kann man sich nun denken. Dann gab es eben drei Tage Demonstrationen und am letzten Tag ist es eskaliert. Durch das schnelle Durchgreifen von Seiten der Regierung war die Situation ja ziemlich schnell unter Kontrolle und die Lage im Land wieder ruhig. Das, was den meisten Menschen inklusive mir, Sorgen bereitet, ist das Wissen, das dies nun die ersten Vorboten für den Wahlkampf waren. Wir haben nächstes Jahr im Juni Wahlen. Die meisten Leute hier gehen davon aus, dass die Wahlen nicht ohne Gewalt und Konflikten vonstattengehen werden und es nun immer wieder zu solchen Situationen kommen kann.

Es gibt verschiedene Theorien, wer für die Eskalation verantwortlich war. Die einen sagen, es war die Opposition, die junge Männer aus den Provinzen in die Hauptstadt geschickt hat, sie unter Drogen gesetzt hat und mit Waffen versorgt, so dass sie Unruhe stiften und Chaos kreieren. Damit soll angeblich gezeigt werden, dass die aktuelle Regierung, die Lage nicht im Griff hat und es nicht schafft, die Wahlversprechen einzuhalten. Die Preise sind in den letzten Monaten extrem gestiegen und die Kosten für Essen, Wohnen und Kochen sind für viele nicht mehr bezahlbar. Andere sagen, es war die Regierung selbst, damit sie Stärke zeigen kann und gegebenenfalls einen Grund hat, den Ausnahmezustand auszurufen und härter gegen Gegner des Präsidenten vorzugehen. Wieder andere sagen, es sind Exil-Sierra Leoner. Insbesondere eine Person hetzt die Menschen über soziale Medien gegen die aktuelle Regierung auf. Oder es waren doch einfach nur Menschen, die sich das Leben nicht mehr leisten können und deshalb auf die Straße sind? Die letzte Version ist am wenigsten wahrscheinlich, da es insbesondere in den strongholds der Opposition zu Ausschreitungen kam.

Anscheinend haben nicht bekannte Influencer online zu Streiks aufgerufen für den 8. bis zum 10. August und dazu, am 10. August „die Straßen einzunehmen“. Da offiziell niemand eine Demonstration angemeldet hat und die Gruppierung, die sich dazu bekannt hat, keine Partei oder keine greifbare Gruppe ist, kann nur vermutet werden, wer wirklich dahintersteckt. Da die Situation schon am Dienstag, dem 9.8., unruhig war, wurde das Militär zur Hilfe der Polizei hinzugezogen mit Hilfe der Military Aid to Civil Power Policy. Normalerweise hat das Militär keinen Auftrag im Landesinneren (ähnlich wie in Deutschland). Das Militär half, die Ausgangssperre zu kontrollieren und gegen die Gewalttätigen vorzugehen.

Es gibt unterschiedliche Zahlen zu den Opfern. Es gibt Quellen, die sprechen von vier, andere von sechs getöteten Polizisten und Polizistinnen und von 21 oder mehr zivilen Opfern. Alle politischen Parteien haben die Gewalt verurteilt und zu Ruhe und Besonnenheit aufgerufen. Der Präsident und andere Regierungsvertreter haben die Opposition direkt oder indirekt mit den gewalttätigen Ausschreitungen in Verbindung gebracht. Die Opposition dementiert das und hat auch offiziell klar Abstand zu den hetzenden Influencern genommen. Es bleibt das große Problem, dass es kaum verlässliche Nachrichtenquellen gibt. Die meisten Leute informieren sich über die sozialen Medien. Aber die Videos und Fotos sind nicht immer verifiziert und natürlich ist bei einigen auch nicht klar, ob sie wirklich aktuell sind, oder schon ältere Aufnahmen sind. Während der Ausgangssperre gab es z.B. Videos von schwarzen SUVs, die bei Leuten vor den Häusern anhalten und Leute aus den Häusern holen. Es gab Videos von Militärs, die die Straße entlanglaufen und dann sind nochmals Schüsse zu hören. Bei vielen Meldungen gab es mehrere Versionen und Erklärungen, je nachdem, mit wem man so gesprochen hat.

Eigentlich weiß ich nur eines: Nichts Genaues weiß ich nicht. Es bleibt alles absolut undurchsichtig für mich.

Darüber schreiben oder nicht und wenn ja, wie überhaupt?

Zunächst wusste ich nicht, ob ich hier überhaupt über die Ausschreitungen berichten soll oder nicht. Ich wusste nur, ich schreibe erst, wenn die Lage sich wieder beruhigt hat, damit ihr euch keine akuten Sorgen machen müsst. Mittlerweile weiß ich aber gar nicht, ob ich nicht viel eher mich schützen wollte und nicht euch. Ich glaube, mir geht es viel eher darum, dass ich nicht glauben möchte, wie schnell die Menschen gewalttätig werden und der fragile Frieden in größter Gefahr ist. Ich wollte das schöne Bild von Sierra Leone nicht zerstören. Aber da ich euch ja ein möglichst breites Bild meiner Realität hier abbilden möchte, kann ich so etwas einschneidendes nicht einfach weglassen.

Wie gesagt: ich war zu keinem Zeitpunkt in Gefahr und ich habe mich auch zu keinem Zeitpunkt unsicher gefühlt. Aber ich fühlte mich in meiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt, auch als die Ausgangssperre aufgehoben war.

Und dann gibt es noch einen weiteren Grund, weshalb ich nicht sicher war, ob ich hier darüberschreiben soll: die Lage ist sehr undurchsichtig. Ich verstehe die Zusammenhänge nicht wirklich und kenne auch gar nicht alle Akteure und Akteurinnen. Ich habe versucht, euch zu beschreiben, wie ich die Situation erlebt habe, aber einen echten Hintergrundbericht gibt es hier nicht. Ich fühle mich nicht informiert genug, um euch echte Informationen zu den politischen und gesellschaftlichen Hintergründen zu geben.

Und jetzt – business as usual?

Hier geht das Leben jetzt wieder „normal“ weiter. Während ich hier sitze und schreibe, ist draußen auf der Straße großes Geschrei, weil die Jungs Fußball spielen; gestern habe ich meinen Strandspaziergang gemacht, vorgestern war ich beim Kneipenquiz und morgen wartet ein Treffen mit zwei Regierungsbehörden auf mich, bei dem es um die Gefahren der Deforestation gehen wird. Einerseits ist es gefühlt etwas ruhiger als sonst auf den Straßen und in den Nächten, andererseits kann das auch an der Regenzeit liegen. Immerhin hatten wir fast fünf Tage Regen am Stück, Straßen waren überschwemmt und kaum jemand verlässt das Haus.

Die Ausgangssperre wurde vor einer Woche aufgehoben, aber auch das alles scheint schon wieder so weit weg, weil auch seitdem schon wieder so viel passiert ist. Ich weiß gar nicht, was gerade los ist. Aber die Tage sind gerade voller Ereignisse. Es wird also sehr bald ein weiterer Beitrag folgen und hoffentlich von meiner überaus erfolgreichen und motivierenden ersten Arbeitswoche nach meinem Urlaub berichten. Ich hoffe, dass in der Zwischenzeit nicht wieder irgendetwas außergewöhnliches passiert, so dass ich in aller Ruhe erst einmal erzählen kann, was in den letzten Tagen so los war. Nur so viel Spoiler: it´s getting wet over here…

Deutsche Dürre und der Regenwald

Zunächst muss ich mich ganz kurz an Frank wenden. Ich habe deinen Artikelwunsch nicht vergessen! Er kommt. Aber zuerst muss ich noch darüber schreiben, wie berührt und schockiert ich war, von verbrannten Rasenflächen in Deutschland, Anfang Juli.

Bevor ich im Juli nach Deutschland geflogen bin, war ich echt mal wieder frustriert von der Arbeit. Ich schwankte zwischen, es geht alles viel zu langsam vorwärts und ich lass es einfach gleich alles sein und OMG, es ist so viel zu tun, wo soll ich nur anfangen? Gleichzeitig hatte ich das Gefühl, dass es eh gar nichts bringt, was ich hier mache. Im Moment größten Ärgers dachte ich schon trotzig, dass ich einfach nicht mehr aus Deutschland zurückfliegen werde.

Aber dann begegnete mir der deutsche Sommer

Und der hatte es in sich. Als ich Anfang Juli in Deutschland ankam, hatte ich das Gefühl, es wäre schon Ende August. Alle Felder waren gelb und verbrannt, keine grünen Rasen, auch die Gemüsebeete kämpften so vor sich hin. Wo sonst im Juli der Garten zuwuchert und sich in seiner Pracht zeigt, ließen auf einmal die Bäume ihre Blätter hängen und läuteten einen viel zu frühen Herbst ein.

Wassernotstand hier, Wassernotstand dort. Und vier Wochen fast ohne Regen. Nur sind die Pflanzen in Deutschland ja gar nicht für eine Trockenzeit wie wir sie in Sierra Leone haben gewappnet. Und die Tiere auch nicht. Von den Menschen ganz zu schweigen. Meine Idee von einem Kurztrip nach Italien habe ich ziemlich schnell wieder verworfen. Lieber den Leuten nicht noch mehr von der raren Ressource Wasser nehmen. Nur die Wespen schienen die trockene Hitze zu mögen. Wenigstens eine Spezies also, die den Sommer so richtig genoss.

Schmelzende Gletscher und ausgetrocknete Gebirgsbäche

Mein erstes erschrockenes Aufmerken gab es ja schon ein paar Wochen zuvor, als der Gletscher in den Dolomiten abrutschte und Wanderer unter sich begrub. Das hätte auch ich sein können, oder jemand den ich kenne, dachte ich mir. Ich erinnerte mich an die Alpenüberquerung, die ich vor zwei Jahren gemacht habe und an die Schneefelder, über die wir im August noch stiefelten. Gibt es das bald nicht mehr? Bis wann verwandeln sich die Alpen wohl in eine Seenlandschaft, wie ich es vorgestern in der Zeitung gelesen habe?

Die Sorge um Dürre und Trockenheit war auf jeden Fall in mehreren Gesprächen während meines Aufenthaltes Thema. Auch auf 1600m, wo ich ein paar Tage auf unserer Bärenbadalm verbrachte und der Bauer kam, um zu prüfen, ob die Kühe noch genug Wasser hätten. Sonst müsste er welches hinaufbringen. Verrückt, dachte ich mir da noch. Wahnsinn, dachte ich erschrocken, als wir bei unserer Wanderung am nächsten Tag an ausgetrockneten Bachläufen vorbeikamen, die ich aus den letzten Jahren als kleine aber glucksende Gebirgsbäche kennengelernt hatte, die die Füße angenehm kühlen und für Erfrischung sorgen nach einem anstrengenden Abstieg. Es gab im Winter nicht genug Schnee, deshalb gibt es jetzt im Sommer nicht genug Schmelzwasser.

Das hört sich ja sehr nach Freetown an: wenn es in der Regenzeit nicht genug regnet, dann haben wir in der Trockenzeit nicht genug Wasser und keinen Strom. Zumindest Regen scheint es in Freetown dieses Jahr viel zu geben. Soweit ich es zumindest aus der Ferne beurteilen kann. Letztes Jahr gab es nicht genug. Deshalb hatten wir im Frühjahr ja so große Wasser- und stromprobleme.

Den Regenwald retten für den Sommer in Europa

Für mich schließt sich der Kreis. Der verdorrte Rasen in Deutschland gibt mir neue Motivation und einen klaren Auftrag für meine Arbeit in Sierra Leone. Die Regenwälder müssen auf jeden Fall beschützt werden. Es gibt unterschiedliche Arten von Wald. Regenwald, europäischen Mischwald und Nadelwald wie in der Tundra/Taiga. Alle Wälder geben Wärme an die Atmosphäre ab und  kühlen aber auch. Beim Regenwald ist der Kühlungseffekt am größten, der europäische Mischwald kühlt das Klima etwas mehr als dass er es erwärmt, der nordische Wald erwärmt das Klima mehr als das er es kühlt. Deshalb ist es so wichtig, dass besonders die Regenwälder beschützt und erhalten werden. Sie sind am wichtigsten, um das Klima zu kühlen und den Klimawandel abzufedern. Wenn ich mich so umschaue, frage ich mich zwar, ob das überhaupt noch Sinn macht, irgendetwas gegen den Klimawandel zu tun. Ist der Point of no return nicht schon längst überschritten und wir rollen mit Vollspeed in die Erderwärmung? Ich meine, die Erde wird es überstehen, um die mache ich mir keine Sorgen. Es ist nur ziemlich gemein, dass wir so viele Arten mit uns ins Verderben reißen, die nichts dafür können und sich nicht wirklich wehren können. Für sie strenge ich mich also an. Damit sie ihre Heimat und ihren Lebensraum nicht so rasend schnell verlieren.

Wenn ich an Sierra Leone gedacht habe, in den letzten Wochen, überkam mich oft auch eine Überforderung. Es gibt so viel zu tun. Ich sehe so viele Baustellen vor mir. Alleine das Plastik das den ganzen Strand bedeckt. Oder das Plastik, dass deinen Körper umschmeichelt, wenn du an bestimmten Stränden ins Wasser gehst. Das Plastik, dass die Leute einfach in den Wald werfen oder fallen lassen, wo sie gerade stehen und gehen. Wir brauchen eine Müllentsorgung, Aufklärungskampagnen und und und. Aber ich will zuerst den Wald retten. Um das Plastik müssen sich erst einmal andere kümmern.

In Deutschland reden wir spätestens seit den 1980er Jahren über Mülltrennung, Plastikvermeidung und Umweltschutz. Wir sind in den letzten 40 Jahren auch ganz gut vorangekommen. Allerdings nur oberflächlich. Bei der Müllentsorgung und der Müllverwertung sind wir keine Weltspitze. Da ist noch sehr viel Luft noch oben. Und wenn wir es in Deutschland in über 40 Jahren nicht geschafft haben, unseres Mülles Herrin und Herr zu werden, wie soll es dann in Sierra Leone in viel kürzer Zeit klappen?

Dazukommt natürlich, dass in Deutschland gerade das Thema Müll und Umwelt nicht die bestimmenden Themen sind.* Es geht um die Folgen des Krieges Russlands in der Ukraine, um explodierende Heizkosten und Inflation. In Sierra Leone haben wir ähnliche Sorgen. Verteuerung der Lebensmittel, Transportkosten schießen in die Höhe und die Wahlen stehen nächstes Jahr an. Wir können nur hoffen, dass die Politikerinnen und Politiker und einflussreichen Leute in der Wirtschaft, endlich sehen, was sie seit Jahrzehnten nicht sehen wollten oder nicht ernstgenommen haben und nicht länger so tun, als hätten wir noch Zeit, bis die Klimakatastrophe in ferner Zukunft künftige Generationen vor Herausforderungen stellt. Ich denke, wir sind schon mittendrin.

Und endlich weiß ich, was ich hier eigentlich mache 🙂

Sämtliche Dystopien scheinen viel schneller Realität zu werden, als erwartet. Ich bin gespannt, wie es weitergeht mit uns. Jetzt heißt es aber erst einmal, wieder richtig ankommen in Freetown und Pläne schmieden für die Rettung des Waldes hier. Denn nun habe ich endlich eine Antwort auf die ewige Frage „Was machst du da eigentlich?“ Ich versuche mitzuhelfen, den Klimawandel abzubremsen. Danach schauen wir weiter 😊

*Kleiner Nachtrag: den Artikel habe ich auch schon am Flughafen in Istanbul geschrieben, also schon vor einer Woche. Mittlerweile sieht es in Deutschland ja um einiges schlimmer aus. Der Rhein hat kein Wasser mehr und in der Oder sterben die Fische. Deshalb stimmt natürlich nicht mehr ganz, dass Umwelt und Klima gerade keine bestimmenden Themen sind. Bei uns ist gerade das Gegenteil von Dürre der Fall. Aber davon das nächste Mal mehr.

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